OGH 14Ob148/86

OGH14Ob148/8630.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuderna und Dr. Gamerith sowie die Beisitzer Dr. Stefan Seper und Dr. Willibald Aistleitner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Veronika S***, Kellnerin, Sierning, Mannesbergerstraße 1, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Koloman P***, Gastwirt in Zell am Moos, Hof 140, vertreten durch Dr. Manfred Piso, Rechtsanwalt in Mondsee, wegen restl. S 114.282,30 brutto abzüglich S 21.260,- netto und Rechnungslegung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 17. Jänner 1986, GZ. 21 Cg 20/85-26, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Arbeitsgerichtes Bad Ischl vom 18. Oktober 1984, GZ. Cr 95/84-8, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 4.243,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 385,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war seit 1.6.1983 als Kellnerin im Gastgewerbebetrieb des Beklagten beschäftigt. Auf ihr Dienstverhältnis findet der Kollektivvertrag für Arbeiter im österreichischen Hotel- und Gastgewerbe (im folgenden kurz:

Kollektivvertrag = KV) Anwendung. Die Klägerin behauptete, am 15.12.1983 vorzeitig berechtigt ausgetreten zu sein, weil ihr der Beklagte den vereinbarten monatlichen Nettolohn von S 6.000,- nur für die Monate Juni und Juli 1983 bezahlt und alle sonstigen Bezüge (insbesondere die Überstungenvergütung und die im Kollektivvertrag vorgesehenen Umsatzprozente) vorenthalten habe. Über diese habe der Beklagte trotz Verlangens nicht Rechnung gelegt. Sie habe 24 Werktage Urlaub nicht verbraucht.

Die Klägerin machte zuletzt folgende Ansprüche geltend:

1.) Lohn vom 1.8. bis 15.12.1983

monatlich S 6.000 netto (entspricht S 7.800,- brutto) =

S 35.100,-- brutto

abzüglich einer Teilzahlung

von S 21.260,--,

die brutto für netto zu verrechnen sei,

sohin S 13.840,--.

2.) Aliquote Jahresremuneration (Punkt 11. KV)

S 8.760,23,

3.) Urlaubsentschädigung S 16.508,15

4.) Kündigungsentschädigung für

zwei Wochen S 4.304,56

5.) Überstundenvergütung für 873 Stun-

den S 59.032,26

6.) Ersatz für Stempelmarke S 120,--

zusammen S 102.565,20

brutto.

Ferner begehrt die Klägerin, den Beklagten schuldig zu erkennen, den Umsatz an Trank und Speise, der vom 1.6.1983 bis 15.12.1983 in seinem Betrieb einging, anzugeben und überdies alle Auskünfte zu erteilen, die für die Berechnung der ihr kollektivvertraglich gebührenden Umsatz- und Überschußprozente erforderlich seien, und die Richtigkeit dieser Angaben und Auskünfte zu beeiden. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, mit der Klägerin lediglich einen Nettolohn von S 5.000,- monatlich vereinbart zu haben. Die Klägerin habe keine Überstunden geleistet und ihren Urlaub zur Gänze verbraucht. Sie sei unbegründet ausgetreten, weil sie die Annahme von Entgeltzahlungen mit dem Bemerken verweigert habe, den Lohn erst am Jahresende zu beanspruchen.

Das Erstgericht sprach der Klägerin S 74.608,21 brutto sA. zu und wies das Mehrbegehren von S 27.956,99 brutto sA. sowie das Rechnungslegungs- und Eidesleistungsbegehren ab.

Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Die Streitteile vereinbarten einen (Netto-)Lohn von S 6.000,-

monatlich. Da die Klägerin zum Teil auch den Frühdienst übernehmen und gelegentlich bis spät in die Nacht hinein arbeiten mußte, leistete sie insgesamt 654 Überstunden. Die Klägerin erhielt den Normallohn nur für Juni und Juli 1983. Weitere Zahlungen leistete der Beklagte bis zur Klagseinbringung nicht. Die Klägerin forderte mehrmals den ausstehenden Lohn und wurde immer wieder vertröstet. Am 15.12.1983 vereinbarten die Streitteile, daß die Klägerin einen 14-tägigen Urlaub antrete und das Dienstverhältnis mit 30.12.1983 ende. Insgesamt verbrauchte die Klägerin von 24 Werktagen Urlaub 18. Auf der Grundlage dieser Feststellungen errechnete das Erstgericht den bis 30.12.1983 gebührenden Lohn der Klägerin mit S 17.480,-, die Urlaubsentschädigung für 6 Werktage Urlaub mit S 3.527,27, die Überstundenentlohnung für 654 Überstunden mit S 44.236,56 und die aliquote Weihnachtsremuneration (auf der Grundlage des Kollektivvertragslohns von S 7.140,-) mit S 9.364,38, zusammen S 74.608,28, sprach ihr jedoch keine Kündigungsentschädigung zu. Das Rechnungslegungs- und Eidesleistungsbegehren wies es mit der Begründung ab, der Beklagte habe sämtliche Kellnerbelege für den von der Klägerin begehrten Zeitraum vorgelegt.

Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und gab der Berufung des Beklagten nicht, wohl aber der Berufung der Klägerin teilweise Folge und sprach ihr S 114.282,30 brutto abzüglich S 21.260,- netto zu und wies das Zahlungsmehrbegehren ab. Ferner erkannte es den Beklagten schuldig, der Klägerin den Umsatz an Trank und Speise während der Dauer des Dienstverhältnisses anzugeben und alle für die Berechnung der im Kollektivvertrag vorgesehenen Umsatzprozente und Überschußprozente erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Das Eidesleistungsbegehren wies es - insoweit unbekämpft - ab. Die zweite Instanz traf in folgenden wesentlichen Punkten die Sachverhaltsgrundlage des Erstgerichtes abändernde oder ergänzende Feststellungen:

Die Klägerin begab sich am 15.12.1983 wieder einmal zum Beklagten und forderte den ausständigen Lohn. Der Beklagte erklärte, er habe kein Geld. Die Klägerin sagte daraufhin zum Beklagten, sie müsse dann kündigen, sie werde nicht mehr weiterarbeiten. Diese Erklärung verstand auch der Beklagte dahin, daß die Klägerin das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung beende. Eine Vereinbarung, daß die Klägerin bis 30.12.1983 Urlaub nehme und das Arbeitsverhältnis erst mit diesem Zeitpunkt aufgelöst werde, kam nicht zustande.

Die Klägerin benützte (für die Bonierung der von ihr servierten Speisen und Getränke) die Kasse 2. Es kam jedoch auch vor, daß die Töchter des Beklagten, die sonst eine andere Kasse benützten, in diese Kasse etwas eintippten. Größere Mengen von Getränken wurden auch im Voraus boniert und nicht genau aufgeteilt. Auch die Speisen wurden nicht immer einzeln boniert, sondern zum Teil zunächst auf Bierzettel aufgeschrieben und dann gesammelt eingetippt. Der Kollektivvertrag für Arbeiter im österreichischen Hotel- und Gastgewerbe enthält unter anderem folgende Bestimmungen:

"4. Überstunden

.....

e) Die Überstundenarbeit wird mit dem Normalstundenlohn und einem Überstundenzuschlag entlohnt. der Normalstundenlohn beträgt 1/173 des Bruttonormalmonatslohnes.

Der Überstundenzuschlag beträgt 50 Prozent des Normalstundenlohnes.

.....

11. Jahresremuneration

a) Alle Arbeitnehmer (Arbeiter und Lehrlinge), die mindestens

zwei Monate ununterbrochen im selben Betrieb beschäftigt sind, haben

Anspruch auf Jahresremuneration in der Höhe von 200 Prozent des im

jeweiligen Lohnübereinkommen festgelegten Mindestmonatsbezuges

(Tariflohnes). Diese Remuneration wurde ab 1. Jänner 1978.... um

10 Prozent, also von 200 Prozent auf 220 Prozent, erhöht, jedoch

maximal bis zur Höhe des tatsächlich ins Verdienen gebrachten Lohnes.

