OGH 8Ob561/86

OGH8Ob561/8628.8.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anneliese S***, Handelsfrau, Pantzergasse 10, 1190 Wien, vertreten durch Dr.Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Walter AIR Service Gesellschaft m. b.H., 1300 Flughafen Wien-Schwechat, vertreten durch Dr.Walter Haindl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 238.000 S s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24.Jänner 1986, GZ 3 R 238/85-18, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 10.September 1985, GZ 37 Cg 415/84-13, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.119,80 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Barauslagen von 38 S und Umsatzsteuer von 643,80 S) und die mit 9.135,85 S bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin Barauslagen von 640 S und Umsatzsteuer von 772,35 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 238.000 S s.A. im wesentlichen mit der Begründung, die Firma Joana K*** International Ltd. Services, Hongkong, habe am 20.Jänner 1984 der Firma F*** Express International Ltd., Hongkong, den Auftrag erteilt, Waren im Gesamtwert von HK$ 412.460,66 im Versand der Sammelluftfracht an die Firma SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. in Wien als Warenempfänger zu versenden. Im House-Airwaybill scheine die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. als Warenempfänger auf, im Master-Airwaybill die Beklagte. Die Beklagte hätte daher die Sendung an den im House-Airwaybill genannten Empfänger, nämlich die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H., ausfolgen müssen, die sie ihrerseits auf Grund der der Warensendung beigeschlossenen Dokumente (Fakturen, Packliste, Ursprungszeugnis) der Klägerin ausfolgen hätte sollen. Da die Klägerin einen Teil dieser Lieferung auf Grund eines Fixgeschäftes bis längstens 27.Jänner 1984 ausliefern hätte sollen, habe sie die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. auf termingerechte Auslieferung der Sendung gedrängt. Am 26.Jänner 1984 habe die Beklagte die Warenlieferung der SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. avisiert; diese habe am 27.Jänner 1984 die Sendung mit Begleitscheinen am Flughafen beziehen wollen. Die Beklagte habe jedoch unter zu Unrecht erfolgter Berufung auf ein gesetzliches Pfand- und Retentionsrecht zu Gunsten einer angeblichen Forderung von 110.793,68 S gegen die Klägerin die Herausgabe verweigert. Dadurch sei die Klägerin gezwungen gewesen, den Rechtsanwalt Dr. H*** einzuschalten, um die Herausgabe der Waren von der Beklagten zu erreichen. Erst nach treuhändigem Erlag von 50.000 S und einer Barzahlung von weiteren 50.000 S durch die Klägerin habe die Beklagte die Waren der SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. ausgefolgt, die sie nach Verzollung prompt an die Klägerin weitergeleitet habe. Wegen der nicht zeitgerechten Auslieferung der Ware sei der Käufer von dem mit der Klägerin geschlossenen Fixgeschäft zurückgetreten. Die Klägerin habe die Waren zum Teil gerade noch zum Einstandspreis, zum Teil überhaupt nicht verkaufen können und erleide dadurch einen Gewinnentgang von 234.000 S. An Kosten für den von ihr beigezogenen Rechtsanwalt Dr. H*** habe die Klägerin 4.000 S aufwenden müssen. Diese Beträge habe ihr die Beklagte aus dem Titel des Schadenersatzes zu bezahlen. Die Beklagte sei auf die Dringlichkeit der Lieferung hingewiesen worden. Die Sendung sei FOB Hongkong verschifft worden; damit sei das Eigentum an den Waren auf die Klägerin übergegangen. Die Beklagte habe widerrechtlich in das Eigentumsrecht der Klägerin eingegriffen und hafte daher ex delictu. Weiters habe sie vorsätzlich bzw. grob fahrlässig gegen die ausdrückliche Weisung des Auftraggebers, die Waren an die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. auszufolgen, verstoßen. Sie habe auch unter Verletzung des Briefgeheimnisses nicht für ihre Kenntnisnahme bestimmte Papiere, die in einem Kuvert verschlossen gewesen seien, eingesehen und nur deshalb erfahren, daß der Endempfänger die Klägerin gewesen sei.

