OGH 1Ob18/86

OGH1Ob18/861.10.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** W***, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 16,357.005,56 S und Feststellung infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 16. Dezember 1985, GZ 14 R 231/85, womit das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 28. Mai 1985, GZ 37 Cg 251/84-6, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Über das Grundstück 305 der EZ 407 KG Scheibbs führt die zweite Wiener Hochquellenwasserleitung. Die beklagte R*** Ö*** begann 1977, auf dem talwärts gelegenen Grundstück 384 der EZ 409 KG Scheibbs ein Schulgebäude zu errichten. Ab Frühsommer 1977 traten Hangbewegungen auf, die zu einer Beschädigung der Hochquellenwasserleitung führten. In einem an die Wasserwerke der nunmehr klagenden S*** W*** gerichteten Schreiben des Leiters der Geologischen Bundesanstalt Dr. T. E. G*** vom 5. Juli 1977 führte dieser nach einer Beschreibung des Besichtigungsbefundes aus:

"Es wird daher vorgeschlagen, möglichst bald Untersuchungen über die genauen Ursachen der Schadensereignisse einzuleiten und zwar in Form von Bohrungen unmittelbar unterhalb des Leitungskanals auf der Straße zwischen unterer und mittlerer Häuserreihe und oberhalb der obersten Häuserreihe der Schacherlsiedlung. Diese Bohrungen sollen eine Tiefe von 15 m aufweisen und als Kernbohrungen ausgeführt werden, um die Tiefenlage und den Zustand jener Gleitflächen zu ermitteln, auf denen die Hangbewegung, welche Schäden verursacht, vor sich geht. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß aus dem Zeitraum der letzten zwei bis drei Wochen Meldungen über spontane Hangbewegungen mit natürlichen Ursachen aus verschiedenen Teilen Österreichs vorliegen und daß die Bewegungen im Bereich der Schacherlsiedlung offenbar dieser Serie von Ereignissen angehört. Diese Feststellung ist deshalb von Bedeutung, weil vermutet werden könnte (- und diese Vermutung ist teilweise von Anrainern in der Schacherlsiedlung auch ausgesprochen worden -), daß der seitlich am Hangfuß durch die Errichtung des Gymnasiums bewerkstelligte Abtrag die Ursache für die Hangbewegung wäre. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß ein Zusammenhang zwischen diesem Abtrag und den nunmehr stattgefundenen Bewegungen aus geologischer Sicht aus folgenden Gründen äußerst unwahrscheinlich erscheint: Die Bewegungen spielen sich in einem Bereich ab, der von den nunmehrigen Schadensstellen seitlich versetzt liegt; die abgetragenen Massen sind im Verhältnis zum darüberliegenden Bereich eher geringfügig; durch den Abtrag wurden wasserführende Horizonte geöffnet und eine verbesserte Abfuhr der Hanggrundwässer erzielt, was zu einer Gesamtverbesserung der Stabilitätsverhältnisse beiträgt. In jedem Fall erscheint es dringend notwendig, die vorgeschlagenen Untersuchungsbohrungen ehestmöglich durchzuführen, um daraus umgehend Schlüsse für ein Sanierungskonzept ziehen zu können." Mit Schreiben vom 23.August 1977 meldete die klagende Partei bei der beklagten Partei wegen der Schäden an der Hochquellenwasserleitung prinzipiell Schadenersatzansprüche an.

Univ.Prof.Dipl.Ing.Dr.Christian V*** kam in einem am 21.September 1981 an das Amt der N*** L***

erstatteten Gutachten zu dem Schluß, daß die Errichtung der Stützmauer, die der beklagten Partei zur Hangsicherung anläßlich der Errichtung des Schulgebäudes baubehördlich aufgetragen worden war, unsachgemäß erfolgt sei. Dieser Kunstfehler hätte eine Entspannung des Untergrundes und damit die Einleitung von Hangbewegungen bewirkt. Der Bauunternehmer sei schuld daran, daß der Hang aus dem Gleichgewicht gebracht worden sei.

