OGH 7Ob52/86

OGH7Ob52/8615.1.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Hule, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Melanie G***, geboren am 11. Dezember 1980, vertreten durch ihre Mutter und Vormünderin Monika G***, Hausfrau, Wolfsegg, Hueb 8-9, Kohlgrube, diese vertreten durch Dr. Friedrich Fritsch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei W*** S*** W***

V***, Wien 1., Obere Donaustraße 49-53, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 21.000,-- s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 8. Juli 1986, GZ 1 R 115/86-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 23. Dezember 1985, GZ 11 C 1331/83-30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 8.165,92 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten S 920,-- Barauslagen und S 658,72 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Mitversicherte der von ihrer Mutter mit der beklagten Partei abgeschlossenen Krankenversicherung. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Spitalgeldversicherung (im folgenden AVB) zugrunde. Eine Spitalbehandlung im Sinne der AVB ist die medizinisch notwendige stationäre Heilbehandlung in sanitätsbehördlich genehmigten Krankenanstalten, sofern diese ständig ärztliche Anwesenheit vorsehen, über ausreichende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen, nach wissenschaftlich allgemein anerkannten Grundsätzen arbeiten, nicht auf die Anwendung bestimmter Behandlungsmethoden ausgerichtet sind, sowie Krankengeschichten führen (§ 19 Abs. 1). Keine Leistungspflicht besteht für Aufenthalte unter anderem in Anstalten für Lungen- und TBC-Kranke (§ 19 Abs. 2). In Anstalten, in denen neben Spitalbehandlungen auch Kurbehandlungen durchgeführt, Rekonvaleszente oder Pflegefälle aufgenommen werden, sowie in privaten Krankenanstalten außerhalb Österreichs, werden für eine Spitalbehandlung im Sinne des Abs. 1 Leistungen nur insoweit erbracht, als der Versicherer diese vor Beginn schriftlich zugesagt hat (§ 19 Abs. 3). Der Versicherer kann sich auf seine Leistungsfreiheit nach Abs. 2 und 3 nicht berufen, wenn die Dringlichkeit der Spitalbehandlung das Aufsuchen einer Krankenanstalt im Sinne des Abs. 1 bzw. die Einholung einer vor Beginn der Behandlung erfolgten schriftlichen Zusage nach Abs. 3 nicht zuläßt (§ 19 Abs. 4).

Die Klägerin befand sich vom 20. April bis 28. Juni 1982 im Landeskrankenhaus Gmundnerberg. Sie begehrt ein Taggeld von S 21.000 s. A.

Die beklagte Partei behauptet, daß die Mutter im Versicherungsantrag die Bronchitis der Klägerin nicht angegeben habe und erklärte den Rücktritt vom Vertrag. Sie beruft sich überdies auf Leistungsfreiheit nach § 19 Abs. 2 bis 4 der AVB.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen stellte die Mutter der Klägerin den Versicherungsantrag am 9. Juli 1981. Das Antragsformblatt enthält unter der Rubrik, in der nach den bestehenden bzw. bisher durchgemachten Krankheiten gefragt wird, in Ansehung der Klägerin keine Eintragung. Die Klägerin wurde vom 20. Oktober bis 21. November 1981 und vom 11. Februar bis 5. März 1982 im Krankenhaus Vöcklabruck stationär behandelt. Am 17. März 1982 wurde sie neuerlich aufgenommen. Es bestand eine Infektion der Luftwege. Die Behandlung erstreckte sich bis 20. April 1982. Nachdem zu diesem Zeitpunkt der anfangs April 1982 aufgetretene obstruktive Beiklang der Bronchitis wieder geschwunden war, entschloß sich der behandelnde Arzt, die Klägerin angesichts der Rezidivneigung der Luftwegeinfekte sowie im Hinblick auf die Unbeholfenheit der Mutter in das Landeskrankenhaus Gmundnerberg zu verlegen. Dort erhielt die Klägerin eine kombinierte heilklimatische Behandlung: Sie wurde der reinen Höhenluft ausgesetzt und erhielt Medikamente. Die Behandlung verfolgte auch das Ziel, einer drohenden Chronizität vorzubeugen. Am 28. Juni 1982 wurde die Klägerin in deutlich verbessertem Gesundheitszustand entlassen. Dem Landeskrankenhaus Gmundnerberg, wo früher ausschließlich Kindertuberkulose behandelt wurde, kommt mit Wirkung vom 7. Jänner 1981 der Status eines öffentlichen Krankenhauses zu. Es handelt sich um eine Sonderkrankenanstalt für Lungen- und Bronchialerkrankungen. Nach dem sanitätsbehördlichen Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung ist die Anstalt nach Maßgabe ihrer Einrichtungen zur Feststellung des Gesundheitszustandes durch Untersuchung, Vornahme kleinerer operativer Eingriffe, Vorbeugung, Besserung und Heilung von Krankheiten des gesamten pulmologischen Formenkreises mit dem Schwerpunkt der Behandlung von Kindern und Jugendlichen bestimmt. Es ist in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht einer Abteilung für Lungenheilkunde an einer allgemeinen Krankenanstalt gleichzuhalten.

