OGH 9Os145/86

OGH9Os145/8622.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.Oktober 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Kastner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Rudolf H*** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 2, 84 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22.April 1986, GZ 2 a Vr 3344/86-71, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Über die Berufung wird bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung entschieden werden.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Verfahrens über seine Nichtigkeitsbeschwerde zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Polizeibeamte Rudolf H*** (im zweiten Rechtsgang abermals) des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 2, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 10.Februar 1983 in Wien während seines Streifendienstes im Ekazent Simmering, sohin als Beamter unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotener Gelegenheit - der Wortlaut des in Wirklichkeit nicht angewendeten § 313 StGB wurde überflüssigerweise in den Spruch

aufgenommen - Manfred R*** durch einen Schlag mit der Hand in das Gesicht am Körper mißhandelt und dadurch fahrlässig eine Prellung des linken Augapfels mit einer Blutung in das Augeninnere und Läsion der Hornhaut, sohin eine an sich schwere Verletzung, zugefügt.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.

Den Verfahrensmangel (Z 4) erblickt er in der Abweisung (S 360) des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Antrages (S 359) auf neuerliche Ladung und Vernehmung des Zeugen Manfred R*** jun. "zum Beweis für die Verantwortung des Angeklagten" sowie des Zeugen Karl P***, "der im Sanitätsraum anwesend war, zum Beweis für die Unrichtigkeit der Angaben des Zeugen Alfred A*** über den Vorfall im Sanitätsraum". Die vom Angeklagten angestrebte Einvernahme des Zeugen Manfred R*** jun. durfte zunächst schon deshalb sanktionsfrei unterbleiben, weil dessen Aussage vor dem Untersuchungsrichter (ON 5) - nachdem der Privatbeteiligtenvertreter bekanntgegeben hatte, daß der zur Hauptverhandlung nicht erschienene Manfred R*** jun. "heute so verstört war" - gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO mit seinem (zumindest konkludenten) Einverständnis (vgl. Mayerhofer/Rieder StPO 2 ENr. 50, 53 zu § 252) verlesen worden war (S 344) und darnach keinerlei Umstände hervorgekommen sind bzw. vom Beschwerdeführer auch nur behauptet wurden, die die persönliche Vernehmung des genannten Zeugen im Interesse der Wahrheitsfindung erforderlich erscheinen ließen (vgl. SSt. 49/29, 36/31; Mayerhofer/Rieder aaO ENr. 94 zu § 281 Z 4).

Im übrigen hat das Erstgericht - wie der zum Teil in den Urteilsgründen nachgetragenen, insoweit zutreffenden Begründung des Zwischenerkenntnisses zu entnehmen ist (vgl. S 360 iVm 370, 371) - die neuerliche Vernehmung (mehr als drei Jahre nach der Tat) auch deshalb zu Recht abgelehnt, weil nach dem von ihm als unbedenklich übernommenen Gutachten des Sachverständigen Dr. F*** (S 239, 264, 265) nur die ersten Aussagen des an einer höhergradigen Cerebralschädigung leidenden debilen Manfred R*** jun., - der zwar keine pseudologischen Tendenzen zeigt, jedoch einer hohen Suggestibilität unterliegt, sodaß bei ihm eine immer stärker werdende Vermischung aus Erlebtem, Gefragtem oder Geschildertem eintritt, je länger die Fragestellung von dem tatsächlichen Ereignis entfernt ist - verwertbar sind, der Versuch einer Vernehmung des Genannten (in der Hauptverhandlung vom 10. Mai 1984) schon einmal gescheitert war (vgl. S 161) und der Angeklagte anläßlich der Antragstellung nichts vorbrachte, was auf eine Änderung des damals festgestellten und nunmehr neuerlich vom Privatbeteiligtenvertreter behaupteten Zustandes der Aussageunfähigkeit des genannten Zeugen schließen ließ. Die Vernehmung des Zeugen Karl P*** hinwieder lehnte das Schöffengericht im wesentlichen mit der Begründung ab (S 360, 375), daß P*** in der WC-Anlage, wo der erste Teil der Amtshandlung geführt und den Urteilsannahmen zufolge die die Verletzung bewirkende Schlagführung durch den Angeklagten erfolgte, nicht anwesend gewesen sei.

