OGH 5Ob527/86

OGH5Ob527/8624.2.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofe Hon.Prof.Dr. Griehsler, Dr. Jensik, Dr. Zehetner und Dr. Klinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Paula O***, Private, Zanderstraße 4/65, 6900 Bregenz, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch, Dr. Hans-Peter Benischke und Dr. Klaus Kollmann, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Hildegard O***, Pensionistin, Baumschulgasse 5, 8010 Graz, vertreten durch Dr. Peter Primus, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 102.852,-- s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 21. Oktober 1985, GZ. 1 R 336/85-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 18. Juli 1985, GZ. 31 C 11/85-15, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

In Abänderung des angefochtenen Urteils wird die Entscheidung des Gerichtes erster Instanz wiederhergestellt.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen die mit S 19.193,65 (einschließlich S 10.000,-- Barauslagen und S 835,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die im Jahre 1942 geschlossene Ehe der Klägerin mit dem in der Zwischenzeit verstorbenen Mag. Ferdinand O*** wurde am 4.7.1966 aus dem alleinigen Verschulden des Mannes gemäß § 49 EheG geschieden. Mit dem aus Anlaß der Ehescheidung geschlossenen gerichtlichen Vergleich verpflichtete sich der Mann, der nunmehrigen Klägerin ab 1.8.1966 monatlich im vorhinein einen Unterhaltsbetrag von S 2.500,-- zu zahlen, ihr vom 13. und 14. Monatsgehalt je S 2.000,-- in aliquoten Teilbeträgen (also viermal S 1.000,-- jährlich) zu leisten und diese Unterhaltsleistungen in gleichem Maße zu erhöhen als seine Gehaltsbezüge steigen; im Falle seiner Pensionierung sollten sich die Unterhaltszahlungen des Mannes im gleichen Verhältnis, in welchem die Ruhebezüge einschließlich der Invalidenrente zu den damaligen Aktivbezügen einschließlich der Invalidenrente stehen, vermindern, und der Eintritt allfälliger anderweitiger Versorgungspflichten des Mannes sollte ebensowenig wie die Annahme einer Nebenbeschäftigung der Klägerin die festgelegten Unterhaltsansprüche der Klägerin berühren. Der geschiedene Ehemann der Klägerin ist am 21.3.1984 verstorben, sein Nachlaß wurde der Beklagten, mit welcher er zuletzt verheiratet war, am 10.12.1984 eingeantwortet.

Mag. Ferdinand O*** hatte im Juli 1966 einen Nettobezug von S 6.017,10; im März 1966 hatte er einschließlich der aliquoten Sonderzahlung S 10.057,20 bezogen. Vom Landesinvalidenamt für die Steiermark erhielt er im Juni 1966 eine Beschädigtengrundrente von S 1.000,--. Seine Pension belief sich im Feber 1984 auf netto S 23.470,70 und im März 1984 auf S 42.410,30; in diesen beiden Monaten erhielt er nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz einschließlich der Alterszulage je S 4.550,--. Mag. O*** leistete an die Klägerin im Jänner 1984 S 6.226,50, im Feber 1984 S 6.111,50 und für diese beiden Monate eine Nachzahlung von S 810,-- sowie für März 1984 S 7.755,-- und S 1.900,--.

Die Klägerin war vom 1.9.1970 bis 31.12.1979 mit 20 Wochenstunden Arbeitszeit beim Konsum Österreich in Bregenz teilzeitbeschäftigt und ging aus Krankheitsgründen am 1.1.1980 in Pension. Ihr Pensionseinkommen betrug im Jahre 1984 S 2.839,60 netto vierzehnmal.

Die Absicht des Unterhaltspflichtigen, sich seiner Leistungspflicht zu entziehen, konnte nicht bewiesen werden. Mit der am 4.2.1985 überreichten Klage begehrte die klagende Frau, die Beklagte als Erbin des unterhaltsverpflichtet gewesenen geschiedenen Ehemannes zur Zahlung rückständiger Unterhaltsbeträge in Höhe von S 102.852,-- samt Zinsen zu verurteilen; sie behauptete, es handle sich dabei um Rückstände aus den letzten drei Jahren vor Klageeinbringung.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein:

Die Rückstände, die mehr als ein Jahr zurückliegen, seien gemäß § 72 EheG verjährt. Der Verstorbene sei überhaupt nicht zur Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen, weil die Klägerin über die vergleichsweise geduldete Nebenbeschäftigung hinaus einer Hauptbeschäftigung nachgegangen sei. Die allenfalls zuviel geleisteten Unterhaltsbeträge wurden aufrechnungsweise der Klageforderung entgegengehalten.

Das Erstgericht entschied, daß die Klageforderung mit S 8.675,21 zu Recht und die einredeweise geltend gemachte Gegenforderung nicht zu Recht bestehe, die Beklagte deshalb schuldig sei, der Klägerin S 8.675,21 samt 4 % Zinsen seit 4.2.1985 (Klagetag) zu zahlen, das Klagemehrbegehren von S 94.176,79 jedoch abgewiesen werde; es verpflichtete die Klägerin, der Beklagten S 14.344,10 an Prozeßkosten zu ersetzen.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Erstgericht im wesentlichen an:

Nach dem Inhalt des Unterhaltsvergleiches habe die Klägerin Anspruch auf jeweils den Unterhalt gehabt, der sich aus der Relation zwischen dem Einkommen des Unterhaltsverpflichteten im Juli 1966 (insgesamt S 7.017,10) zum vereinbarten Unterhaltsbetrag (S 2.500,--) mit 35,63 % errechne; für die Monate, in denen aliquote Sonderzahlungen anfielen, ergebe sich bei einem damaligen Gesamteinkommen von S 11.057,20 und einem erhöhten Unterhalt von S 3.500,-- ein Prozentsatz von 31,65. Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse errechne sich für die allein in Betracht kommenden Monate Feber und März 1984 nach Abzug der tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen ein Rückstand von S 8.675,21. Einem Zuspruch von weiteren Beträgen für die Zeit von Feber 1982 bis einschließlich Jänner 1984 stehe § 72 EheG entgegen, auf den sich die Beklagte berufen habe, zumal der Unterhaltsverpflichtete sich nicht absichtlich seiner Leistungspflicht entzogen habe. Das Einkommen der Klägerin aus ihrer seinerzeitigen Teilzeitbeschäftigung und nunmehrigen Rente sei nach dem Inhalt des Unterhaltsvergleiches unbeachtlich, so daß die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe. Der Ausspruch über die Zahlungspflicht der Beklagten und die Verneinung des Bestandes der einredeweise geltend gemachten Gegenforderung blieben unbekämpft.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihres Klagemehrbegehrens teilweise Folge, erkannte die Klageforderung mit S 100.002,71 als zu Recht bestehend und verurteilte die Beklagte zur Zahlung dieses Betrages samt 4 % Zinsen seit 4.2.1985 und zum Ersatz der Prozeßkosten von S 21.165,40; das Mehrbegehren von S 2.849,29 samt Zinsen wies es ab. Zur Begründung seines Urteiles führte es im wesentlichen an:

§ 72 EheG, nach welchem der Unterhaltsberechtigte für die Vergangenheit Erfüllung oder Schadenersatz wegen Nichterfüllung für eine länger als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegende Zeit nur fordern könne, soweit anzunehmen ist, daß der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat, sei hier unanwendbar, weil diese Vorschrift sich nur auf den gesetzlichen, nicht aber auf den vertraglich vereinbarten Unterhalt beziehe. Eine Gesamtbetrachtung des Unterhaltsvergleiches führe aber hier zu dem Ergebnis, daß ein echter Unterhaltsvertrag und nicht bloß die Niederschrift des gesetzlichen Unterhalts vorliege. Maßgeblich für diese Beurteilung sei der Umstand, daß der Verpflichtete selbst seine Unterhaltsleistungen an seine jeweiligen Bezüge als Mittelschullehrer und ohne Rücksicht auf allenfalls hinzutretende Sorgepflichten oder Nebenbeschäftigungen der Unterhaltsberechtigten anzupassen habe; dies gehe weit über einen reinen gesetzlichen Unterhalt hinaus, zumindest liege aber eine Art Wertsicherung der Unterhaltsleistung vor, die unbestreitbar vertraglichen Charakter habe.

Vertragliche Unterhaltsansprüche verjährten aber gemäß § 1480 ABGB erst nach drei Jahren, so daß die Beklagte auch für diesen Zeitraum Unterhalt zu leisten habe, also für die Zeit von Feber 1982 bis einschließlich Jänner 1984 den sich ergebenden Mehrbetrag über den zuerkannten Betrag von S 8.675,21 hinaus; insgesamt ergebe sich dabei eine berechtigte Nachzahlungsforderung der Klägerin von S 100.002,71 (die Errechnung dieses Betrages ist vom Berufungsgericht aufgrund ergänzender Tatsachenfeststellungen vorgenommen worden, die dem Berufungsurteil zu entnehmen sind). Die Haftung der Beklagten für diese Beträge als Alleinerbin nach dem verstorbenen Unterhaltsverpflichteten stehe außer Frage. Die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil es die aufgeworfenen Fragen (Auslegung des Vergleiches und Anwendung des § 72 EheG), soweit sie nicht zum Bemessungskomplex gehörten, insbesondere wegen der als äußerst spärlich erachteten Judikatur zu § 72 EheG als erheblich erachtete.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Es ist richtig, daß es keine Äußerungen des Obersten Gerichtshofes zu der Rechtsfrage gibt, ob § 72 EheG ausschließlich für gesetzliche Unterhaltsansprüche oder auch für echte oder unechte vertraglich begründete Unterhaltsansprüche anzuwenden ist. Es hat sich auch die Rechtslehre mit dieser Frage für den österreichischen Rechtsbereich nicht befaßt. Aus diesem Grunde ist die Zulässigkeit der Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zu bejahen.

In der deutschen Literatur zu § 72 EheG 1938 (Volkmar/Antoni, Großdeutsches Eherecht, 1939, 277) und zur unmittelbaren Nachfolgebestimmung § 64 EheG (Godin, Ehegesetz 2 , 1950, 314; Gerold, Ehegesetz, 1950, 275; Hoffmann/Stephan, Ehegesetz 2 , 1968, 727, Rz 4, Dölle, Familienrecht I, 1964, 612 f) wird fast einhellig die Ansicht geäußert, daß die zeitliche Beschränkung der Forderung von Unterhalt für die Vergangenheit nach den erwähnten gesetzlichen Vorschriften für gesetzliche und unechte, also lediglich durch Vertrag festgelegte gesetzliche Unterhaltsansprüche gilt, nicht aber für echte vertragliche Ansprüche. Der Oberste Gerichtshof teilt diese Ansicht, die hier insoweit zum Tragen kommt, als sich der gerichtliche Unterhaltsvergleich, den die Klägerin mit ihrem in der Zwischenzeit verstorbenen damaligen Ehemann aus Anlaß der Ehescheidung geschlossen hat, bei Anwendung der gebotenen großzügigen Betrachtungsweise (vgl. dazu Schwind, Familienrecht, 127) in Wahrheit doch nur als unechter, die Identität des gesetzlichen Unterhaltsanspruches im wesentlichen wahrender Unterhaltsvertrag darstellt, der schon vorweg die geänderten Einkommensverhältnisse des gemäß § 66 EheG unterhaltsverpflichteten Mannes sowohl in Beziehung auf eine Vergrößerung als auch eine Verminderung seiner Beitragsleistung im Rahmen des allgemein üblichen Richtsatzes (ca. 1/3 des Einkommens) in bestimmbarer Weise festgelegt und auf diese Weise zukünftige Anträge auf Erhöhung als auch auf Herabsetzung des Unterhaltsbetrages vermeiden sollte. Die typisch außergesetzlichen Zusatzvereinbarungen, daß allfällige zukünftige anderweitige Versorgungspflichten des Mannes einerseits und etwaige zukünftige Nebenerwerbseinkünfte der Frau andererseits keine Berücksichtigung finden sollten, haben das gesetzliche Schuldverhältnis in seiner Ausgestaltung nur in unwesentlichen Punkten verändert (§ 1379 ABGB) und deshalb seine Identität im wesentlichen nicht beeinträchtigt.

Auf Grund dieser Rechtslage hat das Erstgericht im Ergebnis mit Recht § 72 EheG zur Anwendung gebracht und der Klägerin rückständigen Unterhalt nur für die Monate Feber und März 1984 in Höhe von S 8.675,21 zuerkannt, das Mehrbegehren aber abgewiesen. Diese Entscheidung ist in Abänderung des Urteiles des Berufungsgerichtes wiederherzustellen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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