OGH 2Ob535/86

OGH2Ob535/8617.6.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** A*** Ö***, Wien 21., Siemensstraße 88-92,

vertreten durch Dr. Robert Siemer und Dr. Heinrich Siegl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei prot. Firma K*** V*** Gesellschaft mbH, Wien 23., Tenschertstraße 8, vertreten durch Dr. Alfred Holzberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 299.164,55 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 28. November 1985, GZ 1 R 214/85-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 19. Juni 1985, GZ 26 Cg 130/85-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Vertrag vom 13.5.1982 mietete die beklagte Partei von der klagenden Partei eine Fernsprechnebenstellenanlage zu einem monatlichen Mietzins von S 3.742,--. Der Mietvertrag wurde auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und konnte vereinbarungsgemäß zum Kalenderquartal unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist aufgekündigt werden. Für das bei Betriebsbereitschaft der Anlage laufende Kalenderjahr und für weitere 10 Kalenderjahre verzichtete die beklagte Partei auf eine Kündigung. Im übrigen wurde nach dem Inhalt des Mietvertrages die Geltung der auf der Rückseite des Vertragsformblattes der klagenden Partei abgedruckten Allgemeinen Überlassungsbedingungen für die Vermietung von Fernsprechnebenstellenanlagen (im folgenden nur Überlassungsbedingungen) vereinbart. Der mit "vorzeitige Vertragsauflösung" überschriebene Punkt 7 der Überlassungsbedingungen hat folgenden Wortlaut: 7.1 Wird die Fernsprechanlage oder Teile derselben aus Gründen, welche nicht von der Vermieterin zu vertreten sind, vor Ablauf des Kündigungsverzichts aufgegeben, so hat der Mieter die Hälfte der restlichen Mieten (bis zum Ende des Kündigungsverzichts) zuzüglich Mehrwertsteuer zu entrichten. Die Restmieten, die sofort fällig sind, werden von dem auf den Tag der Vertragsbeendigung folgenden Vierteljahresersten an berechnet. 7.2. Verzichtet der Mieter aus Gründen, die auf seiner Seite liegen, nach Abschluß des Vertrages auf die Herstellung der Fernsprechanlage, so hat er die bereits aufgewendeten Kosten sowie eine Jahresmiete zuzüglich Mehrwertsteuer zu entrichten. 7.3. Die Regelung nach Punkt 7.1 und 7.2 tritt nicht ein, wenn der Mieter statt der nicht montierten oder aufgegebenen Anlage von einem Dritten kauft oder mietet. In diesem Falle stehen der Vermieterin die vollen vereinbarten Mieten für die gesamte Laufzeit zu.

Die beklagte Partei "kündigte" den Mietvertrag zum 30.9.1984 auf. Sie bezahlte die Hälfte der Miete für die Zeit des vereinbarten Kündigungsverzichtes gemäß Punkt 7.1 der Überlassungsbedingungen in Höhe von S 272.470,80. Verhandlungen über einen Ankauf der Fernsprechnebenstellenanlage durch die beklagte Partei führten zu keiner Einigung. Die beklagte Partei kaufte oder mietete von einem Dritten eine Fernsprechnebenstellenanlage.

Die klagende Partei begehrt die gesamte vereinbarte Miete samt Anhang für die Zeit des vereinbarten Kündigungsverzichtes gemäß Punkt 7.3 der Überlassungsbedingungen abzüglich der geleisteten Teilzahlung. Nach dem Standpunkt der beklagten Partei ist diese Vertragsbestimmung nach § 864 a ABGB nicht Vertragsbestandteil geworden und überdies nach § 879 Abs 3 ABGB nichtig. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil.

