OGH 7Ob700/86

OGH7Ob700/8626.11.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Gustav W***, Universitätsprofessor, Innsbruck, Kugelfangweg 17, vertreten durch Dr.Helmut Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Alois K***, Landwirt in Rietz, Dorf 17, vertreten durch Dr.Heinz Waldmüller und Dr.Peter Riedmann, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Räumung und Unterlassung (Streitwert 30.000 S), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 23.Mai 1986, GZ.3 a R 284/86-35, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Silz vom 6.Feber 1986, GZ. C 518/83 -29, als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.989,75 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin S 160,-- Barauslagen und S 257,25 USt.) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile sind Eigentümer zweier aneinander grenzender Liegenschaften in Rietz, die Gegenstand eines Zusammenlegungsverfahrens nach dem Tiroler Flurverfassungslandesgesetz sind. Nach dem § 72 Abs.4 dieses Gesetzes erstreckt sich die Zuständigkeit der Agrarbehörde von der Einleitung eines Zusammenlegungs- ...verfahrens, sofern sich aus dem (hier nicht relevanten) Abs.7 nichts anderes ergibt, auf die Verhandlung und Entscheidung über alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung... in das Verfahren einbezogen werden müssen. Nach dem Abs.5 derselben Gesetzesbestimmung erstreckt sich die Zuständigkeit der Agrarbehörde insbesondere auf Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken.

An der Grenze der beiden Grundstücke steht - auf beiden Grundstücken je zu Hälfte - ein gemeinschaftliches Tennengebäude. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Räumung des zu seiner Hälfte gehörenden Teiles des Mittelganges durch den Beklagten und Unterlassung der weiteren Benützung, weil dem Beklagten nach Widerruf einer prekaristisch gewährten Mitbenützung dieses Teiles das von ihm behauptete Recht auf Weiterverwendung nicht zustehe. Der Erstrichter gab dem Unterlassungsbegehren statt und wies das Räumungsbegehren ab. Er bejahte die Zulässigkeit des Rechtsweges mit dem Hinweis darauf, daß das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz mit einem Bescheid vom 22.2.1983 bereits seine Unzuständigkeit in dieser Sache ausgesprochen habe, der strittige Stadel durch die Zusammenlegung nicht betroffen werde und das Zusammenlegungsverfahren auch nicht die Aufgabe habe, die Benützung landwirtschaftlicher Wirtschaftsgebäude im Inneren zu regeln.

Das Berufungsgericht hob infolge Berufung des Beklagten das Ersturteil samt dem vorangegangenen Verfahren einschließlich der Klagszustellung als nichtig auf und wies die Klage zurück. Die Berufung des Klägers wurde auf diese Entscheidung verwiesen. Die zweite Instanz sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt, und erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig.

Das Berufungsgericht vertrat zur Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges die Ansicht, es liege eine Ausnahme vom Grundsatz des § 1 JN, wonach die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen im allgemeinen durch die ordentlichen Gerichte ausgeübt wird, vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes fielen nämlich Streitigkeiten über Eigentum und Besitz im Sinn des § 72 Abs.5 lit.a TFlG ohne jede Einschränkung (ob sie nach dem Abs.4 zum Zweck der Durchführung der Zusammenlegung in das Zusammenlegungsverfahren einbezogen werden müssen) in die Zuständigkeit der Agrarbehörden, soferne die betroffenen Grundstücke nur überhaupt in das Zusammenlegungsverfahren einbezogen sind. Im vorliegenden Fall mache der Kläger einen Eingriff in sein Eigentumsrecht an dem auf seiner Liegenschaft liegenden westlichen Stadelteil geltend. Da die Eigentumsfreiheitsklage (§ 523 ABGB) ein Anwendungsfall der Eigentumsklage sei, liege hier eine Streitigkeit über Eigentum und Besitz vor, sodaß die Verhandlung und Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch in die Zuständigkeit der Agrarbehörde falle.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Revisionswerber läßt die zutreffende Ansicht des Berufungsgerichtes unbekämpft, daß hier nach dem § 72 TFlG eine Ausnahme von der grundsätzlichen Zuständigkeit der Gerichte zur Entscheidung bürgerlicher Rechtssachen gemäß § 1 JN in Betracht kommt. Er meint aber, daß wie nach Abs.4 auch im Fall des Abs.5 lit.a die Notwendigkeit bestehen müsse, die strittigen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung...in das Verfahren einzubeziehen, und bestreitet das Vorliegen dieser Voraussetzung im gegebenen Fall.

