Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird stattgegeben. Die angefochtene Entscheidung und der Beschluß erster Instanz werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.
Text
Begründung
Die beiden pflegebefohlenen Mädchen stehen noch im vorschulpflichtigen Alter. Die Ehe ihrer Eltern wurde mit Gerichtsbeschluß vom 23. Oktober 1985 gemäß § 55 a EheG geschieden. In der darin getroffenen Vereinbarung verpflichtete sich der Vater, zum Unterhalt jedes der beiden Kinder ab 1. November 1985 einen monatlichen Betrag von S 1.610,-- zu zahlen.
Bereits am 23. Mai 1985 war der am 20. Mai 1985 beim Jugendamt niederschriftlich aufgenommene Antrag der Mutter bei Gericht eingelangt, das Jugendamt zum besonderen Sachwalter gemäß § 22 JWG zu bestellen und den Unterhalt der beiden Kinder festzusetzen. Das Pflegschaftsgericht bestellte das Bezirksjugendamt antragsgemäß zum Sachwalter.
Mit der am 19. Juni 1985 beim Pflegschaftsgericht eingelangten Eingabe bezifferte das Jugendamt das monatliche Unterhaltsbegehren jedes der beiden Kinder mit S 1.250,-- und begehrte den Zuspruch dieser Beträge für die Zeit "ab dem Antragstag (Schreiben vom 20. Mai 1985)".
Der Vater sprach sich gegen das Unterhaltsbegehren seiner beiden Töchter aus. Er erklärte am 18. Juli 1985 vor dem Pflegschaftsgericht zu Protokoll, die Kinder und ihre Mutter lebten noch mit ihm im gemeinsamen Haushalt, er käme dabei nicht nur für den gesamten Wohnungsaufwand auf, sondern auch für die Lebensmittelversorgung, indem er selbst die Lebensmittel einkaufe und für die gesamte Familie zur Verfügung stelle. Die Mutter der Kinder sei einkommenslos, wenn sie sich im gemeinsamen Haushalt aufhalte, bekomme sie von ihm ein Taschengeld. Es sei bereits vereinbart, daß er ab dem Zeitpunkt der Ehescheidung für jedes Kind einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 1.620,-- zahlen werde. Mit der am 28. August 1985 beim Pflegschaftsgericht eingelangten Eingabe weitete das Jugendamt das monatliche Unterhaltsbegehren der Kinder jeweils um S 100,-- auf S 1.350,-- aus. Das Pflegschaftsgericht lud den Vater zur Stellungnahme zum ausgedehnten Unterhaltsbegehren mit einer Aufforderung und einem Hinweis gemäß § 185 Abs. 3 AußStrG. Der Vater erstattete weder eine schriftliche Stellungnahme, noch erschien er zum festgesetzten Termin bei Gericht.
Das Pflegschaftsgericht verpflichtete den Vater, zum Unterhalt seiner beiden Kinder ab 20. Mai 1985 monatlich S 1.350,-- zu Handen des Jugendamtes zu zahlen. Es erwähnte dabei zwar die Stellungnahme des Vaters vom 18. Juli 1985, stützte sich jedoch im Hinblick auf das Unterbleiben einer Stellungnahme zum ausgedehnten Unterhaltsbegehren auf die Fiktion nach § 185 Abs. 3 AußStrG. Der Vater erklärte beim Erstgericht einen Rekurs gegen diesen Unterhaltsbemessungsbeschluß zu Protokoll. Dabei machte er geltend, daß seine Kinder bis zur Ehescheidung von ihm gelebt hätten. Das Rekursgericht führte - nach der Aufhebung seines Beschlusses auf Rekurszurückweisung mangels Rechtsschutzinteresses (OGH 10. Juli 1986, 6 Ob 613/86 = ON 39) - durch seinen beauftragten Richter Erhebungen durch, indem es die Mutter der pflegebefohlenen Kinder vernahm und Einsicht in die Verwaltungsakten über die der Mutter gewährten Fürsorgeleistungen nahm, ergänzte aufgrund dieser Erhebungen die Sachverhaltsgrundlagen der erstinstanzlichen Entscheidung und bestätigte diese.