Nach Auffassung des Erstgerichtes handle es sich bei dem Landeskrankenhaus Gmundnerberg um eine Anstalt für Lungenkranke im Sinne des § 19 Abs. 2 AVB. Eine Dringlichkeit nach § 19 Abs. 4 AVB habe nicht vorgelegen.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens ab und erklärte die Revision für zulässig. Das Berufungsgericht stellte nach teilweiser Beweiswiederholung ergänzend fest, daß das Landeskrankenhaus Gmundnerberg Rekonvaleszente nicht aufnimmt. Es führt keine Kurbehandlungen durch. In der im Landeskrankenhaus Gmundnerberg erstellten Krankengeschichte der Klägerin ist festgehalten, daß die Klägerin bereits als Säugling an Bronchitis bzw. an Infekten der oberen Luftwege litt. Es geht aber daraus nicht hervor, daß die Diagnose im Zeitpunkt der Stellung des Versicherungsantrages vorlag und der Mutter bekannt war. Erkrankungen dieser Art werden zunächst allgemein bagatellisiert. Das gilt sowohl für die Eltern als auch für die Ärzte. Eine gewisse Manifestation der Erkrankung der Klägerin ist im Zeitraum zwischen dem 17. März und 20. April 1982 aufgetreten.

Bei seiner rechtlichen Beurteilung ging das Berufungsgericht davon aus, daß zwischen Lungenkrankheiten im engeren Sinn und Lungenkrankheiten im weiteren Sinn zu unterscheiden sei. Zu letzteren zählten die Bronchialerkrankungen. Der Wortlaut des § 19 Abs. 2 AVB lasse offen, ob unter Lungenkranken Personen zu verstehen seien, die an einer Lungenkrankheit im engeren Sinn oder im weiteren Sinn litten. Diese Undeutlichkeit gehe zu Lasten der beklagten Partei. Demnach seien unter Anstalten für Lungen- und TBC-Kranke im Sinne des § 19 Abs. 2 AVB Anstalten zu verstehen, die Personen behandeln, welche an Tuberkulose oder an einer Lungenkrankheit im engeren Sinn litten. Bronchialerkrankungen seien keine Lungenerkrankungen im engeren Sinn. Da im Landeskrankenhaus Gmundnerberg auch Personen behandelt würden, die an einer Lungenerkrankung im weiteren Sinn litten, sei es keine Anstalt für Lungen- und TBC-Kranke nach § 19 Abs. 2 AVB. Auch die Ausschlußbestimmung des § 19 Abs. 3 AVB komme nach den ergänzenden Feststellungen nicht in Betracht. Die Frage der Dringlichkeit könne daher dahingestellt bleiben. Ein Vertragsrücktritt der beklagten Partei sei nicht gerechtfertigt. Die Beweislast für die den Rücktritt begründenden Umstände treffe den Versicherer. Dazu gehöre auch die Kenntnis des Versicherungsnehmers von anzeigepflichtigen Umständen. In der Anamnese des Landeskrankenhauses Gmundnerberg sei zwar festgehalten, daß die Klägerin als Säugling an Bronchitis bzw. an Infekten der oberen Luftwege gelitten habe. Die Anamnese datiere jedoch vom 20. April 1982, aus ihr ergebe sich aber nicht, daß der Mutter die Diagnose zum Zeitpunkt der Antragstellung bekannt gewesen sei. Mit Rücksicht auf die Bagatellisierung solcher Erkrankungen und deren Manifestation bei der Klägerin erst im Zeitraum März bis April 1983, hätte die Mutter von der Erkrankung im Zeitpunkt der Antragstellung auch keine Kenntnis haben müssen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision der beklagten Partei ist berechtigt.

