OGH 8Ob558/86 (8Ob559/86)

OGH8Ob558/86 (8Ob559/86)28.8.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Walter T***, Kaufmann, Niederhofen 22, 8950 Stainach, vertreten durch Dr. Sieglinde Lindmayr, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagte Partei Helga T***, Angestellte, Ausseerstraße 27, 8940 Liezen, vertreten durch Dr. Roger Haarmann, Rechtsanwalt in Liezen, wegen Ehescheidung, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 23. Jänner 1986, GZ. 6 R 212, 213//85-68, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 15. Oktober 1985, GZ. 9 Cg 29/85-60, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 29.9.1947 geborene Kläger und Widerbeklagte (in der Folge als Kläger bezeichnet) und die am 1.1.1942 geborene Beklagte und Widerklägerin (in der Folge als Beklagte bezeichnet) haben am 13.5.1972 vor dem Standesamt Steinach die Ehe geschlossen; es handelte sich beiderseits um die erste Ehe. Dieser Ehe entstammen keine Kinder. Beide Streitteile sind österreichische Staatsangehörige; sie hatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in Stainach. Ehepakte wurden nicht errichtet. Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten im wesentlichen mit der Begründung, daß die Beklagte für seine geschäftlichen Belange nie Interesse gezeigt und ihn in geschäftlichen Dingen nie unterstützt habe. Sie habe in den letzten Jahren an der Person des Klägers kein Interesse gezeigt, habe sich ohne triftigen Grund beharrlich geweigert, Nachkommenschaft zu empfangen und habe seit drei bis vier Jahren dem Kläger den ehelichen Verkehr verweigert. Die Beklagte unterhalte seit Jahren ehebrecherische Beziehungen zu ihrem Schwager. Im August 1984 habe sie schließlich grundlos die Ehewohnung verlassen und sei nicht mehr zurückgekehrt. Durch dieses Verhalten der Beklagten sei die Ehe unheilbar zerrüttet worden.

Die Beklagte begehrte mit ihrer Widerklage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Klägers. Sie legte ihm zur Last, daß er sie von Anfang der Ehe an schlecht und lieblos behandelt und sich nicht um sie gekümmert habe. Der Kläger habe sich ständig in Gasthäusern aufgehalten und sei täglich schwer alkoholisiert nach Hause gekommen. In diesem Zustand habe er die Beklagte wiederholt geschlagen und beschimpft. Er habe ehewidrige und ehebrecherische Beziehungen zu anderen Frauen unterhalten und lebe seit September 1985 in Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau. Die bestehende unheilbare Zerrüttung der Ehe sei auf dieses ehewidrige Verhalten des Klägers zurückzuführen.

Beide Parteien bestritten die ihnen zur Last gelegten Eheverfehlungen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Streitteile schlossen die Ehe nach sechsjähriger Bekanntschaft, während der es zu keinen intimen Beziehungen zwischen ihnen gekommen war. Der um 5 Jahre jüngere Kläger war zur Zeit der Eheschließung als Karosseriebauer und Mechanikermeister im Betrieb seines Vaters tätig. Er arbeitete dort selbständig, leitete den 18 Personen umfassenden Betrieb und wohnte im Haushalt seiner Eltern. Die Beklagte war im Bierdepot ihres Vaters angestellt und führte dort Büro- und Buchhaltungsarbeiten aus. Nach der Eheschließung bewohnten die Streitteile die Räumlichkeiten im Obergeschoß des Hauses der Eltern des Klägers; diese bewohnten die Räume im Erdgeschoß. In der Küche im Erdgeschoß wurden gemeinsam die Speisen für die Eltern des Klägers und die Streitteile zubereitet und auch die Waschküche wurde gemeinsam benützt. Das Frühstück für die Familie bereitete die Mutter des Klägers zu; die Beklagte kochte das Mittagessen und verrichtete die im Haushalt anfallenden Arbeiten. Die diesbezüglichen Leistungen der Beklagten wurden von der Familie geschätzt und gewürdigt. Während der Kläger und seine Eltern bereits um 7 Uhr morgens in den Betrieb gingen, stand die Beklagte oft erst gegen 9 Uhr auf, frühstückte dann allein und widmete sich den Arbeiten im Haushalt. Der Kläger und seine Eltern wollten die Beklagte in den Betrieb eingliedern und sie in die Arbeiten einschulen, die ihre Schwiegermutter verrichtete. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch an der Unterbegabung der Beklagten, worauf ihr die Mutter des Klägers nahelegte, sich wieder ausschließlich dem Haushalt zu widmen.

