Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.
Die beklagten Parteien haben der Klägerin die mit S 3.458,18 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 314,38 Umsatzsteuer) sowie die mit S 5.612,73 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 282,98 Umsatzsteuer und S 2.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrt aus dem Verkehrsunfall vom 25.Oktober 1985 Schadenersatz in der Höhe von S 40.527,40 s.A. mit der Behauptung, der Erstbeklagte habe in Grünbach von einem Zufahrtsweg kommend seinen bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW in die Neubaustrasse gelenkt und dabei ihren Vorrang auf dieser Straße mißachtet.
Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung, weil dem Erstbeklagten der Rechtsvorrang zugekommen sei und die Klägerin den Unfall somit selbst verschuldet habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Es sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei.
Der Oberste Gerichtshof stellte den beklagten Parteien gemäß § 508 a Abs.2 ZPO die Beantwortung der Revision frei. In der von den beklagten Parteien erstatteten Revisionsbeantwortung beantragen sie, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist gerechtfertigt.
Nach den unbekämpften erstgerichtlichen Feststellungen fuhr die Klägerin am 25.Oktober 1985 mit ihrem PKW auf der 5,9 m breiten, asphaltierten und nahezu eben verlaufenden Neubaustraße "Am Neuschacht" im Ortsgebiet von Grünbach, wobei sie eine Fahrgeschwindigkeit von ca. 50 km/h einhielt. Gleichzeitig fuhr der Erstbeklagte mit seinem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW auf der Zufahrtsstraße "Am Segen Gottes", welche in die Neubaustraße in spitzem Winkel bei einem Gefälle von ca. 15 % einmündet, und wollte in diese Straße einfahren. Der Einmündungstrichter hat eine Breite von dreizehn Metern, wobei in diesen gleichzeitig eine weitere Zufahrt zu den am rechten Fahrbahnrand stehenden Wohnhäusern einmündet. Die Zufahrtsstraße "Am Segen Gottes" ist im letzten Teil vor der Kreuzung mit der Neubaustraße auf einer Länge von ca. 20 m asphaltiert und weist dort eine Breite von 3,5 m auf. Vorher ist sie auf einer Länge von ca. 100 m nur 2,9 m und sodann im weiteren Verlauf lediglich noch 2,5 m breit. Es handelt sich dabei um eine Naturstraße = Schotterstraße, die durch einen Wald und nach ca. 400 m zu zwei Wohnhäusern - siehe die vom Erstgericht im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung auf Grund der Ergebnisse des Lokalaugenscheines getroffenen Feststellungen - führt, welche durch eine andere, asphaltierte Straße erreicht werden. Diese Zufahrtsstraße "Am Segen Gottes" ist während der Sommerzeit - so auch zum Zeitpunkt des Lokalaugenscheines - aus Gründen der Viehhaltung mit einem Gatter abgesperrt. Sie erweckt, abgesehen vom Einmündungstrichter in die Neubaustraße "Am Neuschacht", den Eindruck eines Forst- bzw. Waldweges. Im Kreuzungsbereich der beiden Straßen sind keine Verkehrszeichen angebracht. Der Erstbeklagte hatte seine Annäherungsgeschwindigkeit durch "Schleifenlassen" der Bremsen reduziert und war sodann mit Schrittgeschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren. Der auf ihrer rechten Fahrbahnseite mit keinesfalls mehr als 50 km/h fahrenden Klägerin war eine Vermeidung der Kollision trotz einer ohne Reaktionsverzug vorgenommenen Bremsung nicht mehr möglich, ihr Fahrzeug stieß mit ca. 36 km/h gegen jenes des Erstbeklagten.
