OGH 3Ob564/86

OGH3Ob564/8615.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Hanns B***, Rechtsanwalt, 1150 Wien, Mariahilfer Straße 140, wider die beklagte Partei Dr. Wilhelm M***, Rechtsanwalt, 1060 Wien, Getreidemarkt 13, vertreten durch Dr. Johannes Blume, Rechtsanwalt in Wien, wegen 533.203,53 S s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18. Februar 1986, GZ 11 R 240/85-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 12. Juni 1985, GZ 19 Cg 5/85-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 15.955 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.450 S Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 31. Dezember 1980 schlossen die Streitteile einen als "Kaufvereinbarung" überschriebenen Kanzleiübernahmevertrag ab, der unter anderem folgende wesentliche Regelungen vorsah:

Gemäß Punkt I sollte der Beklagte am 1. Jänner 1981 in die vom Kläger betriebene Rechtsanwaltskanzlei eintreten und diese ab diesem Zeitpunkt in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß §§ 1175 ff. ABGB gemeinsam geführt werden.

Gemäß Punkt II sollten beide Vertragsteile in diese Gesellschaft ihre Arbeitskraft einbringen, der Kläger weiters den Gebrauch des gesamten Inventars, den Good-will und die laufenden Causen, der Beklagte seine Causen und den Gebrauch seines Inventars. Neuanschaffungen an Inventar und Büchern sollten zu Lasten des Beklagten gehen und in dessen Eigentum verbleiben. Reparaturen sollten Kanzleiunkosten darstellen und den "Jahresnettoertrag gemäß Punkt IV" vermindern.

Punkt III betraf die bisher allein dem Kläger zustehenden Mietrechte, wobei die Streitteile versuchen wollten, sie auf die "Personengesellschaft" übergehen zu lassen und der Kläger sich jedenfalls verpflichtete, dem Beklagten die Mietrechte letztwillig zu übertragen.

Gemäß Punkt IV sollte der Beklagte den Betrieb am 31. Dezember 1982 in sein Alleineigentum erwerben. Als Kaufpreis für die Kanzlei (ohne Einrichtung und Inventar) war der aus dem Durchschnitt der Jahre 1981 und 1982 zu ermittelnde Jahresnettoertrag der Causen des Klägers vorgesehen. Punkt V sah Regelungen für ein vorzeitiges Ausscheiden des Klägers vor.

Punkt VI beschrieb das vorhandene Inventar und sah vor, daß der Beklagte dieses am 31. Dezember 1982 zu bestimmten Bedingungen übernehmen könne.

Gemäß Punkt VII sollte der Beklagte für die Dauer der Kanzleigemeinschaft monatlich den gleichbleibenden Betrag von 25.000 S zuzüglich 8 % Umsatzsteuer zwölfmal jährlich sowie 50 % seiner eigenen Causen erhalten.

Gemäß Punkt VIII sollte der Beklagte die Kosten der Renovierung seines Arbeitszimmers und der baulichen Veränderungen desselben übernehmen. Der Kläger verpflichtete sich, alle Erklärungen abzugeben, die im Zusammenhang mit Verbesserungen der Kanzleiräumlichkeiten stehen (zB Legung des WCs, Zentralheizung usw.).

Gemäß Punkt IX verpflichtete sich der Beklagte zum Abschluß einer Unfallversicherung, welche zugunsten des Klägers zwecks Auszahlung der Versicherungssumme an denselben vinkuliert werde. Gemäß Punkt X sollten für Schadenersatzansprüche als Folge von Kunstfehlern die Kanzleigemeinschaft und nicht der einzelne Partner haften, der ihn verschuldet habe. Die derzeit aufrechte Haftpflichtversicherung sei beizubehalten und allenfalls der Höhe nach anzupassen.

