Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art. 89 Abs. 2 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag,
Text
I.) die Verordnung des Landeshauptmannes der Steiermark vom 28. November 1979 über die Einsammlung, Abfuhr, Beseitigung und Verwertung von Tierkörpern und Tierkörperteilen (Tierkörperverwertungsverordnung), LGBl. Nr. 90, in folgenden Teilen als gesetzwidrig aufzuheben:
a) § 10 Abs. 1, soweit er sich auf die im § 2 Abs. 1 Z 2 bezeichneten Gegenstände bezieht;
b) im ersten Satz des § 10 Abs. 2 die Wortfolge "die Entgelte nach Z 2 des Tarifs von den jeweiligen Betriebsinhabern";
- c) § 10 Abs. 4;
- d) im ersten Satz des § 10 Abs. 5 die Wortfolge "und Betriebsinhaber" und im zweiten Satz des § 10 Abs. 5 die Wortfolge "Betriebsinhabern bzw.";
- e) im § 10 Abs. 6 die Bezugnahme auf Abs. 4 ("und 4");
- f) die Z 2 des Tarifes zur Gänze.
II.) Art. I des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1977 über die Tragung der Kosten für die Beseitigung von Tierkörpern, BGBl. Nr. 660, als verfassungswidrig aufzuheben.
A. Sachverhalt:
Die Steirische Tierkörperverwertungsanstalt (in der Folge kurz: Anstalt) hat gemäß § 1 Abs. 2 der Verordnung des Landeshauptmannes der Steiermark vom 28. November 1979 über die Einsammlung, Abfuhr, Beseitigung und Verwertung von Tierkörpern und Tierkörperteilen (Tierkörperverwertungsverordnung), LGBl. Nr. 90, (in der Folge kurz: TKVV) die in der Steiermark anfallenden, dem Ablieferungszwang nach der TKVV unterliegenden Gegenstände einzusammeln, abzuführen, zu beseitigen oder zu verwerten.
Diese Anstalt begehrte von einem Unternehmer, in dessen in der Steiermark gelegenen Gewerbebetrieb regelmäßig ablieferungspflichtige Gegenstände anfallen, für deren Einsammlung, Abfuhr und Beseitigung in den Jahren 1981 bis 1983 die "Entgelte" nach § 10 TKVV sowie eine Vorauszahlung für 1984.
Dieses Zahlungsbegehren verfolgte die Anstalt im ordentlichen Rechtsweg, den sie mit der am 28. Januar 1985 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz angebrachten Klage beschritten hat. Im Zuge dieses Rechtsstreites erhob der Beklagte gegen das bestätigende Berufungsurteil Revision.
B. Antragsvoraussetzung:
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlaß der Revision ist die in jeder Lage des Rechtsstreites von Amts wegen zu prüfende Prozeßvoraussetzung der Zulässigkeit des Rechtsweges zu untersuchen. Die Vorinstanzen haben bei ihrer Sachentscheidung über das Vorliegen der genannten Prozeßvoraussetzung keinerlei Ausführungen gemacht. Ein bindender Ausspruch zur Prozeßvoraussetzung der Rechtswegzulässigkeit liegt nicht vor. Das Revisionsgericht hat daher zu prüfen, ob für die Geltendmachung des Anspruches der Anstalt gegen einen Unternehmer auf die nach § 10 TKVV geschuldeten Beträge die Zuständigkeit der Gerichte oder der Verwaltungsbehörden in eindeutiger und unbedenklicher Weise bestimmt wurde.
Das Revisionsgericht ist bisher in einer Reihe von Parallelverfahren von der Rechtswegszulässigkeit ausgegangen, ohne diese auch nur in Zweifel gezogen zu haben. Der dritte Senat hat in seiner zu 3 Ob 528/86 ergangenen Entscheidung vom 7. Mai 1986 erstmals von Amts wegen die Frage nach der gerichtlichen Zuständigkeit einer ausdrücklichen Erörterung unterzogen und danach die Rechtswegzulässigkeit bejaht. Der erkennende Senat erachtet dagegen, daß in der gesetzlichen Verordnungsermächtigung zur Regelung des Anspruches der Tierkörperverwertungsanstalten auf die im Verordnungsweg festzusetzenden tarifmäßigen Entgelte bezüglich ihrer Verfolgbarkeit vor Gericht oder vor der Verwaltungsbehörde Unklarheiten vorliegen, deren Wertung unter dem Gesichtspunkt des verfassungsgesetzlichen Bestimmtheitsgebotes ausschließlich dem Verfassungsgerichtshof zusteht. Dieser hatte zwar bereits mehrmals Regelungen der Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Land- und Forstwirtschaft vom 19. April 1919, StGBl. Nr. 241 (in der Folge kurz: VA) und dabei insbesondere auch den § 6 in der Fassung des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1977, BGBl. Nr. 660, einer Prüfung unterzogen, aber soweit ersichtlich nie - auch nicht im Erkenntnis vom 3. Dezember 1976, G 14/76, VfSlg. 7.936 und im Erkenntnis vom 12. Dezember 1983, G 85/81, G 61/83, VfSlg. 9.897 - nach dem jeweils gestellten Antrag oder als Vorfrage die Zuweisung der Anspruchsverfolgung auf dem gerichtlichen oder Verwaltungsweg zu untersuchen gehabt.
