OGH 6Ob627/85

OGH6Ob627/8519.6.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Jensik, Dr. Schobel und Dr. Riedler als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Veronika U***, Hausfrau in Innsbruck, An-der-Lan-Straße 22, vertreten durch Dr. Harald Burmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Robert U***, derzeit arbeitslos, Innsbruck, An-der-Lan-Straße 45, vertreten durch Dr. Andreas Herdina, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Ehescheidung und Unterhalt, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 14. März 1985, GZ 2 R 48/85-106, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 15. November 1984, GZ 6 Cg 94/82-100, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 2. Jänner 1965 vor dem Standesamt Telfs die Ehe geschlossen. Sie sind österreichische Staatsbürger und hatten den letzten gemeinsamen Wohnsitz in Innsbruck. Aus der Ehe stammen die Kinder Martin, geboren am 4. Juni 1965, und Gerhard, geboren am 8. Dezember 1971.

Die Klägerin begehrte mit der am 3. Mai 1979 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten und dessen Verpflichtung, ihr ab Rechtskraft der Scheidung einen monatlichen Unterhalt in der Höhe von S 4.000 zu bezahlen. Sie führte im wesentlichen aus: Schon in den Jahren 1966 und 1978 seien Scheidungsverfahren anhängig gewesen. Beide Male habe die Klägerin erwartet, der Beklagte werde sich bessern. Die Klägerin sei daher jeweils bereit gewesen, die Ehe mit dem Beklagten fortzusetzen, sodaß in den Scheidungsprozessen Ruhen des Verfahrens eingetreten sei. Das Verhalten des Beklagten habe sich aber in letzter Zeit grundlegend verschlechtert, sodaß ein weiteres Zusammenleben und eine weitere Fortsetzung der Ehe der Klägerin unzumutbar, weil menschunwürdig sei. Der Beklagte sei jähzornig und habe wiederholt die Klägerin verletzt. Er habe ihr bereits im Jahre 1974 ein Bügeleisen nachgeworfen. In den Jahren 1976, 1977 und 1978 habe die Klägerin wegen der Tätlichkeiten des Beklagten ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Der Beklagte habe die Klägerin auch mehrfach gewürgt und im Zuge von Tätlichkeiten Einrichtungsgegenstände beschädigt. Am 7. Juni 1979 habe der Beklagte der Klägerin einen Selbstmordversuch vorgetäuscht und, als die Klägerin die Rettung gerufen habe, erklärt, die Klägerin habe nur aus Bosheit die Rettung verständigt. Der Beklagte habe die Klägerin wiederholt beschimpft und abfällige Bemerkungen über deren invalide Freundin gemacht. Der Beklagte sei seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen und habe seiner Familie kein ausreichendes Wirtschaftsgeld gegeben. Er habe seine Freizeit seinen Hobbys und nicht seiner Familie gewidmet. Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und stellte einen Mitschuldantrag dahin, das überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen. Er wendete im wesentlichen ein: Die Klägerin beschimpfe ihn seit vielen Jahren wiederholt unflätig, und zwar auch in Gegenwart der Kinder. Die Darstellung der Klägerin über angebliche Mißhandlungen durch den Beklagten sei völlig entstellt. Die Klägerin selbst habe den Beklagten mehrfach tätlich angegriffen und dabei auch verletzt. Sie habe ihn des öfteren angespuckt und in der Öffentlichkeit in Anspielung auf sein äußeres Erscheinungsbild mit Ausdrücken wie "Dicksau" und "Fettsau" lächerlich gemacht. Die Klägerin sei mit den Kindern wiederholt nach Rietz zu ihrer Schwester gefahren und dort mehrere Tage geblieben, ohne den Beklagten davon zu verständigen. Sie habe ehewidrige Beziehungen zu anderen Männern unterhalten, sei häufig allein ausgegangen und habe Nachtlokale besucht, wobei sie jeweils die Kinder unversorgt allein gelassen habe. Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 18. Oktober 1980, 6 Cg 243/79-33, wurde die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem Verschulden geschieden und das Unterhaltsbegehren der Klägerin abgewiesen. Das Urteil wurde den Parteienvertretern am 26. November 1980 bzw. 27. November 1980 zugestellt. Der gegen dieses Urteil lediglich von der Klägerin erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht mit Beschluß vom 5. Februar 1981 (ON 38) Folge und hob das Ersturteil, das in seinem Ausspruch über die Scheidung der Ehe der Streitteile wegen Verschuldens des Beklagten als nicht in Beschwerde gezogen unberührt geblieben war, in seinem übrigen Umfang (Ausspruch eines Mitverschuldens der Klägerin, Abweisung des Unterhaltsbegehrens und Kostenentscheidung) auf und verwies die Rechtssache unter Setzung eines Rechtskraftvorbehaltes insoweit an das Erstgericht zurück. Der gegen den Aufhebungsbeschluß erhobene Rekurs des Beklagten blieb erfolglos (6 Ob 599/81, ON 53 d.A.). Mit Endurteil vom 15. November 1984 sprach das Erstgericht aus, daß die Klägerin an der Zerrüttung der mit dem Urteil vom 18. Oktober 1980 aus dem Verschulden des Beklagten geschiedenen Ehe das gleichteilige Verschulden trifft, und wies das Unterhaltsbegehren ab. Es traf folgenden entscheidungswesentliche Feststellungen:

Die Klägerin war 19 Jahre alt, als sie den damals noch nicht 22 Jahre alten Beklagten heiratete. Ausschlaggebend für die Heirat war der Umstand, daß die Klägerin vom Beklagten ein Kind erwartete. Nach der Eheschließung gab die Klägerin ihre Beschäftigung als Verkäuferin in Telfs auf, weil sie die Absicht hatte, sich ganz der Erziehung des fünf Monate nach der Eheschließung geborenen Sohnes Martin zu widmen. Der Beklagte arbeitete als Schriftsetzer bei der Firma T*** in Innsbruck und verdiente nur wenig. Auf Grund der finanziellen Verhältnisse waren die Streitteile nicht in der Lage, eine eigene Wohnung anzuschaffen, und zogen daher zu den Eltern des Beklagten. Dort kam es ständig zu Differenzen mit den Schwiegereltern. Wenn die Klägerin deshalb dem Beklagten vorjammerte, kam es zum Streit. Am 15. Jänner 1966 verließ die Klägerin mit dem Sohn Martin die eheliche Gemeinschaft und zog zu ihrem Vater nach Telfs. Da sich die Klägerin weigerte, zum Beklagten in die eheliche Gemeinschaft zurückzukehren, brachte der Beklagte am 16. Februar 1966 beim Landesgericht Innsbruck zu 5 Cg 97/66 die Ehescheidungsklage gegen die Klägerin ein. Er zog die Klage am 28. Februar 1966 zurück, weil die Klägerin offenbar in die eheliche Gemeinschaft zurückgekehrt war. Der Beklagte hatte zur Rettung der ehelichen Beziehungen ein Zimmer gemietet. Die räumlichen Verhältnisse waren jedoch derart beschränkt, daß es auch hier zu Auseinandersetzungen kam. Als die Klägerin einmal Windeln in einem Kübel über einen Tag lang eingeweicht hatte, war der Beklagte darüber so erregt, daß er gegen die Klägerin tätlich wurde. Sie erlitt dadurch mehrfache Blutunterlaufungen am Kopf. Daraufhin verließ die Klägerin wiederum die eheliche Gemeinschaft und fuhr mit dem Kind nach Telfs zu ihren Eltern, wo sie drei Monate blieb. Der Beklagte konnte sie nur dadurch zur Rückkehr bewegen, daß er eine Garconniere mietete, welche ihn monatlich S 1.500 kostete. Er konnte sich deshalb und wegen seines geringen Einkommens kein Auto mehr leisten, was zur Unzufriedenheit der Klägerin führte. Sie machte dem Beklagten Vorwürfe, daß er zu wenig Geld verdiene. Sie hielt ihm auch vor, daß ihre Familie finanziell besser situiert sei und sowohl ihre Eltern als auch ihre Brüder Hausbesitzer seien. In der Folge gab der Beklagte die gemietete Garconniere wieder auf, weil er diese