Das Rekursgericht legte seiner Entscheidung zugrunde, der Vater habe entgegen seiner Behauptung zwischen dem Antragstag (als welcher der 20. Mai 1985 angenommen wurde) und dem Beginn der in der Vereinbarung der Eltern vom 23. Oktober 1985 vorgesehenen Unterhaltsregelung (ab 1. November 1985) seine Unterhaltspflichten gegenüber den beiden Töchtern verletzt. Dabei gebrauchte das Rekursgericht die Wendungen, das Erstgericht sei zu Recht von den ihm glaubhaft erscheinenden Angaben der Mutter ausgegangen, die es entsprechend gewürdigt habe; die Beweiswürdigung des Erstgerichtes, daß der Vater seine Unterhaltspflicht verletzt habe, werde vom Rekursgericht gebilligt. Das Rekursgericht legte seiner Unterhaltsbemessung ein monatliches Durchschnittseinkommen des unterhaltspflichtigen Vaters von S 11.213,-- zugrunde und erachtete danach die Leistungsfähigkeit des Vaters im Ausmaß des erhöhten Unterhaltsbegehrens für die Zeit ab 20. Mai 1985 gegeben und andererseits den am statistisch erhobenen Durchschnittsbedarf gemessenen Unterhaltsbedarf der Kinder mit ihren begehrten Unterhaltsbeträgen nicht voll gedeckt.
Der Vater ficht die bestätigende Rekursentscheidung mit einem auf Abweisung des Unterhaltsbegehrens zielenden Rechtsmittelantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an; als Anfechtungsgründe macht er offenbare Gesetzwidrigkeit und Aktenwidrigkeit geltend.
Der Aktenwidrigkeitsrüge sind die Ausführungen zu unterstellen, daß dem Erstgericht gar keine Aussage der Mutter vorgelegen sei, es eine solche auch keiner Würdigung unterzogen habe (und eine nicht erfolgte Beweiswürdigung des Erstgerichtes durch das Rekursgericht auch keiner Billigung zugänglich gewesen wäre).
Rechtliche Beurteilung
Diesen Rechtsmittelausführungen ist zuzugestehen, daß sich das Rekursgericht im Ausdruck vergriffen hat: Die beiden Kinder sind im Unterhaltsbemessungsverfahren vom Antragstag an durch das zum besonderen Sachwalter bestellte Bezirksjugendamt vertreten. Dieses schloß seinen namens der pflegebefohlenen Kinder gestellten Anträgen jeweils Niederschriften über informative Angaben der Mutter an das Jugendamt an. Zur Frage der vom Vater durch Naturalleistungen gedeckten Bedürfnisse hat das Gericht erster Instanz, da es sich auf die Fiktion nach dem § 185 Abs. 3 AußStrG berufen zu können glaubte, keinerlei Feststellungen getroffen. Der Oberste Gerichtshof legte in seiner Entscheidung über den Rekurs gegen den zweitinstanzlichen Zurückweisungsbeschluß (6 Ob 613/86 = ON 39) dar, daß die vom Erstgericht geübte Anwendung des § 185 Abs. 3 AußStrG nicht gerechtfertigt gewesen ist. Der für das Unterhaltsbegehren der beiden Kinder erhebliche Sachverhalt war demnach von Amts wegen zu erheben. Das Rekursgericht konnte zur Behebung der vorgelegenen Feststellungsmängel die Pflegschaftssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz rückverweisen oder die Verfahrenserhebungen selbst vornehmen. Es hat sich - offensichtlich zur Beschleunigung des Verfahrens - dafür entschieden, die Erhebungen durch ein Senatsmitglied als beauftragten Richter selbst durchzuführen.