In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, daß der vom Erstbeklagten befahrenen Zufahrtsstraße eindeutig der Charakter eines Waldweges zukomme, woran die auf den letzten zwanzig Metern vor der Einmündung in die Neubaustraße gegebene Asphaltierung und Breite der Fahrbahn nichts ändere. Für die Beurteilung einer Fläche als solche im Sinne des § 19 Abs.6 StVO sei nicht nur der unmittelbare Einmündungsbereich, sondern die Beschaffenheit der Straße bzw. des Weges insgesamt maßgebend. Die vom Erstbeklagten befahrene Zufahrtsstraße führe auch nur zu "zwei isoliert und außerhalb des Ortsverbandes stehenden Wohnhäusern" und sei den Sommer über aus Gründen der Viehhaltung überhaupt gsperrt. Das Berufungsgericht traf nach teilweiser Beweiswiederholung noch die ergänzende Feststellung, daß der Erstbeklagte sein Fahrzeug einen Meter vom gedachten Rand der von der Klägerin befahrenen Fahrbahn entfernt innerhalb der Kreuzung zum Stillstand gebracht hatte. Rechtlich war es der Ansicht, im Vordergrund der Beurteilung müßte das sich den Beteiligten bietende äußere Bild der Kreuzung stehen, wobei im Zweifel die Grundregel des Rechtsvorranges nach § 19 Abs.1 StVO vorzugehen habe. Diesen sinnfälligen Umständen käme erheblich größere Bedeutung zu als der Frage nach der Gestaltung der jeweiligen Verkehrsfläche in ihrem weiteren Verlauf und in ihren Zielpunkten, welche ortsunkundige Lenker in der Regel nicht zu beurteilen vermöchten. Vorliegendenfalls sei somit davon auszugehen, daß die Klägerin den Rechtsvorrang des Erstbeklagten verletzt und solcherart den Unfall allein verschuldet habe. Ihre Klage sei daher abzuweisen.
In der Revision wird vorgebracht, für die Klägerin sei bei ihrer Annäherung zunächst überhaupt nur die zu den nahestehenden Häusern führende Grundstückseinfahrt, nicht aber jene Straße erkennbar gewesen, welche der Erstbeklagte befahren habe und die nur eine zeitweise benützbare Abkürzung darstelle, also keine Verkehrsbedeutung und geringe Frequenz aufweise. Dagegen habe der Erstbeklagte bei seiner Annäherung die Fahrbahn der Neubaustraße erkennen können. Der Fall sei jenem der Entscheidung ZVR 1980/216 vergleichbar, in welchem der Oberste Gerichtshof eine nur zu drei einzelnen Gehöften führende Verkehrsfläche als Feldweg qualifiziert habe, obwohl sie im Einmündungsbereich auch asphaltiert gewesen sei. Ähnliches gelte für die Entscheidung ZVR 1981/237. Der vom Erstbeklagten befahrene Weg sei nur 2,5 m breit und zeitweise überhaupt abgsperrt, sodaß er als Durchfahrtsmöglichkeit nicht bestehe. Die angefochtene Entscheidung widerspreche somit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, nach welcher der Klägerin gegenüber dem Erstbeklagten der Vorrang zugekommen sei. Diesen Ausführungen ist im Ergebnis Berechtigung zuzuerkennen. Gemäß § 19 Abs.6 StVO haben Fahrzeuge im fließenden Verkehr gegenüber Fahrzeugen den Vorrang, welche aus Nebenfahrbahnen, von Parkplätzen, von Haus- und Grundstückseinfahrten, von Feldwegen, von Tankstellen und dgl. kommen. Nach der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist die Beurteilung der Frage, ob eine Fläche unter § 19 Abs.6 StVO fällt, nach objektiven Kriterien vorzunehmen (ZVR 1974/4 uva, zuletzt etwa ZVR 1984/289). Dabei kommt es immer auf die konkreten Umstände des Falles an (ZVR 1971/92 uva. zuletzt etwa ZVR 1985/76). Maßgebend ist insbesondere, ob sich die in Betracht kommende Verkehrsfläche in ihrer gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet (ZVR 1976/67 uva, zuletzt ZVR 1984/149, 1985/40). Der aus dem Gesetzeswortlaut erkennbare Zweck der genannten Bestimmung liegt darin, die Behinderung von Fahrzeugen, die sich auf Verkehrsflächen mit größerer Verkehrsbedeutung im fließenden Verkehr befinden, durch andere Fahrzeuge, die aus Verkehrsflächen mit geringerer Verkehrsbedeutung kommen und sich in den fließenden Verkehr erst einordnen müssen, hintanzuhalten (8 Ob 47/81, 2 Ob 111/83, zuletzt ZVR 1986/8).