Die Beklagte wendete im wesentlichen ein, sie habe der Klägerin nach dem Warenaviso vom 26.Jänner 1984 mitgeteilt, daß ihr im Hinblick auf eine offene Forderung ein Pfand- und Zurückbehaltungsrecht zustehe und sie auch berechtigt sei, die Vorleistung zu verweigern. Sie habe auch versucht, im Wege eines Nachnahmeauftrages zu ihrem Geld zu kommen, doch habe ihr die Empfängerin am 30.Jänner 1984 mitgeteilt, daß sie auf der bedingungslosen Ausfolgung des Frachtgutes bestehe. Um jeder möglichen Differenz aus dem Weg zu gehen, habe die Beklagte am 30. Jänner 1984 ihre Zustimmung zur bedingungslosen Ausfolgung des Frachtgutes an die Empfängerin erteilt. Zur selben Zeit habe sie mit der Klägerin über die Bezahlung des offenen Saldos und über die Ausfolgung der Ware verhandelt. Die erzielte Einigung sei im Anwaltsbrief vom 31.Jänner 1984 festgehalten. Der Luftfrachtagent (Auftraggeber der Beklagten) habe gegenüber der Beklagten auf jeden Verzugsschaden verzichtet. Die Klägerin sei somit nicht aktiv klagslegitimiert, weil sie im Rahmen des Luftfrachtvertrages nicht Vertragspartner der Beklagten sei und weil der Vertragspartner der Beklagten keinen Schaden erlitten habe, sodaß dieser der Klägerin auch keinen Schadenersatzanspruch abtreten habe können. Der Vertragspartner der Beklagten habe auf Schadenersatzansprüche verzichtet. Die Haftung der Beklagten als Zwischenspediteur sei gemäß § 41 AÖSp. ausgeschlossen. Überdies liege gemäß § 54 AÖSp. eine Haftungsbegrenzung von 15.000 S vor. Die Beklagte treffe an der Verzögerung der Auslieferung kein Verschulden. Das Frachtgut sei der Klägerin innerhalb der im Art. 13 des Warschauer Abkommens normierten Frist von 7 Tagen ausgefolgt worden. Überdies habe der Luftfrachtbrief keinen Hinweis auf die dringliche Behandlung des Frachtgutes enthalten. Weder die Klägerin noch die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. hätten die Beklagte nach dem Aviso vom 27. Jänner 1984 auf eine besondere Dringlichkeit hingewiesen. Als ihr diese am 30.Jänner 1984 bekanntgeworden sei, habe die Beklagte die Ware sofort und bedingungslos freigegeben. Die Beklagte wäre aber wegen ihrer offenen Forderung berechtigt gewesen, die Ware zurückzuhalten. Die Klägerin habe mit ihr am 31.Jänner 1984 eine Vereinbarung über die Ausfolgung des Gutes ohne jeden Vorbehalt geschlossen, weshalb die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen dem Sinn der Vereinbarung und damit den guten Sitten widerspreche. Die Klägerin habe außerdem sorglos gehandelt, weil sie die Lieferung des Frachtgutes, das erst am 26.Jänner 1984 in Wien eingelangt sei, im Rahmen eines Fixgeschäftes ihrem Abnehmer für den 27.Jänner 1984 zugesagt habe. Der geltend gemachte Schaden sei als sogenannter Drittschaden nicht klagbar. Schließlich habe die Klägerin der Beklagten am 28.Jänner 1984 den Auftrag erteilt, das Frachtgut freizugeben und sich Schadenersatzansprüche nur für den Fall vorbehalten, daß die Beklagte die gesetzte Frist ungenützt verstreichen lasse. Da aber am 31.Jänner 1984 eine außergerichtliche Einigung zustandegekommen sei und die Beklagte die Ware daraufhin unverzüglich freigegeben habe, bestehe der eingeklagte Anspruch nicht zu Recht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Beklagte teilte der Klägerin, die ihr Unternehmen unter der nicht protokollierten Firma S*** Electronic betreibt, mit Fernschreiben vom 27.Jänner 1984 mit, daß ein Außenstand von 104.917,68 S bestehe, den die Klägerin entgegen ihrer Zusage nicht bezahlt habe. Gestern sei der Beklagten eine Sendung mit 863 kg für die Klägerin avisiert worden. Die Beklagte habe das Recht, an dieser Sendung das Pfand- und Retentionsrecht auszuüben. Die Sendung sei gemäß Fakturen FOB Hongkong verschifft worden; Gefahr und Zufall seien demnach schon in Hongkong auf die Klägerin übergegangen. Eigentumsvorbehalt sei nach den Fakturen nicht vereinbart worden. Es handelte sich hiebei um eine Sendung, deren Versender die Firma Joana K*** International Ltd. Services, Hongkong, war. Als Shipper (Absender) fungierte der Luftfrachtagent F*** Express International Ltd., Hongkong, als Carrier (Luftfrachtführer) die Beklagte, die im Master-Airwaybill als Empfänger aufscheint. Im House-Airwaybill scheint die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. als Warenempfänger auf, die die Sendung auf Grund der Dokumente der Klägerin auszufolgen hatte.

