OGH 1Ob561/87 (1Ob562/87)

OGH1Ob561/87 (1Ob562/87)27.4.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions- und Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Ursula D***, Studentin, Wien 20., Kaschlgasse 5/23, vertreten durch Dr. Herbert Richter, Dr. Franz Marschall, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei und den Gegner der gefährdeten Partei Rudolf D***, Angestellter, Wien 21., Helmholzgasse 1/8/2, vertreten durch Dr. Maximilian Eiselsberg, Dr. Dieter Natlacen, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterhalt und einstweiliger Verfügung infolge Revision und Rekurses der klagenden und gefährdeten Partei gegen das Urteil und den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungs- und Rekursgerichtes vom 27. November 1986, GZ. 43 R 2099/86-18, womit infolge Berufung und Rekurses der beklagten Partei (des Gegners der gefährdeten Partei) das Urteil und die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 20. Februar 1986, GZ. 1 C 40/85-10, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision und dem Rekurs wird nicht Folge gegeben. Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, der beklagten Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei an Kosten des Rechtsmittelverfahrens den Betrag von S 7.781,82 (darin enthalten S 707,44 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 5.8.1962 geborene Klägerin und gefährdete Partei (im folgenden: Klägerin) ist die eheliche Tochter des Beklagten und Gegners der gefährdeten Partei (im folgenden: Beklagter). Mit der am 24.11.1981 zu 1 C 78/81 des Bezirksgerichtes Floridsdorf eingebrachten Klage begehrte sie, den Beklagten schuldig zu erkennen, anstatt des mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 8.1.1980, 2 P 298/64-30, ihr zuerkannten Unterhaltsbetrages von monatlich S 3.000 ihr einen solchen von monatlich S 5.000 zu bezahlen. Sie brachte ua vor, daß sie durch ihr Studium einen erhöhten Unterhaltsbedarf habe. Das Verfahren wurde mit Vergleich vom 12.5.1982, ON 5, beendet. Der Vergleich hat folgenden Wortlaut:

"Der Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin ab 1.12.1981 bis einschließlich 31.1.1985 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von S 4.300 zu bezahlen, und zwar die bisher fälligen Nachzahlungen in Höhe von S 7.800 bis spätestens 1.Juni 1982 zu Handen des Klagevertreters, die später fällig werdenden Beträge jeweils am Ersten eines jeden Monates im voraus bei dreitägigem Respiro an die klagende Partei, dies alles bei sonstiger Exekution. Beide Teile verzichten auf die Geltendmachung der clausula rebus sic stantibus. Der Beklagte verpflichtet sich, die gerichtlichen Vergleichsgebühren zu bezahlen, ansonsten gelten die beiderseitig aufgelaufenen Kosten als aufgehoben. Für die Zeit nach dem 31.1.1985 verzichtet die Klägerin unwiderruflich auf weitere Unterhaltsansprüche."

Nunmehr begehrt sie vom Beklagten ab Mai 1985 die Bezahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 4.300 und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der ihr ab 1.Februar 1986 einstweilen ein Unterhalt in dieser Höhe bestimmt werden möge. Auf Unterhaltsansprüche könne wirksam nicht verzichtet werden. Sie sei derzeit noch ordentliche Hörerin an der Wirtschaftsuniversität Wien; sie habe ihre bisherigen Studien in der vorgeschriebenen Zeit absolviert. Ein Stipendium sei ihr nicht gewährt worden. Der Unterhaltsverzicht sei nur deshalb in den Vergleich aufgenommen worden, weil vor Vergleichsabschluß der Richter erklärt habe, sie werde ab diesem Zeitpunkt ohne Probleme ein Stipendium erhalten. Der Beklagte wendete ein, die Klägerin habe für die Zeit nach dem 1.Februar 1986 auf Unterhalt verzichtet. Sie betreibe ihr Studium auch nicht fleißig und emsig. Bei normalem Studium könnte sie dieses bereits abgeschlossen haben. Die Erlangung eines Doktorates sei für ihre Erwerbstätigkeit nicht erforderlich; es sei ihr auch zumutbar, durch Nebentätigkeiten eigenes Einkommen zu erlangen. Es handle sich auch nur um ein Scheinverfahren zwecks Gewährung einer staatlichen Studienbeihilfe. Der am 12.5.1982 abgeschlossene Vergleich beinhalte eine Gesamtregelung, bei der die Zeitdauer der Unterhaltsleistungen auh mit deren Höhe verknüpft worden sei und die Dauer der Unterhaltsleistungen sich nach der von der Klägerin angegebenen Studiendauer gerichtet habe. Das Erstgericht erkannte der Klägerin mit einstweiliger Verfügung ab 1.2.1986 für die Dauer des Rechtsstreites und mit Urteil ab 1.6.1985 einen Unterhalt von monatlich S 4.100 zu, das Mehrbegehren wies es unangefochten ab. Es stellte fest, die Klägerin habe bei Vergleichsabschluß gewußt, sie könne am 31.1.1985 keinesfalls mit dem Studium fertig sein. Der Richter habe ihr aber versichert, sie werde ohne Probleme ein Stipendium bekommen. Es war auch die Rede davon, die Klägerin könne sich durch Nachhilfestunden etwas dazuverdienen. Rechtlich führte es aus, wenn selbst der Ehegatte gemäß § 94 Abs.3 ABGB an sich in vorhinein auf den Unterhalt nicht verzichten könne, ergebe ein Größenschluß, daß dies auch für das zumindest ebenso schutzwürdige bereits eigenberechtigte Kind gelten müsse. Der Unterhaltsverzicht im Vergleich vom 12.5.1982 sei daher rechtlich unmöglich, er mache diesen Vergleichsteil gemäß § 878 ABGB absolut nichtig.

