OGH 10ObS47/87

OGH10ObS47/878.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst sowie die fachkundigen Laienrichter Hon.Prof. Dr. Gottfried Winkler und Franz Murmann als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Vojislav V***, Hilfsarbeiter, 1140 Wien,

Leyserstraße 1/1/11, vertreten durch Dr. Johann Zivic, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, 1092 Wien, Rossauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 10.April 1987, GZ 32 Rs 36/87-82, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien vom 17.Dezember 1986, GZ 15 a C 387/85 -70 (nunmehr 15 Cgs 387/85 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 1.414,88 S (darin 128,63 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Invaliditätspension gerichtete Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der am 21.8.1937 geborene Kläger (der jugoslawischer Staatsangehöriger ist) war ab 1970 in Österreich als Hilfsarbeiter und Kraftfahrer sowie ab 1976 als Gartenarbeiter tätig. Er kann auf Grund seines im einzelnen beschriebenen körperlichen und geistigen Zustandes noch leichte und mittelschwere Arbeiten - diese seit Ende April 1986 nur mehr und während der Hälfte der Arbeitszeit - unter Einhaltung der üblichen Pausen verrichten. Arbeiten unter dauerndem besonderem Zeitdruck scheiden aus. Die Fingerfertigkeit ist für feinmotorische, beidhändig zu verrichtende Tätigkeiten herabgesetzt. Mit der linken Hand kann der Kläger keinen Spitzgriff durchführen und er kann sie nur als Hilfshand benützen. Den linken Arm kann er nur bis zur Horizontalen heben. Mit der rechten Hand kann er Mengenwerte erreichen, die nahe der unteren Grenze des Durchschnitts liegen. Er kann auf Grund dieses Leistungskalküls noch die Arbeiten eines Portiers ausführen. Sein Intellekt reicht hiefür aus. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Kläger nicht invalid im Sinne des für ihn maßgebenden § 255 Abs 3 ASVG sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es vertrat die Auffassung, das Beweisverfahren habe keine Einwände gegen die sprachliche und geistige Gewandtheit des Klägers ergeben, auf Grund derer er nicht auf die Tätigkeit eines Portiers verwiesen werden könne. Die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache und der Lateinschrift schließe diese Verweisung nicht aus. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor (§ 2 Abs 1 und § 48 ASGG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Das Schwergewicht der in der Rechtsrüge des Klägers enthaltenen Ausführungen liegt darin, daß er mangels Kenntnisse der Lateinschrift einem Analphabeten gleichzuhalten sei und deshalb nicht auf die Tätigkeit eines Portiers verwiesen werden dürfe, weil sie solche Kenntnisse erfordere. Diese Auffassung geht einmal daran vorbei, daß für die Invalidität gemäß § 255 ASVG der körperliche und geistige Zustand des Versicherten maßgebend sind. Der Besitz oder Mangel bestimmter Kenntnisse fällt aber nicht unter diese Begriffe. Entscheidend ist vielmehr, ob der körperliche und geistige Zustand des Versicherten es erlauben, sich die für eine berufliche Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse anzueignen. Auch dies ist hier aber nicht zu prüfen.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner erst vor kurzem ergangenen Entscheidung 10 ObS 12/87 die auch schon vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Ansicht vertreten, mangelnde deutsche Sprachkenntnisse seien kein Kriterium, das gegen die Verweisbarkeit auf einen bestimmten Arbeitsplatz vorgebracht werden könne, weil es andernfalls zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen Ausländern und Inländern käme. Diese Auffassung findet eine Stütze im Art. 8 B-VG, wo bestimmt wird, daß die deutsche Sprache, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik ist. Daraus ist für die Auslegung von Gesetzen abzuleiten, daß sich, wenn nicht in dem Gesetz etwas anderes bestimmt wird oder sich aus dem Zweck der Regelung etwas anderes ergibt, niemand darauf berufen darf, daß er nur eine andere Sprache als die deutsche Sprache beherrscht. Da die deutsche Sprache in Lateinschrift geschrieben und gedruckt wird, gilt daher entsprechend, daß sich niemand darauf berufen darf, daß er nur eine andere als die Lateinschrift schreiben oder lesen kann.

Weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 255 ASVG ist zu entnehmen, daß die Frage der Invalidität eines Versicherten, der nur eine andere Sprache als die deutsche beherrscht und nur eine andere Schrift als die Lateinschrift schreiben oder lesen kann, anders als die eines Versicherten mit Kenntnissen dieser Sprache und Schrift zu beurteilen ist. Ein solcher Versicherter, der Vordienstzeiten in der österreichischen Pensionsversicherung erwirbt, muß damit rechnen, daß er bei der Beurteilung der Frage seiner Invalidität auf den Arbeitsmarkt in Österreich verwiesen wird, auf dem aber Kenntnisse der deutschen Sprache und der Lateinschrift überwiegend selbstverständlich sind. Daraus folgt, daß es hier nicht darauf ankommt, ob sein körperlicher oder geistiger Zustand es ihm erlauben, diese Kenntnisse zu erwerben. Was zu geschehen hat, wenn ein zu einer sprachlichen Minderheit im Sinne des Art. 8 B-VG gehörender Versicherter, der nur die slowenische oder kroatische Sprache beherrscht, in einem Gebiet wohnt, in dem diese Sprachen als Amtssprachen zugelassen sind, muß nicht erörtert werden, weil daraus nur österreichische Staatsbürger Rechte ableiten könnten (vgl. Art. 7 Z 1 und 3 StV 1955).

Der Kläger weist in der Revision zur Widerlegung der dargelegten Ansicht darauf hin, daß es auch österreichische Staatsbürger gebe, welche die deutsche Sprache und die Lateinschrift nicht beherrschen. Dieser Umstand ist jedoch unerheblich, weil auch sie sich - vom Fall des Art. 7 StV 1955 vielleicht abgesehen - hierauf nicht berufen könnten.

Im übrigen bringt der Kläger in seiner Rechtsrüge noch vor, daß er nicht über die geistige und sprachliche Gewandtheit verfüge, die zur Ausübung der Tätigkeit eines Portiers notwendig sei. Dies steht aber mit den Feststellungen des Erstgerichtes nicht im Einklang, weshalb die Revision insoweit nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt ist. Da der Kläger somit noch auf die Tätigkeit eines Portiers verwiesen werden kann, gelangten die Vorinstanzen zutreffend zu dem Ergebnis, daß er nicht invalid im Sinn des für ihn unbestritten allein in Betracht kommenden § 255 Abs 3 ASVG ist.

Auf die in der Revision zur Kostenentscheidung des Berufungsgerichtes enthaltenen Ausführungen ist nicht einzugehen, weil dem Obersten Gerichtshof die Überprüfung dieser Entscheidung verwehrt ist.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. In der Revision wurde eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung angeschnitten. Diese wurde durch die zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, die überdies noch nicht veröffentlicht ist, nicht gänzlich gelöst. Der Zuspruch eines Teiles der tarifmäßigen, gemäß § 77 Abs 2 ASGG auf der Grundlage von 30.000 S zu bemessenden Kosten entspricht unter diesen Umständen der Billigkeit.

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