Der Rechtsmittelwerber scheint seinen Ausführungen die nicht ausdrücklich ausgesprochene Ansicht zugrundezulegen, daß eine Sachverhaltsergänzung in erster Instanz zu erfolgen gehabt hätte und das Rekursgericht dadurch einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß begangen habe, daß es die ihm erforderlich erscheinenden Sachverhaltserhebungen selbst durchführte. Abgesehen davon, daß eine derartige Verfahrensrüge nicht ausgeführt wurde, wäre im Rahmen eines Rekurses gegen eine bestätigende Rekursentscheidung gemäß § 16 Abs. 1 AußStrG ein Verfahrensverstoß nur insofern beachtlich, als er Nichtigkeit begründete. Eine dem § 496 Abs. 3 ZPO entsprechende Vorgangsweise des Gerichtes zweiter Instanz im Rechtsmittelverfahren nach dem ersten Hauptstück des Außerstreitgesetzes begründet keine Nichtigkeit, solange das rechtliche Gehör aller Beteiligten gewahrt bleibt. Zur Wahrung des rechtlichen Gehörs im Außerstreitverfahren erachtet die Rechtsprechung im allgemeinen die Möglichkeit einer Stellungnahme im Rechtsmittel als hinreichend, diese Möglichkeit ist allerdings im Falle eines Neuerungsverbotes bei einer auf die Gründe des § 16 Abs. 1 AußStrG beschränkten Anfechtungsmöglichkeit nicht gegeben. Bei der Prüfung der Aktenwidrigkeitsrüge ist aber zunächst festzuhalten, daß der Rekurswerber dem Rekursgericht auch nicht andeutungsweise die Verletzung des rechtlichen Gehörs vorgeworfen hat. Die im Rechtsmittelschriftsatz entwickelten Ausführungen zur Aktenwidrigkeitsrüge vermögen deshalb keinen tauglichen Anfechtungsgrund darzustellen, weil nur eine für die Sachbeurteilung unerhebliche Ungenauigkeit im Ausdruck der rekursgerichtlichen Begründung anzunehmen ist: Es liegt eine eigene Würdigung der Aussage der Mutter durch das Rekursgericht vor, die Würdigung, daß der Rechtsmittelwerber seine Unterhaltspflicht verletzt hat, ist eine rechtliche Beurteilung des aufgrund der ergänzenden Erhebungen vom Rekursgericht selbst festgestellten Sachverhaltes. Dieser Sachverhalt ist aber in einem Maße unvollständig, daß ihm nur eine offenbar unrichtige rechtliche Beurteilung über die Beachtlichkeit der vom Vater dem Antrag der Kinder entgegengesetzten Stellungnahme zugrundegelegt werden kann:
Der Vater hat bereits in seiner in erster Instanz zu gerichtlichem Protokoll erklärten Stellungnahme, aber auch noch in seinem Rechtsmittel, geltend gemacht, sämtliche Unterhaltsbedürfnisse der Kinder bis zur Aufhebung der gemeinschaftlichen Haushaltsführung mit der Mutter der Kinder und diesen selbst durch eigene Leistungen abgedeckt zu haben. Sollte diese Behauptung, wenn auch nur teilweise, zutreffen, wäre dies bei der Unterhaltsfestsetzung für die bis zur Beschlußfassung bereits verstrichenen Zeiträume zu berücksichtigen gewesen. Die Folgerung des Rekursgerichtes, jede Verletzung der Unterhaltspflicht (in der Vergangenheit) reiche als Voraussetzung für die Schaffung eines Unterhaltstitels (für die Zukunft) hin, vernachlässigt für die (nach den Rekursausführungen des Vaters in erster Linie umstrittenen) Zeiträume zwischen 20. Mai und 31. Oktober 1985 den Grundsatz, daß Geldunterhalt nur insofern gebührt, als die Unterhaltsbedürfnisse nicht bereits durch Naturalleistungen befriedigt worden wären und der Unterhaltsanspruch dadurch (möglicherweise auch bloß zum Teil) durch Erfüllung untergegangen wäre. Wieweit etwa erbrachte Naturalleistungen zu veranschlagen seien, wäre eine Bemessungsfrage, daß sie aber zu berücksichtigen sind, ist eine Frage des Grundes der strittigen Unterhaltsverpflichtung.
Die völlige Außerachtlassung der Behauptungen des Rechtsmittelwerbers über seine Naturalleistungen (bis 23. Oktober 1985), das Unterbleiben jeder Feststellung hiezu und die Unterlassung jeder diesbezüglichen rechtlichen Würdigung ist objektiv nicht anders erklärbar als durch die rechtliche Wertung dieser Umstände als unerheblich. Eine derartige Wertung muß aber als offenbar gesetzwidrig erkannt werden.