.....

c)......

1. Arbeitnehmer, die kein volles Jahr ununterbrochen im selben Betrieb beschäftigt sind, erhalten den ihrer Dienstzeit entsprechenden Teil der Jahresremuneration (ein Zweiundfünfzigstel pro Woche)....."

Das Berufungsgericht schenkte den Angaben der Klägerin über den Umfang ihrer Überstundenleistungen und ihren Arbeitsaufzeichnungen im wesentlichen Glauben, nahm aber unter Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO eine Kürzung der Überstundenforderung von 873 auf 800 Stunden mit der Begründung vor, daß die Klägerin auch ihre Essenszeiten in die Arbeitszeitberechnung einbezogen habe. Die von der Klägerin am 15.12.1983 abgegebenen Erklärungen seien als begründeter vorzeitiger Austritt nach § 82 a lit d GewO 1859 anzusehen. Der Beklagte habe ihr den ausständigen Lohn vorenthalten. Sie habe daher auch Anspruch auf Kündigungsentschädigung und Urlaubsentschädigung für 18 unverbrauchte Urlaubstage.

Insgesamt gebühre der Klägerin daher

a) an rückständigem Lohn vom 1.8. bis 15.12.1983

(S 7.800,- x 4,5 = S 35.000,-, richtig S 35.100,-)

S 35.100,--

b) an Überstundenvergütung

800 x S 67,64 S 54.112,--,

c) an aliquoter Weihnachtsremunera-

tion S 8.760,23,

d) an Kündigungsentschädigung für

14 Tage S 4.246,66 und

e) an Urlaubsentschädigung S 12.063,41

zusammen S 114.282,30

brutto abzüglich der vom Beklagten geleisteten Teilzahlung von

S 21.260,- netto. Eine Saldierung des errechneten Bruttolohnes mit

dieser Teilzahlung brutto für netto sei jedoch nicht zulässig, weil

der Arbeitgeber das im § 60 Abs 1 ASVG verankerte Abzugsrecht nicht

dadurch verliere, daß er das Entgelt nicht bei Fälligkeit, sondern

erst später auszahle. Der Betrag von S 21.260,- sei daher erst von

dem sich aus dem Bruttozuspruch von S 114.282,30 ergebenden

Nettobetrag abzuziehen.

Das Rechnungslegungsbegehren der Klägerin sei berechtigt, weil es ihr die Möglichkeit biete, ihre Ansprüche ziffernmäßig zu berechnen und in der Folge geltend zu machen. Da auch andere Personen die für die Abrechnung der Klägerin bestimmte Kasse 2 mitbenützt hätten und Waren gesammelt boniert worden seien, entspreche die vom Steuerberater des Beklagten im Berufungsverfahren vorgelegte Umsatzberechnung nicht der der Klägerin gebührenden Abrechnung. Ansprüche auf Eidesleistung habe die Klägerin jedoch nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Beklagten ist nicht berechtigt. Der Revisionswerber behauptet, das Urteil der zweiten Instanz sei gemäß §§ 477 Abs 1 Z 9, 503 Abs 1 Z 1 ZPO nichtig, weil der Urteilsspruch mit sich selbst im Widerspruch stehe und daraus nicht hervorgehe, zu welcher Leistung der Beklagte verurteilt worden sei. Diese Rüge ist nicht berechtigt. Aus dem Urteilsspruch geht in Verbindung mit der Urteilsbegründung klar hervor, daß die zweite Instanz (zugunsten des Beklagten!) einen sofortigen Abzug seiner Nettoteilzahlung von dem der Klägerin gebührenden Bruttobezug nicht für zulässig erachtete und ihn daher verpflichtete, der Klägerin S 114.282,30 brutto abzüglich S 21.260,- netto zu bezahlen. Der Beklagte hat daher von dem festgestellten Bruttobetrag die gesetzlichen Abzüge vorzunehmen und abzuführen und darf von dem sich daraus ergebenden geringeren Nettobetrag die bereits geleistete Zahlung von S 21.260,- abziehen. Seine Zahlungsverpflichtung ist damit eindeutig bestimmt und liegt auch unter dem von der Klägerin erhobenen Begehren von S 102.565,20, so daß auch von einem Verstoß gegen § 405 ZPO keine Rede sein kann.

