OGH 6Ob673/86 (6Ob674/86)

OGH6Ob673/86 (6Ob674/86)27.11.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch, Dr.Schobel, Dr.Zehetner und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Dietgunde A***, Friseuse, Am Tabor 12/2/7, 1020 Wien, vertreten durch Dr.Michael Zsizsik und Dr.Heinrich Berger, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, wider die beklagte und widerklagende Partei Walter A***, Friseurmeister, Paulahofsiedlung 18, 8600 Bruck an der Mur, vertreten durch Dr.Helmut Fritz, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen Ehescheidung infolge von Rekursen beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 30.Juli 1986, GZ 2 R 99, 100/86-48, womit ausgesprochen wurde, daß die übereinstimmenden Erklärungen beider Parteien, die Klage und die Widerklage mit Zustimmung des Gegners zurückzunehmen, wirkungslos sei, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Beiden Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Über jeweils auf Eheverfehlungen gemäß § 49 EheG gestützte, zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbundene Klage und Widerklage schied das Erstgericht die Ehe der Streitteile aus deren beiderseitigem Verschulden, sprach jedoch aus, daß das Verschulden des Beklagten und Widerklägers (im folgenden kurz Widerkläger) überwiege.

Gegen dieses Urteil erhoben beide Parteien Berufung. Die Klägerin und Widerbeklagte (im folgenden kurz Klägerin) focht es insoweit an, als die Ehe nicht aus dem Alleinverschulden des Widerklägers geschieden wurde, wogegen der Widerkläger die Abänderung des Urteiles im Sinne der Scheidung aus gleichteiligem Verschulden anstrebt.

Die mündliche Berufungsverhandlung vom 7.Juli 1986 blieb unbesucht, sodaß Ruhen des Verfahrens eintrat. Mit einem am selben Tag beim Gericht zweiter Instanz eingelangten gemeinsamen Schriftsatz erklärten die Streitteile, die Klage bzw. die Widerklage wechselseitig mit Zustimmung des Gegners zurückzunehmen. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Zurücknahme der Klage bzw. Widerklage wirkungslos sei. Es führte aus, die Klage könne gemäß § 483 a ZPO nur insoweit, als sie Gegenstand des Berufungsverfahrens sei, auch nach Schluß der mündlichen Verhandlung bis zur Rechtskraft des Urteiles mit Zustimmung des Beklagten zurückgenommen werden. Der Widerkläger habe das Ersturteil nur in dessen Ausspruch, daß sein Verschulden überwiege, zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht. Unterlasse es der beklagte Ehegatte, den Ausspruch "eines" Verschuldens zu bekämpfen, so bleibe die Ehe nach Ablauf der Rechtsmittelfrist aus dem Verschulden dieses Ehegatten geschieden. Liege somit eine rechtskräftige Entscheidung über das Begehren der Klägerin - Scheidung aus dem Verschulden des Widerklägers - vor, so sei die Zurücknahme der Klage auch mit Zustimmung des Widerklägers ausgeschlossen. Die Klägerin bekämpfe den Ausspruch über ihr Verschulden zur Gänze. Dies habe - da sie jegliches Verschulden bestreite - zur Folge, daß diese Anfechtung auch den Scheidungsausspruch auf Grund der Widerklage miteinschließe. An sich hätte die Widerklage somit noch zurückgenommen werden können, weil der gesamte Klagsanspruch vom Berufungsverfahren umfaßt sei. Da aber mit dem Urteil über Klage und Widerklage entschieden worden sei und in Ehesachen die Zurücknahme der Klage nach Fällung des Urteiles über Klage und Widerklage nur dann zulässig sei, wenn noch beide Klagen wirksam zurückgenommen werden könnten, sei auch die Zurücknahme der Widerklage ausgeschlossen. Auch § 483 a ZPO habe am favor matrimonii nichts geändert, sodaß die Klagszurücknahme nach Schluß der Verhandlung erster Instanz nur mehr dann möglich sei, wenn hiedurch der Streit im Sinne der Aufrechterhaltung der Ehe beendet werde. Zu diesem Ergebnis führe auch die Überlegung, daß über Klage und Widerklage in Ehesachen ein einheitliches Urteil zu fällen, jedoch die Feststellung einer partiellen Wirkungslosigkeit des Urteiles kaum oder gar nicht möglich sei. Somit könne auch der Widerkläger seine Klage nicht mehr zurücknehmen.

