OGH 7Ob597/87

OGH7Ob597/8725.6.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Jakob K***, geboren am 20. August 1908 in Wachenheim, BRD, Pensionist, Vöcklamarkt, Herrenwiesweg 4, vertreten durch Mag. Alfred Bergthaler, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wider die beklagte Partei Rosina K***, geboren am 5.März 1925 in Botsch, Rumänien, Hausfrau, Rohwies 12, vertreten durch Dr.Hans Dallinger, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 4. Februar 1987, GZ. 3 R 282/86-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 23.Juni 1986, GZ. 2 Cg 371/85-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 5.April 1946 erstmals die Ehe geschlossen. Diese Ehe wurde mit Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 1.Juli 1974, GZ. 2 Cg 43/74-10, gemäß § 24 EheG für nichtig erklärt, weil der Kläger zur Zeit der Eheschließung noch mit Margarethe B*** verheiratet war. Am 28.März 1976 - nach Scheidung der Ehe des Klägers mit Margarethe B*** - haben die Streitteile wieder geheiratet. Mit Übergabsvertrag vom 7.Dezember 1972 hatte der Kläger der Beklagten die ihm gehörige Hälfte der Liegenschaft EZ 202 der KG Walkering übertragen. Die Beklagte räumte dem Kläger das Wohnungsrecht an einem ebenerdig gelegenen Zimmer in dem auf der Liegenschaft errichteten Haus ein und verpflichtete sich zur Erbringung bestimmter Naturalleistungen (Reinigungs- und Pflegeleistungen).

Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Die Beklagte verweigere die mit dem Übergabsvertrag übernommenen Naturalleistungen, sie koche für ihn nicht und pflege seine Wäsche nicht. Sie habe sich lieblos verhalten, die Kleider des Klägers und sein Kochgeschirr versperrt, ihn wiederholt mit Ausdrücken wie Gauner, Lügner und Bigamist beschimpft und ihn körperlich verletzt.

Die Beklagte bestritt die ihr angelasteten Eheverfehlungen und stellte für den Fall der Scheidung der Ehe den Antrag, das überwiegende Verschulden des Klägers auszusprechen. Der Kläger habe ihre Beistandsleistungen zurückgewiesen und erklärt, sie brauche für ihn nicht mehr zu kochen. Er habe sie verdächtigt, ihn vergiften zu wollen. Er selbst habe die Kästen in der Küche und im Schlafzimmer abgesperrt, sodaß sie keinen Zutritt zu seinen Sachen gehabt habe. Die Übertragung der Liegenschaftshälfte des Klägers auf sie sei nur erfolgt, um das Vermögen des Klägers dem befürchteten Zugriff deutscher Pensionsstellen zu entziehen. Nach Wegfall dieser Gefahr habe der Kläger die Liegenschaftshälfte zurückverlangt. Um dieses Ziel zu erreichen, habe sie der Kläger terrorisiert. Er habe sie wiederholt beschimpft, gedroht, sie umzubringen und sei wiederholt gegen sie tätlich geworden. Der Kläger habe auch die im gemeinsamen Haus wohnende Schwester der Beklagten beschimpft und einmal gewürgt. Das Erstgericht schied die Ehe aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden. Nach seinen Feststellungen heiratete der Kläger am 23. Dezember 1930 Margarethe B***. Im März 1945 erhielt er von seinem damaligen Kompaniechef die Mitteilung, daß seine Ehefrau und sein Sohn im Jänner 1945 bei einem Fliegerangriff getötet worden seien. Nach Kriegsende wurde der Kläger nach Neunkirchen entlassen. Er lernte dort die Beklagte kennen und schloß mit ihr die Ehe. Er war überzeugt, daß seine erste Ehefrau tot sei. Weder er noch die Beklagte wußten damals, daß die erste Ehe des Klägers noch aufrecht ist. Der Kläger hatte der Beklagten allerdings nicht mitgeteilt, daß er bereits verheiratet war. Als durch Zufall bekannt geworden war, daß die erste Ehefrau des Klägers noch am Leben ist, ließ sich der Kläger von dieser scheiden. Weil er fürchtete, zur Rückzahlung der von seiner ersten Ehefrau in der BRD erhaltenen Witwenrente herangezogen zu werden, übertrug er seine Liegenschaftshälfte an die Beklagte.

