OGH 8Ob6/87

OGH8Ob6/8726.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.Ing. Alexius R***, Pensionist, Barawitzkagasse 34/41, 1190 Wien, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien

1.) W*** A*** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Hietzinger Kai 101-103, 1130 Wien, und 2.) Roland W***, Angestellter, Döblinger Hauptstraße 87/1/6, 1190 Wien, beide vertreten durch Dr. Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 369.000,-- S s.A. und Feststellung (Streitwert 50.000,-- S) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12. Juni 1986, GZ. 17 R 107/86-50, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 9. Dezember 1985, GZ. 35 Cg 710/83-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1.) Der Schriftsatz der klagenden Partei vom 17.November 1986 wird, insoweit er eine "Revisionsergänzung" enthält, zurückgewiesen.

2.) Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.884,25 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.280,-- S an Barauslagen und 1.236,75 S an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 19.Jänner 1976 ereignete sich im 19.Wiener Gemeindebezirk auf der Kreuzung der Heiligenstädterstraße mit der Barawitzkagasse ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Fußgänger beim Überqueren eines Fußgängerüberganges und der Zweitbeklagte mit seinem bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten LKW VW 21 (W 778.253) beteiligt waren. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde der Zweitbeklagte strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt (Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 4.3.1978, 8 U 263/76-2).

Mit der am 16.Jänner 1979 erhobenen Klage begehrte der Kläger aus dem Titel des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall nach zweifacher Ausdehnung des Klagebegehrens den Zuspruch von 369.000 S samt Anhang (darin Verdienstentgang für 1976 von 5.000 S und für den Entfall der Außendienste im Sommer der Jahre 1976 bis 1978 im Betrag von 127.500 S, sowie von 110.000 S bis 31.7.1980 und von 125.000 S für die Zeit vom 1.9.1980 bis 31.12.1983 zufolge Kündigung und Pensionierung), sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Unfallsschäden. Er habe beim Unfall eine Gehirnerschütterung erlitten. Dadurch sei eine Entwicklung ausgelöst worden, die im Sommer 1977 das Ausmaß einer schweren Gesundheitsbeeinträchtigung angenommen habe; es sei eine progrediente allgemeine Hirnleistungsschwäche entstanden. Infolge des damit verbundenen organischen Psychosyndroms sei er dienstunfähig geworden. Als Vertragsbediensteter des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen habe er abgesehen vom Jahr 1975 in allen Jahren ab 1966 Außendienst in der Dauer von 3 bis 5 Monaten jährlich geleistet und dadurch Überstundenentgelt, Kilometergeld und Reisegebühren bezogen. Wegen seiner sparsamen Lebensweise habe er nur die halben Reisegebühren verbraucht. 1976 sei dem Kläger ein Verdienstentgang von 5.000 S erwachsen, weil er nur halbtägig im April tätig gewesen sei. Am 30.6.1978 sei sein Dienstverhältnis gekündigt worden. Seit der Pensionierung zum 1.9.1980 beziehe er eine Pension, die unter den seinerzeitigen Aktivbezügen läge. Er habe überdies beim Unfall ein Peitschenschlagsyndrom erlitten, wie erst 1983 festgestellt worden sei.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wandten ein gleichteiliges Mitverschulden ein, weil der Kläger das Überqueren des Fußgängerüberganges fortgesetzt habe, obwohl er habe erkennen können, daß der Zweitbeklagte nicht mehr werde anhalten können. Die Unfallsfolgen seien längstens drei Monate nach dem Verkehrsunfall folgenlos abgeheilt. Ab 1975 sei der Kläger nicht mehr im Außendienst eingesetzt worden, weshalb Überstundenentgelt-, Reisegebühren- und Kilometergeldentgang nicht verlangt werden könnten. Die behauptete Gehirnerschütterung sei 1976 nicht objektivierbar gewesen. Der geltend gemachte Verdienstentgang sei nicht unfallskausal.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 7.020 S s.A. zu, wies das Leistungsmehrbegehren von 361.980 S s.A. sowie das Feststellungsbegehren ab. Es traf über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus im wesentlichen noch folgende für das Revisionsverfahren - in dem die Haftung der beklagten Parteien dem Grunde nach und die Frage eines Mitverschuldens des Klägers nicht mehr strittig sind - bedeutsame Feststellungen:

Bei dem Unfall stürzte der Kläger auf den Hinterkopf, stand jedoch gleich auf und begab sich auf die Rettungsinsel. Vor Eintreffen der Rettung notierte er Namen und Adresse einer Zeugin. Der Rettungsarzt Dr. B*** - Chefarzt der Wiener