Gegen diesen Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz richten sich die inhaltlich übereinstimmenden Rekurse beider Parteien mit dem Antrag, ihre Erklärungen, daß sie die Klagen wechselseitig mit Zustimmung des Gegners zurücknehmen, in Abänderung dieses Beschlusses zur Kenntnis zu nehmen.

Rechtliche Beurteilung

Vorerst gilt es die Frage der Anfechtbarkeit dieses Beschlusses zu prüfen. Gemäß den §§ 483 a Abs. 1, 483 Abs. 3 letzter Satz ZPO kann der Kläger in Ehesachen (§ 49 a Abs. 1 Z 4 JN) die Klage, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, auch nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung bis zur Rechtskraft des Urteiles mit Zustimmung des Beklagten zurücknehmen. Im Umfang der Zurücknahme der Klage wird das angefochtene Urteil wirkungslos. Dies hat das Berufungsgericht mit Beschluß festzustellen. Diese Bestimmung ist dem (gleichzeitig aufgehobenen) § 79 Abs. 1 1. DVzEheG nachgebildet. Anders als danach soll jedoch - weil die wirksame Klagszurücknahme ex lege die Unwirksamkeit des Ersturteiles im Umfang der darauf gerichteten Parteienerklärung zur Folge hat (Fasching, Zivilprozeßrecht Rdz 1250) - aus Gründen der Rechtssicherheit durch eine gerichtliche Entscheidung festgestellt werden, in welchem Umfang das Ersturteil außer Kraft tritt (RV, 669 BlgNR XV. GP, 57). Demnach hat das Berufungsgericht gegebenenfalls - wie es im vorliegenden Fall geschehen ist - auch festzustellen, daß das angefochtene Urteil durch die Klagszurücknahme nicht (bzw. daß diese) wirkungslos ist. Ob ein solcher Beschluß des Berufungsgerichtes anfechtbar ist, kann dieser Gesetzesstelle nicht entnommen werden. Da es sich bei den (deklarativen) Beschlüssen im Sinne des § 483 Abs. 3 letzter Satz ZPO unzweifelhaft um solche des Berufungsgerichtes handelt und dessen Beschlüsse grundsätzlich nur im Rahmen des § 519 ZPO angefochten werden können, diese Beschlüsse dort aber nicht genannt sind, stellt sich die Frage, ob der vorliegende Beschluß überhaupt der Anfechtung an den Obersten Gerichtshof unterliegt. Fasching (aaO) bejaht dies unter Hinweis auf die §§ 517 Z 1, 519 Abs. 1 Z 2 (analog) und 528 ZPO, weil er zwischen Beschlüssen, mit denen die Wirkungslosigkeit des Ersturteiles und solchen, mit welchen die Unwirksamkeit der Zurücknahmeerklärung festgestellt wird, nicht unterscheidet. In Wahrheit hat er jedoch nur die ersteren vor Augen, bezeichnet er sie doch - an anderer Stelle (Rz 1256) - als die Sache erledigende Entscheidungen. Das trifft aber nur auf jene Beschlüsse, mit welchen die Wirkungslosigkeit des angefochtenen Urteiles festgestellt wird, zu. Auch die Berufung Faschings auf § 517 Z 1 ZPO (Rz 1250 und 1256) deutet in diese Richtung, weil diese Bestimmung nur verfahrensbeendende Beschlüsse zum Gegenstand hat.

Ob berufungsgerichtliche Beschlüsse, mit denen die Unwirksamkeit von Klagszurücknahmeerklärungen ausgesprochen wird, trotz der Bestimmung des § 519 ZPO anfechtbar sein sollen, kann weder dem Gesetz noch den Materialien (RV, 669 BlgNR XV. GP, 57) entnommen werden. Letztere berufen sich - wie erwähnt - lediglich auf "Gründe der Rechtssicherheit", die die Beschlußfassung durch das Berufungsgericht geböten. Die Frage, ob diese - nicht näher ausgeführten - Gebote der Rechtssicherheit auch die Anfechtung solcher Beschlüsse ermöglichen sollten, bleibt dagegen auch in den Gesetzesmaterialien unbeantwortet. Auch die analoge Anwendung des § 519 Abs. 1 Z 2 ZPO, welche die Anfechtbarkeit von Beschlüssen, mit denen die Wirkungslosigkeit des angefochtenen Ersturteiles und damit gleichzeitig die Wirksamkeit der Klagszurücknahme festgestellt wird, bejahen läßt (vgl. JBl. 1962, 46 u.a.; Fasching aaO Rz 1250, 1256), weil diese Bestimmung gleichfalls verfahrensbeendende Entscheidungen zum Gegenstand hat, kann für die Bekämpfbarkeit der vorher genannten berufungsgerichtlichen Beschlüsse nicht ins Treffen geführt werden. Durch eine solche Entscheidung wird nämlich das Verfahren nicht beendet, sondern die Parteien könnten im fortgesetzten Verfahren im Rechtsmittel gegen die Sachentscheidung auch noch zu dieser Frage Gehör finden.