Erst im Jahre 1972, nachdem die erste Ehe des Klägers bekannt geworden war, trat eine Verschlechterung in den Beziehungen zwischen den Streitteilen ein. Die Beklagte machte ab diesem Zeitpunkt dem Kläger immer wieder zum Vorwurf, daß er mit ihr in Bigamie gelebt und ihr von seiner ersten Ehe nichts erzählt habe. Trotz der Verschlechterung in den Beziehungen der Streitteile heirateten sie nach Nichtigerklärung ihrer Ehe neuerlich. Die Beklagte entschloß sich hiezu, um finanziell abgesichert zu sein. Die neue Ehe der Streitteile verlief daher von Anfang an nicht sehr harmonisch. Die Spannungen nahmen zu, als die Schwester der Beklagten, die im ersten Stock des Hauses der Streitteile über eine Wohnung verfügt, ab 1977 nicht mehr berufstätig war. Der Kläger hatte den Eindruck, daß seine Schwägerin die Beklagte gegen ihn aufhetze. In dieser Zeit begannen die Streitteile, sich gegenseitig grob zu beschimpfen. Die Beklagte nannte den Kläger Lügner, Betrüger und Bigamist, der Kläger beschimpfte die Beklagte mit Hure, Regimentshure und Siegenbürgerhure. Der Kläger konnte nicht überwinden, daß er seine Haushälfte der Beklagten übertragen hatte. Er versuchte, sie zur Rückübertragung zu beeinflussen. Da die Beklagte damit nicht einverstanden war, kam es im Jahre 1981 zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Der Kläger schlug die Beklagte gegen die Brust und mit dem Kopf auf den Boden. Die Beklagte trug zahlreiche blaue Flecken am Oberkörper davon und befand sich in stationärer Behandlung. Zu einer weiteren Tätlichkeit kam es im Jahre 1983. Der Kläger schlug die Beklagte mit einem Spazierstock, wodurch die Beklagte Blutergüsse im Bereich des rechten Knies erlitt. Ob dieser Mißhandlung eine Provokation der Beklagten vorausging, konnte nicht festgestellt werden. Am 26.März 1984 und am 29.Mai 1984 kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen. Der Kläger erstattete gegen die Beklagte und diese erstattete gegen ihn Anzeige. Beide Verfahren wurden eingestellt. Am 30.Juni 1984 versetzte die Beklagte dem Kläger Schläge und fügte ihm Kratzer zu. Der Kläger erlitt hiedurch Excoriationen an der linken Unterlippe und an der linken Wangenschleimhaut und zwei Hämatome verbunden mit Kopfschmerzen. Die Beklagte wurde wegen dieses Vorfalls des Vergehens der Körperverletzung gerichtlich verurteilt. Der Kläger mißtraute der Beklagten in den letzten Jahren, er versperrte gemeinsame Wohnräume, ließ eine Flasche Wein darauf untersuchen, ob sie nicht vergiftet sei und lehnte die von der Beklagten zubereiteten Mahlzeiten ab. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zog die Beklagte aus dem ehelichen Schlafzimmer aus. Der Grund für diesen Auszug konnte nicht geklärt werden. Im August 1984 übersiedelte der Kläger in ein Altersheim. Nach der Auffassung des Erstgerichtes treffe beide Parteien ein Verschulden. Der Beklagten sei vor allem anzulasten, daß sie dem Kläger immer wieder vorgeworfen habe, ein Bigamist zu sein, und daß sie die neue Ehe nicht aus Zuneigung zum Kläger, sondern nur zur finanziellen Absicherung eingegangen sei. Die Tätlichkeiten des Klägers gegen die Beklagte hätten zwar ein höheres Maß und eine größere Intensität erreicht als die Tätlichkeiten der Beklagten gegen den Kläger. Im übrigen hätten aber beide Streitteile weitere Eheverfehlungen gesetzt, die wieder eine Eheverfehlung des anderen bedingten. Bei Beurteilung des Gesamtverhaltens der Ehegatten könne nicht gesagt werden, daß das Verschulden eines der Ehegatten erheblich schwerer sei als das des anderen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es verneinte das Vorliegen einer Aktenwidrigkeit und von Verfahrensmängeln, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer einwandfreien Beweiswürdigung und teilte auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens grundsätzlich nur dann berechtigt ist, wenn die Schuld des einen Ehegatten erheblich schwerer ist und das