Gemäß Punkt XI sollte der Beklagte die Angestellten des Klägers und deren Abfertigungs- bzw. allfällige andere Ansprüche aus dem Dienst- und Arbeitsverhältnis übernehmen, wobei die Haftung des Klägers den Angestellten gegenüber aufrecht bleibe. Der Kläger vertritt den Standpunkt, daß der Beklagte auf Grund dieses Vertrages für die Jahre 1981 und 1982 für die Hälfte der Kanzleiunkosten im der Höhe nach nicht strittigen Betrag von 533.203,53 S aufkommen müsse und begehrte diesen Betrag samt Anhang. In diesem Betrag sind die monatlichen Zahlungen des Klägers an den Beklagten (25.000 S) nicht enthalten. Es besteht auch kein Streit darüber, daß der Beklagte die Kosten für von ihm aufgenommenes neues Personal getragen hat, wobei der Kläger seine Bereitschaft erklärte, nach Vorlage einer Abrechnung die Hälfte dieser Kosten auf sich zu nehmen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im zweiten Rechtsgang ab. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Die beiden Vorinstanzen trafen über den nicht strittigen Inhalt des oben wiedergegebenen Vertrages hinaus folgende Tatsachenfeststellungen:

Der Wortlaut des Vertrages stammte im wesentlichen vom Beklagten. Über die Frage, wer die Kanzleiunkosten zu tragen habe, sprachen die Streitteile nicht. Der Beklagte ging davon aus, daß er keinen Beitrag zu den Kanzleiunkosten leisten müsse, da er sich laut Punkt XI des Vertrages zur Zahlung der Abfertigung der Kanzleiangestellten verpflichtet hatte. Unter den Kanzleiangestellten befand sich insbesondere die Kanzleileiterin Hermine W***, deren Pensionierung unmittelbar bevorstand. Ihre Abfertigung machte an die 300.000 S aus. - Der Kläger hielt hingegen eine Teilung der Kanzleiunkosten für selbstverständlich. In rechtlicher Hinsicht gingen die Vorinstanzen auf Grund des Gesamtinhaltes des Vertrages davon aus, daß der Kläger die strittigen Kanzleiunkosten allein tragen müsse, wobei sie vor allem auf die Sicherung eines Einkommens für den Beklagten in den ersten beiden Jahren Bedacht nahmen, sowie die kurze Zeit des vorgesehenen Gesellschaftsverhältnisses und die Übernahme gewisser Verpflichtungen durch den Beklagten (Neuanschaffungen, Abfertigung) berücksichtigten.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern. Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht begründet.

Der Kläger macht vor allem geltend, daß sich sein Standpunkt mangels einer getroffenen anderen Vereinbarung aus § 1184 ABGB ergebe. Wenn etwas anderes als Vertragsinhalt gemeint gewesen sein sollte, wäre es nicht verständlich, daß der Beklagte gewisse Kanzleiunkosten (Personalkosten) auf sich nahm. Der Beklagte habe in seiner Parteienaussage selbst angegeben, daß er der Meinung gewesen sei, er müsse "seine eigenen Kosten" selbst tragen. Zu diesen "seinen" Kosten gehöre aber auch ein Anteil an den gemeinsamen Kanzleikosten. Die Annahme, der Beklagte habe nicht an eine Heranziehung zur Tragung von gemeinsamen Kanzleikosten denken müssen, da sich diese durch seinen Eintritt nicht erhöhen würden, sei nicht einleuchtend. Der Zahlung der Abfertigung könne nicht zuviel Gewicht beigemessen werden, zumal in der Folge die Abfertigung tatsächlich vom Kläger bezahlt worden sei.

Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:

Zutreffend macht die Revision geltend, daß auf den zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrag die Regeln über die Gesellschaft bürgerlichen Recht nach §§ 1175 ff. ABGB anzuwenden sind. Einerseits haben dies die Parteien für die Zeit vom 1. Jänner 1981 bis 31. Dezember 1982 ausdrücklich vereinbart (Punkt I und IV der Vereinbarung Beilage B). Andererseits entspricht es auch herrschender Auffassung, daß der Zusammenschluß mehrerer Rechtsanwälte einer sogenannten Kanzleigemeinschaft eine solche Gesellschaft bürgerlichen Rechts darstellt (Wahle in Klang 2 V 498, Kastner, Grundriß 3 48, Cerha, Rechtsanwaltssozietäten 12, Strasser in Rummel, Rdz 26 zu § 1175 ABGB, Entscheidungen wie MietSlg. 8.602/42, EvBl 1981/78).