Aus dem Schweigen des Gesetzgebers (und der Gesetzesverfasser) muß erschlossen werden, daß er auf Fälle wie den vorliegenden - die zugegebenermaßen nur selten und auch dann wohl nur in Ehesachen auftreten werden - nicht gedacht hat (auch Fasching hat sie, wie erwähnt, bei der Erörterung der Klagszurücknahme im Berufungsverfahren nicht vor Augen). Dann aber ist eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit anzunehmen (Fasching aaO Rdz 127 f. u.a.), die in erster Linie durch Analogie geschlossen werden muß. Es käme auch gerade in Ehesachen einem Wertungswidersprcuh gleich, sollte zwar ein Beschluß, mit dem die Rechtswirksamkeit der Klagszurücknahme, nicht aber auch ein solcher, mit dem die Wirkungslosigkeit einer solchen Parteienerklärung ausgesprochen wird, anfechtbar sein und bliebe damit die Klärung der Frage, ob überhaupt über ein wirksames Klagebegehren verhandelt und entschieden wird, erst dem Verfahren über die Rechtsmittel (Berufung und allenfalls Revision) gegen die Entscheidung in der Sache selbst vorbehalten. Ist doch in Ehesachen die Aufrechterhaltung des Ehebandes von der Wirksamkeit der Klagszurücknahme abhängig und damit das Rechtsschutzinteresse beider Parteien an der Anfechtbarkeit eines die Wirkungslosigkeit der Zurücknahmeerklärung aussprechenden berufungsgerichtlichen Beschlusses auf den Weiterbestand der Ehe gerichtet. Schon deshalb ist auch die Anfechtbarkeit solcher Beschlüsse des Berufungsgerichtes zu bejahen. So hat auch der Gesetzgeber im § 521 a Abs. 1 Z 3 ZPO angesichts des besonderen Rechtsschutzbedürfnisses der Parteien die das Verfahren nicht beendende Entscheidung (Zurückweisung der Einrede) dem die Sache erledigenden Beschluß (Zurückweisung der Klage) bei gleichem Entscheidungsgegenstand gleichgestellt (RV, 669 BlgNR XV. GP, 59 f.), um die Symmetrie zur Klagszurückweisung zu wahren (Fasching aaO Rdz 1966). Daß auch Gründe der Verfahrensökonomie - würde nämlich die Klagszurücknahme im aufwandsparenden Rekursverfahren vom Obersten Gerichtshof für rechtswirksam erklärt, entfiele das sonst erforderliche aufwendige Rechtsmittelverfahren in bezug auf die Sachentscheidung - für eine solche Lösung sprechen, versteht sich von selbst.

Die Rekurse beider Parteien sind demnach zulässig. Sie sind aber nicht berechtigt.

