OGH 9ObA20/87

OGH9ObA20/871.7.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Rudda und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Manfred M***, Angestellter, Neumarkt, Hauptplatz 50, vertreten durch Dr. Max Siebenhofer, Rechtsanwalt in Judenburg, wider die beklagte Partei Rudolf K***, Autohändler, Judenburg, Bundesstraße Nr. 12, vertreten durch Dr. Heinz Kallan, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 63.566,59 brutto und S 42.814,95 netto jeweils sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 1987, GZ 8 Ra 19/87-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Judenburg vom 16. Oktober 1986, GZ Cr 6/84-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 7.577,85 (darin S 514,35 Umsatzsteuer und S 1.920,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war beim Beklagten, der eine Mercedes-Vertragswerkstätte betreibt, seit 16.Oktober 1969 als Angestellter beschäftigt. Am 2.Dezember 1983 wurde er entlassen. Mit der Behauptung, seine Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt, begehrt der Kläger den der Höhe nach unbestrittenen Betrag von insgesamt S 106.381,54 an Abfertigung, Kündigungsentschädigung und anteiligen Sonderzahlungen.

Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Der Kläger sei im Dienst wiederholt alkoholisiert gewesen und deshalb mehrmals verwarnt worden. Anfang September 1983 sei ihm für den Fall einer Wiederholung die Entlassung angedroht worden. Am 1.Dezember 1983 sei der Kläger verspätet im Betrieb erschienen. Er sei wiederum merklich alkoholisiert gewesen und habe Mitarbeiter beschimpft, die sich darüber beschwert hätten. Der Beklagte habe den Kläger wegen Vertrauensunwürdigkeit zu Recht entlassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte im wesentlichen fest:

Der Kläger war während der Dienstzeit öfter alkoholisiert. In diesem Zustand hatte er rote Augen und roch nach Alkohol. In solchen Fällen beschimpfte er die Angestellte Irmgard S*** sogar in Gegenwart von Kunden öfter mit Ausdrücken wie "blöder Trampel". Wenn der Kläger wieder nüchtern war, entschuldigte er sich zwar, S*** beschwerte sich aber wegen dieser Vorfälle einige Male beim Beklagten.

Der Beklagte verwarnte den Kläger wiederholt wegen seines Alkoholkonsums am Arbeitsplatz. Im September 1983 wurde der Kläger wiederum wegen seiner Alkoholisierung und der Beleidigung der Angestellten S*** verwarnt. Der Beklagte erklärte dazu, dies sei die allerletzte Verwarnung; sollte sich der Vorfall wiederholen, werde der Kläger entlassen. Der Kläger erwiderte, "das sei in Ordnung".

Am 1.Dezember 1983 erschien der Kläger nach der Mittagspause merklich alkoholisiert im Betrieb, schrie mit den Arbeitskollegen herum und bezeichnete sie als "Idioten". Mit dem Mechaniker P*** und den Angestellten K*** und W*** geriet er in Streit. Er unternahm auch eine Probefahrt mit einem PKW. Der Kläger hätte eine Schadensaufstellung bezüglich der Ersatzteile für einen Autobus machen sollen, erledigte jedoch diese Arbeit nicht oder nicht vollständig. Er bestellte nur einen Teil der Ersatzteile für den Autobus und überdies eine falsche Windschutzscheibe. Der Kläger schrie, daß er alles allein machen müsse; in der Werkstätte "ging es drunter und drüber".

Der Mechaniker P*** beschwerte sich nach der Rückkehr des Beklagten von einer Tagung am Morgen des 2.Dezember 1983 über das Verhalten des Klägers am Vortag. Er berichtete dem Beklagten, daß der Kläger während der Dienstzeit alkoholische Getränke zu sich nehme, die Leute der Werkstätte ständig beschimpfe, die Ersatzteile nur unzureichend bestellt habe und dadurch die Terminarbeit am Autobus in Verzug geraten sei. Gegen 17.00 Uhr dieses Tages sprach der Beklagte sodann die Entlassung des Klägers aus. Das Erstgericht vertrat die Rechtsansicht, daß die Entlassung rechtzeitig ausgesprochen worden sei. Da der Beklagte am 1.Dezember 1983 nicht im Betrieb gewesen sei, habe ihm die Möglichkeit eingeräumt werden müssen, sich am nächsten Tag eingehend über das Verhalten des Klägers zu erkundigen. Die Entlassung sei im Sinne des § 27 Z 1 AngG auch gerechtfertigt erfolgt, da er sich des Vertrauens des Beklagten unwürdig gemacht habe. Der Kläger sei am Arbeitsplatz nicht nur einmal, sondern öfter alkoholisiert gewesen und habe sein Verhalten trotz wiederholter Verwarnungen nicht geändert. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als mängelfrei sowie in schlüssiger Beweiswürdigung gewonnen und vertrat die Rechtsauffassung, daß bei Würdigung des Gesamtverhaltens des Klägers nicht nur die Tatsache seiner wiederholten Alkoholisierung im Dienst ins Gewicht falle, sondern auch daß er in diesem Zustand immer wieder Mitarbeiter beschimpft und Unruhe in den Betrieb hineingebracht habe. Könne man dem Beklagten schon nicht zumuten, daß der Kläger alkoholisiert Probefahrten unternehme, müsse man ihm auch zubilligen, auf die Einhaltung ausdrücklicher Verbote zu bestehen und die übrigen Arbeitnehmer vor unqualifizierten Beschimpfungen zu beschützen. Unter den aufgezeigten Umständen könne nicht mehr gesagt werden, der Kläger habe noch das Vertrauen des Beklagten genossen. Ferner sei die Bezeichnung der Mitarbeiter als "Idioten" eine erhebliche Ehrverletzung im Sinne des § 27 Z 6 AngG. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