Ausgaben für unvernünftig hielt. Er forderte die Klägerin auf, mit ihm wieder zu seinen Eltern zu ziehen. Die Klägerin lehnte dies ab. Am 29. Juli 1966 brachte der Beklagte neuerlich zu 24 Cg 391/66 beim Landesgericht Innsbruck die Ehescheidungsklage gegen die Klägerin ein. Die Klägerin erhob zu 24 Cg 433/66 des Landesgerichtes Innsbruck Widerklage. Die beiden Verfahren wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Im Zuge eines Sicherungsantrages der Klägerin wurde dieser mit einstweiliger Verfügung vom 10. Oktober 1966 der abgesonderte Wohnort bei ihren Eltern in Telfs bewilligt, weil der Beklagte zugegeben hatte, die Klägerin wiederholt geschlagen zu haben. In der Folge versöhnten sich die Streitteile und nahmen die eheliche Gemeinschaft wieder auf. Sie wohnten dann bis 1970 bei den Eltern des Beklagten. Dann wohnte die Klägerin mit Zustimmung des Beklagten mit dem Kind bei ihrer Tante in Telfs, während der Beklagte bei seinen Eltern in Innsbruck verblieb. Der Beklagte hatte sich jahrelang um eine städtische Wohnung bemüht, bevor die Streitteile im Jahre 1971 eine städtische Wohnung in Innsbruck, An-der-Lan-Straße 22, erhielten. Dennoch kam es ständig zu Streitereien, weil die Klägerin nach ihrer Meinung vom Beklagten zu wenig Geld bekam. Die Klägerin erhielt vom Beklagten in der Zeit, als nur ein Kind da war, ein monatliches Wirtschaftsgeld von S 1.200, später S 3.000 bzw. S 3.500. Die Miete und die Betriebskosten bezahlte stets der Beklagte. Im Zuge der Streitigkeiten, die sich stets um das Geld drehten, beschimpften sich die Streitteile gegenseitig. Der Beklagte nannte die Klägerin unter anderem blöde Gans, Trampel und dummes Luder. Die Klägerin revanchierte sich ihrerseits mit Ausdrücken wie fette Sau, Schwein, Fettwanst. Einmal warf die Klägerin dem Beklagten in Gegenwart eines Berufskollegen in barschem Ton vor, daß er zu dick sei und zu viel esse. Zwischen den Streitteilen kam es auch wiederholt zu gegenseitigen Tätlichkeiten. Im Jahre 1974 warf der Beklagte der Klägerin einmal ein Bügeleisen nach. Das Bügeleisen traf dabei einen Kasten, der beschädigt wurde. Im Jahre 1976 versetzte der Beklagte der Klägerin mehrere Ohrfeigen, wodurch sie eine haselnußgroße Schwellung hinter dem linken Ohr und eine Blutunterlaufung an der Innenseite der Unterlippe erlitt. Bei einer weiteren Mißhandlung durch den Beklagten am 22. Mai 1977 erlitt die Klägerin Verletzungen an der Wangenschleimhaut und am Mundwinkel. Am 6. Mai 1978 kam es zu einer weiteren Auseinandersetzung, als der Beklagte nach einem Ball, bei dem er als Musiker gespielt hatte, "etwas alkoholisiert" mit zwei Bekannten nach Haus kam. Als die Klägerin ihn mit "Du besoffene Sau, nicht einmal Deine Freunde möchten mit Dir noch etwas trinken", beschimpfte, faßte der Beklagte die Klägerin an der linken Hand und stieß sie mit dem Kopf gegen einen Kasten. Dabei erlitt die Klägerin Schmerzen am linken Arm und eine Schädelprellung. Äußere Verletzungen waren nicht festzustellen. Daß der Beklagte die Klägerin dabei auch mit einer Krawatte gewürgt habe, wurde nicht festgestellt. Beim selben Vorfall riß der Beklagte in der Küche der ehelichen Wohnung den Wasserhahn ab. Vor ca. drei Jahren - offenbar von November 1984 zurückgerechnet - warf der Beklagte der Klägerin einmal einen Blumenstock nach, und zwar aus einem nichtigen Anlaß. Die Klägerin konnte ausweichen. Am 2. Juni 1978 brachte die Klägerin zu 6 Cg 258/78 des Landesgerichtes Innsbruck eine Scheidungsklage ein. In jenem Verfahren trat am 2. August 1978 Ruhen des Verfahrens ein, ohne daß es zu einer Versöhnung zwischen den Streitteilen gekommen war. Der letzte eheliche Verkehr der Streitteile fand vor dem 2. Juni 