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen § 273 Abs. 1 ZPO

anzuwenden ist, ist eine verfahrensrechtliche Entscheidung

(Fasching III 285; derselbe, JBl. 1981, 235; Arb. 8666; JBl. 1973,

257 uva.). Die vom Beklagten insofern geltend gemachten

Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 23 ArbGG).

Die Höhe der Festsetzung gemäß § 273 ZPO ist ein Akt der

rechtlichen Beurteilung. Gegen diese Festsetzung bestehen, ausgehend

davon, daß das Berufungsgericht den Angaben der Klägerin über das

Ausmaß der von ihr geleisteten Überstunden im wesentlichen folgte

und mit der Anwendung des § 273 ZPO die festgestellte Arbeitszeit

nur um die darin enthaltenen Essenszeiten reduzierte, keine Bedenken.

Die nach vergeblicher Nachforderung des Lohns abgegebene Erklärung der Klägerin, sie müsse "kündigen" und werde nicht mehr weiterarbeiten, ist auch vom Beklagten als vorzeitige Lösung des Arbeitsverhältnisses aufgefaßt worden. Da der Beklagte der Klägerin das gebührende Entgelt durch Monate vorenthielt - Annahmeverzug oder Stundung durch die Klägerin sind nicht als erwiesen angenommen worden - kann von unzureichenden Feststellungen zur Frage der Berechtigung des vorzeitigen Austrittes oder gar von einem ungerechtfertigten Austritt keine Rede sein.

Das Berufungsgericht hat auch dem Rechnungslegungsbegehren der Klägerin zutreffend stattgegeben. Gemäß Punkt 7. KV werden die Garantielöhne (der Arbeitnehmer im Hotel- und Gastgewerbe) durch Berechnung eines Prozentanteiles, bezogen auf den Konsum der Gäste aufgebracht. Die Aufteilung der Umsatzprozente kann entweder über ein gemeinsames Umsatzprozentkonto (Tronc), über getrennte Umsatzprozentkonten für einzelne Betriebsabteilungen (Abteilungstronc) oder nach dem Reviersystem erfolgen. Überschüsse über dem Garantielohn verbleiben den Garantielöhnern. Sie sind nach dem Verhältnis der Garantielöhne aufzuteilen, soweit in der zuständigen Lohnordnung nicht etwa ein Punktesystem festgelegt wird. Garantielöhnern ist auf Verlangen die Richtigkeit der Abrechnung und Aufteilung der Umsatzprozente (Bedienungszuschläge) nachzuweisen. Daraus folgt, daß die Kläger nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts einen Anspruch auf Abrechnung der Umsatzprozente und des Nachweises ihrer Richtigkeit hat. Diese Leistung hat der Beklagte durch die im Berufungsverfahren vorgelegte Abrechnung nicht erbracht. Der Beklagte behauptet selbst, daß die vorgelegte Abrechnung über den "Kellnerschlüssel 2" nicht nur die Umsätze beinhalte, die die Klägerin gemacht habe; andererseits behauptet er nicht, daß im Betrieb eine besondere Umsatzprozentabrechnung nur für einzelne Betriebsabteilungen oder nach dem Reviersystem vereinbart gewesen sei. Die Klägerin hat daher Anspruch auf eine Abrechnung, die die Umsatzprozente vom gesamten Konsum der Gäste im Sinne der Z 7 lit. b KV, sowie eine Aufteilung der sich dabei ergebenden Überschüsse nach dem Verhältnis der Garantielöhne umfaßt. Eine solche Abrechnung liegt bisher nicht vor.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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