Mit Fernschreiben vom 28.Jänner 1984 teilte die Firma Joana K*** International Ltd. Services der Beklagten mit, sie hätte in Erfahrung gebracht, daß die Beklagte die Sendung nicht an die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. ausfolge. Alle ihre Lieferungen stünden unter Eigentumsvorbehalt. Alle Schadenersatzansprüche, die aus dieser Sendung ihr und ihren Kunden zustünden, werde sie gegen die Beklagte aufrechnen.

Mit Fernschreiben vom 30. Jänner 1984 erteilte die Beklagte der SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. die Nachnahmeanweisung, daß die Sendung nur gegen Inkasso von 110.793,68 S an die Klägerin ausgefolgt werden dürfe, bei Ausfolgung an einen dritten nur mit einer solchen Nachnahmeanweisung.

Die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. wies die Beklagte mit Fernschreiben vom 30.Jänner 1984 darauf hin, daß sie weder ein vertragliches noch ein gesetzliches Pfandrecht habe. Schadenersatzansprüche und eine Herausgabeklage wurden angekündigt. Nach Erhalt des Fernschreibens der Firma Joana K*** International Ltd. Services am 28. Jänner 1984 erteilte der bei der Beklagten für die Rechtsangelegenheiten zuständige Norbert B*** die Anweisung, die Waren sofort freizugeben.

Vor Einlangen der Sendung wurde die Beklagte nicht darauf hingewiesen, daß die Klägerin über diese Waren ein Fixgeschäft abgeschlossen habe. Für die Beklagte hatten sich Anhaltspunkte ergeben, daß die Sendung für die Klägerin bestimmt war; sie brachte dies daraufhin in Erfahrung.

Vorgesehen war entsprechend dem Auftrag der Klägerin eine Hausbeschau durch die Zollbehörde. Der Grund war besondere Dringlichkeit; die Mehrkosten akzeptierte die Klägerin. Verzollt wurden die Waren sodann am 1.Februar 1984 um 15 Uhr. Die Freigabe durch die Beklagte war einen Werktag vorher erfolgt, jedoch so spät, daß die Verzollung nicht mehr möglich war. Für die Klägerin trat ihr Ehegatte Gerhard S*** auf. Er beauftragte Rechtsanwalt Dr. H***, die Verhandlungen mit der Beklagten zu führen. Zwischen Dr. H*** und der Beklagten wurde vereinbart, daß die Klägerin einen Betrag von 50.000 S bei Dr. H*** erlegt, der diesen Betrag treuhändig verwahrt, bis in einer Zollangelegenheit eine Entscheidung über ein von der Beklagten einzubringendes Rechtsmittel vorliegt. Hierauf erklärte sich die Beklagte vereinbarungsgemäß zur Ausfolgung der Sendung bereit.

