Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben; das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin war in der Grazer Filiale der Beklagten seit 27. September 1971 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 25. April 1985 wurde sie entlassen.
Mit der Behauptung, die Entlassung sei zu Unrecht erfolgt, verlangte sie von der Beklagten S 170.786,-- brutto sA an Abfertigung, Kündigungsentschädigung und Urlaubsentschädigung. Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Die Klägerin sei Alkoholikerin und sei schon mehrmals wegen alkoholbedingter Verfehlungen schärfstens verwarnt worden. Nach einer halbjährigen Alkoholabstinenz und nachdem die Klägerin bereits am 11. und 12. April 1985 nicht zur Arbeit erschienen und ihr für den Wiederholungsfall die Entlassung angedroht worden sei, habe sie am 24. April 1985 wiederum wegen übermäßigen Alkoholkonsums der Arbeit fernbleiben müssen. Ihre Entlassung sei daher gerechtfertigt. Die Klägerin brachte dazu ergänzend vor, daß sie trotz einer Entwöhnungskur rückfällig geworden sei. Die Beklagte habe aber stets größtes Verständnis für ihr Leiden aufgebracht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang eines Teilbetrages von S 5.562,20 brutto sA statt; das Mehrbegehren wies es ab. Es vertrat die Ansicht, daß dem raschen Rückfall in die Trunksucht trotz eindringlicher Verwarnung das Gewicht eines Entlassungsgrundes zukomme. Die Klägerin sei zwar Alkoholikerin und zur Zeit der Entlassung "echt" krank gewesen, sie hätte dem neuerlichen Rückfall aber durch medikamentöse Behandlung vorbeugen können. Die Klägerin habe ihre Abwesenheit von der Arbeit daher selbst verschuldet. Ihr stehe lediglich eine Urlaubsabfindung als aliquoter Teil der geltend gemachten Urlaubsentschädigung zu. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf im wesentlichen folgende Feststellungen:
Obgleich die Klägerin während der Arbeitszeit nie Alkohol zu sich nahm und ihre Aufgaben anstandslos erfüllte, gab es mit ihr in den letzten drei Jahren Schwierigkeiten wegen ihrer Neigung zum Alkohol. Zwischen Herbst 1983 und Frühjahr 1984 erschien sie einige Male wegen übermäßigen Alkoholkonsums nicht zur Arbeit. Die dadurch entstandenen Fehlzeiten wurden im Einvernehmen mit dem Grazer Betriebsleiter der Beklagten, Roland U***, oder seiner Stellvertreterin Ilse K*** jeweils als Zeitausgleich gewertet. Im Frühjahr 1984 sprach Roland U*** für den Fall, daß die Klägerin noch einmal wegen Alkoholkonsums unentschuldigt der Arbeit fernbliebe, eine letzmalige Verwarnung aus und drohte ihr die Entlassung an. Über Vermittlung U*** begab sich die Klägerin in ärztliche Behandlung die insoferne einen Erfolg zeitigte, als es ca. ein Jahr lang keine alkoholbedingten Schwierigkeiten mehr gab. Am 11. April 1985 und auch noch am 12.April 1985 konnte die Klägerin wegen übermäßigen Alkoholgenusses wieder nicht zur Arbeit kommen. Sie rief bei der Beklagten an und ersuchte, die Fehlzeiten mit ihrem Überstundenguthaben auszugleichen, was ihr bewilligt wurde. Anschließend war sie bis 21.April 1985 auf Urlaub, so daß U*** seine Absicht, die Klägerin schriftlich zu verwarnen, nicht verwirklichen konnte. Er wies aber seine Stellvertreterin Ilse K*** an, ein unentschuldigtes Fernbleiben der Klägerin in Hinkunft nicht mehr zu tolerieren.