1978 statt. Auch im Jahre 1979 kam es zu gegenseitigen Tätlichkeiten der Streitteile. Am 22. Februar 1979 verletzte die Klägerin im Zuge eines Handgemenges den Beklagten, der Excoriationen an der Ober- und Unterlippe erlitt. Am 15. Juni 1979 schlug im Zuge einer Auseinandersetzung die Klägerin dem Beklagten eine Pfanne gegen den Rücken, wodurch dieser eine Contusion der Lendenwirbelsäule erlitt. Bereits im Jahre 1978 hatte die Klägerin dem Beklagten einmal eine Pfanne mit Spiegeleiern "aufgesetzt". Als nicht erwiesen hielt das Erstgericht, daß der Beklagte die Klägerin bei einem Vorfall am 12. August 1979 gewürgt habe. Wegen der ständigen Auseinandersetzungen, gegenseitigen Beschimpfungen und Tätlichkeiten trat zwischen den Streitteilen eine derartige Entfremdung ein, daß jeder Teil seine eigenen Wege ging. Der Beklagte wendete sich immer mehr seiner Vereinstätigkeit zu. Er ist Mitglied der Blasmusik, der Freiwilligen Feuerwehr und der Freiwilligen Rettungsgesellschaft. Er verbrachte einen Großteil seiner Freizeit bei diesen Institutionen. Die Klägerin ihrerseits wendete sich immer mehr ihren Freundinnen zu, vor allem Ilse T***, die bei einem Unfall ein Bein verloren hatte. Ab dem Jahre 1974 intensivierte die Klägerin den Kontakt zu ihrer Schwester Christine O***, die Gastwirtin im Rietzer Hof ist. Die Klägerin fuhr zwei- bis dreimal in der Woche nach Rietz, wo sie zum Teil auch nächtigte und mehrere Tage verblieb. Die beiden Kinder überließ sie entweder dem väterlichen Großvater oder nahm sie nach Rietz mit. Dem Beklagten machte sie davon nicht immer Mitteilung. Die Klägerin besuchte mit ihren Freundinnen auch Tanzlokale und tanzte dort mit anderen Männern. Sie kam dann oft erst lange nach Mitternacht nach Hause. Im Jänner 1977 oder 1978 hielt sie sich mit dem Schlossermeister Alois D*** im Lokal Roßstall in Volders auf, während der Beklagte Dienst bei der Freiwilligen Rettung in Innsbruck machte. Im Herbst 1979 oder Frühjahr 1980 hielt sich die Klägerin im Nachtlokal T*** auf und tanzte dort "eng" mit einem Mann. Die Klägerin wurde zweimal vom Beklagten beobachtet, wie sie sich im PKW des Werner S*** von diesem mit Küssen verabschiedete. Der Beklagte stellte die Klägerin wegen ihres häufigen Ausgehens immer wieder zur Rede und kam es dabei zu Auseinandersetzungen. Dabei beschimpfte der Beklagte die Klägerin mit "Lesbische" und bezeichnete die Freundinnen der Klägerin insgesamt als "Scheißweiber". Im Zuge solcher Auseinandersetzungen beschimpften sich die Streitteile gegenseitig mit "Arschloch". Während die Streitteile am Beginn der Ehe die Wochenenden und die Urlaube gemeinsam verbrachten, hörte sich dies Mitte der Siebzigerjahre auf. Die Klägerin lehnte es ab, gemeinsam mit dem Beklagten und den Kindern an Wochenenden oder im Urlaub wegzufahren, weshalb der Beklagte mit den Kindern allein wegfuhr bzw. Ausflüge machte. Ehewidrige Beziehungen des Beklagten zu anderen Frauen, insbesondere zu Hermine K*** sind nicht erwiesen. Letztere hat der Beklagte einmal in Gesellschaft mit seinem Arm umfaßt, worauf Hermine K*** von ihm wegrückte. In den letzten eineinhalb Jahren vor der Scheidung der Ehe ist die Klägerin wiederholt in den frühen Morgenstunden "in einen roten VW zu einem männlichen Fahrzeuglenker eingestiegen". Ab März 1975 gab der Beklagete der Klägerin ein monatliches Wirtschaftsgeld von S 3.000. Er verdiente damals brutto S 6.780 und bezahlte davon auch die Miete der Wohnung in Höhe von S 2.000 sowie die Betriebs- und Stromkosten. Im Verfahren 15 C 2959/78 des Bezirksgerichtes Innsbruck vereinbarten die Streitteile, daß der Beklagte der Klägerin ein Wirtschaftsgeld von S 5.000 bezahlt. Diese Verpflichtung wurde vom Beklagten bis März 1981 eingehalten. Die Klägerin ging während der Ehe keiner Beschäftigung nach. Sie half nur zeitweise bei ihrer Schwester Christine O*** im Rietzer Hof aus, ohne dabei ein geregeltes Einkommen zu erzielen. Allerdings unterstützte Christine O*** die Klägerin immer wieder mit Lebensmitteln und Kleidungszuwendungen. Der Beklagte ist derzeit arbeitslos und leistet der Klägerin keinen Unterhalt. Die beiden ehelichen Kinder befinden sich beim Beklagten, der allein für deren Unterhalt aufkommt.