OGH 2Ob63/86

OGH2Ob63/862.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann, als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kurt Z***, Arbeiter, Döllach 107, 9843 Großkirchheim, vertreten durch Dr.Erich Roppatsch, Rechtsanwalt in Spittal/Drau, wider die beklagte Partei Wilhelm P***, Tischler, Markt 29, 5661 Rauris, vertreten durch Dr.Franz Linsinger, Rechtsanwalt in St.Johann im Pongau, wegen S 302.649,59 s.A. und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 19.Juni 1986, GZ. 6 R 105/86-28, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 3.Februar 1986, GZ. 17 Cg 399/84-20 abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 16.Juli 1983 gegen 0.45 Uhr fuhr der damals 19 Jahre alte Kläger mit seinem Motorrad auf der Großglockner-Hochalpenstraße Richtung Heiligenblut mit einer Geschwindigkeit von etwa 100 km/h. Etwa 22 m vor der Ortstafel von Heiligenblut kam es zu einer Kollision mit Anton P***. Dieser war in der selben Richtung mit einem Blutalkoholgehalt von 1,67 Promille auf der zwischen den weißen Randlinien 5,60 m breiten Fahrbahn in einem Abstand von 1,30 m zum rechten Fahrbahnrand gegangen, und wurde bei dem Unfall getötet. Der Kläger wurde vom Strafgericht schuldig erkannt, durch unvorsichtiges Fahren, insbesondere durch mangelnde Beobachtung der Fahrbahn und verspätete Reaktion, fahrlässig den Tod des Anton P*** herbeigeführt und hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB begangen zu haben. Der Beklagte ist der Sohn des Anton P***, dessen Nachlaß ihm auf Grund einer unbedingten Erbserklärung eingeantwortet wurde.

Der Kläger, der bei dem Unfall schwere Verletzungen erlitt, begehrt auf der Basis einer Verschuldensteilung von 2:1 zu seinen Lasten einen Schadensersatzbetrag von S 302.649,59 s.A. sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten im Ausmaß von einem Drittel für künftige Schäden.

Der Beklagte wendete ein, die Geltendmachung der Schadenersatzansprüche widerspreche den guten Sitten, Anton P*** treffe kein Mitverschulden am Unfall, das begehrte Schmerzengeld (rechnungsmäßig S 750.000,--) sei überhöht. Außerdem wendete der Beklagte eine Gegenforderung von S 47.227,14 aufrechnungsweise ein. Das Erstgericht erkannte im Sinne des Feststellungsbegehrens und sprach weiters aus, daß die Klagsforderung mit S 107.327,56 und die Gegenforderung mit S 29.097,42 zur Recht bestehe und der Beklagte daher schuldig sei, dem Kläger den Betrag von S 78.230,14 samt Zinsen zu bezahlen. Das Leistungsmehrbegehren wurde abgewiesen. Das Gericht erster Instanz führte aus, den Fußgänger treffe ein Mitverschulden von einem Drittel, weil er auf der Freilandstraße nicht auf dem linken Bankett beziehungsweise Straßenrand, sondern ungefähr in der Mitte der rechten Fahrbahnhälfte gegangen sei. Die Geltendmachung des Schadens gegen den unbedingt erbserklärten Erben des Verunglückten sei nicht sittenwidrig, ein Schmerzengeld von (rechnungsmäßig) S 215.000,-- sei angemessen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht und jener des Klägers teilweise Folge und änderte den Ausspruch über das Leistungsbegehren dahin ab, daß die Klagsforderung mit S 135.660,87 zu Recht bestehe und der Beklagte daher unter Berücksichtigung der Gegenforderung S 106.663,45 samt Zinsen zu bezahlen habe. Das Gericht zweiter Instanz erachtete die Feststellung, Anton P*** sei in Fahrtrichtung des Klägers gegangen, als unbedenklich, vertrat aber die Ansicht, es sei gleichgültig, in welcher Richtung der Fußgänger gegangen sei, weil unbekämpft feststehe, daß er sich in einer Entfernung von 1,30 m zum rechten Fahrbahnrand befunden und daher gegen § 76 Abs 1 StVO verstoßen habe. Sein Fehlverhalten falle deshalb besonders ins Gewicht, weil er in der Nacht im Bereich der Fahrbahnmitte gegangen sei. Selbst wenn er gegen die Fahrtrichtung des Klägers, also auf der linken Fahrbahnhälfte, gegangen sein sollte, wäre sein Mitverschulden nicht geringer, weil er in diesem Fall den entgegenkommenden Motorradfahrer schon rechtzeitig hätte sehen und zum äußersten linken Fahrbahnrand hätte ausweichen müssen. Überdies sei Anton P*** alkoholisiert gewesen, sodaß das Erstgericht sein Mitverschulden zutreffend mit einem Drittel ausgemessen habe. Ein Schmerzengeld von insgesamt S 300.000,-- sei angemessen. Die Geltendmachung des Ersatzanspruches gegen den Erben sei nicht sittenwidrig, auch wenn die Forderung den Nachlaß bei weitem übersteige. Auf den Anspruch des Klägers habe es keinen Einfluß, wenn der Beklagte über die Wirkungen der unbedingten Erbserklärung nicht oder nicht ausreichend belehrt worden wäre. Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt Abänderung dahin, daß das Klagebegehren abgewiesen werde, hilfsweise, daß von einer Schadensteilung im Verhältnis von 1:5 ausgegangen werde. Der Kläger hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionswerber vertritt die Ansicht, es sei zwar möglich, daß ein Erbe über die Verlassenschaft hinaus mit eigenem Vermögen die Gläubiger des Erblassers zufriedenstellen müsse, die Sittenwidrigkeit liege im vorliegenden Fall aber darin, daß der Kläger unmittelbar an der Tötung des Vaters des Beklagten beteiligt gewesen und strafgerichtlich verurteilt worden sei. Anton P*** sei nur Bezieher einer kleinen Rente gewesen, gegen ihn hätte der Kläger daher Schadenersatzansprüche kaum durchsetzen können. Die Situation des Klägers sei durch den von ihm zumindest überwiegend verschuldeten Tod des Anton P*** günstiger geworden, weil die Vermögens- und Einkommenssituation des Beklagten besser sei und auch das Feststellungsbegehren gegen den Erben sinnvoller sei. Diese Ansicht kann nicht geteilt werden. Auch der Beklagte verkennt nicht, daß der Kläger gegen Anton P***, würde dieser noch leben, Schadenersatzansprüche geltend machen könnte. Da Anton P*** gestorben ist, standen dem Kläger Ansprüche gegen den Nachlaß zu, eine Besserstellung des Klägers ist dadurch nicht eingetreten. Eine mögliche Besserstellung ist erst dadurch entstanden, daß der Beklagte eine unbedingte Erbserklärung abgab. Die Rechtsfolgen einer solchen sind im Gesetz klar geregelt (§ 801 ABGB). Es ist nicht sittenwidrig, wenn der Kläger Ansprüche gegen den Erben, der eine unbedingte Erbserklärung abgegeben hat, geltend macht, auch wenn sie den Reinnachlaß übersteigen. Der Kläger macht nicht Ansprüche geltend, um den Beklagten zu schädigen (§ 1295 Abs 2 ABGB), sondern weil er bei dem Unfall schwer verletzt wurde und deshalb Ersatz anstrebt. Der Einwand der Sittenwidrigkeit ist daher nicht berechtigt.