Rettung - diagnostizierte eine Schädelprellung, ein Hämatom am Hinterkopf und eine Prellung der linken Fußwurzel. Der Kläger hatte kein Erbrechen, keinen Brechreiz, keine retrograde Amnesie. Durch den gegenständlichen Unfall erlitt der Kläger keine Comociocerebri. Der Unfall führte zu keiner Schädigung des Gehirns, auch nicht im Sinne einer Beschleunigung der Folgen einer Meningitis im Jahre 1956. Die Unfallsfolgen waren längstens ein halbes Jahr nach dem Unfall (das ist der 19.7.1976) abgeklungen. Die bestehenden Mikrosymptome geringer Veränderungen in CT und im psychologischen Test sind Spätfolgen der erwähnten Meningitis. Vor dem Unfall wurde der Kläger in den Innendienst versetzt; den letzten Außendienst verrichtete er im Jahre 1974. Vorher hatte er in den letzten 6 Jahren zwischen 2 und 4 Monaten Außendienst verrichtet und hiefür zwischen 4.000 und 5.000 S an Reisegebühren und Kilometergeld im Monat bezogen. Dadurch, daß der Kläger im April 1976 nur halbtags Dienst verrichten konnte, entstand ihm ein Verdienstentgang von 5.000 S.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß der Zweitbeklagte den Unfall verschuldet habe und den Kläger kein Mitverschulden am Zustandekommen dieses Unfalles treffe. Da die Unfallsfolgen längstens am 19.7.1976 abgeklungen gewesen seien, erweise sich das Klagebegehren für den danach liegenden Zeitraum als nicht gerechtfertigt. Da das Schmerzengeld bereits abgegolten worden sei, und in diesen Zeitraum lediglich der Verdienstentgang für April 1976 und der (mit 2.020 S festgestellte) Kleiderschaden samt Kleinschäden falle, sei wie im Spruche zu entscheiden gewesen. Ein Verdienstentgangsanspruch habe auf den unterbliebenen Außendienst nicht gestützt werden können, da der Kläger bereits im Jahre 1975 in den Innendienst versetzt worden sei.

Das Gericht zweiter Instanz gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Es erachtete die in der Berufung erhobenen Beweis- und Verfahrensrügen als nicht berechtigt und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes zur Gänze. Zu der in der Berufung erhobenen Rechtsrüge, aus dem vom Erstgericht festgestellten Verdienstentgang hätte sich eine Auswirkung auf die Pensionsbezüge und das Feststellungsinteresse ergeben, weshalb die Verdienstentgangsansprüche bis 1983 zu klären gewesen wären, führte das Berufungsgericht im wesentlichen folgendes aus:

Ein Verdienstentgang sei nur für den Monat April 1976 festgestellt worden, nicht aber darüber hinaus. Sowohl die Kausalität der Kündigung und damit der Frühpensionierung wie des späteren Verdienstentganges sei zu verneinen. Mangels tatsächlicher wie rechtlicher Kausalität des Unfalles für die in der Rechtsrüge relevierten Schäden sei daher kein Fehler in der rechtlichen Beurteilung zu erblicken. In diesem Sinne sei die Rechtsrüge, soweit sie nicht von den Feststellungen ausgehe, nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO gestützte Revision des Klägers mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Am 18.November 1986 langte beim Berufungsgericht ein Schriftsatz des Klägers ein, in dem er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Ablehnung eines Richters des Berufungsgerichtes und für die Geltendmachung eines Mangels des Berufungsverfahrens stellte, den Richter ablehnte und - abgesehen davon, daß für den Fall der positiven Entscheidung über den Ablehnungsantrag das Berufungsverfahren mit dem Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 1 ZPO behaftet sei - geltend machte, daß die Teilnahme eines befangenen Richters einen wesentlichen Mangel des Berufungsverfahrens darstelle. Schließlich stellte er den "ergänzenden Revisionsantrag", das Urteil des Oberlandesgerichtes aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Da dieser Ablehnungsantrag mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 22.Jänner 1987, 13 Nc 4/86, rechtskräftig zurückgewiesen wurde und eine Ergänzung der Revision im Hinblick auf den Grundsatz der Einmaligkeit dieses Rechtsmittels unzulässig ist, mußte der als "Revisionsergänzung" bezeichnete Schriftsatz des Klägers zurückgewiesen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf den Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, zulässig (§ 502 Abs 4 Z 2 ZPO), sie ist aber nicht berechtigt. Die in der Revision geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Abs 1 Z 2 ZPO) liegt nicht vor. Die Ausführungen des Revisionswerbers unter diesem Anfechtungsgrund stellen sich nämlich einerseits bloß als Wiederholung angeblicher Mängel des Verfahrens erster Instanz dar, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind und somit nicht nach § 503 Abs 1 Z 2 ZPO neuerlich geltend gemacht werden können (SZ 22/106 uva) und anderseits als im Revisionsverfahren unzulässiger Versuch dar, die Beweiswürdigung und die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanzen über die Art und den Umfang der Verletzungen, die der Kläger bei dem gegenständlichen Unfall erlitten hat, sowie die Unfallsbedingtheit der bei ihm derzeit bestehenden Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes zu bekämpfen (§ 510 Abs 3 ZPO). Eine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt der Revisionswerber vorerst darin, daß das Berufungsgericht in zwei verfahrensrechtlichen Fragen von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgegangen sei. Er übersieht dabei aber, daß die Rechtsprechung - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen - unter rechtlicher Beurteilung der Sache die Anwendung des materiellen Rechts versteht und zur Bekämpfung der unrichtigen Anwendung des Prozeßrechts nur die Revisionsgründe des § 503 Abs 1 Z 1 und Z 2 ZPO in dem dadurch beschränkten Rahmen zuläßt (vgl. Fasching, Lehrbuch, Rz 1916). Die erste vom Berufungsgericht seiner Ansicht nach unrichtig gelöste Frage betrifft einen bereits unter dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO unzulässigerweise geltend gemachten angeblichen Verfahrensmangel erster Instanz. Die zweite vom Berufungsgericht rechtsirrtümlich beurteilte verfahrensrechtliche Frage soll darin liegen, daß die Einholung eines "Übergutachtens" unterblieben sei. Auch hier kann dem Revisionswerber nicht gefolgt werden, weil die Frage, ob die eingeholten Sachverständigengutachten die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigen, ebenso in das der Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogene Gebiet der Beweiswürdigung gehört, wie jene, ob die eingeholten Sachverständigengutachten erschöpfend sind oder ob noch weitere Fragen an die Sachverständigen zu stellen gewesen wären (2 Ob 248/66; 1 Ob 672/81; 8 Ob 246/81 uva) oder ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll (EvBl 1958/94; SZ 41/26; SZ 46/34; EFSlg. 41.788 uva).