Nach der Auffassung der Vorinstanzen enthalte der Punkt 7.3 der Überlassungsbedingungen keine Schadenspauschalierung, die nicht bereits durch Punkt 7.1 vertraglich geregelt sei. Die Bestimmung ziele auf eine Beeinflussung der Konkurrenzverhältnisse, durch sie werde die Vertragsfreiheit des Mieters beim Kauf oder bei der Miete einer anderen Fernsprechnebenstellenanlage beschränkt. Der Bestandgeber erhalte die Miete für die gesamte Laufzeit und überdies komme ihm der volle Zeitwert des Bestandgegenstandes zu. Daraus ergebe sich eine gröbliche Benachteiligung des Mieters. Die Klausel sei daher nach § 879 ABGB nichtig. Eine Anpassung der nachteiligen Klausel komme hier nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig. Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die Revision der klagenden Partei aus den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise stellt die klagende Partei einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig, weil zur Frage der Entbehrlichkeit einer Vertragsanpassung im Falle des § 879 Abs 3 ABGB eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt. Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages auch berechtigt. Bei der in erster Linie vorzunehmenden Geltungskontrolle der in den Überlassungsbedingungen der klagenden Partei enthaltenen Vertragsbestimmung über die vorzeitige Vertragsauflösung kommt es für die Beurteilung ihrer Ungewöhnlichkeit nicht allein auf den Inhalt an. Dieser spielt vor allem im Zuammenhang mit der Stellung der Vertragsbestimmung im Gesamtgefüge des Vertragstextes eine Rolle, denn das Ungewöhnliche einer Vertragsbestimmung ergibt sich besonders aus der Art ihrer Einordnung in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, etwa dann, wenn die fragliche Bestimmung im Vertragstext derart versteckt ist, daß sie der Vertragspartner dessen, der den Vertragstext verwendet, dort nicht vermutet, wo sie sich befindet, und dort nicht findet, wo er sie vermuten könnte (Krejci, Handbuch zum Konsumentenschutzgesetz 112; SZ 56/62). Das ist hier nicht der Fall, denn bei dem verwendeten Formblatt befindet sich diese Bestimmung nicht an einem versteckten Ort. Sie ist durch die in Fettdruck gehaltene Überschrift als solche ausdrücklich bezeichnet und hervorgehoben. Eines weiteren Hinweises bedurfte es nicht. Auch ist eine Vertragsbestimmung über eine vorzeitige Vertragsauflösung bei einer ganz offensichtlich für einen längerdauernden Gebrauch gemieteten Anlage mit immerhin zehnjährigem Kündigungsverzicht nicht verkehrsunüblich, sondern geradezu zu erwarten.