Die Rüge versagt auch in diesem Punkt. Abgesehen davon, daß das Erstgericht im wesentlichen gestützt auf die (ersten) Angaben des Manfred R*** jun. und die Aussagen des Zeugen Alfred A*** zum Ergebnis gelangte, daß die dem Angeklagten zur Last liegende (die verfahrensgegenständliche Verletzung bewirkende) Schlagführung in der WC-Anlage, also schon vor der erst später im sogenannten Sanitäts(Inspektions-)raum fortgesetzten Amtshandlung erfolgte, hat der Zeuge P*** bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung vom 10. Mai 1984 (vgl. S 168, 170) - diese Aussage wurde, wie auch der Beschwerdeschrift entnommen werden kann (vgl. S 384, 385), gleichfalls mit (konkludenter) Zustimmung des Angeklagten verlesen (S 362) - keinen Zweifel daran gelassen, daß er jedenfalls nicht während der gesamten Dauer des Aufenthaltes des Angeklagten und dessen Kollegen Benno B*** mit R*** und Alfred A*** im Sanitäts(Inspektions-)raum anwesend war, sondern erst dazukam, als sich die genannten (vier) Personen bereits dort aufhielten. Demzufolge wäre der Angeklagte jedenfalls verpflichtet gewesen, durch die Angabe konkreter Umstände darzutun, aus welchen Gründen nunmehr hievon abweichende Angaben des Zeugen P*** über die Dauer seiner Beobachtung der obgenannten (vier) Personen in dem bezeichneten Raum erwartet werden könnten (vgl. Mayerhofer/Rieder aaO ENr. 19, 71).

Durch die Ablehnung der Beweisanträge wurden daher Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt. Die Mängelrüge läßt zur Gänze eine prozeßordnungsgemäße Ausführung vermissen. Mit ihr zeigt der Beschwerdeführer nämlich keine Begründungsmängel in der Bedeutung der relevierten Gesetzesstelle (Z 5) auf; er wendet sich vielmehr unter dem Prätext einer unvollständigen bzw. offenbar unzureichenden und aktenwidrigen Begründung des Urteils in Wahrheit nur dagegen, daß das Erstgericht unter besonderer Berücksichtigung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. F*** den (ersten) Angaben des Tatopfers und der Aussage des Zeugen Alfred A*** höhere Beweiskraft zuerkannte als seiner (leugnenden) Verantwortung und der Aussage des als Zeugen vernommenen Polizeibeamten Benno B***. Dabei stellt die Argumentation des Beschwerdeführers, mit welcher er zum Teil unter Vernachlässigung maßgeblicher Urteilsprämissen samt der hiezu gegebenen Begründung darzutun versucht, es hätte auch die Möglichkeit einer anderen (für ihn günstigeren) Wertung der Beweisergebnisse bestanden, nicht auf den tatsächlichen (vollständigen) Inhalt der die Beweisergebnisse eingehend und denkfolgerichtig erörternden Urteilsbegründung ab (vgl. S 368 ff), wie dies für eine gesetzmäßige Beschwerdeausführung jedenfalls erforderlich wäre.

So hat sich das Erstgericht dem Beschwerdevorbringen zuwider mit dem Gutachten des (jugend-)psychiatrischen Sachverständigen Dr. F*** ohnedies ausführlich auseinandergesetzt (vgl. S 370 f) und auch gewisse Widersprüche in den dennoch für glaubwürdig erachteten Aussagen des Zeugen Alfred A*** keinesfalls unerörtert gelassen (vgl. S 372); es gelangte jedoch insoweit gemäß § 258 Abs 2 StPO zur Überzeugung, daß diese Widersprüche der Glaubwürdigkeit des (am 5.September 1969 geborenen) Zeugen keinen Abbruch tun, weil er während eines Zeitraumes von mehr als drei Jahren nach der Tat wiederholt befragt worden sei, "wobei viele dieser Fragen darauf abzielten, den Jugendlichen in Widersprüche zu verwickeln und zu verunsichern".

Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ins Treffen führt, der Zeuge A*** habe im zweiten Rechtsgang ausdrücklich davon gesprochen, daß R*** vom Schlag des Angeklagten "auf der Schulter, aber nicht im Gesicht getroffen" worden sei, so gibt er die Angaben des genannten Zeugen in der Hauptverhandlung vom 22. April 1986 selbst nicht aktengetreu wieder; bezieht sich doch der aus dem Zusammenhang gerissen zitierte Teil der Zeugenaussage (vgl. S 348 iVm 345-347) nicht auf die erste Phase der Amtshandlung in der WC-Anlage, sondern auf die daran anschließende im Sanitäts(Inspektions-)raum. Im übrigen ist das Gericht nach der in der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO zitierten Bestimmung des § 270 Abs 2 StPO nicht verhalten, im Urteil jeden einzelnen von einem Angeklagten oder Zeugen vorgebrachten Satz einer besonderen Erörterung zu unterziehen und sich mit jedem gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im voraus auseinanderzusetzen, sofern es nur - wie vorliegend geschehen - jene Erwägungen anführt, aus welchen die Tatrichter den Zeugen Glauben schenkten.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO), teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt (§§ 285 d Abs 1 Z 1, 285 a Z 2 StPO) schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Über die Berufung hingegen wird gesondert bei einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung abgesprochen werden (§ 296 Abs 3 StPO). Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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