Wie vor der Eheschließung suchte der Kläger bereits am ersten Tag danach und in der Folge nahezu täglich am Abend die Gesellschaft seiner Jugendfreunde, der Söhne des Inhabers des in unmittelbarer Nähe gelegenen Gastlokales R***, hielt sich dort einige Stunden mit ihnen oder mit Kunden des Betriebes auf, konsumierte dabei alkoholische Getränke und kam dann gegen 21 Uhr oder später mehr oder weniger stark alkoholisiert nach Hause. Die Beklagte saß währenddessen allein vor dem Fernsehapparat und wartete oft bis Mitternacht auf die Rückkehr des Klägers. Anfänglich begleitete die Beklagte den Kläger einige Male, doch behagte ihr der stundenlange Aufenthalt im Gasthaus und die Konsumation größerer Mengen alkoholischer Getränke nicht. Der Kläger ging in der Folge am Abend nahezu immer allein aus. Einmal stieß der Kläger, als er spät abends alkoholisiert nach Hause kam, die Beklagte im Bett mit dem Fuß. Mit der Eheschließung nahmen die Streitteile auch sexuelle Beziehungen auf. Im November 1972 und im August 1983 (richtig wohl 1973) erlitt die Beklagte Fehlgeburten. Ab 1972 stand sie in frauenfachärztlicher Behandlung. Infolge eines Myoms traten bei ihr stärkere Blutungen auf. Im Jahr 1975 blieb über eine Zeitspanne von 5 1/2 Monaten die Regel aus. Die durchgeführte Untersuchung ergab jedoch keine Schwangerschaft. Die Beklagte äußerte bei der Untersuchung den Wunsch nach einem Kind. Deswegen war für Dezember 1975 eine eingreifende Behandlung vorgesehen, die jedoch nicht durchgeführt wurde. Es kam dann bei der Beklagten zu einer Scheinschwangerschaft und in der weiteren Folge zur immer öfter auftretenden Ablehnung sexueller Beziehungen mit dem Kläger. Dazu trug die immer stärker werdende Abneigung der Beklagten gegen den Alkoholkonsum des Klägers, die ständige Kritik und Nörglereien ihrer Schwiegermutter und die deutliche Unterbegabung und der ausgeprägte Psychoinfantilismus der Beklagten mit Neigung zu abnormen psychogenen Entwicklungen bei.

Ab 1975 lebten die Streitteile nicht mehr miteinander, sondern nebeneinander. Der Kläger kümmerte sich nur wenig um die Beklagte, ging nach wie vor am Abend allein aus, unterhielt sich bis in die Nacht mit seinen Freunden und Kunden und kam öfter alkoholisiert nach Hause. Die Bklagte kümmerte sich auch ihrerseits immer weniger um den Kläger. Sie saß, wenn der Kläger nach Hause kam, vor dem Fernsehapparat, stand nicht auf und bereitete dem Kläger kein Essen mehr zu. Der Kläger mußte sich selbst etwas zum Essen herrichten. Die Beklagte kümmerte sich um die geschäftlichen Belange des Klägers überhaupt nicht mehr und zeigte immer weniger Interesse am Kläger. Die Streitteile fuhren nahezu jährlich - einige Male allein, jedoch meistens mit Horst und Elfriede B***, dem Schwager und der Schwester der Beklagten, die in Krefeld in der BRD wohnen - auf Urlaub. Die beiden kamen auch mit ihrem Kind mindestens einmal jährlich nach Österreich. Dabei wohnte Horst B*** im Haus der Eltern des Klägers und Elfriede B*** mit dem Kind im Haushalt ihrer Mutter in Weißenbach. Horst B*** ging abends öfter mit dem Kläger aus. Dabei suchten sie verschiedene Gastlokale auf und kamen oft erst spät in der Nacht nach Hause. Auf einer der Fahrten von der BRD nach Österreich griff der Kläger die Beklagte einmal tätlich an. Die Beklagte war in der Zeit von Oktober 1979 bis April 1985 nicht in frauenärztlicher Behandlung. Sie weigerte sich ab dem Jahr 1980, mit dem Kläger geschlechtlich zu verkehren, obwohl sie körperlich dazu zumindest in der blutungsfreien Zeit in der Lage gewesen wäre.