Verschulden des anderen völlig in den Hintergrund tritt, sodaß der Unterschied offenkundig ist (EFSlg.48.832 f. mwN). Bei der Verschuldensabwägung ist vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht hat, inwieweit diese Eheverfehlungen andere bedingten und das schuldhafte Verhalten eines Teiles das des anderen nach sich gezogen hat (EFSlg.48.819; 48.822, 46.236, 43.682, 36.385 ua). Die Revisionsausführungen vernachlässigen, daß nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Beklagte mit der Zerrüttung der Ehe den Fang machte. Aus den Feststellungen ergibt sich nämlich, daß die Ehe deshalb von Anfang an nicht harmonisch verlief, weil die Beklagte dem Kläger immer wieder zum Vorwurf machte, daß er in Doppelehe gelebt habe. Im Zeitpunkt der (zweiten) Eheschließung mit dem Kläger wußte die Beklagte aber bereits von der Doppelehe und den Umständen, die dazu geführt haben. Wenn sie dennoch die Ehe mit dem Kläger schloß, durfte sie ihm die Doppelehe nicht immer wieder vorhalten, ohne gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung zu verstoßen. Aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergibt sich aber auch, daß damit die Zerrüttung der Ehe eingeleitet wurde, steht doch fest, daß es schon ab dem Jahre 1977 wiederholt zu wechselseitigen groben Beschimpfungen zwischen den Streitteilen kam. Soweit die Revision davon ausgeht, daß das Verhalten der Beklagten, insbesondere die Beschimpfungen des Klägers nur eine Reaktion auf die Forderung des Klägers nach Rückübertragung der Liegenschaftshälfte gewesen sei, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt und setzt sich auch mit dem Vorbringen der Beklagten in erster Instanz in Widerspruch. Nach diesem Vorbringen (AS 39, ON 11) hat der Kläger erst im Jahre 1981, nach Beendigung des Prozesses in der BRD, die Liegenschaftshälfte zurückverlangt. Es kam auch erst am 26.Juni 1981 zur Mißhandlung der Beklagten durch den Kläger, weil sich diese geweigert hatte, dem Ansinnen des Klägers zuzustimmen. Wie die Beklagte selbst einräumte, war aber die Ehe bereits seit Mai 1981 zerrüttet (AS 15 in U 650/83 des Bezirksgerichtes Frankenmarkt). Der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt läßt zwar keinen verläßlichen Schluß darauf zu, wann tatsächlich die Ehe der Streitteile endgültig zerrüttet war. Aufgrund des Verhaltens beider Ehegatten kann jedoch davon ausgegangen werden, daß die Ehe im Jahre 1981 bereits einen erheblichen Zerrüttungsgrad erreicht hatte. Dies bedeutet zwar noch nicht, daß Eheverfehlungen ab diesem Zeitpunkt überhaupt vernachlässigt werden könnten (EFSlg.43.637 ua). Der Revision ist auch einzuräumen, daß es nicht nur auf die Zahl der Eheverfehlungen, sondern auch auf den Grad und die Verwerflichkeit ankommt. Hinsichtlich der gegenseitigen Mißhandlungen kann aber - entgegen der Meinung der Beklagten - ein gradueller Unterschied nicht schon daraus abgeleitet werden, daß sich der Kläger einmal eines Spazierstockes bediente und daß die ihm von der Beklagten zugefügten Verletzungen geringerer Art waren.

Berücksichtigt man aber, daß die Beklagte durch ihr Verhalten die Zerrüttung der Ehe einleitete, kann der Umstand, daß dem Kläger nach einem Zeitpunkt, zu dem bereits eine erhebliche Zerrüttung der Ehe eingetreten war, eine größere Zahl von Eheverfehlungen zur Last fällt, die jedoch an Schwere die Verfehlungen der Beklagten nicht überwiegen, noch nicht zum Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers führen. Bei dieser Sachlage kann nämlich nicht gesagt werden, daß das Verschulden des Klägers insgesamt erheblich schwerer ist und das Verschulden der Beklagten fast völlig in den Hintergrund tritt (vgl.EFSLG.48.832). Insoweit die Vorinstanzen weitere Verfehlungen des Klägers nicht als erwiesen angenommen haben, handelt es sich um einen Akt der Beweiswürdigung.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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