OGH 8Ob5/87

OGH8Ob5/8726.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton H***, Pensionist, 6600 Breitenwang, Planseestraße 74, vertreten durch Dr. Reinhold Wolf, Rechtsanwalt in Reutte, wider die beklagten Parteien 1.) Dominikus L***, Kraftfahrer, 6682 Vils, Hoheneggweg 13 a, 2.) Firma Anton B*** KG, 6600 Pinswang,

3.) V*** DER Ö*** B***

Versicherungs-AG, Landesdirektion für Tirol, 6020 Innsbruck, alle vertreten durch DDr. Jörg Christian Horwath, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 727.317,07 s.A. und Feststellung (S 100.000,-), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 28. Oktober 1986, GZ 2 R 320/86-25, womit infolge Berufungen der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Teilurteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28.Mai 1986, GZ 14 Cg 352/85-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1.) den

B e s c h l u ß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision des Erstbeklagten wird zurückgewiesen;

2.) zu Recht erkannt:

Der Revision der Zweit- und der Drittbeklagten wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 3.9.1982 ereignete sich im Ortsgebiet von Reutte auf der Allgäuerstraße im Bereich der nördlichen Einfahrt zur Esso-Tankstelle ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Lenker des Mopeds mit dem behördlichen Kennzeichen T 77.939 sowie der Erstbeklagte als Lenker des Sattelzugfahrzeuges, pol. Kz T 277.592, der Zweitbeklagten, die dessen Halterin war, beteiligt waren. Die Drittbeklagte war der Haftpflichtversicherer des LKWs. Durch den Unfall wurde der Kläger schwer verletzt. Er erlitt bleibende Schäden. Auch in Zukunft ist mit unfallsbedingten Schäden zu rechnen. Der Kläger begehrte von den Beklagten die Bezahlung von S 727.317,07 s.A. und beantragte festzustellen, daß die Beklagten dem Kläger für alle sonstigen Schäden aus dem Verkehrsunfall zu haften haben, die Drittbeklagte bis zur Höhe der Versicherungssumme. Der Kläger sei auf der Höhe der Esso-Tankstelle von dem Erstbeklagten überholt worden. Dabei habe er zufolge mangelnder Aufmerksamkeit und wegen eines zu geringen Sicherheitsabstandes das Moped des Klägers gestreift, wodurch dieser und sein Beifahrer zu Sturz kamen. Den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden am Unfall.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei stark alkoholisiert von der Esso-Tankstelle auf die Fahrbahn der Allgäuerstraße eingefahren. Zu diesem Zeitpunkt sei der Erstbeklagte auf der Allgäuerstraße an dem Tankstellenbereich vorbeigefahren. Der Kläger habe dieses Fahrzeug nicht beachtet und sei mit dem Moped in einem rechten Winkel in den rückwärtigen Teil des Sattelaufliegers hineingefahren. Der Kläger habe den Vorrang des Erstbeklagten verletzt, weshalb ihn das Alleinverschulden an dem Unfall treffe. Für den Erstbeklagten sei das Unfallsgeschehen wegen des groben Fehlverhaltens des Klägers unabwendbar gewesen. Das Erstgericht wies mit Teil- und Zwischenurteil das Feststellungsbegehren gegenüber dem Erstbeklagten ab. Es erkannte im übrigen das Feststellungsbegehren auf Haftung für künftige Schäden gegenüber der Zweitbeklagten und der Drittbeklagten zu 3/4 mit entsprechenden Haftungseinschränkungen als berechtigt. Das Feststellungsmehrbegehren ihnen gegenüber wies es ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Unfall ereignete sich etwa an jener Stelle, welche in der Skizze Beilage I mit der Pos.4 bezeichnet ist. Die Fahrbahn der Allgäuerstraße ist im Unfallsbereich etwa 7,5 m breit. Die beiden Richtungsfahrbahnen werden durch eine etwa in der Fahrbahnmitte verlaufende Leitlinie getrennt. Die Allgäuerstraße verläuft im Unfallsbereich weithin gerade; es besteht in Fahrtrichtung Reutte-Ortsmitte ungehinderte Sicht auf über 200 m. Entlang des linken Fahrbahnrandes verläuft ein Gehsteig. Auch am rechten Fahrbahnrand beginnend auf Höhe der nördlichen Einfahrt zur Esso-Tankstelle verläuft ein Gehsteig in Richtung Reutte-Ortsmitte. Im Unfallsbereich ist für den auf der Allgäuerstraße fließenden Verkehr die höchstzulässige Fahrgeschwindigkeit mit 70 km/h beschränkt. Zur Unfallszeit war es dunkel; der Unfallsbereich war aber durch eine Straßenlaterne geringfügig erhellt. Vor dem Unfall lenkte der Erstbeklagte das Sattelfahrzeug auf der Allgäuerstraße in Fahrtrichtung Reutte-Ortsmitte. Er wollte nach der Esso-Tankstelle vor dem Cafü Gundolf im Bereich des rechten Fahrbahnrandes der Allgäuerstraße anhalten, um in das Cafü einzukehren. Bei seiner Annäherung an die Unfallsstelle hielt er zunächst eine Fahrgeschwindigkeit von knapp 60 km/h ein, verminderte diese und durchfuhr die Unfallsstelle schließlich mit einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 40 km/h. Die rechte Seite des Sattelfahrzeuges hatte dabei zum rechten Rand der Allgäuerstraße einen Seitenabstand von ca. 0,6 m bis 0,8 m. "Während der Erstbeklagte die Zusammenstoßstelle durchfuhr, kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge, wobei der Zusammenstoß im Bereich des rückwärtigen Teiles der rechten Seite des Sattelaufliegers geschah." Der Erstbeklagte nahm den Unfall nicht wahr. Er wurde aber unverzüglich danach durch einen Blick in den rechten Außenspiegel auf das Moped und die beiden vom Unfall betroffenen Personen aufmerksam und brachte sein Fahrzeug zum Stillstand. Nicht feststellbar war, auf welchem Weg, auf welche Weise und unter welchen näheren Umständen der Kläger mit dem von ihm gelenkten Moped an die Zusammenstoßstelle gelangte. Insbesondere konnte nicht festgestellt werden, daß sich der Kläger auf der Allgäuerstraße parallel zur Fahrbahnlängsachse auf einer Fahrlinie nahe dem rechten Farhbahnrand der Unfallsstelle näherte, auch nicht, daß der Erstbeklagte zur Unfallszeit bestrebt war, den Kläger zu überholen, und daß der Erstbeklagte versuchte, den Kläger in einem zu geringen Seitenabstand zu überholen. Es war aber auch nicht erweisbar, daß der Kläger mit dem Moped aus dem Bereich der Esso-Tankstelle auf die Fahrbahn der Allgäuerstraße einfuhr und es deswegen zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge kam.