Nach dem Urlaubsende arbeitete die Klägerin zwei Tage anstandslos. In der Nacht zum 24.April 1985 nahm sie jedoch so viel Alkohol zu sich, daß sie an diesem Tag wieder nicht zur Arbeit erscheinen konnte. Ihr Zustand war äußerst bedenklich. Ihre Mutter versuchte, ihr mit einer Überdosis von Medikamenten zu helfen. Der von der Klägerin aufgesuchte Hausarzt konstatierte einen Kreislaufkollaps und schrieb sie vom 24. bis 29.April 1985 krank. Die bei ihr festgestellten Krankheitssymptome waren eine Folge des Alkoholismus.
Die Mutter der Klägerin verständigte am Morgen des 25.April 1985 Ilse K*** und am Nachmittag dieses Tages Roland U*** davon, daß die Klägerin wegen eines Alkoholexzesses Kreislaufschwierigkeiten habe und nicht zur Arbeit kommen könne. Es sei nie so schlimm gewesen wie dieses Mal und sie habe befürchtet, daß die Klägerin in der Nacht sterben könnte. Roland U*** teilte ihr, die Hilfe erwartet hätte, jedoch mit, daß er die Klägerin entlassen müsse. Er sandte noch am selben Tag ein Schreiben folgenden Inhalts an die Klägerin: "Da Sie trotz der von mir ausgesprochenen letzten Verwarnung auf Grund ihres Alkoholkonsums den Dienst nicht antreten konnten, spreche ich mit heutigem Tag Ihre fristlose Entlassung aus."
Am 29.April 1985 überbrachte die Mutter der Klägerin die Krankenhausbestätigung, woraus Roland U*** erstmals erfuhr, daß die Klägerin vom Arzt krank geschrieben worden war. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß in § 27 AnG Trunksucht nicht als Entlassungsgrund angeführt sei. Die Aufzählung der Entlassungsgründe sei nur demonstrativ. Das Verhalten der Klägerin komme an Gewicht jedenfalls den Entlassungstatbeständen gleich. Ihre offenbar auf einer nicht beherrschbaren Neigung zum Alkoholgenuß beruhenden exzessiven Rückfälle binnen kurzer Zeit hätten der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Kündigungszeit nicht mehr zumutbar erscheinen lassen. Die Klägerin habe auf den ersten Rückfall vom 11./12.April 1985 nicht reagiert und sich nicht in Behandlung begeben. Dadurch sei sie innerhalb von 14 Tagen insgesamt 4 Tage unentschuldigt der Arbeit fern geblieben. Daran könne auch die Tatsache, daß sie nachträglich wegen eines Kreislaufkollapses krank geschrieben worden sei, nichts ändern, da Entlassungsgrund nicht eine alkoholbedingte Erkrankung, sondern ihre darauf zurückzuführenden Abwesenheiten von der Arbeit gewesen sei, die der Beklagten nach Häufigkeit und Dauer nicht mehr zuzumuten gewesen seien.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Begehren auf Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist in ihrem Aufhebungsantrag berechtigt. Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, war der Grund der Entlassung der Klägerin ihr im April 1985 zweimal zu Tage getretenes Unvermögen, ihren Dienst bei der Beklagten anzutreten. Dieses Unvermögen hatte seine Ursache in einem exzessiven Alkoholmißbrauch, dem beide Vorinstanzen Krankheitswert zumaßen. Das Berufungsgericht wies auf eine offenbar nicht beherrschbare Neigung der Klägerin zum Alkoholgenuß hin, und das Erstgericht sprach von Trunksucht, die in der Nacht zum 24.April 1985 zu einer "echten" Krankheit geführt habe. Dennoch gingen beide Instanzen ohne weitere Prüfung davon aus, daß die Klägerin im April 1985 insgesamt 4 Tage "unentschuldigt" vom Dienst ferngeblieben sei. Diese Ausführungen sind nicht schlüssig.