Die klagende Partei begehrt in der am 18.September 1984 eingebrachten Klage den Zuspruch des Betrages von 16,357.005,56 S und die Feststellung, die beklagte Partei sei verpflichtet, der klagenden Partei alle Aufwendungen zu ersetzen, die in Hinkunft an der zweiten Wiener Hochquellenwasserleitung im Bereich der Schacherlsiedlung dadurch notwendig würden, daß durch den unsachgemäßen Bau des Schulgebäudes auf dem Grundstück 384 EZ 409 KG Scheibbs weitere Hangbewegungen im Boden eintreten. Die klagende Partei sei dienstbarkeitsberechtigt. Die Grundstücke 384 und 305 seien benachbart. Die Schäden seien durch den Bau der Schule, insbesondere durch eine unsachgemäße Errichtung der Stützmauer, verursacht worden. Der Anspruch werde primär auf § 364 ABGB, hilfsweise auf den Titel des Schadenersatzes gestützt. Erstmals auf Grund des Gutachtens von Dr. Christian V***, das die klagende Partei am 3.Dezember 1982 vom Amt der N***

L*** erhalten habe, habe sie Kenntnis vom Ursachenzusammenhang erlangt. Die im Jahre 1977 erfolgte Forderungsanmeldung sei wegen des Gutachtens von Dr. T. E. G*** nicht weiter verfolgt worden. Auf Grund dieses Gutachtens habe die klagende Partei keinen Ursachenzusammenhang zwischen den Schäden und dem Bau der Schule erkennen können.

Die beklagte Partei bestritt den ursächlichen Zusammenhang zwischen den von ihr veranlaßten Baumaßnahmen und den aufgetretenen Schäden. Der Klagsanspruch sei auch verjährt. Es treffe nicht zu, daß die klagende Partei erst im Jahr 1982 Kenntnis der behaupteten Schadensursache erlangt hätte. Die klagende Partei sei vielmehr schon im Jahre 1977 von einer Verursachung durch die Baumaßnahmen der beklagten Partei ausgegangen. Sie habe folgerichtig im August 1977 schriftlich die nunmehr klageweise geltendgemachten Ersatzansprüche gegen die beklagte Partei dem Grunde nach angemeldet. Das nach den Klagsbehauptungen schädigende Ereignis und dessen schädliche Wirkungen seien der klagenden Partei bereits im Jahre 1977 ebenso wie die beklagte Partei als vermeintliche Schädigerin bekannt gewesen. Selbst wenn sich die klagende Partei entgegen ihrem schon damals geäußerten Standpunkt im Zweifel über die Schadensursache befunden hätte, so hätte sie auf Grund der ihr bekannten Umstände zumutbarerweise ohne unverhältnismäßige Mühe die Person des Schädigers ausreichend in Erfahrung bringen können. Jedenfalls habe sie ihren behaupteten Ersatzanspruch bereits ab dem Jahr 1977 zunächst mit einem Feststellungsbegehren geltend machen können.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache an das Prozeßgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB gelte auch für Ausgleichsansprüche aus dem Nachbarrecht. Sie beginne mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Schädiger kenne; es komme darauf an, daß dem Geschädigten der Ersatzpflichtige, also jene Person bekannt geworden sei, der der Schaden zugerechnet werden könne. Nach gesicherter Ansicht reiche das bloße Kennenmüssen ebensowenig aus wie die bloße Möglichkeit der Kenntnis. Der Sachverhalt müsse dem Geschädigten soweit bekannt geworden sein, daß eine Klage mit Aussicht auf Erfolg angestrengt werden könne. Die Kenntnis des Geschädigten habe den ganzen Sachverhalt zu umfassen, der zur Anspruchsbegründung erforderlich sei. Der Geschädigte dürfe bei Kenntnis von Schaden und Schädiger nicht so lange warten, bis er Gewißheit zu haben glaube, einen Prozeß zu gewinnen. Die Ausräumung aller Zweifel und die Beseitigung aller im Prozeß möglichen Einwendungen schon vor dem Rechtsstreit dürfe vom Geschädigten nicht abgewartet werden. Billigerweise müsse aber Kenntnis eine vorausgesetzt werden, die für die Erhebung der Klage ausreiche, also sichere Kenntnis, nicht bloße Vermutung, Kenntnis nicht bloß des schädigenden Ereignisses, sondern auch seiner Ursachen und seiner schädlichen Wirkung. Für die klagende Partei habe im Jahre 1977 auf Grund des Gutachtens von Dr. T. E. G*** keine hinreichende Gewißheit bestanden, daß ein von der beklagten Partei herbeigeführter Kausalzusammenhang zwischen den an der Wasserleitung eingetretenen Schäden und dem Bau der Schule vorliege. Diese Gewißheit habe die klagende Partei erst auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Christian V*** vom 21. September 1981 gewinnen können. Frühestens ab diesem Zeitpunkt sei ihr der Sachverhalt soweit bekannt geworden, daß sie eine Klage mit Aussicht auf Erfolg habe anstrengen können. Der geltend gemachte Anspruch sei daher nicht verjährt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Die dreijährige Verjährungszeit des § 1489 ABGB gilt auch für nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche (MietSlg. 35.032; SZ 55/55;