C. In dieser Beziehung hegt der Oberste Gerichtshof folgende Bedenken:
Mit der VA hat der Bundesgesetzgeber aus veterinärpolizeilicher Zielsetzung (§ 1 Abs. 1 und 2) unter anderem die nach der Schlachtung zum menschlichen Genusse für untauglich befundenen ganzen Tiere oder Tierteile sowie die Schlachtungsabfälle, soweit diese nicht direkt anderweitig für industrielle Zwecke oder als Dünger Verwendung finden (§ 3 Abs. 1 b), einerseits einem Ablieferungszwang der Besitzer (§ 3 Abs. 1) und andererseits einer Abnahmepflicht durch die Verwertungsanstalt (§ 2) unterworfen. Dabei hat der Bundesgesetzgeber die Landesregierung (nun den Landeshauptmann - VfSlg. 7670) berufen, "nähere Bestimmungen über die Anzeige, Verwahrung und Zufuhr der abzuliefernden Gegenstände zu treffen" (§ 6 Abs. 1) und "das Entgelt für die Einsammlung, die Abfuhr und die Beseitigung der abzuliefernden Gegenstände in einem kostendeckend begrenzten Entgelttarif durch Verordnung festzulegen" (§ 6 Abs. 3 Satz 1). Die Leistungspflicht trifft die Besitzer der dem Ablieferungszwang unterworfenen Gegenstände (§ 6 Abs. 4). Der Gesetzgeber nimmt es hin, daß der Verordnungsgeber eine einzige Anstalt für das Gebiet seines Bundeslandes oder auch mehrere Anstalten für bestimmte Teile des Landesgebietes mit einem Monopol ausstattet, wie dies unter anderem auch in der Steiermark erfolgte. In einem solchen Fall bleibt einem Unternehmer für die Fremdentsorgung der Schlachtungsabfälle nicht der geringste Rest einer privatautonomen Gestaltung, ob, wann, durch wen und mit welchem Aufwand er die Entsorgung vornehmen lassen wollte. In der Stammfassung aus dem Jahre 1919 wies der Gesetzgeber nach dem zweiten Halbsatz des § 6 Abs. 1 VA den Verordnungsgeber an, "die allfällige Vergütung für abgelieferte Gegenstände sowie die Gebühren für die Abholung und Verarbeitung festzusetzen". Diese Gesetzesstelle, die der Verfassungsgerichtshof noch in seinem Erkenntnis vom 22. Oktober 1975, V 18/75, VfSlg. 7.670 als dem Rechtsbestand angehörig unterstellte, erklärte er in seinem Erkenntnis vom 3. Dezember 1976, G 14/76, VfSlg. 7.936 wegen einer bloß formalgesetzlichen Delegation als nicht in die vom Bundes-Verfassungsgesetz beherrschte Rechtsordnung übernommen. Wenn auch nach dieser Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes keine gleichzeitige Verwendung der Ausdrücke "Gebühren" und "Entgelt" für die vom Unternehmer geschuldete Zahlung für die Fremdentsorgung von Schlachtungsabfällen anzunehmen ist, besteht doch nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß der Bundesgesetzgeber mit der Ergänzung der VA durch das Bundesgesetz vom 14. Dezember 1977, BGBl. Nr. 660, den Charakter der Rechtsbeziehung zwischen Anstalt und Unternehmer und die Eigenschaft der Geldleistung als einer öffentlich-rechtlichen Gebühr oder eines privatrechtlichen Entgeltes gegenüber der ursprünglichen Rechtslage zu ändern beabsichtigt hätte. Das nun im § 6 Abs. 3 VA ausdrücklich festgelegte Kostendeckungsprinzip kann als Indiz gegen eine privatwirtschaftlich aufzufassende Tätigkeit der Anstalt (mag sie auch gemäß § 1 Abs. 3 VA Regelungen der Gewerbeordnung unterliegen) gesehen werden. Aus der gesetzlich geregelten Art der Rechtsbeziehung zwischen Anstalt und Unternehmer ergeben sich nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes keine zwingenden Schlüsse auf das Vorliegen einer bürgerlichen Rechtssache einerseits oder einer Verwaltungssache andererseits. Eine positive Verweisung der Rechtsverfolgung des Entgeltanspruches auf den gerichtlichen oder auf den Verwaltungsweg fehlt.