Über allfällige weitere Forderungen der Klägerin, insbesondere solche, wie sie in diesem Verfahren geltend gemacht werden, wurde zwischen den Streitteilen nichts gesprochen oder erwähnt. Rechtsanwalt Dr. H*** machte der Klägerin gegenüber einen Honoraranspruch von 4.000 S geltend; die Klägerin bezahlte dieses Honorar.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß zwischen den Streitteilen kein Vertragsverhältnis bestanden habe. Die Klägerin könne daher keine vertraglichen Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend machen. Soweit die Klägerin geltend mache, die Beklagte hafte ex delictu, scheide vorweg ein Eingriff der Beklagten in das Eigentumsrecht der Klägerin an den Waren aus, da schon nach dem Vorbringen der Klägerin Eigentumsvorbehalt begründet und damit nach wie vor die Firma Joana K*** International Ltd. Services Eigentümerin gewesen sei. Wann das Eigentum an die Klägerin übergegangen sein solle, sei nicht vorgebracht worden. Die Klägerin könne keinen Eingriff in ihr Eigentumsrecht geltend machen, da sie dieses zur Zeit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes durch die Beklagte noch nicht erworben gehabt habe.

Die Behauptung der Klägerin, die Beklagte habe durch Verletzung des Briefgeheimnisses eine strafbare Handlung begangen, sei in keiner Weise konkretisiert und auch nicht unter Beweis gestellt worden.