SZ 52/167 u.a.; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II 325;

Schubert in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 1489; Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rdz 10 zu § 364a). Nachbarrechtliche Ansprüche stehen nicht nur einem Eigentümer, sondern auch einem sonst dinglich Berechtigten zu (SZ 55/173; SZ 45/140 u.a.).

Die Frist des § 1489 ABGB wird erst dann in Gang gesetzt, wenn dem Geschädigten neben der Kenntnis des Schadens auch der gesamte seinen Anspruch begründende Sachverhalt soweit bekannt ist oder zumutbarerweise bekannt sein muß, daß er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann (SZ 57/171; SZ 56/36 mwN; Schubert aaO Rdz 3 zu § 1489; Ehrenzweig-Mayrhofer, Schuldrecht Allgemeinen Teil 3 348). Zu den für das Entstehen des Schadenersatzanspruches maßgebenden Umständen, die dem Geschädigten objektiv bekannt sein müssen, gehört auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhanges zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten (SZ 56/76). Ausgehend von diesen Grundsätzen kann die Verjährung des von der klagenden Partei behaupteten Anspruches nicht vor Kenntnis des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Christian V*** zu laufen begonnen haben. Wohl war die klagende Partei nicht berechtigt, den Beginn der Verjährung dadurch hinauszuschieben, daß sie es beim Auftreten der Schäden an der Hochquellenwasserleitung unterließ, einen ihr zumutbaren sachverständigen Rat einzuholen. Dieser Verpflichtung kam die klagende Partei aber durch Einholung der gutächtlichen Äußerung des Leiters der Geologischen Bundesanstalt nach. Ungeachtet des Vorschlages von Dr. T. E. G***, möglichst bald durch Bohrungen unmittelbar unterhalb des Leitungskanals die genauen Ursachen der Schadensereignisse zu finden, schloß Dr. T. E. G*** doch eine Verursachung der Schäden durch die Baumaßnahmen der beklagten Partei unter detaillierter Angabe der Gründe als äußerst unwahrscheinlich aus. Es kann daher entgegen den Ausführungen im Rekurs nicht gesagt werden, daß die klagende Partei schon auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. T. E. G*** eine derart hinreichende Kenntnis auch des Ursachenzusammenhanges gehabt habe, daß ihr die Einbringung der Klage objektiv zumutbar gewesen wäre.

Dem Rekurs ist der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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