Schließlich vertritt der Revisionswerber noch den Standpunkt, die Urteile der Vorinstanzen litten an einem "materiell-rechtlichen Fehler in bezug auf das Feststellungsbegehren"; auch wenn durch die in dieser Beziehung inzwischen rechtskräftig gewordene erstgerichtliche Entscheidung nur ein unfallskausaler Verdienstentgang während eines Monats feststehe, resultierten daraus Folgen auf die Pensionshöhe, die zu einer Stattgebung des Feststellungsbegehrens hätten führen müssen. Auch diese Ausführungen des Revisionswerbers sind nicht zielführend. Nach § 226 ZPO hat die Klage die rechtserzeugenden Tatsachen im einzelnen kurz und vollständig zu enthalten. Der Kläger hat wohl behauptet, daß ihm ein weiterer Schaden in der Höhe der Differenz zwischen den Aktivbezügen und den Pensionsbezügen entstanden sei und aus diesem Titel auch Verdienstentgang bis einschließlich 1983 geltend gemacht. Dabei ging er allerdings von der Annahme aus, seine Dienstunfähigkeit und damit seine Pensionierung sei eine Folge der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen gewesen. Wie er zu den als Differenz zwischen den Aktiv- und Pensionsbezügen begehrten Beträgen gelangt ist und inwiefern der ihm im April 1976 entstandene Verdienstentgang zu einer Verringerung seiner Pensionsbezüge geführt haben sollte, ist dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen. Mangels hinlänglicher Substantiierung des Tatsachenvorbringens im Verfahren erster Instanz konnte dem aus einer Differenz zwischen den Aktiv- und Passivbezügen abgeleiteten Klagebegehren kein Erfolg beschieden sein. Da der Kläger die Unterlassung einer Anleitung durch das Erstgericht im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht hat, entspricht die Bestätigung der erstgerichtlichen Abweisung des vom Kläger aus dem nicht hinlänglich substantiierten Sachvorbringen abgeleiteten Leistungs- und Feststellungsbegehrens durch das Berufungsgericht der Sach- und Rechtslage. Den vom Kläger sowohl in der Berufung als auch in der Revision unter dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ganz allgemein erstatteten Ausführungen, er habe einen Verdienstentgang in seinen Aktivbezügen erlitten, daraus resultierten Folgen auf die Pensionshöhe, ist hinsichtlich der Frage der Schlüssigkeit des Feststellungsbegehrens ebenfalls nichts zu entnehmen. Es bestand daher für das Berufungsgericht auch im Rahmen der allseitigen Überprüfung der rechtlichen Beurteilung der Rechtssache durch das Erstgericht keine Möglichkeit, die Abweisung des Feststellungsbegehrens einer näheren Überprüfung zu unterziehen. Wegen Unschlüssigkeit des vom Kläger hier gestellten Feststellungsbegehrens konnte auch der in der Revision diesbezüglich erhobenen Rechtsrüge kein Erfolg beschieden sein.

Die Revision erweist sich damit als unberechtigt.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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