OGH 1Ob631/87

OGH1Ob631/8715.7.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Andreas W***, geboren am 15. September 1981, infolge Revisionsrekurses des Vaters Bruno S***, Vertragsbediensteter, Tallach 8, Maria Elend, vertreten durch Dr. Manfred Haslinglehner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 15. Mai 1987, GZ 1 R 227/87-63, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 10. April 1987, GZ 3 P 25/87-54, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der am 15. September 1981 geborene Andreas W*** ist das uneheliche Kind der Maria W*** und des Bruno S***. Bruno S***

hat die Vaterschaft zum Kind am 6. Oktober 1981 anerkannt. Amtsvormund des Kindes ist der Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt. Die Eltern lebten bis Ende des Jahres 1985 in Lebensgemeinschaft, die dann von Bruno S*** aufgelöst wurde. Das Kind verblieb zunächst bei der Mutter.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters, der Mutter alle aus den familienrechtlichen Beziehungen erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten in Ansehung des mj. Andreas zu entziehen und ihm zu übertragen, ab. Der Mutter wurde aufgetragen, regelmäßig mit dem zuständigen Sozialarbeiter des Jugendamtes des Magistrats der Landeshauptstadt Klagenfurt im Rahmen der durchzuführenden Hausbesuche in Kontakt zu treten und sich einer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle zu unterziehen. Dem Vater wurde aufgetragen, den Minderjährigen sofort der Mutter herauszugeben.

Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Mutter, die den Beruf einer Schneiderin erlernt und ausgeübt hatte, habe sich nach der Geburt des Kindes ausschließlich dessen Pflege und Erziehung gewidmet. Im Jahre 1984 seien bei ihr Schlafstörungen und andere psychosomatische Beschwerden sowie Depressionen aufgetreten, die stationäre Aufenthalte in der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt in der Zeit vom 25. November bis 21. Dezember 1984, vom 14. Oktober bis 25. Oktober 1985 und vom 5. November bis 11. Dezember 1985 erforderlich gemacht hätten. Während dieser Zeit sei der Minderjährige vom Vater und dessen Eltern betreut worden. Anfang 1986 sei die Mutter medikamentös behandelt worden, ihr Zustand habe sich aber im Frühjahr 1986 kontinuierlich gebessert, so daß sie in der Lage gewesen sei, ihr Kind zu erziehen und zu betreuen. Von April 1986 bis Ende Jänner 1987 habe in der Wohnung der Mutter deren schwer geisteskranker Bruder Kurt W*** gewohnt, dem sie zeitweilig auch die Beaufsichtigung des Kindes überlassen habe. Kurt W*** habe sich bereits vierzehnmal in stationärer Behandlung der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt befunden. Er leide unter anderem an einer paranoiden Schizophrenie und chronischem Alkoholismus verbunden mit Aggressionstendenzen. Als er das Kind im Oktober 1986

beaufsichtigte, geschah es, daß sich das Kind eine Verletzung durch eine Schnittwunde an der Hand zufügte, weil es auf der Stiege stürzte und hiebei eine Flasche zerbrach. Kurt W*** wohne aber nicht mehr in der Wohnung der Mutter. Im Herbst 1986 habe Maria W*** beabsichtigt, die Meisterklasse für Schneiderei zu besuchen, und mit dem Vater vereinbart, daß der mj. Andreas im wesentlichen während der Zeit der beruflichen Abwesenheit der Mutter vom Vater und den väterlichen Großeltern beaufsichtigt werde. Die Wochenenden sollte der Minderjährige wieder bei seiner Mutter verbringen. Nach zwei bis drei Wochen habe Maria W*** den Schulbesuch aufgegeben und die Rückgabe des Kindes verlangt, die der Vater jedoch verweigert habe. Er habe ihr seit dem Zwischenfall mit der Schnittverletzung auch die Ausübung des im September 1986

