OGH 1Ob705/86

OGH1Ob705/864.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** Aktiengesellschaft Österreich, Wien 21., Siemensstraße 88-92, vertreten durch Dr. Robert Siemer, Dr. Heinrich Siegl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Kurt R***, Autohändler, dzt. unbekannten Aufenthaltes, vertreten durch den Kurator Dr. Hanns Christian Baldinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 113.691,22 samt Anhang infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 12. September 1986, GZ 42 R 406/86-29, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 10. März 1986, GZ 34 C 347/84-18, aufgehoben wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er als Urteil zu lauten hat:

"Der Berufung der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Der Berufung der klagenden Partei wird Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes in seinem Punkte 2 (Abweisung des Mehrbegehrens) dahin abgeändert, daß die beklagte Partei weiters schuldig ist, der klagenden Partei den Betrag von S 9.180,07 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen."

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit S 39.940,63 (darin enthalten S 2.397,73 Umsatzsteuer und S 14.004,70 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 23. März bzw. 8. Mai 1981 einen "Miet- und Schutzvertrag". Die klagende Partei vermietete an den Beklagten einen vollelektronischen Fernschreiber T 1000 und Lochstreifengeräte gegen einen monatlichen Mietzins von S 1.479 zuzüglich Umsatzsteuer sowie gegen eine jährliche Versicherungsgebühr von S 74,70. Der Beklagte verzichtete auf eine Kündigung des auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Vertrages für das bei Betriebsbereitschaft der Anlage laufende Jahr und die anschließenden zehn Kalenderjahre. Nach Punkt 3 a der allgemeinen Überlassungsbedingungen für die Vermietung von Fernschreibanlagen hat der Mieter, wenn die Fernschreibanlage aus Gründen, die auf seiner Seite liegen, vor Ablauf des Kündigungsverzichtes aufgegeben wird, die Hälfte der restlichen Mieten (bis zum Ende des Kündigungsverzichtes) zuzüglich Mehrwertsteuer zu entrichten. Die Restmieten, die sofort fällig sind, werden von dem auf die Entfernung der Anlage folgenden Vierteljahresersten berechnet. Die Fernschreibanlage wurde vom Beklagten am 14. Mai 1981 in Betrieb genommen. Der Beklagte kündigte wegen Auflassung seines Unternehmens den Vertrag mit der klagenden Partei per 31. Dezember 1981 schriftlich auf. Das Gerät wurde auch in dieser Zeit von der klagenden Partei abgeholt. Mit Rechnung vom 10. März 1982 verlangte die klagende Partei unter Berufung auf Punkt 3 a der allgemeinen Überlassungsbedingungen den Betrag von S 104.713,20 abzüglich einer Gutschrift von S 202,05.

Die klagende Partei begehrt mit der am 17. Dezember 1982 eingebrachten Klage (nach Einschränkung) den Betrag von S 113.691,22 samt Anhang als Vertragsstrafe nach Punkt 3 a der allgemeinen Überlassungsbedingungen.

Die Zustellung der Klage und die Ladung zur ersten Tagsatzung an den Beklagten unter der Anschrift Wolfurt, Lauteracherstraße 33, konnte nicht erfolgen, da der Beklagte nach Auskunft des Zustellers verzogen war. Davon wurde der Klagevertreter am 8. März 1983 mit ZP-Form 51 verständigt. Nach Versuchen der klagenden Partei zur Ausforschung einer ladungsfähigen Anschrift des Beklagten - dieser sei in Saudi Arabien berufstätig und halte sich nur fallweise in Vorarlberg auf - beantragte die klagende Partei am 14. Dezember 1984 erneut die Zustellung der Klage unter der Anschrift Wolfurt, Lauteracherstraße 33. Auch dieser Zustellversuch schlug fehl, weil der Beklagte ins Ausland verzogen sei. Davon wurde die klagende Partei mit ZP-Form 51 am 9. Jänner 1985 verständigt. Am 5. März 1985 beantragte die klagende Partei die Bestellung eines Abwesenheitskurators für den Beklagten und die Zustellung der Klage an diesen.

Der Beklagte wendete unter anderem ein, Punkt 3 a der allgemeinen Überlassungsbedingungen sei sittenwidrig, weil für eine derart kurze Vertragsdauer eine zu hohe Vertragsstrafe von immerhin fünf Jahresmieten festgesetzt werde. Infolge nicht gehöriger Fortsetzung sei der Klagsanspruch auch verjährt.

Das Erstgericht gab dem Begehren mit S 104.511,15 samt Anhang statt, das Mehrbegehren von S 9.180,07 wies es ab. Eine Sittenwidrigkeit der Vertragsklausel verneinte es, Verjährung sei nicht eingetreten. Die klagende Partei habe wenn auch fruchtlose Versuche zur Ausforschung des Beklagten unternommen. Das Zuwarten der klagenden Partei bis 5. März 1985 sei daher gerechtfertigt, daraus könne nicht auf mangelndes Interesse der klagenden Partei an der Erreichung ihres Prozeßzieles geschlossen werden. Es gehe allerdings nicht an, kapitalisierte Verzugszinsen in die Klagsforderung aufzunehmen.

Beide Teile erhoben Berufung. Der Beklagte strebte zwar die vollständige Abweisung des Klagebegehrens an, führte aber aus, daß es ihm nicht gelungen sei, Beweise gegen das (ursprüngliche) Bestehen der Klagsforderung zu erbringen, sodaß die damit verbundenen Tat- und Rechtsfragen dahingestellt bleiben mögen; er hielt im folgenden nur mehr die Einwendung der Verjährung aufrecht. Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Streitteile Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück. Es sprach aus, daß das Verfahren erst nach Rechtskraft des Beschlusses fortzusetzen sei. Die Verjährung habe am 1. Jänner 1982 zu laufen begonnen und sei durch die Klagseinbringung vorerst unterbrochen worden. Ob eine gehörige Fortsetzung gegeben sei, ob also ein längeres Zuwarten mit der Verfolgung des Anspruches noch hingenommen werden könne oder eine ungewöhnliche Untätigkeit vorliege, sei nach den Umständen des Falles zu beurteilen. Die klagende Partei habe noch vor Ablauf der Verjährungsfrist die neuerliche Klagszustellung beantragt. Da es der klagenden Partei freigestanden wäre, die Klage überhaupt erst zu diesem Zeitpunkt einzubringen, könne dahingestellt bleiben, ob die Zeit für die Ausforschung der ladungsfähigen Anschrift objektiv hätte kürzer gehalten werden können. Es könne daher nicht angenommen werden, daß die klagende Partei an der Anspruchsverfolgung kein Interesse gehabt habe. Die Frist, die in weiterer Folge vom Erhalt des Fehlberichtes (9. Jänner 1985) bis zum Antrag auf Bestellung eines Abwesenheitskurators (5. März 1985) verstrichen sei, müsse als angemessen bezeichnet werden. Die allseitige Prüfung der rechtlichen Beurteilung führe aber zum Ergebnis, daß die Frage der Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs. 3 ABGB noch nicht abschließend beurteilt werden könne. Durch die Inhaltskontrolle der allgemeinen Geschäftsbedingungen werde dem Umstand Rechnung getragen, daß in Vertragsformblättern oft objektive Unbilligkeit und verdünnte Willensfreiheit des Benachteiligten zusammenträfen. Dies treffe den Kaufmann in aller Regel nicht weniger als den Konsumenten. Die in der Entscheidung SZ 56/62 entwickelten Grundsätze seien im wesentlichen daher auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Soweit die Restmieten abzüglich der Abzinsung und des zumutbaren Wiederverwertungserlöses der vereinbarten Vertragsstrafe entsprächen oder nur unwesentlich hievon abwichen, sei die Vereinbarung unbedenklich. Wegen eines darüber hinausgehenden Betrages wäre die Vereinbarung der Vertragsstrafe aber gemäß § 879 Abs. 3 ABGB nichtig. In welcher Form der Gläubiger eine ihm zustehende Verzinsung geltend mache, ob er also den Zinsenbetrag selbst ausrechne oder dies dem Schuldner überlasse, könne für die Berechnung des Anspruches nicht entscheidend sein. Wesentlich sei nur, ob die kapitalisierten Zinsen korrekt berechnet seien; da aber noch nicht feststehe, ob und in welchem Umfang der Kapitalsbetrag berechtigt sei, könne auch nicht über die kapitalisierten Zinsen abschließend entschieden werden. Da eine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage, ob die in der Entscheidung SZ 56/62 entwickelten Grundsätze mit Rücksicht auf § 348 HGB auch auf Kaufleute anzuwenden seien, soweit ersichtlich nicht veröffentlicht sei, sei gemäß § 519 Abs. 2 ZPO ein Rechtskraftvorbehalt beizusetzen. Diesen Beschluß bekämpft der Beklagte mit Rekurs.

Rechtliche Beurteilung

Aufhebungsbeschlüsse ohne Rechtskraftvorbehalt sind auch nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983 unanfechtbar geblieben. Sie können selbst mit einem außerordentlichen Rekurs nicht angefochten werden (1 Ob 658,659/86 ua; JAB 1337 BlgNR 15.GP 23; Petrasch in ÖJZ 1983, 203 und 1985, 302; Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1822, 1824). Setzte aber das Berufungsgericht einen Rechtskraftvorbehalt bei, bedeutet dies, daß es damit einen Rekurs gegen seinen Beschluß zuließ bzw. bewilligte (Fasching aaO Rz 1822; Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 332). Durch die Beisetzung des Rechtskraftvorbehaltes wird der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes grundsätzlich anfechtbar. Im Rekurs gegen den Beschluß können dann auch eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO betreffende Rekursgründe geltend gemacht werden, die vom Berufungsgericht nicht als erheblich angesehene Rechtsfragen betreffen. Der Oberste Gerichtshof hat, wie auch in jedem anderen Fall, gleichgültig, ob es sich um die vom Berufungsgericht angeführte, die vom Rekurswerber herangezogene oder vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufgegriffene Rechtsfrage handelt, gemäß § 526 Abs. 2 ZPO selbständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO vorliegen. Der vom Beklagten erhobene Rekurs ist daher nicht schon deshalb unzulässig, weil er nicht die zu seinen Gunsten gelöste, vom Berufungsgericht allein als erheblich beurteilte Rechtsfrage, sondern bloß die Lösung der Verjährungsfrage bekämpft. Der Rekurs ist aus anderen Gründen als den vom Rekurswerber herangezogenen zulässig und, wenn auch nicht in seinem Sinn, berechtigt.

Zu Unrecht vertritt der Beklagte weiterhin den Standpunkt, der von der klagenden Partei geltend gemachte Anspruch wäre wegen nicht gehöriger Fortsetzung der Klage verjährt. Die Unterbrechungswirkung tritt mit der Gerichtshängigkeit d.i. dem Einlangen der Klage in der Einlaufstelle des Gerichtes ein (SZ 45/110; JBl. 1956, 367; Schubert in Rummel, ABGB, Rdz 6 zu § 1497). Auch bei Unzustellbarkeit der Klage bleibt die Unterbrechungswirkung der Gerichtshängigkeit gewahrt, wenn nur der die Fortsetzung des Verfahrens bewirkende Antrag innerhalb der ursprünglichen Verjährungszeit gestellt wird (ZBl. 1933/221; GlU 14.211; Klang 2 VI 657). Den Antrag auf neuerliche Zustellung der Klage stellte die klagende Partei innerhalb der Verjährungszeit am 14. Dezember 1984. Daß dieser Antrag von vornherein zwecklos gewesen wäre, kann aufgrund der Aktenlage nicht gesagt werden. Der Beklagte war zwar im Ausland berufstätig, hielt sich aber nach dem Fehlbericht der Post auch noch 1985 zeitweise in Österreich auf. Vom neuerlichen Zustellanstand wurde die klagende Partei am 9. Jänner 1985 verständigt. Ihr nach rund sieben Wochen gestellter Antrag, für den Beklagten einen Kurator zu bestellen, reicht für eine gehörige Fortsetzung des Verfahrens nach § 1497 ABGB aus. So wurde für den Fall nach Ablauf der Verjährungsfrist vereinbarten Ruhen des Verfahrens wegen Führung von Vergleichsgesprächen ausgesprochen, daß ein Zuwarten von ein oder zwei Monaten nach Scheitern der Gespräche nicht zu beanstanden sei (5 Ob 559/82, 4 Ob 335/80). Stellte die klagende Partei nach der ihr nach Ablauf der Verjährungszeit zugekommenen Mitteilung des neuerlichen Zustellanstandes innerhalb von zwei Monaten geeignete, auf Weiterführung des Verfahrens gerichtete Anträge, war die Klage noch gehörig fortgesetzt.

Eine im Sinne des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage stellt aber die Beurteilung dar, ob auf eine Nichtigkeit im Sinn des § 879 Abs. 1 oder 3 ABGB auch von Amts wegen Bedacht genommen werden kann. Der Beklagte berief sich zwar in erster Instanz auf die Sittenwidrigkeit des Punktes 3 a der allgemeinen Überlassungsbedingungen, weil auch für eine nur kurze Vertragsdauer fünf Jahresmieten als Vertragsstrafe vereinbart worden seien. Nachdem das Erstgericht das Vorliegen einer Sittenwidrigkeit ausdrücklich verneint hatte, erklärte der Beklagte in seiner Berufung, daß mit Ausnahme der Verjährung alle anderen gegen den Grund des Anspruches gerichteten Tat- oder Rechtsfragen dahingestellt bleiben mögen; er hielt demnach die Anfechtung des Punktes 3 a der allgemeinen Überlassungsbedingungen wegen Sittenwidrigkeit nicht mehr aufrecht. Ganz abgesehen davon, daß das Berufungsgericht an diese Anfechtungsbeschränkung schon aus formellen Gründen gebunden gewesen wäre (vgl. EvBl. 1985/154), liegt in der Erledigung durch das Berufungsgericht auch eine unrichtige Lösung einer erheblichen Frage des materiellen Rechtes:

Sittenwidrigkeit des Vertrages kann sowohl nach § 879 Abs. 1 ABGB als auch nach § 879 Abs. 3 ABGB nur dann vom Gericht beachtet und geprüft werden, wenn sie geltend gemacht wurde. Dem verletzten Vertragspartner steht es frei, ungeachtet Vorliegens einer Sittenwidrigkeit das Geschäft als gültig zu behandeln (JBl. 1986, 373; MietSlg. 37.708; EFSlg. 41.021/3; MietSlg. 34.122; SZ 52/146; SZ 51/84; SZ 46/69 uva; Krejci in Rummel, ABGB, Rdz 248, 249, 254 zu § 879; derselbe, Handbuch zum KSchG 174 ff). Behandelte der Beklagte demnach das Geschäft, wenn auch erst in der Berufung, selbst als gültig, durfte das Berufungsgericht mangels Vorliegens einer noch wirksamen Anfechtung die Frage der Sittenwidrigkeit nicht von Amts wegen aufgreifen.

Die Zulässigkeit der Geltendmachung von kapitalisierten Zinsen wird nicht bekämpft; die Rechtssache ist daher im Sinne einer gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens spruchreif (§ 519 Abs. 2 letzter Satz ZPO).

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf § 41 bzw. §§ 41, 50 ZPO.

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