Dabei sind die verschiedenartigsten Gestaltungen möglich: Es kann eine völlige Gemeinschaft mehrerer Rechtsanwälte in der Weise bestehen, daß der Erfolg der Tätigkeit aller der Gesellschaft angehörenden Rechtsanwälte der Gesellschaft voll zufließen soll, daß alle gemeinsam arbeiten, daß alle gemeinsam alle Spesen tragen und daß alle am Gesamtgewinn oder allfälligen Gesamtverlust beteiligt sind. Es kann aber auch nur eine teilweise Gemeinschaft bestehen, daß also jeder Gesellschafter "eigene Fälle" hat, deren Erfolg nur ihm zufließen soll, während nur gewisse Einnahmen der Gemeinschaft angerechnet werden. Schließlich kann auch nur eine Wohnungs- oder Regiegemeinschaft bestehen, indem nur gewisse Kanzleikosten gemeinsam (oder nach einem gewissen Schlüssel) getragen werden (Lohsing, Österr. Anwaltsrecht 2 32, 33; Wahle in Klang 2 V 506; vgl. auch Eibofner NJW 1963/2009 besondes 2010, 2011 oder Soergel-Mühl 11 Rdz 42 vor § 705 BGB mit dem Terminus der sogenannten schlicht kooperativen Gesellschaft).

Andererseits ergibt sich durch den Hauptzweck solcher Kanzleigemeinschaften eine andere Unterscheidung:

Eine sogenannte "horizontale Sozietät" ist der Zusammenschluß mehrerer junger Rechtsanwälte, die gemeinsam ihren Beruf als Rechtsanwalt beginnen und sich durch den Zusammenschluß eine Erniedrigung der Regiekosten aber auch eine Erleichterung durch gegenseitige Vertretungsmöglichkeit erwarten (Vertragsmuster A bei Cerha aaO S 19 ff.). Eine sogenannte "vertikale Sozietät" liegt vor, wenn ein alter Rechtsanwalt in seine gut eingeführte Rechtsanwaltskanzlei einen jungen Rechtsanwalt aufnimmt, in welchem Fall einerseits die Starthilfe für den jungen Rechtsanwalt aber andererseits aber auch die Sicherung der Altersversorgung des alten Rechtsanwalts im Vordergrund steht (Vertragsmuster B und C bei Cerha aaO S 41 ff. und 77 ff.).

Der zwischen den Streitteilen konkret abgeschlossene Vertrag gehört sicher eher zu dieser letztgenannten Art von sogenannten "vertikalen Sozietäten". Für die Auslegung des Vertrages ist daraus abzuleiten, daß unter Umständen eine gewisse "Besserstellung" des Beklagten zwecks Erleichterung seines Startes als junger Rechtsanwalt in Betracht kommt, sodaß es also schon deshalb für die ohnedies nur für zwei Jahre vorgesehene Sozietät nicht sozusagen selbstverständlich, wie es der Kläger sieht, zutreffen muß, daß jeder Teil die halben Gesamtspesen zu tragen hat. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers läßt sich aber davon abgesehen auch sonst aus § 1184 ABGB nicht als Generalklausel ableiten, daß mangels einer besonderen Verabredung jeder Partner einer solchen Kanzleigemeinschaft für die Gesamtspesen dieser Kanzlei immer zu 50 % aufzukommen hat. Nach dieser Bestimmung hat wohl jedes Mitglied "einen gleichen Anteil" zum gemeinschaftlichen Stamm beizutragen. Damit ist aber nicht gesagt, daß jeder dasselbe einzubringen hat, sondern nur, daß der Wert der Beiträge gleich hoch sein soll (Wahle in Klang 2 V 591). Nach § 1175 ABGB kann jede "Sache" Beitrag sein, also alles, was nicht Müheleistung ist, sodaß z.B. der vom Kläger beigestellte Ruf der eingeführten Kanzlei ein Beitrag ist, genauso aber auch die vom Beklagten zu leistenden Investitionen für neu einzurichtende Arbeitsräume usw. (Wahle aaO 587). Nur dann, wenn es sich um eine echte und volle Gemeinschaft hinsichtlich aller in der Kanzleigemeinschaft bearbeiteten Causen handeln würde, wenn beide Partner in allen sonstigen Belangen gleiche Beiträge eingebracht hätten, dann könnte aus § 1184 ABGB abgeleitet werden, daß auch die anfallenden Gesamtspesen von beiden Partnern gemeinsam je zur Hälfte zu tragen sind.