Die Unsicherheit über den vom Gesetzgeber angeordneten Weg der Rechtsverfolgung wurde durch die Überleitungsregelung nach Art. II des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1977, BGBl. Nr. 660, objektiv aus folgenden Gründen nur noch gesteigert:
Der Burgenländische Verordnungsgeber hat in seiner Verordnung vom 30. Dezember 1975, LGBl. Nr. 3/1976, in einer an Eindeutigkeit und Klarheit nicht zu überbietenden Weise die von ihm festgesetzten Bauschgebühren als öffentlich-rechtliche Gebühren erklärt und die Vorschreibung durch die Bezirksverwaltungsbehörde sowie die Einbringung rückständiger Gebühren im Verwaltungsweg angeordnet. Der Ober-Österreichische Verordnungsgeber hat in seiner Verordnung vom 10. Dezember 1964, LGBl. Nr. 68, in unterscheidender Weise einerseits eine Vorschreibung und Einhebung der von den Gemeinden zu entrichtenden Gebühren durch den Landeshauptmann und andererseits eine "Bekanntgabe" der von den Unternehmern zu entrichtenden Benützungsentgelte durch die Anstalt angeordnet. Der Salzburger Verordnungsgeber hat in seiner Verordnung vom 8. Oktober 1973, LGBl. Nr. 123, die Anstalt "ermächtigt, Entgelte zu verrechnen", und diese Entgelte festgelegt.
In der letztgenannten Regelung des Salzburger Verordnungsgebers sind überwiegende Anhaltspunkte dafür vorhanden, die Zahlungspflicht als im Rahmen einer privatrechtlichen Beziehung gelegen aufzufassen. Bei dieser Auffassung müßte dem Bundesgesetzgeber unterstellt werden, daß er in Ausführung seiner VA als räumlich begrenzt wirksames Bundesrecht ohne erkennbare sachliche Unterscheidungsgründe unterschiedliche Anordnungen über die Ausgestaltung und Verfolgung des Anspruches der Verwertungsanstalt gegen die Unternehmer auf Entgelt für die Sonderentsorgung auf dem Verwaltungsweg einerseits und auf dem Rechtsweg andererseits in Wirksamkeit gesetzt habe. Dies gestattete aber wieder Rückschlüsse auf seine Regelungsabsicht in der VA selbst, daß nämlich dem Bundesgesetzgeber die Ausgestaltung des Anspruches und der Anspruchsverfolgung durch den Verordnungsgeber in jeder in Betracht zu ziehenden Weise (gerichtlich oder verwaltungsrechtlich) gleichwertig erschienen wäre. Dies aber erweckt Bedenken gegen die hinreichende Vorausbestimmung der gesetzlichen Regelung über die Tragung der Kosten für die Beseitigung von Tierkörpern nach den Absätzen 3 und 4 des § 6 VA.
Die offenkundig unterschiedlichen Auffassungen der Verordnungsgeber in den einzelnen Bundesländern bestärken den Obersten Gerichtshof in seinen Zweifeln an der hinreichenden Vorausbestimmung des § 6 VA in dessen Absätzen 3 und 4, weil eine eindeutige Verweisung der Anspruchsverfolgung auf den gerichtlichen oder auf den Verwaltungsweg fehlt und auch aus der Gesamtheit der Regelung mit der erforderlichen Sicherheit nicht erschließbar ist. Diese Zweifel an einer dem Gebot des Art. 18 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 94 B-VG entsprechenden gesetzlichen Regelung in den Absätzen 3 und 4 des § 6 VA lassen diese als verfassungswidrig und die auf sie gestützte TKVV in deren § 10, soweit sich dessen Bestimmungen nicht auf die Gemeinden beziehen, und die Ziffer 2 des Tarifes wegen fehlender verfassungsgemäßer gesetzlicher Verordnungsermächtigung als anfechtbar erscheinen.
Diese Zweifel zu beseitigen, ist ausschließlich der Verfassungsgerichtshof berufen. Aus diesem Grunde erachtet sich der Oberste Gerichtshof verpflichtet - ebenso wie in den zu 6 Ob 1502/86 und 6 Ob 525/86 anhängigen Revisionsverfahren - den Antrag auf Gesetzes- und Verordnungsprüfung zu stellen.
Mit der Fortsetzung des Revisionsverfahrens wird im Sinne der §§ 57 Abs. 3 und 62 Abs. 3 VfGG innegehalten.
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