OGH 9ObS12/87

OGH9ObS12/8715.7.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekusgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer als Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strinitzer und Walter Benesch als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Georg S***, Innsbruck, Pontlatzerstraße 39, vertreten durch Dr. Josef Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei A*** U***, Wien 20., Adalbert Stifter Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, und Dr. Vera Kremslehner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24.Februar 1987, GZ 5 Rs 1026/87-14, womit das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Tirol vom 21.Oktober 1986, GZ 7 C I 133/86-7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt. Der Kläger hat die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 29.7.1980 in der Kranebitterallee in Innsbruck um ca. 23 Uhr auf der rechten Fahrbahnseite gehend von einem PKW niedergestoßen und schwer verletzt. Er begehrt die Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 40 v.H. der Vollrente; der Unfall sei unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, weil er sich auf dem Weg zum Antritt einer Beschäftigung bei einem Gebäudereinigungsunternehmen befunden habe. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger sei zum Unfallszeitpunkt in keinem die Versicherung begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden; ein Arbeitsverhältnis zu dem Unternehmen, bei dem er beabsichtigt habe, die Arbeit anzutreten, sei nicht begründet worden. Der Kläger habe keinen festen Wohnsitz gehabt, sei zum Unfallszeitpunkt im Begriff gewesen, eine Übernachtungsmöglichkeit in einem Stadl oder auf dem Bahnhof Innsbruck zu suchen; diese Suche nach einer Unterkunft sei der Hauptzweck seines Weges gewesen. Im übrigen sei der Kläger im Unfallszeitpunkt schwer alkoholisiert gewesen und habe dadurch das Unfallrisiko wesentlich erhöht. Dies schließe den Versicherungsschutz aus.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab, wobei es seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehenden Sachverhalt zugrunde legte:

Der Kläger war Ende Juli 1980 ohne Arbeit und ohne ständiges Quartier. Er hatte seit 1969 hauptsächlich Gelegenheitsarbeiten verrichtet. Da er Geld benötigte und deshalb eine Arbeit annehmen wollte, rief er am 29.7.1980 aus Vorarlberg, wo er sich damals aufhielt, Ivan F***, den Inhaber der Reinigungsfirma R***, in Innsbruck an und ersuchte ihn um eine Beschäftigung. Da F*** Arbeiter benötigte, vereinbarte er mit dem Kläger, den er von früheren Beschäftigungen in seinem Betrieb kannte, daß dieser ab 1.8.1980 in seinem Betrieb als Arbeiter mit einem Stundenlohn von S 45,-- zuzüglich allfälliger Zulagen arbeite. Über einen allfälligen früheren Arbeitsbeginn des Klägers im Betrieb der Reinigungsfirma R*** wurde nicht gesprochen. Wäre der Kläger jedoch schon früher, also vor dem 1.8.1980 zum Dienstantritt bei der Firma R*** erschienen, so hätte ihn Ivan F*** auch schon vor diesem Zeitpunkt eingestellt. Da der Kläger dringend Geld benötigte, bemühte er sich möglichst rasch nach Innsbruck zu kommen, um sich dort allenfalls auch schon vor dem 1.8.1980 in der Reinigungsfirma R*** zur Aufnahme der Beschäftigung zu melden. Dem Kläger gelang es, noch am 29.7.1980 per Autostopp von Vorarlberg bis Zirl zu gelangen. Von dort ging er zu Fuß in Richtung Innsbruck; unterwegs wurde er von einem Gewitter überrascht und hielt sich deshalb bis gegen 23 Uhr im Gasthaus "Kranebitten" auf. Gegen 23 Uhr setzte er seinen Fußmarsch in Richtung Stadtmitte von Innsbruck fort und wurde dabei auf der Bundesstraße Nr.171 (Kranebitterallee), auf dem rechten Fahrbahnrand gehend, von einem PKW niedergestoßen und schwer verletzt. Der Kläger war zum Unfallszeitpunkt alkoholisiert. Die um 0 Uhr 45, also ca. 1 1/2 Stunden nach dem Unfall vorgenommene Blutabnahme ergab einen Blutalkoholgehalt von 1,7 Promille. Im Schadenersatzprozeß gegen den am Unfall beteiligten PKW-Lenker wurde dem Kläger ein Mitverschulden von einem Drittel angelastet, weil er auf der Freilandstraße nicht am linken Fahrbahnrand gegangen war.

Eine Unfallskausalität der Alkoholisierung des Klägers wurde nicht als erwiesen angenommen. Der Kläger hatte die Absicht, sich schon am Morgen des 30.7.1980 bei der Reinigungsfirma R*** in Innsbruck zum (verfrühten) Dienstantritt zu melden.