Die Rechtsmittelausführungen bringen daher der Sache nach den Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit zu einer schlüssigen Ausführung. Daraus folgt zunächst in formaler Hinsicht eine wirksame Anfechtung, aus Anlaß der auch von Amts wegen der Umstand aufzugreifen ist, daß dem Rechtsmittelwerber die Möglichkeit entzogen wurde, zu den erstmals vom Rekursgericht durchgeführten Sachverhaltserhebungen Stellung zu nehmen. Das bedeutet im vorliegenden Fall, in dem alle für die Schuldtilgung in den vergangenen Zeiträumen erheblichen Umstände erstmals in der Rechtsmittelinstanz zu klären versucht wurden, dabei aber auf eine Vernehmung des Rechtsmittelwerbers verzichtet wurde, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Das Rekursverfahren war daher nicht nur formell mit Nichtigkeit behaftet, es ist auch inhaltlich ergänzungsbedürftig. Bei der neuerlichen Entscheidung werden nach der derzeitigen Aktenlage vor allem auch folgende Umstände zu beachten sein:
Gesetzlicher Vertreter der beiden Kinder in der Verfolgung ihrer Unterhaltsansprüche gegen den Vater ist ausschließlich das zum besonderen Sachwalter bestellte Bezirksjugendamt. Ohne dessen Zustimmung zu der Vereinbarung, die die Eltern am 23. Oktober 1985 im Scheidungsverfahren über die Unterhaltsleistungen des Vaters für die beiden Kinder getroffen haben, ist dieser Vergleich - ungeachtet der bereits beschlußmäßig ausgesprochenen pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung - unwirksam, allerdings noch sanierbar. Im Ersuchen um Übermittlung der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung des Vergleiches vom 23. Oktober 1985 (ON 25) liegt eine solche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters der Kinder zum Vergleich allerdings noch nicht. Sollte der Vergleich vor einer neuerlichen Entscheidung in Ansehung der Kinder (durch Zustimmung seitens des Jugendamtes) rechtswirksam werden, müßten seine Regelungen bei der Beurteilung des Rechtsschutzbedürfnisses der Kinder an der gerichtlichen Unterhaltsfestsetzung (für die Zeit ab 1. November 1985) veranschlagt werden.
Für die Zeit vor dem 1. November 1985 wäre aber zu beachten: Der mit 20. Mai 1985 datierte Antrag langte erst am 23. Mai 1985 beim Erstgericht ein, er enthielt kein betragsmäßig bestimmtes Begehren, ein solches wurde erstmals in dem am 19. Juni 1985 bei Gericht eingelangten Schriftsatz gestellt. Die Ausdehnung des monatlichen Unterhaltsbegehrens von S 1.250,-- auf S 1.350,-- je Kind erfolgte erst mit einem am 28. August 1985 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz. Ein Zuspruch, wie ihn das Rekursgericht mit der angefochtenen Entscheidung bestätigt hat, wäre nur unter der Voraussetzung denkbar, daß ein Unterhaltszuspruch für Zeiten vor der gerichtlichen Geltendmachung als zulässig angesehen würde. Dazu wären ausdrückliche Stellungnahmen erforderlich.
Die tatsächlich vom Vater zur Deckung von (Teil-) Bedürfnissen der Kinder erbrachten Leistungen sind zu erheben und festzustellen. Zur sicheren Wahrung des rechtlichen Gehörs und zur Ermöglichung einer Überprüfung der erstmaligen Sachentscheidung aufgrund einer hinreichenden Sachverhaltsgrundlage im Rechtsmittelverfahren erachtet der Oberste Gerichtshof eine Ergänzung des Verfahrens in erster Instanz als zweckmäßig.
In Stattgebung des Rekurses waren daher sowohl die angefochtene Rekursentscheidung als auch die Entscheidung erster Instanz aufzuheben und war die Pflegschaftssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung über die Unterhaltsanträge der beiden Kinder an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen.
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