Nach diesen Grundsätzen ist somit entgegen der berufungsgerichtlichen Ansicht auf die Beschaffenheit der zu beurteilenden Verkehrsfläche in ihrer Gesamtheit abzustellen. Würde den Verhältnissen im Einmündungs-, also Kreuzungsbereich allein schon das entscheidende Gewicht zukommen, so könnten die Vorrangverhältnisse durch den großzügigen Ausbau des unmittelbaren Kreuzungsbereiches, z.B. bei einer bloßen Grundstückeinfahrt, willkürlich gestaltet werden. Der Oberste Gerichtshof hat daher im Einzelfall auch immer untersucht, ob nach den gesamten Verhältnissen die Qualifikation als Verkehrsfläche nach § 19 Abs.6 StVO gerechtfertigt ist. So hat er in der Entscheidung ZVR 1980/216 ausgesprochen, der Umstand, daß ein Weg im Einmündungstrichter deltaförmig ausgebaut, anfänglich asphaltiert und im übrigen staubfrei gemacht wurde und zu drei einzelnen Gehöften führe, nehme ihm noch nicht den Charakter eines Feldweges; unter Feldwegen seien untergeordnete Wege zu vestehen, die nicht der Verbindung von Ortschaften sondern der Erreichung einzelner Gehöfte oder landwirtschaftlich genutzter Flächen dienten. In der Entscheidung ZVR 1981/237 wurde ausgeführt, eine lediglich im Einmündungsbereich asphaltierte, ansonsten nur geschotterte, unbenannte, 3 m breite Privatstraße, die ausschließlich der Zufahrt zu vier Häusern diene, sei eine Verkehrsfläche nach § 19 Abs.6 StVO. Entscheidend sei, ob sich die Verkehrsfläche für die Benützer der beiden Straßen während der Fahrt nach objektiven Kriterien - ohne Rücksicht auf deren Ortskenntnisse - in ihrer gesamten Anlage eindeutig von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheide. Für die Beurteilung in dem einen oder annderen Sinne sei ua. maßgebend, ob an der Einmündung Verkehrstafeln angebracht seien, Ortstafeln auf eine Verbindung zu einer Ortschaft hinwiesen, ob die Verkehrsflächen dem Anschein nach zu einer solchen oder bloß zu einzelnen Gehöften oder gar nur in einen aus landwirtschaftlichen Flächen gebildeten Bereich führten, wie der Einmündungstrichter im gesamten gesehen und schließlich die Verkehrsflächen selbst beschaffen seien. Gleiches wurde in der Entscheidung ZVR 1974/36 für einen Feldweg ausgesprochen, über welchen man auch zu einer Siedlung und zu einer Landestraße gelangen konnte. Ebenso wurde in ZVR 1974/48 hinsichtlich eines Weges erkannt, der innerhalb der Ortschaft lag und hauptsächlich von Dorfbewohnern, die vom unteren Teil des Ortes zu dem am linken Ufer des Dorfgrabens gelegenen Gasthaus gelangen wollten, benützt wurde. In dem der Entscheidung ZVR 1966/272 zugrundeliegenden Fall führte der Weg zu einem Forsthaus und zwei Gehöften, in jenem der Entscheidung ZVR 1971/92 zu zwei Häusern und einem Schilift samt Parkplatz. Bei der Entscheidung ZVR 1973/214 handelte es sich um einen Verbindungsweg zwischen zwei Landesstraßen, der aber hauptsächlich der Zufahrt zu einem Sportplatz, zu drei Häusern und zu Feldern diente. Zutreffend gegenteilig entschieden wurde dagegen hinsichtlich einer in einem 7 m breiten Trichter in eine Bezirksstraße einmündenden Gemeindestraße, welche zu einem in Form einer Siedlung errichteten neuen Ortsteil führte (ZVR 1967/207). Vorliegendenfalls ist der in der Natur unbezeichnete (siehe AS 23) Zufahrtsweg "Am Segen Gottes" zwar