Auf den Vertragsrücktritt nach § 16 VersVG kann sich die beklagte Partei nicht berufen. Die Beweislast für alle den Rücktritt begründenden Umstände, wozu auch die Kenntnis der Gefahrumstände gehört, trifft - wie bereits das Berufungsgericht zutreffend darlegte - den Versicherer (Prölss-Martin, VVG 23 155). Eine Kenntnis der Gefahrumstände durch die Mutter wurde von der beklagten Partei nicht einmal behauptet. Das Kennenmüssen genügt aber nicht (Prölss-Martin aaO 153; Bruck-Möller, VVG 8 323). Nicht gefolgt werden kann jedoch der Auslegung des Begriffes einer Anstalt für Lungen- und TBC-Kranke nach § 19 Abs. 2 AVB durch das Berufungsgericht. Richtig weist die Revision darauf hin, daß es nicht auf die Art der Erkrankung des Versicherungsnehmers, sondern auf die Art der Anstalt ankommt (VersR 1985, 74). Der § 19 Abs. 2 AVB schließt die Behandlung unter anderem in Sonderanstalten für Lungen- und TBC-Kranke aus. Nach § 2 Z 2 lit. a des Oberösterreichischen Krankenanstaltengesetzes sind Sonderkrankenanstalten unter anderem Krankenanstalten für die Untersuchung und Behandlung von Personen mit bestimmten Krankheiten (z.B. Anstalten für Lungenkrankheiten). Fest steht, daß das Landeskrankenhaus Gmundnerberg die Bezeichnung Sonderkrankenanstalt für Lungen- und Bronchialerkrankungen führt und zur Feststellung des Gesundheitszustandes ...... der Besserung und Heilung von Krankheiten des gesamten pulmologischen Formenkreises bestimmt ist. Für die hier zu beurteilende Frage kommt es aber weder auf die besondere Hervorhebung der Bronchialerkrankungen in der Bezeichnung der Krankenanstalt noch auf die Unterscheidung zwischen Lungenkrankheiten im weiteren und im engeren Sinn an. Bronchialkrankheiten sind kein besonderes Teilgebiet der Heilkunde und kein klinisches Sonderfach. Als Teilgebiet der Heilkunde bzw. als klinisches Sonderfach gilt lediglich das Fach der Lungenkrankheiten (vgl. § 6 der Ärzteausbildungsordnung BGBl. 1974/36 idF BGBl. 1983/328 und Anlage 8 zu § 7 Abs. 3 leg.cit.). Eine Sonderkrankenanstalt zur Behandlung von Krankheiten des gesamten pulmologischen Formenkreises ist daher eine Anstalt für Lungen- und TBC-Kranke im Sinne des § 19 Abs. 2 AVB. Nichts anderes ergibt sich bei einer Auslegung nach den Grundsätzen der §§ 914 f. ABGB, weil auch danach ein redlicher Erklärungsempfänger den Begriff einer Anstalt für Lungen- und TBC-Kranke nicht anders verstehen konnte, als einer Anstalt, in der nach medizinischer Fachgliederung Lungenkrankheiten, wozu auch die Bronchialerkrankungen gehören, festgestellt und behandelt werden. Die Frage, ob Versicherungsbedingungen wie Gesetze oder nach den Regeln für Rechtsgeschäfte auszulegen sind, braucht daher nicht erörtert zu werden.

Daß eine Dringlichkeit im Sinne des § 19 Abs. 4 AVB nicht vorlag, kann nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes nicht zweifelhaft sein. Daran würde sich aber auch nichts ändern, wenn auch feststünde, daß die Einweisung der Klägerin in das Landeskrankenhaus Gmundnerberg insofern dringlich war, als sie medizinisch indiziert war. Die medizinische Indikation beruhte nur darauf, einer Chronizität vorzubeugen. Die Einweisung in eine Sonderkrankenanstalt nach Abklingen der Akuterkrankung lediglich zu dem Zwecke, einer Chronizität vorzubeugen, stellt keine dringliche Spitalbehandlung im Sinne des § 19 Abs. 4 AVB dar.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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