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß sich die Eheverfehlungen der Streitteile etwa die Waage hielten, auch wenn dem Beklagten eine größere Zahl von Tätlichkeiten anzulasten sei. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß das Verschulden eines der Partner an der Zerrüttung der Ehe erheblich überwiege, weshalb ein gleichteiliges Verschulden an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen gewesen sei. Der Zuspruch eines Billigkeitsunterhaltes komme nicht in Frage, weil der Klägerin eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden könne, da sich die Kinder in Obhut des Beklagten befänden. Darüber hinaus sei der Beklagte derzeit ohne Einkommen.

Die gegen dieses Urteil erhobene Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes - jene über das Zusteigen der Klägerin in einen roten VW allerdings nur in der Form, daß die Klägerin einmal in den frühen Morgenstunden in einen roten VW zugestiegen ist - und führte in rechtlicher Hinsicht aus: Gemäß § 60 Abs 3 EheG sei der Ausspruch einer überwiegenden Mitschuld eines Ehegatten nur dann zulässig, wenn die Schuld des einen Teiles erheblich schwerer wiege und die des anderen Teiles dabei in den Hintergrund trete, wenn der Unterschied der beiderseitigen Verfehlungen also offenkundig hervortrete. Ein solcher Unterschied der Verfehlungen der Streitteile liege hier aber nicht vor. Mögen die Zahl und die Intensität der Tätlichkeiten des Beklagten gegenüber jenen der Klägerin überwiegen, so dürfe doch nicht übersehen werden, daß auch die Klägerin in drei Fällen gegen den Beklagten tätlich geworden sei, wobei der Beklagte in zwei Fällen verletzt worden sei. Die festgestellten gegenseitigen Beschimpfungen hielten sich etwa die Waage. Auch hinsichtlich der gesonderten Freizeitgestaltung der Streitteile könne nicht gesagt werden, daß der Beklagte durch seine Vereinstätigkeit in größerem Umfang zur Entfremdung der Streitteile beigetragen hätte als die Klägerin (im Urteil des Berufungsgerichtes offenbar irrig "die Beklagte") durch ihr Ausgehen mit Freundinnen und den Besuch von Tanzlokalen, wobei sie dann häufig erst lange nach Mitternacht nach Hause gekommen sei. Die Kontakte der Klägerin mit Werner S*** seien graduell jedenfalls als schwerwiegendere Eheverfehlung einzustufen als der festgestellte einmalige Kontaktanbahnungsversuch des Beklagten gegenüber Hermine K***. Selbst wenn man unterstelle, daß der Beklagte nur "schleppend und über Aufforderung" seine Unterhaltszahlungen erfüllt habe, so könne insgesamt bei der Beurteilung des beiderseitigen Fehlverhaltens nicht der Schluß gezogen werden, die Verfehlungen der Klägerin seien gegenüber jenen des Beklagten so in den Hintergrund getreten, daß der Ausspruch einer überwiegenden Mitschuld des Beklagten gerechtfertigt wäre. Daraus folge aber, daß ein Unterhaltsanspruch der Klägerin nur aus § 68 EheG abgeleitet werden könnte. Im Hinblick auf die festgestellten Einkommensverhältnisse des Beklagten, der auch für die beiden ehelichen Kinder, die sich in seiner Obhut befänden, sorge, und den Umstand, daß der Klägerin eine Erwerbstätigkeit unter den derzeitigen Verhältnissen zugemutet werden könne, da sie schon