Die Beklagte geriet unter den zunehmenden Einfluß ihres Schwagers Horst B***, der ihr schon 1983 riet, sich scheiden zu lassen. Im Fasching 1984 machte die Familie B*** wieder in Österreich Urlaub und bewohnte Horst B*** das im Obergeschoß neben der Wohnung der Streitteile gelegene Gästezimmer, während seine Frau und das Kind bei der Mutter der Beklagten wohnten. Während dieses Urlaubes kam die Beklagte einmal mit Horst B*** von einem Besuch bei ihrer Mutter erst spät abends nach Hause. Der Kläger und seine Eltern waren ausgegangen. Die Beklagte suchte dann noch das Gästezimmer auf und unterhielt sich dort eine Zeit lang mit Horst B***.

Für den Sommer 1984 planten die Streitteile, den 14tägigen Urlaub gemeinsam mit den Ehegatten B*** zu verbringen. Horst B*** mietete zu diesem Zweck in Holland ein Ferienhaus für vier Personen. Einige Tage vor Urlaubsbeginn machte der Kläger den Vorschlag, nur eine Woche auf Urlaub zu fahren, weil in der Werkstätte sehr viel Arbeit war. Die Beklagte lehnte dies ab und gab zur Antwort, daß sie dann allein auf Urlaub fahre, worauf der Kläger die Wohnung verließ. Die Beklagte rief Horst B*** in der BRD an, der ihr riet, allein zu kommen und gleich ihre Wertsachen aus der ehelichen Wohnung zu entfernen. Ihre Mutter und deren Freundin kamen mit einem Fahrzeug zur ehelichen Wohnung und als sie gerade den Pelzmantel, den Fernsehapparat und das Videogerät aus der ehelichen Wohnung trugen, kamen die Eltern des Klägers und später auch der Kläger nach Hause. Der Kläger wollte wieder einlenken und ersuchte die Beklagte, die Sachen wieder in die Wohnung zurückzubringen. Er machte ihr den Vorschlag, ab kommendem Samstag gemeinsam eine Woche Urlaub in der BRD und im Herbst einen 14tägigen Urlaub zu machen. Die Beklagte war damit nicht einverstanden und erwiderte auf den Vorschlag des Klägers, daß sie sich scheiden lasse. Sie ließ die Sachen wegführen, verbrachte die Nacht aber noch in der ehelichen Wohnung. Am Vormittag des darauf folgenden Tages suchte sie den Friseur auf. Als sie wieder in die Wohnung zurückkehrte, kam der Kläger vom Betrieb dorthin und ersuchte die Beklagte noch einmal, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen. Sie entgegnete ihm wiederum, sie lasse sich scheiden und fügte hinzu, daß sie eine monatliche Unterhaltszahlung von S 10.000,-- fordere. Daraufhin verließ die Beklagte am 8.8.1984 die eheliche Wohnung, fuhr in die BRD und mit den Ehegatten B*** auf Urlaub.

Der Kläger brachte am 14.8.1984 die Ehescheidungsklage ein und teilte in einem Schreiben vom 23.8.1984 Horst B*** mit, daß er sich natürlich fair benehmen und seiner Frau eine monatliche Unterhaltszahlung leisten werde.