§ 27 Z 4 AngG berechtigt den Arbeitgeber zur vorzeitigen Entlassung, wenn der Angestellte ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterläßt. Alkoholismus gilt nach den Erkenntnissen der modernen Medizin als Krankheit (vgl. Knöfler-Martinek Mutterschutzgesetz7 183). Eine durch Krankheit hervorgerufene Arbeitsunfähigkeit schließt andererseits die Pflichtwidrigkeit der Arbeitsversäumung aus (Kuderna, Entlassungsrecht 67) und ist als rechtmäßiger Hinderungsgrund anzusehen (Martinek-Schwarz Angestelltengesetz6 619). Nach den Feststellungen wurde die Klägerin von ihrem Hausarzt in der Zeit vom 24. April bis 29.April 1985 krank geschrieben. Abgesehen davon, daß die Mutter der Klägerin schon am Morgen des 25.April 1985 telefonisch mitteilte, daß die Klägerin Kreislaufschwierigkeiten habe, konnte die verspätete Vorlage der ärztlichen Krankenstandsbestätigung keinen Entlassungsgrund bilden, weil die Folgen einer solchen Pflichtverletzung im § 8 Abs 8 AngG geregelt sind und darüber hinaus keine weiteren Maßnahmen rechtfertigen (Kuderna aaO 67 f; Arb. 8.680 ua). Eine Dienstverhinderung, die ihre Ursache in Krankheit hat, begründet den Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts dann, wenn dem Arbeitnehmer weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fallen (Martinek-Schwarz aaO 232). Ebenso wie ein wichtiger Grund zur Entlassung im allgemeinen nicht angenommen werden kann, wenn der Auflösungstatbestand einem der im Gesetz namentlich angeführten Fälle nahekommt, aber eines der dort angeführten Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt ist, kann die Abwesenheit der Klägerin vom Dienst nicht isoliert und ohne Bedachtnahme auf die Ursache beurteilt werden. War die Klägerin nicht in der Lage, sich aus eigener Willenskraft von ihrer Alkoholsucht zu befreien, dann war sie tatsächlich krank und konnte aus diesem Grunde während des Krankenstandes nicht wegen Unterlassung der Dienstleistung entlassen werden.
Auch wenn man ihr Gesamtverhalten nach dem Entlassungsgrund des § 27 Z 1 AngG, dritter Tatbestand prüft (Arb. 6.511, 9.091, 10.212; SrM I A/d 41 ua), ändert dies nichts daran, daß es auch hier darauf ankommt, daß ihr Verhalten pflichtwidrig und schuldhaft gewesen sein mußte, um die Entlassung zu rechtfertigen (Kuderna aaO 89). Es ist daher der Revisionswerberin beizupflichten, daß das Berufungsverfahren an einem Mangel leidet, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern geeignet war. Es besteht ein Unterschied darin, ob ein Arbeitnehmer sich durch Alkohol schuldhaft wiederholt in einen solchen Zustand versetzt, daß er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr nachkommen kann, oder ob sein pathologischer Alkoholmißbrauch bereits einen solchen Grad einer zwanghaften und unbeherrschbaren Krankheit erreicht hat, daß ihm ein neuerlicher Rückfall nicht mehr als Verschulden im Sinne der aufgezeigten Entlassungstatbestände zugerechnet werden kann. (Eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im Sinne des § 27 Z 2 AngG wurde nicht behauptet.) Dazu hat das Berufungsgericht nicht eindeutig Stellung genommen, da es einerseits zwar von einer "unbeherrschbaren" Neigung der Klägerin zum Alkohol ausging, deren Auswirkungen aber im Ergebnis als schuldhaft ansah. Zur Klärung dieser Frage hätte es bei Vorliegen derart gewichtiger Indizien, die sich sowohl aus dem Vorbringen beider Teile als auch aus den getroffenen Feststellungen ergeben, noch der ergänzenden Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen bedurft, zumal hier die Schuldfrage nicht schlechthin auf die Unterlassung einer sofortigen Behandlung reduziert werden kann. Das Berufungsgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren noch durch Vernehmung eines medizinischen Sachverständigen zu klären haben, ob dem Alkoholmißbrauch der Klägerin Krankheitswert zukam und inwieweit eine solche Krankheit durch sie überhaupt noch beherrschbar war.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.
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