Ein Eingriff in ein fremdes Forderungsrecht liege ebenfalls nicht vor, da die Beklagte nicht das der Klägerin zustehende Recht auf Lieferung von Waren in Anspruch genommen, sondern nur ein eigenes auf Zurückbehaltung der Waren gerichtetes Recht geltend gemacht habe. Das Forderungsrecht der Klägerin selbst sei nicht beeinträchtigt worden. Die Klagsforderung bestehe daher nicht zu Recht.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluß Folge. Es hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, es sei zutreffend, daß der Klägerin kein unmittelbarer Anspruch aus dem Frachtvertrag zustehe, weil sie nicht Partei desselben sei. Den Frachtvertrag habe die F*** Express International Ltd. als Absender mit der Beklagten als Luftfrachtführer geschlossen. Da die Klägerin im Frachtbrief auch nicht als Empfängerin der Ware bezeichnet sei, komme ihr nicht die Stellung eines durch den Frachtvertrag begünstigten Dritten zu. Das Warschauer Abkommen sei auf den hier in Frage stehenden Luftfrachtvertrag anzuwenden, weil Abgangs- und Bestimmungsort des Frachtgutes in Gebieten von vertragschließenden Teilen gelegen seien. Die Klägerin habe auch nicht vorgebracht, daß ihr die aus dem Luftfrachtvertrag berechtigten Personen Schadenersatzansprüche abgetreten hätten. Nur wegen der Stellung der Klägerin außerhalb des Personenkreises der Frachtvertragspartner könne aber aus einer Vertragsverletzung der abgeleitete Schadenersatzanspruch noch nicht abschlägig beurteilt werden. Es bestünden nämlich nach allgemeiner Auffassung Schutz- und Sorgfaltspflichten aus Schuldverhältnissen nicht nur zwischen den Vertragsparteien, sondern auch gegenüber bestimmten dritten Personen. Der Schuldner habe Schutzpflichten auch gegenüber Sachen, die dritten Personen gehörten, die in Kontakt mit der Hauptleistung kämen, sodaß sie einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt seien, und an denen die Hauptleistung vorgenommen werde. Für die Annahme von Schutzpflichten gegenüber solchen Dritten reiche es aus, wenn der Vertragspartner an ihnen ein eigenes Interesse habe oder wenn er selbst Sorgfaltspflichten gegenüber dieser Sache habe. Das bloße Vermögen dritter Personen werde in der Regel nicht in den Schutzbereich einbezogen. Eine Ausnahme von dieser Regel werde allerdings unter anderem dann als berechtigt angesehen, wenn die Hauptleistung gerade einem Dritten zukommen solle, was vor allem bei Verträgen zugunsten Dritter und auch bei mittelbarer Stellvertretung der Fall sei. Für die Erstreckung sämtlicher Sorgfaltspflichten auf den Dritten spreche, daß sonst der Schuldner niemandem gegenüber die Sorgfaltspflichten zu beachten hätte. Der Vertrag zwischen einem Geschäftsherrn und seinem Erfüllungsgehilfen sei hingegen regelmäßig keine Vereinbarung mit Schutzwirkungen zugunsten des Gläubigers des Geschäftsherrn; der Erfüllungsgehilfe hafte dem geschädigten Gläubiger grundsätzlich nur deliktisch. Der Frachtführer, der im Auftrag eines Spediteurs tätig werde, sei jedoch nicht der Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers des Spediteurs bei der Erfüllung der gegenüber seinem Käufer bestehenden Vertragspflichten. Das anzuwendende nationale Recht für die Beurteilung der durch Schutzpflichten zugunsten Dritter aus einem Vertrag geschaffenen Sonderverbindung bestimme sich nach dem Vertragsstatut. Das Warschauer Abkommen regle den Schadenersatzanspruch wegen der Verletzung von Schutzpflichten nicht. Daher komme gemäß § 36 IPRG wegen der Niederlassung der Beklagten, die überwiegend als typische Hauptleistung Geld zu erhalten habe, in Österreich mangels anderslautender Vereinbarung österreichisches Recht zur Anwendung. Der Luftfrachtvertrag, mit dem die Beklagte den Transport des Frachtgutes als Hauptpflicht übernommen habe und durch den der Empfänger als Dritter berechtigt worden sei, nach Ankunft des Gutes am Bestimmungsort dessen Ablieferung gegen Bezahlung der geschuldeten Beträge zu verlangen, enthalte Pflichten des Frachtführers an den beförderten Sachen, die Dritten zukommen sollten und damit auch Schutzpflichten gegenüber dem Käufer des Frachtgutes. Diese und die vertragliche Pflicht, die Ware dem Empfänger auszufolgen, bezweckten den Schutz des Forderungsrechtes des Dritten. Durch die Einhaltung dieser Pflichten solle dem Dritten letztlich die Verfügungsmacht am Frachtgut verschafft werden. Die Handlung der Beklagten, das in Wien angekommene Frachtgut nicht dem Empfänger auszufolgen, beeinträchtige daher auch das Forderungsrecht der Klägerin, das im vorliegenden Fall geschützt sei, weil der im Frachtbrief aufscheinende Empfänger dazu verhalten gewesen sei, das Frachtgut der Klägerin auszufolgen und somit als deren mittelbarer Stellvertreter tätig zu werden.

Die Zurückbehaltung des Frachtgutes durch die Beklagte sei rechtswidrig geschehen, weil Art. 13 des Warschauer Abkommens die Zug-um-Zug-Abwicklung der Ablieferung des Frachtgutes gegen Bezahlung der geschuldeten Beträge, nicht aber ein Zurückbehaltungsrecht für nicht konnexe Forderungen vorsehe. Unter den geschuldeten Beträgen sei nur die auf die Beförderung des Gutes entfallende Fracht zu verstehen. Wegen der Ansprüche, die der Beklagten gegen die Klägerin aus anderen Geschäften zugestanden seien, habe die Beklagte das Frachtgut nicht zurückbehalten dürfen. Die Geltung der AÖSp., auf die sich die Beklagte in diesem Zusammenhang berufe, sei im Rahmen des vorliegenden Luftfrachtvertrages nicht vereinbart worden.