Gemäß § 483 a Abs. 1 ZPO, dessen Regelungsinhalt ohne Änderung aus § 79 Abs. 2 1. DVzEheG übernommen wurde (AB, 78 BlgNR XVI. GP, 3), kann die Klage zwar auch noch nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung, aber nur bis zur Rechtskraft des Urteiles - im Berufungsverfahren daher nur, soweit sie Gegenstand desselben ist (§ 483 Abs. 3 ZPO) - mit Zustimmung des Beklagten zurückgenommen werden. Dennoch beharren die Streitteile auf ihrem Standpunkt, daß das erstgerichtliche Urteil auch nicht in Teilrechtskraft erwachsen sei, weil die Klägerin mit ihrer Berufung die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Widerklägers begehrt habe. Sie übersehen dabei jedoch, daß der Scheidungsausspruch nach Lehre und Rechtsprechung (Jud. 57 neu = SZ 25/331; Fasching Komm. IV 34 und Zivilprozeßrecht Rz 2365) in (Teil-)Rechtskraft erwachsen kann, ohne daß bereits über das Verschulden rechtskräftig entschieden ist. Bei einer Scheidung aus Verschulden ist allerdings die Annahme irgendeines Verschuldens des Beklagten rechtliche Voraussetzung für den Scheidungsausspruch. Das Rekursgericht hat somit, auch wenn es den Parteien freisteht, bloß den Verschuldensausspruch anzufechten, dennoch, falls es zu einer Verneinung jeglichen Verschuldens des Beklagten gelangt, das Scheidungsbegehren selbst dann abzuweisen, wenn der Rechtsmittelwerber den Scheidungsausspruch unbekämpft gelassen und insoweit keinen Rechtsmittelantrag gestellt hat. Damit könnte der Widerkläger, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, sein Scheidungsbegehren - handelte es sich dabei nicht um eine Widerklage - auch noch im Rechtsmittelverfahren wirksam zurücknehmen, weil die Klägerin (als Beklagte der Widerklage) den Ausspruch ihres Verschuldens zur Gänze angefochten hat und das Gericht zweiter Instanz bei Stattgebung ihres Rechtsmittels der Scheidungsbegehren des Widerklägers abzuweisen hätte. In Lehre und Rechtsprechung (Fasching, Komm. IV 35; 7 Ob 641/84) wurde jedoch der Standpunkt vertreten, im Falle von Klage und Widerklage sei nur das Verschulden eines der Streitteile rechtliche Voraussetzung für den Scheidungsausspruch, der somit nur dann keinen Bestand haben könne, wenn auch kein Verschulden einer der Parteien zumindest teilweise rechtskräftig festgestellt worden sei; der insoweit von der Rechtsprechung (Jud. 57 neu) anerkannte Grundsatz der Einheitlichkeit des Eheverfahrens äußere sich eben darin, daß eine Trennung der Entscheidung über die Auflösung der Ehe von jener über das Verschulden an dieser ebenso unzulässig sei, wie eine Trennung der Entscheidung über Klage und Widerklage (Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 2365). Demnach sei die Klagszurücknahme nach Fällung eines Urteiles über Klage und Widerklage im Sinne des § 483 a Abs. 1 ZPO nur zulässig, wenn sowohl die Klage als auch die Widerklage zurückgenommen würden (Fasching, Komm. III 148). Dies setzt aber voraus, daß noch beide Klagen zurückgenommen werden können. Dies träfe im vorliegenden deshalb nicht zu, weil der Ausspruch über das Begehren der Klägerin zufolge des eindeutigen Berufungsantrages des Widerklägers - Scheidung aus gleichteiligem Verschulden - insoweit in Rechtskraft erwachsen ist, als die Ehe aus einem Verschulden des Widerklägers geschieden wurde und somit nur mehr die Widerklage zurückgenommen werden könnte. Dem könnte allerdings entgegengehalten werden, daß das Berufungsgericht für den Fall, daß es jegliches Verschulden der Klägerin verneinte, das Widerklagebegehren abzuweisen hätte und dieses daher auch im Sinne der §§ 483 a Abs. 1, 483 Abs. 3 ZPO zurückgenommen werden können müsse.

Allein diese Frage muß jedoch im vorliegenden Fall nicht endgültig gelöst werden. Die Zurücknahmeerklärungen beider Parteien sind nämlich schon ihrem Wortlaut nach eindeutig als derart miteinander verknüpft anzusehen, daß jeder Teil die Zurücknahme seiner Klage nur für den Fall erklärt, daß auch die Erklärung des anderen Teiles wirksam ist. Kann also die Klägerin ihre Klage nicht mehr zurücknehmen, weil der Ausspruch über die Scheidung sowie über ein Verschulden des Widerklägers bereits in Rechtskraft erwachsen ist, so ist auch die - möglicherweise an sich wirksame - Zurücknahmeerklärung des Widerklägers als nicht wirksam anzusehen. Daraus folgt, daß das Berufungsgericht zu Recht die Wirkungslosigkeit beider Zurücknahmeerklärungen ausgesprochen hat, so daß den Rekursen beider Teile ein Erfolg zu versagen war.

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