Der Vertrag der Streitteile ist dadurch gekennzeichnet, daß eine strenge Trennung zwischen den Causen des Klägers und den Causen des Beklagten stattfindet. Erträge aus den Causen des Klägers sollten ausschließlich diesem zufließen, die Erträge aus den Causen des Beklagten sollten diesem zu 50 % zufließen, während die restlichen 50 % dem Kläger gebühren sollten. Zusätzlich sollte aber der Beklagte noch im Monat ein Fixum von 25.000 S plus 8 % Umsatzsteuer erhalten.

Bei einer so unterschiedlichen Beteiligung am Gewinn kann mangels einer ausdrücklichen Regelung im Vertrag nicht als Parteienabsicht unterstellt werden, daß die Gesamtspesen der Kanzleigemeinschaft von jedem Partner zur Hälfte getragen werden müssen, sondern es käme, wenn überhaupt, nur eine Aufteilung der Auslagen im Verhältnis der Beteiligung an den Einnahmen in Betracht (vgl. dazu auch § 1197 ABGB).

Der erkennende Senat vertritt jedoch die Auffassung, daß sich aus dem Gesamtinhalt des Vertrages, vor allem der Bestimmung des Punktes VII, unter Bedachtnahme auf die obigen Ausführungen zur "vertikalen" Sozietät für den vorliegenden Fall folgende wirkliche Parteienabsicht ableiten läßt:

Der Beklagte sollte selbst dann, wenn seine eigenen Causen zunächst noch keinen Ertrag abwerfen sollten, ein "Fixum" von 25.000 S (zuzüglich Umsatzsteuer) erhalten und nicht verpflichtet sein, zusätzlich zu den Gesamtauslagen der Kanzlei beitragen zu müssen, was ja beim Ausbleiben eigener Causen faktisch bedeutet hätte, daß ihm nicht einmal das "Fixum" verblieben wäre. Andererseits sollte der Beklagte von den Erträgen der eigenen Causen die Hälfte dem Kläger abliefern müssen, was praktisch durchaus einen Beitrag zu den Gesamtspesen der Kanzleigemeinschaft darstellte. Je höher die Erträge aus den eigenen Causen des Beklagten werden (was in der Regel mit größerer Inanspruchnahme des Büros einhergeht), desto größer sollte dann auch sein Beitrag zu diesen Gesamtspesen werden (der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang angefügt, daß der Beklagte offenbar die Hälfte der Brutto-Erträge abzuführen hatte, wie dies übrigens zwischen den Streitteilen in ihrer Abrechnung Beilage E auch tatsächlich gehandhabt wurde). Die im Vertrag enthaltenen Sonderregeln gemäß den Punkten II, VIII, IX, X und XI wären zwar für sich allein betrachtet kein Indiz für die eine oder die andere Vertragsauslegung, fügen sich aber so in die Gesamtsituation gut ein, sodaß dadurch insgesamt eine angemessene Berücksichtigung der beiderseitigen Interessenlage stattfindet.

Da somit der Kläger gemäß dem mit dem Beklagten abgeschlossenen Vertrag, auch wenn in diesem dazu ausdrücklich nichts gesagt wird, während der Dauer des Gesellschaftsverhältnisses wegen der genannten Vereinbarung in Punkt VII dem Beklagten die strittigen Spesen nicht anlasten kann, war die Entscheidung der Vorinstanzen zu bestätigen. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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