Die Frist des Art. 13 Abs 3 des Warschauer Abkommens von 7 Tagen, auf die sich die Beklagte allenfalls berufe, sei keine Leistungsfrist für die Ablieferung des bereits am Bestimmungsort angekommenen Gutes. Nach Abs 1 dieser Bestimmung sei der Empfänger nach Ankunft des Gutes am Bestimmungsort berechtigt, vom Frachtführer die unverzügliche Ablieferung des Gutes zu verlangen. Aus der Vereinbarung der Streitteile vom 31.Jänner 1984 sei für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen, weil damals die Schadenersatzforderung nicht erwähnt worden sei. Das Stillschweigen der Klägerin habe der Beklagten keinen Anhaltspunkt dafür bieten können, daß die Klägerin im Fall der Ausfolgung des Frachtgutes gegen Bezahlung eines Teiles der behaupteten Forderung und Sicherstellung eines weiteren Betrages auf Schadenersatzansprüche wegen verspäteter Auslieferung der Waren verzichten werde. Dennoch sei die Sache auf Grund dieser Überlegungen noch nicht im Sinne der Bejahung des Anspruches der Klägerin spruchreif. Das Verhalten der Beklagten wäre für einen Verspätungsschaden der Klägerin nur dann kausal, wenn die unverzügliche Freigabe des Frachtgutes nach der Ankunft in Wien dazu geführt hätte, daß die Klägerin rechtzeitig über das Gut verfügen und die vertragliche Verpflichtung gegenüber ihrem Abnehmer erfüllen hätte können. Dazu seien aber Feststellungen über den genauen Zeitpunkt des Einlangens des Frachtgutes und darüber erforderlich, daß das Gut bei dringlicher Zollabfertigung rechtzeitig in die Verfügungsmacht der Klägerin gelangt wäre.

Ein Verschulden der Beklagten am Schadenseintritt wäre überdies auch nur dann gegeben, wenn diese die Ablieferung des Frachtgutes in Kenntnis der Dringlichkeit (Fixgeschäft und dessen Termin) verweigert hätte. Die Feststellung des Erstgerichtes, daß die Klägerin die Beklagte vor dem Einlangen der Sendung nicht darauf hingewiesen habe, reiche für diese Beurteilung nicht aus, weil sich daraus nicht ergebe, ob die Klägerin diesen Hinweis sofort nach der Ankündigung vom Eintreffen der Ware gemacht habe.

Schließlich könnte der geltend gemachte Schaden auch nur dann entstanden sein, wenn die Klägerin mit ihrem Abnehmer tatsächlich ein Fixgeschäft mit dem Termin 27.Jänner 1984 vereinbart gehabt hätte. Auch darüber habe das Erstgericht keine Feststellung getroffen.

Sollte die Verfahrensergänzung ergeben, daß der Schadenersatzanspruch der Klägerin dem Grunde nach zu Recht bestehe, wären auch noch Feststellungen über die Schadenshöhe erforderlich. Die Anordnung des Rechtskraftvorbehaltes begründete das Berufungsgericht damit, daß zur Frage der durch Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter geschützten Rechtsgüter (nur absolute Güter oder auch andere) widersprüchliche bzw. keine (Ersatz des Vermögensschadens im Falle der mittelbaren Stellvertretung) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege. Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen; hilfsweise beantragt sie, in der Sache selbst im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes zu erkennen. Die Klägerin hat eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag erstattet, dem Rekurs der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist zulässig und auch sachlich berechtigt.