im Eingangsbereich wie eine Normalstraße ausgebaut, er verläuft jedoch 20 m später nur noch als schmälere Schotterstraße und schließlich nur noch in einer Breite von 2,5 m durch Waldgebiet, bis er schließlich bei zwei isoliert außerhalb des Ortsverbandes stehenden Häusern endet, die durch eine andere asphaltierte Straße erreichbar sind; während der Sommerzeit ist er durch ein Gatter abgesperrt und daher gar nicht befahrbar. Nach den erstgerichtlichen, auf die Ergebnisse des Lokalaugenscheines (AS 22, 23) gegründeten Feststellungen vermittelt dieser Zufahrtsweg nach seiner gesamten äußeren Erscheinung den Eindruck eines Forst- bzw. Waldweges. Seine Eigenschaft als Verkehrsfläche nach § 19 Abs.6 StVO ist daher für jeden Verkehrsteilnehmer, der sich auf ihr dem Ortsgebiet nähert, objektiv erkennbar. Auch der Erstbeklagte hatte dies ganz offenbar selbst erkannt und nahm bei seinen Fahrten entgegen seinem nunmehrigen Prozeßstandpunkt im Einmündungsbereich keinen Rechtsvorrang in Anspruch. In seiner Parteienvernehmung gab er nämlich wörtlich an (AS 27), daß er bei seinen früheren Fahrten sein Fahrzeug immer an der Kreuzung angehalten und auf der Neubaustraße herannahende Fahrzeuge vorbeigelassen habe, bevor er eingebogen sei. Die Neubaustraße weist eine Fahrbahnbreite von 5,9 m und durchgehend eine Asphaltfahrbahndecke auf, liegt im Ortsgebiet und dient ganz offenkundig (siehe die im Akt erliegenden Lichtbilder) der Erschließung eines ganzen Ortsteiles. Daß seine Benützer die Qualifikation des Zufahrtsweges "Am Segen Gottes" als Verkehrsfläche nach § 19 Abs.6 StVO bei ihrer Annäherung selbst erkennen müßten, ist nicht erforderlich und auch gar nicht möglich. Entscheidend erscheint insoweit eben die objektive Sachlage, nämlich das ihrem Benützer gebotene Gesamtbild dieser Zufahrtsstraße und nicht bloß der Einmündungsbereich, wenngleich dessen Beschaffenheit auch ein wichtiges Kriterium für die Gesamtbeurteilung darstellt. Nach der Anlage insgesamt ist der Zufahrtsweg im Sinne der vorstehenden Ausführungen gegenüber der Neubaustraße somit als Verkehrsfläche nach § 19 Abs.6 StVO zu beurteilen. Die Klägerin konnte daher entgegen den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung einen Vorrang gegenüber auf diesem Zufahrtsweg herankommenden Verkehrsteilnehmern in Anspruch nehmen und mußte nicht wegen bestehender Zweifel über die Vorrangverhältnisse sich ihrerseits der Kreuzung mit besonderer Vorsicht nähern. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Ortsgebiet oder ein Reaktionsverzug fällt ihr nicht zur Last. Dagegen hätte der Erstbeklagte seiner Wartepflicht an der Kreuzung entsprechen und sich zufolge der für ihn gegebenen schlechten Sichtverhältnisse ganz vorsichtig in die Kreuzung hineintasten müssen. Tatsächlich fuhr er im Schrittempo in einem Zuge in die Kreuzung derart ein, daß er sein Fahrzeug erst 1 m innerhalb dieser zum Stillstand brachte. Damit fällt ihm eine Vorrangverletzung und ein Verschulden am Unfall zur Last.
Das angefochtene berufungsgerichtliche Urteil widerspricht somit der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur. In Stattgebung der Revision war demgemäß das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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