OGH 11Os43/87

OGH11Os43/8712.5.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.Mai 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Horak und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Anton S*** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und § 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Anton S*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Dezember 1986, GZ 2 b Vr 9.668/86-39, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Bassler, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Wagner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die Freiheitsstrafe auf 1 (ein) Jahr herabgesetzt und gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von 3 (drei) Jahren bedingt nachgesehen wird.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde (neben einem weiteren Angeklagten) der am 1.Februar 1962 geborene (beschäftigungslose) Anton S*** zu Punkt I des Urteilssatzes des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und § 15 StGB, zu Punkt II des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs. 1 StGB und zu Punkt IV des Verbrechens der Hehlerei nach dem § 164 Abs. 1 Z 2, Abs. 2 und Abs. 3 StGB schuldig erkannt. Der Sache nach nur die Punkte I und II dieses Schuldspruchs bekämpft der Angeklagte Anton S*** mit Nichtigkeitsbeschwerde, die er auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO stützt.

Mit Beziehung auf den Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch rügt der Beschwerdeführer die Abweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung am 18. Dezember 1986 gestellten Antrages auf Beiziehung eines Sachverständigen zum Nachweis dafür, daß der Wert der gestohlenen Sachen zwar "einen Betrag von 5.000 S übersteigt, keinesfalls aber einen Betrag von 10.000 S erreicht" (S 360 dA).

Diesen Beweisantrag wies der Schöffensenat mit der Begründung ab, daß die Werte (des Diebsgutes) durch die vernommenen Zeugen "hinlänglich geklärt" seien (S 361 dA). Im Urteil führte das Erstgericht dazu - sinngemäß wiedergegeben - ergänzend aus, daß der Beweisantrag weder nach seinem Inhalt noch nach der Verantwortung des Beschwerdeführers geeignet war, die einzig maßgebende Wertgrenze des § 128 Abs. 1 Z 4 StGB in Frage zu stellen (S 379 dA). Dieser Argumentation widerspricht der Beschwerdeführer in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zwar nicht, er erblickt aber dessen ungeachtet in der Abweisung des Antrages eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte, weil die angestrebte Beweisaufnahme für die Strafbemessung relevant gewesen wäre (S 406 dA).

Rechtliche Beurteilung

Darauf ist ihm zu erwidern, daß die Ablehnung eines Beweisantrages nur dann Nichtigkeit nach dem § 281 Abs. 1 Z 4 StPO zu begründen vermag, wenn der unter Beweis gestellte Umstand für die Entscheidung über die Schuld oder den anzuwendenden Strafsatz von Bedeutung ist. Daß der Umstand sonst die Strafe beeinflussen könnte, bleibt unter dem Blickpunkt einer (Urteils-) Nichtigkeit unerheblich (vgl. Mayerhofer-Rieder, StPO 2 , ENr. 64 zu § 281 Abs. 1 Z 4). Den Schuldspruch wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs. 1 StGB rügt der Beschwerdeführer unter Geltendmachung der Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO.

Insoweit liegt ihm zur Last, am 17.Oktober 1986 in Wien im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Mitangeklagten Johannes B*** (der die gegen ihn ergangenen Schuldsprüche unangefochten ließ) jene Urkunden (Reisepässe, Arbeitsbewilligungen, Strom- und Gasrechnungen, einen Mietvertrag, mehrere Kontoauszüge und zwei jugoslawische Sparbücher), über die sie nicht verfügen durften und die sie bei dem Einbruchsdiebstahl zum Nachteil des Dragoslav J*** an sich genommen hatten, "weggeworfen" zu haben, wobei sie mit dem Vorsatz handelten, zu verhindern, daß diese Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes oder einer Tatsache gebraucht werden (Schuldspruch Punkt II, S 366, 375 f dA).

Der Einwand des Beschwerdeführers in seiner Mängelrüge (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO), die Urteilsbegründung sei undeutlich, insbesondere sei dem Urteil nicht zu entnehmen, ob der Gebrauch der Urkunden durch Wegwerfen tatsächlich verhindert wurde und worin "die Unmöglichkeit für den Berechtigten lag, sich dieser weiter zu bedienen", geht fehl. Denn es liegt auf der Hand, daß der Berechtigte keine Möglichkeit hat, Urkunden, die der Täter wegwarf, zu gebrauchen, wozu kommt, daß der Beschwerdeführer das "Wegwerfen" der Urkunden selbst ausdrücklich zugestand (S 348 dA) und daß der Zeuge Dragoslav J*** bestätigte, "die Papiere" nicht zurückerhalten zu haben (S 351, 352 dA). Bei dieser Sachlage bedurfte es daher über die im gegebenen Zusammenhang getroffenen Feststellungen hinaus keiner zusätzlichen Klarstellung. Mit der weiteren Beschwerdebehauptung, das Urteil lasse nicht erkennen, welche Feststellungen das Erstgericht "zur subjektiven Tatseite" getroffen habe, übergeht der Beschwerdeführer jenen Teil der Urteilsbegründung, wonach er und sein Komplize im einverständlichen Zusammenwirken die in Rede stehenden Urkunden im Zug eines diebischen Angriffes an sich brachten und wegwarfen und sich "dabei damit abfanden, daß diese Urkunden den Berechtigten nicht wieder zukommen und dadurch der bestimmungsgemäße Gebrauch der Urkunden im Rechtsverkehr verhindert werde" (S 375 f dA). Damit bringt das Erstgericht (der in der Beschwerde vertretenen Ansicht zuwider) mit noch zureichender Deutlichkeit zum Ausdruck, daß die Angeklagten nicht nur bei der Unterdrückung der Urkunden, sondern auch in bezug auf eine Gebrauchsverhinderung im Rechtsverkehr zumindest mit dolus eventualis handelten.

Mit seiner Behauptung in der Rechtsrüge (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO), er habe die in Rede stehenden Urkunden weder vernichtet oder beschädigt noch unterdrückt, mißachtet der Beschwerdeführer zum einen die gegenteiligen Urteilsannahmen, wonach er und sein Komplize die Urkunden im Bewußtsein wegwarfen, daß sie den Berechtigten nicht wieder zukommen werden und daß dadurch ihr bestimmungsgemäßer Gebrauch im Rechtsverkehr verhindert wird (S 375 f dA), zum andern verkennt er, daß als "Unterdrücken" im Sinn des § 229 Abs. 1 StGB jede (vorsätzliche) Handlung anzusehen ist, welche die Urkunde zwar unversehrt erhält, den Berechtigten jedoch um die Möglichkeit bringt, sich ihrer zu bedienen (s. SSt. 47/28; Kienapfel im WK, RN 23 zu § 229 mit Judikaturnachweisen).

Ob der Angeklagte "den Gebrauch der Urkunden im Sinn des § 229 StGB verhindern wollte", ist - dem Beschwerdevorbringen zuwider - eine Tat- und keine Rechtsfrage. Auch insoweit ist er darum auf den Urteilssachverhalt zu verweisen (vgl. die diesbezüglichen Ausführungen zur Mängelrüge), zumal die gesetzmäßige Darstellung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem angewendeten Gesetz und den darauf gegründeten Vorwurf irrtümlicher Rechtsfindung verlangt (vgl. Mayerhofer-Rieder 2 , ENr. 30 zu § 281 StPO).

Im übrigen ist ein (gewissermaßen) spezieller Gebrauchsverhinderungsvorsatz nicht Tatbestandserfordernis des § 229 StGB. Wer anläßlich des Diebstahls anderer Sachen auch (echte und unverfälschte) Urkunden entfremdet, handelt - lebensnah betrachtet - in der Regel wenigstens mit dem bedingten Vorsatz, zu verhindern, daß die Urkunden im Rechtsverkehr zu Beweiszwecken

gebraucht werden (vgl. ÖJZ-LSK 1980/107 = ZVR 1980/243,

ÖJZ-LSK 1981/1 = EvBl. 1981/106; RZ 1982/29 ua).

Soweit der Beschwerdeführer die "Urkundenqualifikation" der - vom Schuldspruch erfaßten - Strom- und Gasrechnungen sowie der Kontoauszüge in Abrede stellt, ist klarzustellen:

Tatobjekt des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs. 1 StGB sind Urkunden im Sinn des § 74 Z 7 StGB, über die der Täter nicht oder nicht allein verfügen darf (vgl. neuerlich Kienapfel im WK, § 229 RN 6 ff). Das Wesen der Urkunde im strafrechtlichen Sinn prägen vier Kriterien, nämlich das Vorliegen einer Gedankenerklärung, die schriftliche Verkörperung dieser Erklärung, die Abgabe der schriftlichen Erklärung zu Beweiszwecken im Rechtsverkehr und schließlich die Erkennbarkeit des Ausstellers dieser Erklärung (Leukauf-Steininger, StGB 2 , Rz. 3, Kienapfel im WK, RN 9 je zu § 223). Sowohl Strom- und Gasrechnungen der Wiener Stadtwerke als auch Kontoauszüge der Z*** (S 375 dA) erfüllen alle diese Kriterien, sodaß dem Erstgericht bei der Beurteilung der besagten Dokumente als Absichtsurkunden mit strafrechtlicher Relevanz kein Rechtsirrtum unterlief. Die - wie die Generalprokuratur zutreffend darlegte - zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war demnach zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten Anton S*** nach dem § 129 StGB unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von vierzehn Monaten. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, die Tatwiederholung sowie die mehrfache Qualifikation der Diebstähle und zog das Geständnis, die teilweise Zustandebringung der Diebsbeute und den Umstand, daß es teilweise beim Versuch blieb, als mildernd in Betracht.

Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe und die Anwendung des § 43 StGB.

Der Berufung kommt Berechtigung zu.

Zwar wurden die Strafzumessungsgründe in erster Instanz richtig und vollständig angeführt. Dem Berufungswerber ist aber zuzugestehen, daß die Strafsanktion vom Schöffensenat etwas zu streng bemessen wurde, fällt doch die kriminelle Vorbelastung des Angeklagten in Form der Vermögensdelinquenz (nach dem den beiden Schuldsprüchen jeweils zugrundeliegenden Sachverhalt) nicht all zu sehr ins Gewicht. Eine Freiheitsstrafe in der Dauer eines Jahres reicht daher aus, den Unrechtsgehalt der Taten und das Maß der Schuld des Angeklagten voll zu erfassen.

Damit ist aber auch die Frage der Rechtfertigung einer bedingten Strafnachsicht unter anderen Voraussetzungen als in erster Instanz zu prüfen.

Auszugehen ist dabei von der Überlegung, daß nach Lage des Falles das deliktische Verhalten des Angeklagten vor allem in seiner Drogenabhängigkeit wurzelt. Wie sich nicht nur aus einem an den Obersten Gerichtshof gelangten Schreiben der Stiftung Genesungsheim Kalksburg vom 30.April 1987, sondern auch aus dem im Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof eingeholten mündlichen Bericht des behandelnden Arztes Dr. Gabriele Z*** ergibt, ist der Berufungswerber seit 14.Jänner 1987 in der Langzeittherapiestation des Anton Proksch-Institutes Vorderbrühl untergebracht. Vorher befand er sich schon vom 14.November 1986 bis 3.Dezember 1986 im Kaiser Franz Josef-Spital und anschließend vom 3.Dezember 1986 bis 14. Jänner 1987 in der Vorbetreuungsstation des Anton Proksch-Institutes im Krankenhaus Neunkirchen zu einer Entzugsbehandlung. Zum Unterschied von früheren (fehlgeschlagenen) Entziehungsversuchen verläuft die Therapie nunmehr überaus erfolgversprechend. Einer ungehinderten Fortsetzung der Entwöhnungsbehandlung kommt daher im Rahmen der Resozialisierungsmöglichkeiten überragende Bedeutung zu. Unter diesem besonderen Aspekt erscheint daher eine bedingte Strafnachsicht gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB in Verbindung mit entsprechenden Weisungen gerechtfertigt, die vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß dem § 51 Abs. 2 und 3 StGB noch zu erteilen sein werden, einen positiven Abschluß der derzeitigen Therapie sichern sollen und denen der Berufungswerber schon vor dem Obersten Gerichtshof zustimmte.

Mithin war über die Berufung spruchgemäß zu erkennen. Die Kostenentscheidung beruht auf der zitierten Gesetzesstelle.

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