vereinbarten Wochenendbesuchsrechtes verweigert und lediglich den stundenweisen Besuch des Kindes gestattet. Am 13. März 1987 habe er das Kind der Mutter übergeben, das sich in der Folge bis 20. März 1987 bei ihr befunden habe. Am 20. März 1987 habe Maria W*** den mj. Andreas dem Vater zu Besuchszwecken übergeben; die Rückgabe des Kindes sei für 17 Uhr vorgesehen gewesen. Der Vater habe die Rückgabe des Kindes zunächst hinausgezögert und schließlich verweigert. Seit dem 20. März 1987 lebe das Kind wieder beim Vater. In der Zeit vom 13. bis 20. März 1987 sei die Mutter unter Mitnahme des Kindes abends ausgegangen, jedoch um 20 Uhr 30 nach Hause zurückgekehrt. Sie habe in dieser Zeit zweimal den Besuch von Männern empfangen, die Freunde der Mutter seien. Dem Vorwurf der Prostitution mangle jeder Grundlage. Der gerichtliche Sachverständige Univ.Doz.Dr. Gerhard F*** habe im März 1987 Hinweise auf einen Entwicklungsrückstand des Kindes sowohl im sozialen wie auch im intellektuellen Bereich festgestellt und dies auf die in Brüche gegangene Beziehung der Eltern und den Wechsel des Aufenthaltsortes des Minderjährigen zurückgeführt. Maria W*** leide an einer endogenen Psychose, die durch nicht einfühlbare körperliche Beschwerden und mangelnde Belastbarkeit gekennzeichnet sei. Auf Grund ihrer Erkrankung beziehe sie eine Frühpension. Die Erkrankung der Mutter sei dem schizophrenen Formenkreis zuzuordnen, doch seien nach dem bisherigen Krankheitsverlauf eindeutige Symptome einer Schizophrenie nicht nachweisbar. Hinweise auf Denkstörungen, Störungen der Affektivität oder Depersonalitätserscheinungen fehlten. Nach dem bisherigen Krankheitsverlauf seien bei Betreuung des Kindes durch die Mutter, deren regelmäßige psychotherapeutische Kontrolle sowie die regelmäßige Kontrolle des Kindes durch Organe des Jugendamtes vorausgesetzt, negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes nicht zu befürchten.

In rechtlicher Hinsicht führte der Erstrichter aus, es lägen keine Umstände vor, die eine ernstliche Gefährdung des Kindes bei der Mutter befürchten ließen. Daß Maria W*** Männerbesuche empfange, begründe für sich allein eine Gefährdung des Minderjährigen ebensowenig wie wenn die Mutter mit dem Kind tagsüber oder abends ausgehe, soweit dies für ein Kind dieses Alters zeitlich vertretbar erscheine. Da die Mutter das Kind ihrem geisteskranken Bruder Kurt W*** nicht zur Beaufsichtigung überlasse, sei durch gelegentliche Besuche des Kurt W*** bei der Mutter eine Gefährdung des Kindes nicht zu befürchten. Es habe bisher auch kein einziger Vorfall festgestellt werden können, daß das Kind durch ein Verhalten des Kurt W*** gefährdet worden wäre.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs des Vaters nicht Folge. Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Beschlusses und führte aus, die vom Vater gegen Maria W*** erhobenen Vorwürfe gipfelten im wesentlichen darin, daß die Mutter das Kind vernachlässige, der Prostitution nachgehe, auf Grund ihrer psychischen Erkrankung erziehungsunfähig sei und den Minderjährigen der Obhut ihres geisteskranken Bruders überlasse. Daß die Mutter Prostitution betreibe, sei im Verfahren nicht hervorgekommen, es hätten sich dafür keine konkreten Anhaltspunkte ergeben. Der Bundespolizeidirektion Klagenfurt sei die Mutter als Prostituierte weder bekannt noch werde sie in dieser Richtung auch nur verdächtigt. Kurt W*** wohne nicht mehr bei der Mutter und werde zur Beaufsichtigung des Kindes nicht herangezogen. Auf Grund des festgestellten psychiatrischen Befundes sei die Mutter auch nicht erziehungsunfähig. Daß das Kind in seiner Entwicklung teilweise retardiert erscheine, sei auf den häufigen Wechsel des Aufenthaltsortes und die Störung der Kontinuität emotionaler Bindungen zurückzuführen, wofür aber der Vater zumindest im gleichen Umfang verantwortlich sei wie die Mutter. Die Entziehung der elterlichen Rechte stelle eine äußerste Notmaßnahme dar, die eine konkrete ernste Gefahr für das Kind voraussetze. Es reiche für die Entziehung der Elternrechte der Mutter nicht aus, daß es dem Wohl des Kindes bessser entsprechen würde, wenn es beim Vater aufwächst. Maria W*** habe kein Verhalten an den Tag gelegt, das den Minderjährigen gefährde und eine Maßnahme gemäß § 176 ABGB rechtfertigen würde. Die vom Erstrichter erteilten Auflagen dienten der Sicherung des Wohls des Kindes.

Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Da das Rekursgericht die Entscheidung des Erstrichters bestätigte, ist der Revisionsrekurs nur mit den Beschränkungen des § 16 AußStrG zulässig, somit wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit, Aktenwidrigkeit oder Nullität. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, und trotzdem eine damit in Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird (EFSlg. 49.930, 47.208, 44.642 u.a.). Sie kann insbesondere darin gelegen sein, daß das Wohl des Kindes bei einer Entscheidung gänzlich außer acht gelassen wurde (EFSlg. 49.932, 47.216, 44.648 u. a.), die Vorinstanzen bei der Entscheidung über Pflege und Erziehung willkürlich vorgegangen (EFSlg. 39.824) oder die Entscheidungsgrundlagen völlig unzureichend sind (EFSlg. 49.998, 44.696, 44.697 u.a.). Solche Mängel haften jedoch dem Beschluß des Rekursgerichtes nicht an.

Gemäß § 170 ABGB steht der unehelichen Mutter das Recht auf Pflege und Erziehung des Kindes allein zu, eine Übertragung des Rechtes auf den Vater kommt nur in Betracht, wenn die Mutter im Sinne des § 145 ABGB behindert ist; als Behinderung kommt nur ein Verhalten in Betracht, das das Wohl des Kindes gefährdet (EFSlg 48.385, JBl. 1981, 434). Das Erstgericht hat eingehende Erhebungen über den Geisteszustand der Mutter und seine Auswirkungen auf ihre Erziehungsfähigkeit durchgeführt; insbesondere wurde ein Gutachten des Univ.Doz.Dr. Gerhard F*** darüber eingeholt, ob der Geisteszustand das Wohl des Kindes gefährde. Das Rekursgericht schloß sich den Ausführungen des Gutachters an. Unter diesem Gesichtspunkt kann die unterbliebene Einsichtnahme in den Akt des Sozialversicherungsträgers über die Gründe, die zur Gewährung einer Frühpension an die Mutter führten, nicht als Verfahrensmangel vom Gewicht einer Nullität bezeichnet werden. Es kann auch nicht gesagt werden, daß die Entscheidungsgrundlage des angefochtenen Beschlusses völlig unzureichend wäre. Mit dem beim Minderjährigen aufgetretenen Erziehungsrückstand hat sich der Gutachter Univ.Doz.Dr. Gerhard F*** auseinandergesetzt. Er führt ihn nicht auf die Erkrankung der Mutter, sondern auf die Belastung des Kindes durch die in Brüche gegangene Beziehung der Eltern und den häufigen Wechsel des Aufenthaltsortes des Minderjährigen zurück. Der Sachverständige verneinte die Erziehungsfähigkeit der Mutter keineswegs, er hält nur eine regelmäßige psychotherapeutische Behandlung der Mutter und Kontrollen des Kindes durch die Sozialarbeiterin für wünschenswert. Dieser Anregung hat das Erstgericht ohnehin entsprochen; durch die der Mutter in dieser Hinsicht erteilten Auflagen kann sich jedenfalls der Vater nicht beschwert erachten. Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Vaters liegt nicht vor, zumal er zu den Verfahrensergebnissen gehört wurde (vgl. ON 42) und Gelegenheit hatte, im Rekurs seinen Standpunkt zu vertreten (EFSlg. 49.985, 49.984 u.a.). Daß er nicht zu allen Beweisergebnissen gehört wurde, begründet keine Verletzung des rechtlichen Gehörs (EFSlg. 49.987). Das Rekursgericht hat bei seiner Entscheidung das Wohl des Minderjährigen keineswegs außer acht gelassen, so daß der Revisionsrekurs zurückzuweisen ist.

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