Das Erstgericht führte dazu aus, daß ein Dienstvertrag erst für die Zeit ab dem 1.8.1980 abgeschlossen worden sei. Wäre der Kläger schon vor diesem Tag im Betrieb der Reinigungsfirma R***

erschienen, so hätte für eine Beschäftigung vor dem 1.8.1980 eine zusätzliche vertragliche Vereinbarung erfolgen müssen. Ein Zusammenhang zwischen seinem Weg mit der am 1.8.1980 vereinbarungsgemäß zu erfolgenden Arbeitsaufnahme bei der Firma R*** habe auf Grund des erheblichen zeitlichen Abstandes zum Termin des vereinbarten Arbeitsbeginnes nicht bestanden. Der Kläger habe diesen Weg nur in der Absicht zurückgelegt, ein zusätzliches Dienstverhältnis zu begründen. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Arbeitsunfalles im Sinn des § 175 Abs.2 Z 1 ASVG seien daher nicht gegeben.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, vertrat jedoch die Ansicht, daß der vom Erstgericht negierte Versicherungsschutz gegeben sei. Durch die Vereinbarung zwischen dem Kläger und dem Vertreter der Firma R*** habe der Kläger eine Dienstleistungsverpflichtung ab 1.8.1980 übernommen. Die Anreise nach Innsbruck habe ausschließlich dem Zweck der Arbeitaufnahme gedient. Dem Umstand, daß der Kläger die Reise bereits zwei Tage vor Beginn des Arbeitsverhältnisses angetreten habe, komme keine Bedeutung zu, da eine Gefahrenerhöhung dadurch nicht eingetreten sei. Auch durch die Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit sei der Zusammenhang mit der geplanten Arbeitstätigkeit nicht unterbrochen worden, weil der Kläger vom direkten Weg zu dem Ort, an dem er die Arbeit antreten sollte, nicht abgewichen sei. Ebensowenig beeinträchtige die Alkoholisierung des Klägers den Versicherungsschutz, weil sie keinen Einfluß auf den Unfallsablauf gehabt habe. Da der Weg, auf dem sich der Unfall ereignet habe, im ursächlichen Zusammenhang mit dem Antritt des vereinbarten Arbeitsverhältnisses gestanden sei, unterliege der Unfall dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine abschließende Entscheidung sei nicht möglich, da der Umfang des Begehrens ungeprüft geblieben sei.

Der gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs der beklagten Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung sind gemäß § 4 Abs.1 Z 1 ASVG - die dort bezeichneten Ausnahmen kommen hier nicht zum Tragen - ua. die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer versichert. Die Pflichtversicherung der Dienstnehmer beginnt gemäß § 10 Abs.1 ASVG unabhängig von der Erstattung einer Anmeldung mit dem Tag des Beginnes der Beschäftigung. Grundsätzlich kommt es nicht auf den vereinbarten Beginn des Beschäftigungsverhältnisses an, sondern auf die tatsächliche Arbeitsaufnahme (Krejci-Marhold in Tomandl, System des österr. Sozialversicherungsrechtes 3.Erg.Lfg, 62). Abweichend von dieser Regel können aber auch Fälle vorliegen, in denen nicht der Beginn der Beschäftigung selbst, sondern der Beginn des Dienstverhältnisses für den Beginn der Versicherung maßgeblich ist. Erleidet der Dienstnehmer auf dem Weg zur erstmaligen Aufnahme der für einen bestimmten Tag mit dem Dienstgeber vereinbarten Arbeitstätigkeit einen Unfall, durch den er an der Arbeitsaufnahme gehindert wird, so beginnt die Pflichtversicherung im Sinne des § 10 Abs.1 ASVG für diesen Dienstnehmer bereits mit dem Beginn des Tages der vereinbarten Arbeitsaufnahme (SozSi 1970/11). Dies ist der frühest mögliche Zeitpunkt, zu dem nach dem Gesetz der Versicherungsschutz, sofern er aus einem Arbeitsverhältnis abgeleitet wird, eintreten kann. Er erfaßt damit nicht Risken, die vor diesem Zeitpunkt liegen. Selbst wenn ein Versicherungsschutz gegeben wäre, lägen die Voraussetzungen für das Begehren zufolge Mangels eines zeitlichen Zusammenhanges mit dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses nicht vor. Der Beklagte hatte vor dem Unfall die Beschäftigung bei der Reinigungsfirma R*** nicht aufgenommen. Der Beginn des Arbeitsverhältnisses war nach den Feststellungen für den 1.8.1980 vereinbart. Zum Zeitpunkt des Unfalles, der sich am 29.7.1980 und damit einige Tage vor dem vereinbarten Beschäftigungsbeginn ereignete, bestand daher kein Versicherungsschutz, so daß das Klagebegehren nicht zu Recht besteht. Daraus folgt, daß die Streitsache zur Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens reif ist; der Oberste Gerichtshof konnte daher gemäß § 519 Abs.2 zweiter Satz ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen und das Urteil erster Instanz wiederherstellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 77 Abs.1 lit.b ASGG; Umstände, die einen Anspruch auf Kostenzuspruch trotz Unterliegens rechtfertigen könnten, wurden weder geltend gemacht noch sind solche Umstände aus dem Akteninhalt ersichtlich.

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