bisher im Gasthof ihrer Schwester "ausgeholfen" habe, entspräche der Zuspruch eines Unterhaltsbeitrages nach der genannten Gesetzesstelle nicht den hier anzuwendenden Billigkeitserwägungen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin geht bei ihren Rechtsausführungen zur Frage des Mitverschuldens selbst zutreffend davon aus, daß die überwiegende Mitschuld eines Ehegatten nur dann ausgesprochen werden dürfe, wenn seine Schuld erheblich schwerer wiege als die Schuld des anderen Ehegatten, also ein offenkundiger Unterschied der beiderseitigen Eheverfehlungen bestehe (vgl. Schwind im Klang-Kommentar 2 I/1, 837; Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 60 EheG; EFSlg. 43.692, 46.242 ff. ua.). Es entspricht der Lehre und Rechtsprechung, daß bei Beurteilung des beiderseitigen Verschuldens nicht nur der Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten, sondern auch zu berücksichtigen ist, wer mit der schuldhaften Zerrüttung begonnen hat, wie weit die Eheverfehlungen einander bedingten und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten (Schwind aaO in FN 2; EFSlg. 43.676 ff., 46.235 f. ua.).

Die Klägerin meint, die Vorinstanzen hätten diesen Kriterien nicht Rechnung getragen. Ihre Ausführungen faßt sie selbst dahin zusammen, die Verfehlungen des Beklagten hätten die Verfehlungen der Klägerin nach sich gezogen und seien für das Scheitern der Ehe ursächlich gewesen. Fast in jedem Entwicklungsstadium der Ehe sei der jeweils erste negative Akt vom Beklagten gesetzt worden. Die Handlungen der Klägerin seien diesen lediglich als Reaktion gefolgt. Besonders von der Entwicklung her sei die Zerrüttung der Ehe durch das Verhalten des Beklagten (allein) eingeleitet worden. Er habe nicht dafür gesorgt, daß es zwischen der Klägerin und den Eltern des Beklagten zu einem entspannten Verhältnis gekommen oder eine eigene Ehewohnung zur Verfügung gestanden wäre. Der Beklagte habe die räumliche Enge nicht ertragen und mit Tätlichkeiten gegen die Klägerin begonnen. Mögen in der Folgezeit die Eheverfehlungen der Klägerin (Verhältnis zwischen Klägerin und Werner S***) auch schwerer wiegen als das ehewidrige Verhalten des Beklagten mit Hermine K***, so seien diese in eine Zeit gefallen, in welcher sich der Beklagte "eigentlich nicht mehr" um die Klägerin gekümmert habe und nicht bereit gewesen sei, für ein ausreichendes Einkommen der Familie zu sorgen. Wenn er auch bis März 1981 den Unterhaltsverpflichtungen nachgekommen sei, so sei es doch für die Klägerin fast unmöglich gewesen, mit dem zur Verfügung gestellten Betrag auszukommen. Von April 1981 bis Frühjahr 1983 sei jedenfalls eine Unterhaltsverletzung gegeben gewesen.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Dem festgestellten Verhalten des Beklagten zu den Auseinandersetzungen der Klägerin mit den Eltern des Beklagten und den daraus entstandenen Streitigkeiten zwischen den Streitteilen kann keinesfalls ein besonderer ursächlicher Anteil am Scheitern der Ehe zuerkannt werden. Der Umstand, daß keine eigene Ehewohnung angeschafft wurde, stellt nicht einmal eine Eheverfehlung dar, weil feststeht, daß hiezu die finanziellen Mittel gefehlt haben. Daß es, wenn die Klägerin über ihre Differenzen mit ihren Schwiegereltern "dem Beklagten vorjammerte", zu Streit zwischen den Parteien kam, kann nicht als besonders schwerwiegende Ursache des Scheiterns der Ehe angesehen werden, zumal diesbezüglich nähere Behauptungen und Feststellungen über die Art der Streitigkeiten fehlen, die Klägerin ihre Rückkehr in die eheliche Gemeinschaft mit dem Beklagten nicht wegen des Verhaltens desselben ablehnte, sondern davon abhängig machte, daß eine eigene Wohnung vorhanden sei.