In seiner Mängelrüge macht der Kläger im wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe die Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht entsprechend verwertet und sei auf die in der Berufung vorgebrachte Beweisrüge nicht eingegangen. Dadurch seien Widersprüche in den Aussagen vernommener Zeugen nicht geklärt und vom Kläger gewünschte Feststellungen nicht getroffen worden. Mit seinen weitwendigen Ausführungen zeigt der Kläger damit aber keine Verletzung von Verfahrensgesetzen auf, sondern er bekämpft in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Das Berufungsgericht befaßte sich mit den vom Kläger dargestellten Berufungsgründen; ein weiteres Eingehen auf jedes einzelne Beweismittel war nicht erforderlich. Es genügte, daß es Gründe anführte, aus denen es eine Tatsache als erwiesen oder nicht erwiesen annahm. Auch sogenannte "überschießende Feststellungen" sind zulässig, soweit sie sich im Rahmen der Prozeßbehauptungen halten (JBl 1986, 121). Ebenso liegt der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). In seiner Rechtsrüge geht der Kläger nicht von den getroffenen Feststellungen aus, soweit er die jeweiligen Auswirkungen seines Alkoholkonsums am Arbeitsplatz zu verharmlosen sucht. Nach § 27 Z 1 AngG, dritter Tatbestand, ist als wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, insbesondere anzusehen, wenn sich der Angestellte einer Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen läßt. Vertrauensunwürdigkeit im Sinne dieser Gesetzesstelle liegt vor, wenn sich der Angestellte des dienstlichen (geschäftlichen) Vertrauens unwürdig gemacht hat, weil der Arbeitgeber befürchten muß, daß der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, so daß dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind. Es ist nicht erforderlich, daß der Angestellte vorsätzlich handelt; es genügt vielmehr schon fahrlässiges Verhalten. Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise mit Rücksicht auf seine Beschaffenheit und auf seine Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis als so schwerwiegend anzusehen ist, daß dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (Martinek-Schwarz AngG6 604 ff; Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht2 I 228; Schwarz-Löschnigg Arbeitsrecht 354 f; Kuderna, Entlassungsrecht 88 f, 63; Arb. 7.687, 9.091, 10.001, 10.072 ua).

Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers geht es bei der Beurteilung der beanstandeten Vorfälle als Entlassungsgrund nicht etwa um den Vorwurf mäßigen Alkoholgenusses, der weder seine Arbeitsleistung beeinträchtigt noch sein Verhalten beeinflußt hätte. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, inwieweit der Beklagte geringen Alkoholkonsum am Arbeitsplatz, der keine weiteren abträglichen Auswirkungen für das betriebliche Geschehen gehabt hatte, tolerierte. Es geht auch nicht um eine einmalige Entgleisung des Klägers.

Die Berücksichtigung des Gesamtverhaltens des Klägers ergibt vielmehr einen schrittweisen Vertrauensabbau (Kuderna aaO 89), so daß der Beklagte objektiv zu Recht befürchten konnte, der Kläger werde seine Pflichten, wozu auch das betriebsübliche Verhalten den Mitbediensteten gegenüber gehört, nicht mehr getreulich erfüllen. Der Kläger war schon vor dem die Entlassung auslösenden Vorfall wiederholt in einem Maße alkoholisiert, daß er eine Mitangestellte gröblich und ehrverletzend beschimpfte. Auch am 1.Dezember 1983 bezeichnete er seine Arbeitskollegen als "Idioten". Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers kommt es nicht darauf an, ob der bei der Entlassung bekanntgegebene Entlassungsgrund zutrifft; es genügt vielmehr, wenn das im Prozeß vom Arbeitgeber behauptete, die Entlassung auslösende Verhalten des Arbeitnehmers die Entlassung rechtfertigt (Arb. 7.650 ua). Dennoch steht hier nicht der Entlassungsgrund des § 27 Z 6 AngG im Vordergrund, sondern jener der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 AngG, da auch für die festgestellten Beschimpfungen der Alkoholmißbrauch ursächlich war. Dies zeigt schon die Tatsache, daß sich der Kläger jeweils entschuldigte, wenn er wieder nüchtern war. Wenn der Alkoholkonsum des Klägers aber solche nachteiligen und erkennbaren Folgen für die Zusammenarbeit am Arbeitsplatz zeitigte, ist die gewünschte Feststellung des jew. Grades seiner Alkoholisierung ohne Belang. Der Kläger wurde vom Beklagten wiederholt, zuletzt im September 1983, wegen seiner merkbaren Alkoholisierung am Arbeitsplatz verwarnt und es wurde ihm die Entlassung angedroht. Der Kläger kann sich daher nicht darauf berufen, der Beklagte hätte sein durch Alkoholkonsum verursachtes Verhalten bisher toleriert. Dennoch kam es in Abwesenheit des Beklagten zu dem Vorfall vom 1.Dezember 1983, als der Kläger wiederum alkoholisiert war, mit den Arbeitskollegen stritt, diese gröblich beschimpfte und in der Werkstätte deshalb alles "drunter und drüber ging". Es ist daher den Vorinstanzen beizupflichten, daß diese Verhältnisse die Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers ausschließen, mag sein sonstiger Arbeitserfolg, für sich allein betrachtet, auch zufriedenstellend gewesen sein.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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