Luftfrachtführer im Sinne des Warschauer Abkommens (in der Folge mit WA abgekürzt) ist, wer vertraglich die Beförderung von Personen oder Sachen auf dem Luftweg als eigene Leistung verspricht. Dabei ist es ohne Belang, ob der Versprechende gleichzeitig Charterer, Luftfahrzeughalter, Luftfahrzeugeigentümer oder Luftverkehrsunternehmer ist und ob er überhaupt irgendeine Beförderungsleistung selbst erbringt (Ruhwedel, Der Luftbeförderungsvertrag 35 f). Führt ein derartiger Luftfrachtführer die Beförderung auf dem Luftweg nicht selbst aus, sondern überträgt er sie einem Dritten, dann wird auch dieser im Sinne des Art. 1 Abs 3 WA zum (ausführenden) Luftfrachtführer (Ruhwedel aaO 39 f). Wenn die Vorinstanzen in rechtlicher Hinsicht davon ausgingen, daß die Beklagte Luftfrachtführer im Sinne des WA gewesen sei, trifft dies demnach nicht zu. Denn die Beklagte hat weder der Absenderin vertraglich die Beförderung von Sachen auf dem Luftweg als eigene Leistung versprochen noch wurde sie mit der Beförderung von Sachen auf dem Luftweg durch einen anderen Luftfrachtführer betraut. Wie sich vielmehr aus den im Akt erliegenden Luftfrachtbriefen Beil. B und C ergibt, versprach die Firma F*** Express International Ltd. der Firma Joana K*** International Ltd. Services die Beförderung der der Klägerin verkauften Waren auf dem Luftweg als eigene Leistung; in dem diesbezüglichen Luftfrachtbrief Beil. C ist die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. als Empfänger angegeben. Die Firma F*** Express International Ltd. ihrerseits führte die Beförderung nicht selbst aus, sondern übertrug sie (zusammen mit der Beförderung anderer Güter) der L***; in dem diesbezüglichen Luftfrachtbrief Beilage B ist als Empfänger (der Sammelladung) die Beklagte angeführt. Daraus ergibt sich, daß im Sinne obiger Rechtsausführungen nicht die Beklagte als Luftfrachtführer im Sinne des WA anzusehen ist, sondern die Firma F*** Express International Ltd. und die L***. Bei der Beklagten hingegen, der es lediglich oblag, die ihr im Zuge der Beförderung einer Sammelladung zugekommenen der Klägerin verkauften Waren dem auf Grund des von der Firma F*** Express International Ltd. geschlossenen Luftfrachtvertrages berechtigten Empfänger, nämlich der SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H., auszufolgen (vgl. Ruhwedel aaO 49), handelt es sich nach der Sachlage lediglich um ein Unternehmen, dessen sich der Luftfrachtführer bediente, um seiner Verpflichtung zur Ablieferung des Gutes nach Ankunft am Bestimmungsort an den berechtigten Empfänger nachzukommen. Die eigene Haftung derartiger am Luftbeförderungsvertrag nicht beteiligter Dritter gegenüber einer Person, der der aus dem Luftbeförderungsvertrag berechtigte Empfänger die beförderte Ware herauszugeben hat, wird aber im WA nicht geregelt (vgl. Ruhwedel aaO 146 f).

Geht man somit von einer Rechtsstellung der Beklagten als Erfüllungsgehilfe der Firma F*** Express International Ltd. in Ansehung deren aus dem mit der Firma Joana K*** International Ltd. Services geschlossenen Luftbeförderungsvertrag übernommenen Verpflichtung, die Waren nach Ankunft am Bestimmungsort dem Empfänger SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. zu übergeben, aus, dann ergibt sich, daß nach Lehre und Rechtsprechung eine Haftung des Erfüllungsgehilfen des Schuldners gegenüber dem Gläubiger wegen Verletzung von dem Gläubiger gegenüber bestehenden Pflichten aus dem Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner nicht in Betracht kommt; der Erfüllungsgehilfe haftet vielmehr dem Gläubiger gegenüber nur dann, wenn er unabhängig von der Existenz des Schuldverhältnisses dem Gläubiger gegenüber deliktisch handelt (Koziol, Haftpflichtrecht 2 II 349 f und Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 14 zu § 1313 a jeweils mit weiteren Nachweisen; SZ 49/47; SZ 51/79 u.a.). Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet dies, daß die Beklagte der SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. für einen dieser zugefügten Schaden nur im Falle eines deliktischen Verhaltens zu haften hätte; nichts anderes kann aber gegenüber der Klägerin gelten, die am Luftfrachtvertrag auch nicht als Empfänger beteiligt war, sondern der die gelieferten Waren von der SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. im Rahmen des mit dieser bestehenden Rechtsverhältnisses auszufolgen waren.