Die wesentlichen Umstände dieses Verkehrsunfalles konnten somit nicht aufgeklärt werden. Auch ist nicht erwiesen, daß der Verkehrsunfall für den Erstbeklagten unabwendbar war. Daß der Kläger das Moped zur Unfallszeit in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand lenkte, ist schließlich auch nicht als erwiesen anzunehmen. Das Erstgericht verwies rechtlich darauf, daß die beiderseitigen Schuldvorwürfe nicht erwiesen werden konnten und nahm eine Schadensteilung im Verhältnis der unterschiedlichen gewöhnlichen Betriebsgefahren von 1 : 3 zu Lasten der Zweit- und Drittbeklagten vor.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen des Klägers und der Zweit- und Drittbeklagten nicht Folge, bestätigte das erstgerichtliche Teil- und Zwischenurteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hatte, S 300.000 übersteigt. Auf der Grundlage der erstgerichtlichen Feststellungen, denen es zur Gänze folgte und dabei eingehend begründete, warum es weder der Unfallsversion des Klägers noch jener der Beklagten folgte, verwies es darauf, daß wegen der Ungewißheit des Unfallsablaufes die Annahme einer Verschuldens- bzw. Mitverschuldenshaftung nicht möglich sei. Da sich bei beiden Lenkern der primäre subjektive Haftungsanknüpfungspunkt des Verschuldens für den Schadensausgleich nach § 11 EKHG als nicht feststellbar ergab, sei für die Schadenshaftung der sekundär objektive Anknüpfungspunkt der Abwägung der beiderseitigen Betriebsgefahren heranzuziehen. Für die gegenseitige Ersatzpflicht der Beteiligten komme es nämlich, scheidet das Verschulden aus, in der nächsten Rangstufe auf die außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG und nach dieser auf die überwiegend gewöhnliche Betriebsgefahr an. Umstände für die Annahme einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr seien im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet worden und auch nicht hervorgekommen. Es bleibe sohin lediglich zu prüfen, ob die gewöhnliche Betriebsgefahr eines der Fahrzeuge überwog. Die Betriebsgefahr sei jene Summe der Gefahren, die ein Fahrzeug durch seine Eigenheit in den Verkehr trägt, wobei bei der Abwägung nach § 11 Abs 1 EKHG allein entscheidend das konkret gesetzte Verhalten, so wie es beim Unfall mitwirkte, sei. Berücksichtige man die gravierenden Unterschiede an Gewicht und Masse des Sattelfahrzeuges samt Sattelauflieger gegenüber jenen des Mopeds, so sei in der Annahme des Erstgerichtes, daß die gewöhnliche Betriebsgefahr des Fahrzeuges der Zweitbeklagten jene des Mopeds des Klägers im Verhältnis von 1 : 3 überwiegt, keine rechtliche Fehlbeurteilung zu erblicken.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision aller drei Beklagten aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision des Erstbeklagten zurückzuweisen und jener der Zweit- und Drittbeklagten im übrigen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Erstbeklagten ist unzulässig, weil das Feststellungsbegehren ihm gegenüber ohnedies bereits von der ersten Instanz rechtskräftig abgewiesen wurde. Die Revision der Zweit- und Drittbeklagten ist nicht berechtigt:

Sie machen zunächst angebliche Mangelhaftigkeiten des berufungsgerichtlichen Verfahrens geltend, welcher Revisionsgrund jedoch nicht vorliegt, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO).

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung stellen sich die Zweit- und Drittbeklagten auf den Standpunkt, daß es sich bei der Beurteilung aller Beweisergebnisse und insbesondere des Sachverständigengutachtens herausgestellt hätte, daß der Kläger aus dem Bereich der Esso-Tankstelle auf die Fahrbahn der Allgäuerstraße eingefahren war. Damit bekämpfen die Rechtsmittelwerber jedoch die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, was im Revisionsverfahren nicht zulässig ist.

Weiters vertreten die Zweit- und Drittbeklagten die Auffassung, daß eine Schadensteilung von 1 : 1 vorzunehmen sei, weil die Betriebsgefahr des LKW-Zuges gleich groß sei wie jene des Mopeds.

Dem ist zu erwidern:

Auszugehen ist davon, daß beide Streitteile die Behauptungs- und Beweislast für ein Verschulden des Gegners trifft; jede in dieser Richtung verbleibende Unklarheit geht zu Lasten dessen, der ein Verschulden des Gegners behauptet (ZVR 1976/194; ZVR 1979/58; 8 Ob 284/79; 8 Ob 73/80; 8 Ob 254/80; 8 Ob 218/80 ua). Soweit es sich um die Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 9 Abs 2 EKHG handelt, gehen nicht aufklärbare Ungewißheiten über wesentliche Einzelheiten des Unfallsgeschehens zu Lasten des Halters (ZVR 1975/118; 8 Ob 28/78; 8 Ob 73/80 ua).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen muß davon ausgegangen werden, daß keinem der Streitteile der Nachweis gelang, daß der Gegner die ihm zur Last gelegten Fahrverstöße begangen hat. Kann aber aufgrund der Feststellungen der Vorinstanzen weder dem Kläger noch dem Erstbeklagten ein Verschulden an dem eingetretenen Unfall angelastet werden, dann hat es im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG, da auch keinem von beiden der ihnen im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG obliegende Entlastungsbeweis gelungen ist und außergewöhnliche Betriebsgefahr auf beiden Seiten nicht vorliegt, bei der Schadensteilung nach Maßgabe der gewöhnlichen Betriebsgefahr der beiden beteiligten Fahrzeuge zu verbleiben. Bei der Abwägung derartiger Betriebsgefahren kommt es auf die konkreten Umstände des Falles an (ZVR 1975/118; ZVR 1977/266; 8 Ob 218/80; ZVR 1984/244 uza). Diese waren hier so gelagert, daß der mit ursprünglich 60 km/h fahrende LKW-Zug von 16 m Länge und 2,46 m Breite bei einem Eigengewicht von über 7 Tonnen, einer Nutzlast von fast 9 Tonnen, eines Anhängers von 7 Tonnen und dessen Nutzlast von 9 Tonnen dem in jeder Hinsicht (Länge, Breite, Gewicht, Raumbedarf, erschwerte Verkehrsbeobachtung, relativ hohe Geschwindigkeit) unterlegenen Moped des Klägers gegenüberstand. In der vom Berufungsgericht auf Grund der Abwägung der beiderseitigen gewöhnlichen Betriebsgefahren (§ 11 Abs 1 EKHG) vorgenommenen Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 3 zu Lasten der Beklagten kann daher keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden.

Der Revision war der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 392 Abs 2, 52 Abs 2 ZPO.

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