Was die Tätlichkeiten betrifft, ist es zwar richtig, daß der Beklagte damit begonnen hat. Das läßt aber nicht zu, die Handlungen der Klägerin "lediglich als Reaktion" im Sinne von entschuldbaren Reaktionshandlungen anzusehen, weil von solchen nur gesprochen werden kann, wenn ein Ehegatte in unmittelbarer Folge eines grob rechtswidrigen Verhaltens des anderen Teiles sich in einer verständlichen Gemütsbewegung dazu hinreißen läßt, seinerseits Eheverfehlungen zu setzen (Schwind, Kommentar zum Österreichischen Eherecht 2 , 213; EFSlg. 46.146 ua.). Bei der vorzunehmenden Berücksichtigung des gesamten Verhaltens der Parteien (Schwind aaO 252; EFSlg. 46.231 ua.) kann auch nicht gesagt werden, daß das der Klägerin vorwerfbare Verhalten lediglich eine Folge der bereits durch Verschulden des Beklagten eingetretenen Zerrüttung darstelle oder der ersten tätlichen Mißhandlung durch den Beklagten eine besondere Ursächlichkeit für das Scheitern der Ehe beizumessen wäre. Soweit die Klägerin Unterhaltsverletzungen des Beklagten dafür ins Treffen führt, daß ihn das überwiegende Verschulden träfe, ist dies schon deshalb verfehlt, weil sie selbst ausführt, der Beklagte habe seine Unterhaltsverpflichtungen bis März 1981 im wesentlichen erfüllt. Die Nichtbezahlung von Unterhalt nach diesem Zeitpunkt kann aber mit Rücksicht darauf, daß die Ehe bereits mit Urteil vom 18. Oktober 1980, das insoweit, als es die Scheidung aus dem Verschulden des Beklagten aussprach, im Dezember 1980 in Rechtskraft erwachsen ist, geschieden worden war, keine Eheverfehlung mehr darstellen.

Auch wenn man daher in die Erwägung über das beiderseitige Verschulden ausdrücklich miteinbezieht, daß der Beklagte den Anfang mit tätlichen Mißhandlungen gemacht hat, ist der Beurteilung der Vorinstanzen, der Unterschied der beiderseitigen Verfehlungen träte nicht offenkundig hervor und die Verfehlungen der Klägerin träten gegenüber jenen des Beklagten nicht in den Hintergrund, weshalb der Ausspruch einer überwiegenden Mitschuld des Beklagten nicht gerechtfertigt sei, beizutreten.

Rechtsmittelerklärung und Rechtsmittelantrag richten sich auch gegen die Bestätigung der Abweisung des Unterhaltsbegehrens. Da die Revision aber keinerlei Begründung zur Bekämpfung der Unterhaltsentscheidung enthält, sondern nur die Lösung der Verschuldensfrage bekämpft, können Rechtsmittelerklärung und Rechtsmittelantrag nur dahin verstanden werden, daß die Änderung der Unterhaltsentscheidung für den Fall der Änderung des Schuldausspruches begehrt wird. Da dies nach den obigen Ausführungen nicht zu geschehen hat, braucht auf die das Unterhaltsbegehren betreffende Revision nicht mehr eingegangen werden. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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