Ob ein derartiges haftungsbegründendes deliktisches Verhalten der Beklagten vorliegt, ist im Sinne des § 48 Abs 1 IPRG unter Bedachtnahme auf den Ort, an dem das angeblich den Schaden verursachende Verhalten gesetzt wurde, nach österreichischem Recht zu beurteilen.

Danach käme, wenn die Beklagte die ihr obliegende Herausgabe der Waren an die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. unter Berufung auf ein ihr angeblich zustehendes Pfand- bzw. Retentionsrecht um einige Tage verzögerte, als deliktisches Verhalten nur ein Eingriff in Forderungsrechte der Klägerin oder ein solches Verhalten in Betracht, mit dem sie gegen eine aus der Absolutheit eines Rechtsgutes (Eigentumsrecht der Klägerin) abzuleitende Verhaltenspflicht verstoßen hätte (Koziol, Haftpflichtrecht 2 I 155 f mit weiteren Nachweisen).

Ein Eingriff in Forderungsrechte der Klägerin kommt - abgesehen von der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein derartiger Eingriff schadenersatzpflichtig machen würde; siehe dazu Koziol, Haftpflichtrecht 2 II 40 ff mit weiteren Nachweisen - deswegen nicht in Betracht, weil ein Sachverhalt, aus dem abzuleiten wäre, daß die Klägerin vor Einlangen der Ware bei der SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. gegen diese irgendwelche obligatorische Ansprüche gehabt hätte, weder behauptet noch festgestellt wurde. Im übrigen war die Beklagte zur Herausgabe der Ware an die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. ohne jede Bedachtnahme auf die Eigentumsverhältnisse an dieser Ware verpflichtet. Sie hat auch diese Herausgabe nicht deswegen verweigert, weil sie ein der Klägerin allenfalls zustehendes Eigentumsrecht in Frage stellen wollte, sondern nur deswegen, weil sie sich auf Grund angeblicher Geldforderungen gegen die Klägerin berechtigt erachtete, die Herausgabe an die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. - nicht an die Klägerin ! - zu verweigern. Dieses Verhalten der Beklagten hatte keinen Bezug zu Verhaltenspflichten, die sich aus einem absoluten Recht der Klägerin ergeben hätten; es hatte seinen Grund ausschließlich in einer - möglicherweise

unzutreffenden - Beurteilung ihrer obligatorischen Verpflichtungen gegenüber der SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. Selbst wenn man daher davon ausginge, daß die Klägerin in dem fraglichen Zeitraum, in dem die Beklagte die Ausfolgung an die SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. verweigerte, bereits Eigentümerin der in Frage stehenden Waren gewesen wäre (nach den Verfahrensergebnissen ist dies insbesondere im Hinblick auf den festgestellten Inhalt des Fernschreibens der Firma Joana K*** International Ltd. Services an die Beklagte vom 28. Jänner 1984 zumindest fraglich), wäre daraus zugunsten der Klägerin nichts zu gewinnen, weil die Beklagte, wie dargestellt, nicht gegen eine aus einem Eigentumsrecht der Klägerin abzuleitende Verhaltenspflicht verstieß, sondern nur gegenüber der SÜD-OST Speditions-Ges.m.b.H. eigene Ansprüche behauptete.

Damit liegt aber ein deliktisches Verhalten der Beklagten gegenüber der Klägerin, das allein eine Haftung der Beklagten für den von der Klägerin behaupteten Schaden begründen könnte, nicht vor. Die Rechtssache ist daher spruchreif im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens, ohne daß es der vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltenen Verfahrensergänzung bedürfte. Im Sinne des § 519 Abs 2 zweiter Satz ZPO war daher in Stattgebung des Rekurses der Beklagten der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Rekursverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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