Das Gericht zweiter Instanz gab in einer gemeinsam ausgefertigten Entscheidung sowohl dem Rekurs als auch der Berufung des Beklagten Folge. Es änderte den Beschluß und das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und das Klagebegehren abwies. Rekurs und Revision erklärte es für zulässig. Der Rechtsmeinung des Erstgerichtes wäre im Ergebnis wohl nur dann zu folgen, wenn der zu beurteilende Unterhaltsverzicht des volljährigen Kindes als isoliert im Raum stehend zu beurteilen und insbesondere ohne sonstige Abreden bzw. Zugeständnisse oder Gegenleistungen erfolgt wäre. Der Unterhaltsverzicht der Klägerin müsse im Gesamtzusammenhang der erfolgten Regelung betrachtet werden. Er betreffe einen in Vergleichsform gekleideten Teilverzicht; beide Parteien hätten die Unterhaltsregelung für die Zeit des Studiums der Klägerin überschaubar abgesteckt. Ein Regelungsbedürfnis bestehe gerade für diese überschaubaren Bereiche des täglichen Lebens, die zu Streitfällen geführt hätten. Der Vorteil der Klägerin sei in der Sicherheit gelegen, für drei Jahre Unterhaltsbeträge in der Höhe von S 4.300 zu bekommen, ohne daß das Einkommen des Vaters und die Relation zu dieser Unterhaltszahlung näher geprüft worden seien. Der Vorteil für den Beklagten sei in ähnlichen Erwägungen sowie darin gelegen, ab 31.1.1985 keine Leistungen deshalb mehr erbringen zu müssen, weil die Beklagte studiere. Alles in allem seien bekannte Risiken in einem überschaubaren Zeitraum in durchaus kalkulierbarer Weise geregelt worden. Der Unterhaltsverzicht sei daher weder rechtlich unmöglich noch sittenwidrig. Der damals schon volljährigen Klägerin habe zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses klar sein müssen, daß der letzte Teil ihres Studiums nicht mehr mit laufenden väterlichen Unterhaltsleistungen finanzierbar sein werde. Sie sei sich dieser Entwicklung völlig bewußt gewesen und habe dafür auch Vorsorge treffen können. Durch die dem Vergleichsabschluß zugrunde gelegte Interessenlage sei für die keineswegs unbegrenzte Zeit des Studiums der Klägerin durch die im Vergleich vereinbarten Leistungen ein Leistungsfonds geschaffen worden, deren Höhe der Klägerin bekannt gewesen sei und deren Verwendung ihr im Hinblick darauf oblag, daß ab dem 31.1.1985 diese Leistungen ausbleiben werden. Dem Berufungsgericht erscheine es nicht vertretbar, die Regulierungsfähigkeit durch einen Vergleich wegen Sittenwidrigkeit des Unterhaltsverzichtes abzulehnen.