Die Beklagte blieb länger als ursprünglich vorgesehen bei den Ehegatten B*** in der BRD und fuhr erst nach vier Wochen wieder nach Österreich zurück. Sie suchte aber nicht mehr die eheliche Wohnung auf, sondern blieb bei ihrer Mutter in Weißenbach. Sie holte dann später ihre Kleider aus der ehelichen Wohnung und bezog schließlich die ihr vom Beklagten bereitgestellte Garconniere und brachte ihrerseits am 12.9.1984 die Scheidungsklage ein. Die Mutter des Klägers nahm mit 8.7.1985 Elfriede G*** im Betrieb und Haushalt sowie zu ihrer persönlichen Pflege wegen ihrer Krankheit auf. Elfriede G*** pflegte in der Folge die Mutter des Klägers und arbeitete im Betrieb mit. Dabei nächtigte sie ab und zu auch im Gästezimmer im 1.Stock. Nach der Einlieferung der Mutter des Klägers in das Krankenhaus und nach ihrem Ableben am 25.8.1985 blieb Elfriede G*** über Ersuchen des Klägers weiter im Haushalt und im Betrieb tätig. Mit 1.9.1985 meldete der Kläger Elfriede G*** als Halbtagsbürokraft an. Sie übersiedlete mit ihren drei Kindern in das Haus des Klägers. Die Kinder bewohnen die Gästezimmer im 1.Stock und Elfriede G*** bewohnt das ehemalige Schlafzimmer der Mutter des Klägers im Parterre. Das Ableben seines Vaters im Jänner 1985 und das seiner Mutter im August 1985 wirkte sich auf den Gemütszustand des Klägers sehr nachteilig aus und führte dazu, daß der Kläger über längere Zeit keine Nahrung mehr zu sich nahm. Er entschloß sich daher, einen 8tägigen Urlaub auf Mallorca anzutreten und lud dazu auch Elfriede G***, die sich erbötig gemacht hatte, auf eigene Kosten mitzufahren, ein. Die beiden bewohnten im Urlaub auf Mallorca ein Zweibettzimmer, wobei die Betten als Einzelbetten voneinander getrennt aufgestellt waren. Geschlechtliche Beziehungen zwischen dem Kläger und Elfriede G*** fanden jedoch während des Urlaubsaufenthaltes in Mallorca nicht statt.

Die beiden Streitteile sind nicht mehr gewillt, die Ehe miteinander fortzusetzen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß beide Streitteile ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Der Kläger habe sogleich nach der Eheschließung abends jeweils das Gasthaus aufgesucht, dort größere Mengen alkoholischer Getränke konsumiert und sei erst im Lauf der Nachtstunden alkoholisiert nach Hause gekommen, während die Beklagte allein zu Hause gewesen sei. Dieses Verhalten habe beim Persönlichkeitsbild der Beklagten zu abnormalen Störungen auch in sexueller Hinsicht geführt und letztlich zur Zerrüttung der Ehe beigetragen. Daß der Kläger während des achttägigen Urlaubes auf Mallorca mit Elfriede G*** ein Zimmer bewohnt habe, sei zwar ehewidrig, habe sich jedoch auf die bereits lange vorher eingetretene Zerrüttung der Ehe nicht mehr nachhaltig ausgewirkt. Die zweimaligen tätlichen Mißhandlungen der Beklagten durch den Kläger fielen nicht so sehr ins Gewicht und hätten bei der Beklagten keine nachhaltige Wirkung hinterlassen. Die Beklagte habe jedoch aus einem nicht zu rechtfertigenden Grund über Anraten des Horst B*** die eheliche Gemeinschaft aufgelöst, sei allein auf Urlaub gefahren und nach dem Urlaub nicht mehr in die eheliche Wohnung zurückgekehrt. Sie habe die Versuche des Klägers, wieder alles mit dem Urlaub in Ordnung zu bringen, ohne ausreichenden Grund abgelehnt. Für die Zerrüttung der Ehe sei das Verhalten beider Streitteile maßgebend gewesen. Wenn der Kläger auch mehrfach und jahrelang durch seinen übermäßigen Alkoholkonsum und die Verbringung seiner Freizeit allein und außer Haus wesentlich zur Zerrüttung der Ehe beigetragen habe, so habe doch die Beklagte durch die letztlich grundlose Auflösung der häuslichen und ehelichen Gemeinschaft die endgültige Zerrüttung der Ehe herbeigeführt. Das Verschulden beider Streitteile sei als gleichwertig anzusehen und die Ehe aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden zu scheiden. Den gegen dieses Urteil gerichteten Berufungen beider Streitteile gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte rechtlich im wesentlichen aus:

Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens komme es auf das Gesamtverhalten der Ehegatten während der ganzen Ehe und darauf an, wessen Verfehlungen die erste Ursache für die weiteren gewesen seien, inwieweit sie allenfalls andere bedingt und schließlich zum Scheitern der Ehe geführt hätten. Der im § 60 Abs.2 EheG vorgesehene Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehgatten sei nur dann zulässig, wenn dessen Verschulden erheblich schwerer sei als das des anderen. Er sei dann am Platz, wenn das Verschulden des anderen Teiles fast völlig in den Hintergrund trete.

Die primäre Ursache für die Zerrüttung der Ehe liege zwar im ehefeindlichen Verhalten des Klägers, der regelmäßig das Gasthaus aufgesucht, dem Alkohol zugesprochen und die Beklagte abends allein gelassen habe. Allerdings habe sich der Kläger nach dem Heimkommen vom Gasthaus - mit Ausnahme eines Stoßes gegen die Beklagte im Bett - nicht so ausfällig und brutal gegen die Beklagte verhalten, wie das bei betrunkenen Männern nicht selten vorkomme. Die Verweigerung des ehelichen Verkehrs durch die Beklagte könne zwar teilweise als Reaktion auf dieses Verhalten des Klägers und mit Erkrankung der Beklagten erklärt, aber doch nicht ganz entschuldigt werden. Hätte die Beklagte die zu erwartende eheliche Gesinnung gezeigt, wäre sie dem Kläger auf sexuellem Gebiet jedenfalls mehr entgegengekommen, ohne sich ihm ohne triftige Gründe zu verweigern. Die sexuelle Verweigerung der Beklagten müsse daher auch unter Berücksichtigung der besonderen Umstände dieses Falles als Eheverfehlung gewertet werden. Als weitere Eheverfehlung der Beklagten sei das Verlassen der ehelichen Gemeinschaft zu beurteilen. Zwar sei die Beklagte erst weggezogen, als die Ehe schon weitgehend zerrüttet gewesen sei. Immerhin sei aber der Kläger noch bemüht gewesen, die Ehegemeinschaft mit der Beklagten aufrecht zu erhalten, was sie jedoch abgelehnt habe. Die Beklagte sei es schließlich gewesen, die die Lebensgemeinschaft ohne triftigen aktuellen Grund aufgelöst habe. Durch ihren Auszug aus der Ehewohnung habe die Beklagte ihre aus § 90 ABGB abzuleitenden Pflichten verletzt.

Bei der Verschuldensabwägung könne auf Seiten des Klägers seine ehewidrige Beziehung zu Elfriede G*** nicht vernachlässigt werden, doch wiege diese Verfehlung angesichts der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft von Seiten der Beklagten nicht so schwer wie in einem Fall, in welchem die Partner noch wie Ehegatten zusammenlebten.

Beim festgestellten Gesamtverhalten beider Streitteile könne nicht gesagt werden, daß ein sehr unterschiedlicher Grad des Verschuldens bestehe und daß das Verschulden des einen oder des anderen Teiles fast völlig in den Hintergrund trete. Der Ausspruch des beiderseitigen gleichteiligen Verschuldens sei daher gerechtfertigt.

Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Streitteile. Der Kläger bekämpft es aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Scheidung der Ehe aus dem alleinigen, allenfalls aus dem überwiegenden Verschulden der Beklagten abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Scheidung der Ehe aus dem alleinigen, allenfalls aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers abzuändern; hilfsweise stellt auch sie einen Aufhebungsantrag.

Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind nicht berechtigt.

Der in der Revision der Beklagten geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs.3 ZPO). Im übrigen versucht der Kläger mit seiner Rechtsrüge darzutun, daß die Beklagte zumindest das überwiegende Verschulden an der vorliegenden unheilbaren Zerrüttung der Ehe treffe, während sich die Beklagte in ihrer Rechtsrüge auf den Standpunkt stellt, den Kläger treffe das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe. Beidem kann, geht man von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, nicht gefolgt werden.

Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, daß es bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 EheG nicht auf eine Gegenüberstellung der einzelnen von den Ehegatten begangenen Eheverfehlungen ankommt, sondern auf ihr Gesamtverhalten in seinem Zusammenhang (EFSlg.43.684, 46.231 ua.) und daß das überwiegende Verschulden eines Teiles nach § 60 Abs.2 zweiter Satz EheG nur auszusprechen ist, wenn der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile erheblich ist und augenscheinlich hervortritt (EFSlg.43.691 ua.), sodaß das Verschulden des einen Ehegatten gegenüber dem des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg.46.242 ua.).

Davon kann im vorliegenden Fall, geht man von den Feststellungen der Vorinstanzen aus, nicht die Rede sein.

Es trifft sicher zu, daß der Kläger nach diesen Feststellungen bereits ab Beginn der Ehe insoweit ein ehewidriges Verhalten an den Tag legte und die Beklagte vernachlässigte, als er ständig die Abende im Gasthaus verbrachte und dort auch dem Alkohol zusprach, wobei dies allerdings zumindest zum Teil auch durch berufliche Interessen des Klägers bedingt war. Die festgestellten zweimaligen körperlichen Übergriffe des Klägers gegenüber der Beklagten sind gewiß als Eheverfehlungen zu werten, waren aber offenbar nicht besonders schwerwiegend und wurden von der Beklagten auch nicht so empfunden. Wenn der Kläger im Urlaub 1985 zusammen mit Elfriede G*** ein Zweibettzimmer bewohnte, handelt es sich sicher auch um ein ehewidriges Verhalten, dem aber, da es bereits nach Eintritt der Zerrüttung der Ehe erfolgte, keine entscheidende Rolle zukommt (EFSlg.46.237 ua.).

Dem steht aber ein ehewidriges Verhalten der Beklagten gegenüber, das weder als verständliche Reaktion auf das Fehlverhalten des Klägers gewertet noch nach § 49 zweiter Satz EheG beurteilt werden kann, sondern gleichfalls ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe begründet, das jedenfalls nicht entscheidend hinter dem des Klägers zurücktritt.

Die Ablehnung der Beklagten gegen die Gasthausbesuche ihres Mannes und die damit verbundene Vernachlässigung ihrer Person ist sicher verständlich. Sie hat aber keineswegs versucht, diesem Verhalten des Klägers durch entsprechende Vorstellungen in aufrechter ehelicher Gesinnung zu begegnen und am Leben des Klägers zumindest insoweit teilzunehmen, als sie ihn etwa bei seinen abendlichen Ausgängen, soweit diese geschäftsbedingt waren, begleitet hätte, sondern dieses gewiß ehewidrige Verhalten des Klägers nur damit beantwortet, daß sie sich ihrerseits völlig von ihm zurückzog, sich seit dem Jahr 1980 weigerte, mit ihm geschlechtlich zu verkehren und letztlich ohne konkreten Anlaß aus durchaus unstichhältigen Gründen im August 1984 die Ehegemeinschaft einseitig aufhob.

Stellt man das festgestellte Gesamtverhalten der beiden Ehegatten gegenüber, dann ist nicht zu übersehen, daß es gewiß der Kläger war, der durch sein Verhalten die Zerrüttung der Ehe einleitete, daß aber die von der Beklagten gesetzten Eheverfehlungen weder als entschuldbare Reaktion noch nach § 49 zweiter Satz EheG beurteilt werden können, sondern in ihrem Gewicht und in ihrer Bedeutung für die eingetretene unheilbare Zerrüttung der Ehe zumindest nicht entscheidend hinter denen des Klägers zurückstehen. Unter diesen Umständen ist in den Entscheidungen der Vorinstanzen ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.

Beiden Revisionen mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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