Die Meinung des Beklagten, seinem Vater sei kein Verschulden am Unfall oder nur ein solches von einem Fünftel anzulasten, kann ebenfalls nicht geteilt werden. Anton P*** ging, obwohl jenseits der 10 cm breiten weißen Randlinien auf der einen Seite 70 cm und auf der anderen 40 cm bis zu einer Mauer beziehungsweise einer Leitschiene vorhanden gewesen wären, in einem Abstand von 1,30 m zur Randlinie auf der Fahrbahn, und zwar nach den Feststellungen auf der rechten Fahrbahnhälfte. Er war alkoholisiert und begab sich, obwohl er das von hinten kommende Motorrad zumindest hören mußte, nicht weiter nach rechts. Es trifft ihn daher der Vorwurf eines schwerwiegenden Verstosses gegen § 76 Abs 1 StVO. Dieses Verhalten kann nicht vernachlässigt werden. Auch wenn man berücksichtigt, daß der mit etwa 100 km/h fahrende Kläger den auf der Fahrbahn gehenden Fußgänger nicht rechtzeitig bemerkte - mag dies auf Unaufmerksamkeit oder darauf zurückzuführen sein, daß am Motorrad nur das Abblendlicht eingeschlatet war (eine Feststellung darüber konnte nicht getroffen werden) - so haben die Vorinstanzen den Verschuldensanteil des Anton P*** doch mit einem Drittel nicht zu hoch bewertet. Diese Verschuldensteilung entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in ähnlich gelagerten Fällen (z.B. ZVR 1980/275).

Auch die Revisionsausführungen zur Höhe des Schmerzengeldes sind nicht berechtigt. Der Kläger erlitt, abgesehen von Brüchen der 4. und 5. Mittelhandknochen der linken Hand sowie einer Hautablederung im Bereich des rechten Handgelenkes, ein schweres Schädelhirn-Trauma mit contusio cerebri, Mittelhirnsyndrom III, Ausbildung eines traumatisch apallischen Syndroms, rechtsfrontoparietalen Herd mit armbetonter Hämiparese links, Armplexusläsion rechts bei supraclavikulärer Läsionslokalisation und eine Schädelbasisfraktur links. Er hatte 7 Tage qualvolle, 24 Tage starke, 39 bis 40 Tage mittelstarke und 100 bis 110 Tage leichte Schmerzen zu ertragen. Der Kläger war bis 26.Juni 1984 arbeitsunfähig, die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt derzeit auf Grund bestehender neurologischer Ausfälle und Schwindelgefühle 10 %. Eine weitere Besserung ist zwar noch möglich, jedoch nicht unbedingt zu erwarten. Immerhin ist innerhalb der Jahre 1986 bis 1987 eine völlige Ausheilung möglich.

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Bemessung des Schmerzengeldes die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und ferner die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld 4 157). Auch auf seelische Schmerzen ist Bedacht zu nehmen. Im vorliegenden Fall kommt der Art der Verletzung besondere Bedeutung zu, der Kläger erlitt eine äußerst schwere Schädelverletzung mit Dauerfolgen. Dazu kommen die lange Zeit andauernden, teilweise starken und sogar qualvollen Schmerzen. Zu berücksichtigen sind ferner die übrigen Verletzungen sowie insbesondere die seelischen Schmerzen, die wegen der nahezu ein Jahr andauernden Arbeitsunfähigkeit und den zumindest derzeit noch bestehenden Dauerfolgen anzunehmen sind. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände kann in der Bemessung des Schmerzengeldes mit S 300.000,-- kein Rechtsirrtum erblickt werden. Der Umstand, daß der Kläger in der ersten Zeit nach dem Unfall bewußtlos beziehungsweise nicht bei vollem Bewußtsein war, zeigt, wie schwer die Verletzung war, kann aber - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - nicht dazu führen, das Schmerzengeld herabzusetzen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO.

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