Die Klägerin erhebt Rekurs und Revision. Die Frage der Auswirkung eines früher geschlossenen Vergleiches auf den nunmehr gestellten Unterhaltsanspruch stellt keine Bemessungsfrage dar (EFSlg. 44.064). Ihre Rechtsmittel sind daher zulässig, sie sind aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Grundsätzlich kann zwar auf jedes auch künftige Recht verzichtet werden, das Recht darf aber nicht nach seiner Zweckbestimmung unverzichtbar sein, der Verzicht darf nicht durch positive Anordnung des Gesetzes ausgeschlossen sein (EFSlg. 46.069; SZ 52/57; SZ 41/33; Klang 2 VI 527 f). Der Rechtsmittelwerberin kann darin gefolgt werden, daß selbst volljährige Kinder auf den ihnen zustehenden gesetzlichen Unterhalt nicht schlechthin verzichten können (vgl. SZ 49/28). Schon vor der Neuregelung des Ehegattenunterhaltes bei aufrechter Ehe wurde aus der Bestimmung des § 795 ABGB, wonach einem Noterben, der von seinem Pflichtteil gesetzmäßig ausgeschlossen wurde, doch immer der notwendige Unterhalt ausgemessen werden müsse, der Schluß gezogen, daß selbst durch einen Vergleich der notwendige Unterhalt eines minderjährigen Kindes nicht geschmälert werden darf (JB 245; ZBl. 1924/115). Dieser Rechtssatz wurde dann dahin ausgedehnt, daß auch ein Verzicht auf notwendigen Unterhalt nach Volljährigkeit des Kindes unwirksam ist (EFSlg. 32.982, 1.132, SZ 26/12; ZBl. 1933/327; SZ 9/185). Diese Rechtsprechung wurde von der Lehre gebilligt (Wentzel-Plessl in Klang 2 I/2, 45; Ehrenzweig 2 II/2, 241).

Es bestehen keine Anhaltspunkte, daß durch die Familienrechtsreform der Gesetzgeber die bis dahin herrschende Rechtsprechung ändern wollte, vielmehr wird die durch Analogie gewonnene Rechtsprechung durch die neue Rechtsentwicklung gestützt. Nunmehr kann nach § 94 Abs.3 ABGB bei aufrechter Ehe auch auf den Unterhaltsanspruch gegen den anderen Ehegatten an sich im vorhinein nicht mehr verzichtet werden. Daraus wird der Schluß gezogen, daß für die Zukunft dem Grunde nach der Unterhaltsanspruch bei aufrechter Ehe unverzichtbar ist, es kann jedoch wirksam auf Teile von Unterhaltsleistungen und auf einzelne Unterhaltsleistungen verzichtet werden (SZ 50/128; Ent-Hopf, Die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe 136; Gschnitzer-Faistenberger, Familienrecht 2 73). Das gleiche muß für den Unterhalt volljähriger Kinder gelten. Nach Ehrenzweig-Schwind, Familienrecht 3 160 ist sogar ein Unterhaltsverzicht eines Kindes möglich und ist als der Umstandsklausel unterliegend nur nicht unbedingt für die Zukunft wirksam.

Ein abgesehen von der Abbedingung der Umstandsklausel zulässiger teilweiser Unterhaltsverzicht liegt hier vor. Gegenstand der Klage auf Erhöhung des noch vom Pflegschaftsgericht festgesetzten Unterhaltsbetrages war die Abdeckung des durch das (gesamte) Studium der Klägerin bedingten erhöhten Bedarfes. Dieses Verfahren wurde durch gerichtlichen Vergleich beendet. Bei Vergleichsabschluß war es sämtlichen Parteien und damit auch der Klägerin klar, daß sie selbst bei optimalen Studienergebnissen bis zum 31.1.1985 ihr Diplomstudium nicht werde abgeschlossen haben können. Entgegen den geführten Vergleichsgesprächen wurde eine Vereinbarung dahin, daß Unterhaltsleistungen des Beklagten während des Studiums der Klägerin nur dann am 31.1.1985 ein Ende finden sollten, wenn der Klägerin ein Stipendium gewährt würde, nicht getroffen. Die Klägerin nahm daher für einen überschaubaren Zeitraum von - bei Annahme eines achtsemestrigen Studiums - wenigen Monaten den Entfall von Unterhaltsleistungen in Kauf und fand sich damit ab, daß die Unterhaltsleistungen ihres Vaters schon vor dem Ende ihres Studiums enden sollten. Dafür erreichte sie im Vergleichswege für die Zeit bis 31.1.1985 die Verpflichtung des Beklagten zur Bezahlung eines gegenüber dem vom Pflegschaftsgericht festgesetzten Unterhaltsbetrag erhöhten Unterhaltes; es war ihr dabei klar, daß sie für die letzten Monate ihres Studiums für ihren Unterhalt selbst Sorge tragen müsse, sei es durch Anlegung von Ersparnissen, durch Gewährung eines Stipendiums oder durch Aufnahme einer Nebenbeschäftigung. An dieser Vergleichsgrundlage hat sich nichts geändert. Haben sich aber die Verhältnisse gerade so entwickelt, wie sie beide Parteien voraussahen, dann war das Einverständnis der Klägerin, für den relativ kurzen Zeitraum bis zur Beendigung ihres Diplomstudiums weitere Unterhaltsleistungen ihres Vaters nicht in Anspruch zu nehmen, gültig. Es lag damit kein Unterhaltsverzicht "an sich", also dem Grunde nach, vor.

Dem Rechtsmittel der Klägerin ist nicht Folge zu geben. Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO bzw. §§ 78, 402 EO, 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte