Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben
Der angefochtene Beschluß und der Beschluß erster Instanz werden aufgehoben. Die Verlassenschaftssache wird zwecks Ergänzung des Verfahrens zur Feststellung der Erbhofeigenschaft der in die Verlassenschaft gefallenen landwirtschaftlichen Besitzung sowie zur neuerlichen Entscheidung hierüber an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.
Text
Begründung
Die Erblasserin ist am 5. Dezember 1983 im 85.Lebensjahr als Witwe gestorben. Sie wurde von ihrer damals 52 Jahre alten Tochter und ihrem damals 49 Jahre alten Sohn überlebt. Die Erblasserin hatte mit ihrem Testament vom 4. Dezember 1981 ihren Sohn zum Alleinerben eingesetzt und ihre Tochter mit dem Wunsch auf den Pflichtteil beschränkt, daß sie auch diesen nicht verlangen möge. Der Sohn gab aufgrund des Testamentes eine bedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß ab. Die Tochter ist sieben Wochen nach der Erblasserin gestorben. Die Abhandlung des Nachlasses nach der nachverstorbenen Tochter der Erblasserin ist anhängig. Die Verlassenschaft nach der nachverstorbenen Tochter hat gegen den erbserklärten Sohn der Erblasserin bereits eine Pflichtteilsklage angebracht. In den Nachlaß fällt eine niederösterreichische Liegenschaft mit einem um einen Vierkanthof gelegenen land- und forstwirtschaftlich genutzten Gutsbestand. Dieser besteht aus rund 1/2 ha Wald, rund 8 2/3 ha Äcker und Wiesen, ca. 1.000 m 2 Baufläche und rund 5.000 m 2 Garten. Die Niederösterreichische Landes-Landwirtschaftskammer gab auf Anfrage des Gerichtskommissärs zunächst die nicht weiter ausgeführte Stellungnahme ab, daß der landwirtschaftliche Betrieb aufgrund seiner Größe und Ertragsfähigkeit in der Lage sei, einen Durchschnittsertrag abzuwerfen, der zur angemessenen Erhaltung einer bäuerlichen Familie von fünf erwachsenen Personen ausreiche. In ausdrücklicher Übernahme dieser Beurteilung und der sich daraus ergebenden Folgerung, daß die in die Verlassenschaft gefallene landwirtschaftliche Besitzung einen Erbhof im Sinne des § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG darstelle, ordnete das Abhandlungsgericht die Fortführung der Abhandlungspflege durch Erhebungen zu der nach § 11 AnerbenG vorgesehenen Bestimmung des Übernahmspreises an. Nach Aufhebung dieses Beschlusses holte das Abhandlungsgericht in Befolgung eines rekursgerichtlichen Ergänzungsauftrages eine ausführlich begründete Stellungnahme der Landwirtschaftskammer ein.
Unter Zugrundelegung dieser ergänzenden Stellungnahme der Landwirtschaftskammer sprach das Abhandlungsgericht aus, daß die in den Nachlaß gefallene Landwirtschaft ein Erbhof im Sinne des § 1 AnerbenG sei (Punkt 1), ordnete die Einholung eines Gutachtens zweier bäuerlicher Sachverständiger über die Angemessenheit des Übernahmspreises an (Punkt 2) und wies die Verlassenschaft nach der pflichtteilsberechtigten Tochter mit ihrem Antrag, die Liegenschaft entweder mit rund 4 1/4 Mio. S zu bewerten oder eine neuerliche Schätzung des Verkehrswertes anzuordnen, auf das eingeleitete Verfahren zur Bestimmung des Übernahmspreises hin (Punkt 3). Das Abhandlungsgericht legte seiner Entscheidung zugrunde, daß die Liegenschaft der Erblasserin in einer nach der klimatischen Lage und den Absatzmöglichkeiten in einer für landwirtschaftliche Sonderkulturen besonders geeigneten Region liegt.
Betriebswirtschaftlich böte sich daher eine Nutzungsform an, in der nur etwa die Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen zum Anbau von Körnermais und Mahlweizen, der Rest aber für Obstbaum-, Himbeer- und Erdbeer- sowie Gemüsekulturen herangezogen werden. Unter diesen Voraussetzungen könne ein durchschnittliches Jahresnettoeinkommen von rund S 160.000,-- erwartet werden. Ein solcher Ertrag übersteige die im § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG umschriebene Ertragsuntergrenze (für eine Überschreitung der dort vorgesehenen Obergrenze bestehen keine Anhaltspunkte). Das Abhandlungsgericht nahm danach in objektiver Beurteilung die Ertragsfähigkeit des landwirtschaftlichen Betriebes in einem die Untergrenze nach § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG übersteigenden Ausmaß und damit die Erbhofeigenschaft des Betriebes als gegeben an. Das Rekursgericht erachtete dagegen die im Sinne der Kammeräußerung als zweckmäßig zugrunde gelegte Betriebsform mit 13 Sonderkulturen nicht als ortsüblich; sie könnte deshalb auch nicht von einem durchschnittlichen Landwirt erwartet werden und sei deshalb einer Berechnung des nach § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG maßgebenden Durchschnittsertrages auch nicht zugrundezulegen. Unter der Annahme der einem durchschnittlichen Landwirt zumutbaren Betriebsform - als welche das Rekursgericht 2 ha Apfelkulturen, 1 ha Zwetschkenkultur und ca. 5,5 ha gleichteiligen Anbau von Körnermais und Mahlweizen unterstellte - ergäbe sich nur ein Jahresnettoertrag von rund S 92.000,--. Mit einem auf den Monat umgelegten Ertrag von rund S 7.660,-- sei aber für die Erhaltung einer bäuerlichen Familie von fünf erwachsenen Personen nicht das Auslangen zu finden. Dies wäre selbst bei einem vom Erstgericht zugrunde gelegten erzielbaren Jahresnettoeinkommen von rund S 160.000,-- fraglich. Das Rekursgericht verneinte daher das Vorliegen der Voraussetzung nach § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG und damit die Anwendbarkeit der anerbenrechtlichen Erbteilungsvorschriften. Der erbserklärte Sohn der Erblasserin ficht die Rekursentscheidung mit einem auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
Die im Alleineigentum der Erblasserin gestandene Liegenschaft war Grundlage eines behausten landwirtschaftlichen Betriebes in Niederösterreich. Unter der Voraussetzung der Erbhofeigenschaft dieser landwirtschaftlichen Besitzung käme gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AnerbenG die Regelung nach § 17 AnerbenG zur Anwendung. Die Bestimmung der Ansprüche eines Pflichtteilsberechtigten gehört zur anerbenrechtlichen Erbteilung, die nach § 10 Abs 1 AnerbenG in das Abhandlungsverfahren gewiesen ist. Das Abhandlungsgericht hatte daher das Vorliegen des Erbhofmerkmales nach § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG zu klären und bei der hierüber zutage getretenen Meinungsverschiedenheit zwischen dem testamentarisch berufenen Alleinerben und der Pflichtteilsberechtigten beschlußmäßig abzusprechen. Bei der Beurteilung des einen Erbhof nach § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG kennzeichnenden Durchschnittertrages darf nicht übersehen werden, daß infolge tiefgreifender technischer, betriebswirtschaftlicher und sozialer Veränderungen während der seit der Schaffung des Anerbengesetzes vergangenen drei Jahrzehnte der erwähnte Wert für die Umschreibung der einer anerbenrechtlichen Sonderbehandlung zu unterwerfenden Betriebsgrößen die vom Gesetzgeber angestrebte Kennzeichnungskraft in signifikanter Weise eingebüßt hat, sodaß bei strikter Anwendung der unteren Wertgrenze eine Vielzahl landwirtschaftlicher Betriebe, die nach den Verhältnissen zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes seinen Regelungen unterworfen gewesen wären, nun in einer vom Gesetzgeber offenkundig nicht gewollten Weise von der Anwendung des Gesetzes ausgeschlossen blieben. Die Bestrebungen zur notwendigen Anpassung des Gesetzes an die geänderten Verhältnisse führte bereits zur Ausarbeitung einer Regierungsvorlage zur Gesetzesnovellierung (vgl. Zemen in NZ 1985, 41 ff). Das ist bei der Gesetzesanwendung zu beachten. Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 1986, 6 Ob 12/86, zur Auslegung des § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG in der derzeitigen Lage bis zum Inkrafttreten einer entsprechenden Gesetzesänderung ausgeführt:
Die im § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG umschriebene Ertragsfähigkeit des landwirtschaftlichen Betriebes wurde vom Gesetzgeber zur Kennzeichnung der Betriebsgrößen gewählt, deren Erhaltung angestrebt und die zu diesem Zweck erbrechtlichen Sondervorschriften unterworfen werden sollten. Dabei konnte der Gesetzgeber nur die zur Zeit der Gesetzwerdung festzustellenden betriebswirtschaftlichen und sozialen Gegebenheit in der Landwirtschaft berücksichtigen. Infolge einer signifikanten Änderung dieser Voraussetzungen in den vergangenen drei Jahrzehnten trat eine erhebliche Verfälschung der Kennzeichnungskraft des gesetzlich umschriebenen Mindestertrages für das Vorliegen eines "mittleren Bauerngutes" ein. Wenn das Verhältnis des Aufwandes zur angemessenen Erhaltung einer fünfköpfigen Bauernfamilie zu dem bei anerkannten Bewirtschaftsmethoden erzielbaren Reinertrag (unter Beachtung der Ertragsminderung aber auch der Bedarfsminderung durch Selbstverbrauch) als bestimmendes Merkmal gewählt wurde, änderte sich die Auswahl der einer Sonderregelung unterworfenen landwirtschaftlichen Betriebe in einer der offenkundigen gesetzgeberischen Absicht zuwiderlaufenden Weise etwa dadurch, daß in einem bedeutenden Maß menschliche Arbeitskraft durch einen kostenintensiven Einsatz von Maschinen ersetzt wird, der volle Aufwand für die Betriebsmittel und die Amortisation der Maschinen als reinertragsmindernd angesetzt und dennoch vom Erfordernis der angemessenen Erhaltung einer fünfköpfigen Bauernfamilie ausgegangen wird. Die diesbezüglichen Bestrebungen zu einer Gesetzesnovellierung, die bereits bis zur Ausarbeitung einer Regierungsvorlage geführt haben, können die Annahme einer durch die einschneidenden Änderungen der Verhältnisse eingetretenen Gesetzeslücke nur bekräftigen. Da es der Gesetzgeber unterlassen hat, die seiner Sonderregelung unterworfenen mittleren landwirtschaftlichen Betriebe nach festen Größen des Flächenmaßes, des Einheitswertes, des Ertragswertes oder sonstiger meßbarer Bestimmungsmerkmale zu umschreiben, sondern mit Absicht ein von der Betriebsart, der örtlichen Lage und wohl auch von dem in den Zeitläufen wechselnden Lebensstandard abhängiges Bestimmungsmerkmal gewählt hat, sind zwar grundsätzlich die jeweiligen örtlichen und zeitlichen Verhältnisse als maßgebend zu erkennen, allerdings mit der Einschränkung, daß schwerwiegende Verzerrungen durch den Indikator infolge nicht bedachter Veränderungen auszuschalten sind. Dies darf zwar nicht in einer Art Versteinerung geschehen, muß aber in Grenzfällen doch zu einer Berücksichtigung der hypothetischen Ertragslage unter den Verhältnissen, die der Gesetzgeber als feststehend zugrunde legte, führen.
Diese Gedanken zur Gesetzesauslegung sind unter den besonderen Verhältnissen des vorliegenden Falles zu ergänzen:
Gebieten volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche und allgemein soziale Gegebenheiten strukturelle Umgestaltungen der überkommenen Betriebsformen, ist auch die Vornahme einer im Einzelfall objektiv durchführbaren Produktionsumstellung vorauszusetzen, um die Ertragsfähigkeit, die den schutzwürdigen bäuerlichen Mittelbetrieb bestimmen soll, zu ermitteln. Unter diesem besonderen Gesichtspunkt ist es angemessen, zur Ermittlung der objektiven Ertragsfähigkeit auch Nutzungsmöglichkeiten im Rahmen einer im betroffenen Gebiet bisher noch nicht allgemein geübten, aber nach anerkannten allgemeinen betriebswirtschaftlichen Erwägungen zweckmäßigen Bewirtschaftungsart zugrundezulegen. Das in der Kammerstellungnahme vom 30. September 1985, ON 26, entwickelte betriebswirtschaftliche Modell ist daher eine taugliche Grundlage für die Ertragsermittlung. Die dabei angesetzten Werte sind schon nach der Art ihrer Erhebung nur Durchschnittswerte. Die der Ermittlung des Durchschnittsertrages zugrunde gelegten Nutzungen sind keine hypothetischen Extremannahmen, sondern objektiv durchführbare Möglichkeiten. Die betragsmäßigen Ansätze sind unbedenklich und wurden als solche auch nicht in Zweifel gezogen. Was allerdings den im § 1 Abs 1 Z 2 AnerbenG zu veranschlagenden Bedarf der dort näher umschriebenen bäuerlichen Familie anlangt, der gemäß § 1 Abs 3 AnerbenG nicht nach allgemeinen Erfahrungswerten, sondern nach den spezifischen örtlichen Verhältnissen zu beurteilen ist, muß auf eine strikte betragsmäßige Festlegung verzichtet werden. Auch in Grenzfällen ist die von der bäuerlichen Bevölkerung der betreffenden Region allgemein getragene Auffassung über Stil und Standard der bäuerlichen Lebensführung ausschlaggebend. Bei der Erhebung dieses Faktors ist das Gericht im besonderen Maß auf die im § 19 AnerbenG vorgesehenen Auskunftsmittel angewiesen. Deren Aufgabe besteht nicht in der bloßen Mitteilung statistisch erfaßbarer Größen. Allerdings müssen die Aussagen der Kammer oder der bäuerlichen Sachverständigen auch in dieser Hinsicht für das Gericht und die Beteiligten nachvollziehbar begründet sein. Daran fehlt es in der ergänzenden Stellungnahme der Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer vom 30. September 1985 und demgemäß auch in der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung. Diese Mängel erfordern eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz.
In Stattgebung des Revisionsrekurses waren die angefochtene Rekursentscheidung und der erstinstanzliche Beschluß aufzuheben, die Verlassenschaftssache war zwecks Ergänzung des Verfahrens zur Feststellung der Erbhofeigenschaft des in die Verlassenschaft gefallenen landwirtschaftlichen Betriebes an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.
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