Das Berufungsgericht hat jedoch mit Recht auf die übereinstimmende gegenteilige Judikatur sowohl des Verfassungsgerichtshofes als auch des Obersten Gerichtshofes hingewiesen. Der erstere hat in den Erkenntnissen VfSlg.3798 und 5747 = JBl.1969,495 eingehend begründet, daß es sich bei den auf dem § 34 Abs.4 FVGG 1951 beruhenden landesgesetzlichen Bestimmungen wie hier des § 72 Abs.5 TFlG 1978 um eine Sondervorschrift handelt, die nach dem Motivenbericht eine Erweiterung der Zuständigkeit über die Bestimmungen des vorherigen Absatzes hinaus beinhaltet, sodaß jeder Streit über Eigentum und Besitz vor die Agrarbehörden gehört, sofern die betroffenen Grundstücke nur überhaupt in das Zusammenlegungsverfahren einbezogen sind. Die Absicht des Gesetzgebers auf Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens müßte zunichte werden, wenn in jedem Fall strittiger Eigentums- und Besitzverhältnisse erst zu prüfen wäre, ob der entstandene Streit in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit der Zusammenlegung steht, weil die Zuständigkeit je nach dem Ergebnis der keineswegs immer leichten Unterscheidung verschieden wäre. Die Gerichte wären auch kaum in der Lage, verläßlich zu beurteilen, ob die Lösung eines bestimmten einzelnen Rechtsstreites eine Voraussetzung für die Durchführung der Zusammenlegung bildet und demnach der Agrarbehörde überlassen werden muß oder nicht. Daran hat der Verfassungsgerichtshof auch im Erk.Slg.7800 festgehalten. Denselben Standpunkt hat aber auch der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ 49/128 vertreten. Für ein Abgehen von dieser sonst gesicherten Rechtsansicht besteht kein Anlaß, zumal der Rekurswerber keine gegenteiligen Argumente vorbringen kann.

Im vorliegenden Fall bestreitet der Revisionswerber nicht, daß der Streit mindestens die Besitzverhältnisse an seinem in das Zusammenlegungsverfahren einbezogenen Grundstück betrifft. Schon nach den Klagsbehauptungen bestreitet der Beklagte eine bloß prekaristisch überlassene Benützung und behauptet ein Besitzrecht, das über die real geteilte Benützung des strittigen Mittelganges der Tenne hinausgeht. Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg.5747 gehört ein Besitzstörungsstreit über eine in das Zusammenlegungsverfahren einbezogene Liegenschaft vor die Agrarbehörden. Ebenso ist der Rechtsweg im vorliegenden Streit über das Besitzrecht ausgeschlossen.

Es erübrigt sich deshalb eine Prüfung der weiteren Frage, ob nicht auch ein Streit über das Eigentum, nämlich dessen Beschränkung durch das behauptete Eingriffsrecht vorliegt oder sogar im Sinn des § 72 Abs.4 TFlg die strittigen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse ohnehin auch zum Zwecke der Durchführung der Zusammenlegung in das Verfahren einbezogen werden müssen, wofür der Standpunkt der Agrarbehörde zweiter Instanz, nämlich des Landesagrarsenates beim Amt der Tiroler Landesregierung in seinem Erkenntnis vom 24.1.1985 (über einen Antrag des Beklagten auf Einräumung entsprechender Rechte am Mittelgang der Tenne) spricht. Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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