Die Beurteilung der Inhaltskontrolle der Vertragsklausel hat, wie der Oberste Gerichtshof in der bereits zitierten, grundlegenden Entscheidung SZ 56/62 eingehend dargelegt hat, an der Beeinträchtigung der Willensfreiheit und der Abweichung vom dispositiven Recht zu erfolgen. Bei der hier zu beurteilenden Klausel handelt es sich um eine Konventionalstrafenvereinbarung. Die Konventionalstrafe ist eine Leistung, die der Schuldner dem Gläubiger für den Fall der Nichterfüllung oder nicht gehörigen Erfüllung verspricht. Sie hat den Zweck, Nachteile auszugleichen, die dem Gläubiger aus der Vertragsverletzung entstehen können. Sie ist pauschalierter Schadenersatz, der an die Stelle des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung oder Schlechterfüllung tritt (Koziol-Welser7 I 191; SZ 56/62). Der Punkt 7 der Überlassungsbedingungen sieht einen Vergütungsbetrag für den Fall der Aufgabe der Fernsprechanlage durch die beklagte Partei vor Ablauf des Kündigungsverzichtes ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes für eine vorzeitige Vertragsauflösung auf Seiten der klagenden Partei vor. Er sanktioniert somit zwar ein vertragswidriges Verhalten der beklagten Partei, doch ist mangels von Anhaltspunkten dafür, daß damit der beklagten Partei ein Recht auf ein solches Verhalten eingeräumt werden sollte, davon auszugehen, daß, entsprechend der beiderseitigen Vertragsbindung, der Vergütungsbetrag dann zu entrichten ist, wenn die beklagte Partei den Vertrag nicht weiter erfüllen möchte und die klagende Partei auf ein solches Ansinnen eingeht. Die einvernehmliche Vertragsauflösung steht der Beurteilung als Konventionalstrafe nicht entgegen, wenn der Vergütungsbetrag für ein vertragswidriges Verhalten vorgesehen ist (vgl. Mayerhofer, Zur Rechtsnatur der Stornogebühr im österreichischen Privatrecht in FS Herdlitczka 187 f, insbesondere 192). Wie bereits die Vorinstanzen zutreffend hervorgehoben haben, stellt hier die vom Mieter im Falle der Miete oder des Kaufes einer Anlage statt der aufgegebenen Anlage zu zahlende Konventionalstrafe eine sogenannte Verfallsklausel dar, erhielte doch die klagende Partei die vollen Mieten für die gesamte Laufzeit bei gleichzeitiger Möglichkeit der sofortigen Wiederverwertung der Anlage. Die klagende Partei erhielte also mehr als sie selbst bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung erhalten würde. Eine solche Verfallsklausel enthält eine gröbliche Benachteiligung des anderen Vertragspartners und ist nach § 879 Abs 3 ABGB nichtig. Unrichtig ist, daß eine Konventionalstrafe in Höhe einer 50 %igen Restmietforderung jedenfalls wirksam vereinbart werden könnte, weil es auch hier darauf ankommt, ob sich die Höhe der Konventionalstrafe an jenem durchschnittlichen Schaden orientiert, der bei der in Betracht kommenden Vertragsverletzung nach der Schätzung eines redlichen Beobachters normalerweise eintritt. Diese wird insbesondere darauf abzustellen haben, welche Verlustquoten bei vorzeitiger Auflösung durchschnittlich, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, zu erwarten sind. Weicht die Konventionalstrafe von einem solchen Maßstab nicht oder nur ganz unwesentlich ab, wird sie nach den besonderen Umständen des Falles nicht gröblich benachteiligend sein. Es könnte aber auch eine Klausel, die, unabhängig davon, wieviele Monatsmieten zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung noch aushaften, für die Vertragsstrafe einen einheitlichen Prozentsatz vorsieht, auch für einzelne Vertragsphasen gröblich benachteiligend und damit nichtig sein (SZ 56/62). Unerheblich ist hiebei, entgegen der Meinung der Revisionswerberin, wie hoch der Schaden im konkreten Fall tatsächlich war. Beizupflichten ist der Revisionswerberin lediglich darin, daß eine Nichtigkeit nach § 879 Abs 3 ABGB nicht den gänzlichen Entfall der Vertragsklausel, sondern in der Regel deren Anpassung auf ein inhaltlich nicht zu beanstandendes Maß zur Folge hat (SZ 56/62). Nur für eine solche Anpassung könnte dem von der Revision ins Treffen geführten Umstand der Wiederverwertbarkeit der Anlage Bedeutung zukommen. Eine solche Anpassung ist allerdings dann entbehrlich, wenn kein weiteres vertragliches Regelungsbedürfnis bezüglich der von der nichtigen Bestimmung behandelten Ordnungsfrage besteht (Krejci in Rummel, ABGB, Rdz 257 zu § 879). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht eine Anpassung im wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, daß die Schadenspauschalierung ohnedies durch Punkt 7.1 der Überlassungsbedingungen geregelt sei. Dies ist zwar grundsätzlich richtig, weil die Vertragsverletzung, deren Schaden pauschaliert werden soll, in beiden Fällen die gleiche ist und der Schaden der klagenden Partei vom Motiv der Vertragsverletzung nicht abhängig sein kann. Aus der Schadenspauschalierung nach Punkt 7.1 kann sich jedoch auch - unabhängig vom Motiv der Vertragsverletzung, auf welche Begünstigung sich die Revisionswerberin vornehmlich stützt - in einzelnen Vertragsphasen eine Begünstigung des Schuldners ergeben. Die Vertragsklausel des Punktes 7 der Überlassungsbedingungen enthält somit belastende und begünstigende Bestimmungen, ohne daß durch letztere freilich die belastenden eindeutig ausgeglichen würden. Es kann aber auch nicht gesagt werden, daß die klagende Partei die begünstigenden Bestimmungen für sich allein gewährt hätte. Enthält eine Vertragsklausel begünstigende und benachteiligende Vertragsbestimmungen, kann nach Nichtigerklärung einer nur nachteiligen Vertragsbestimmung eine Vertragsanpassung nicht deshalb abgelehnt werden, weil die betreffende Ordnungsfrage ohnedies auch in der auch begünstigende Bestimmungen enthaltenden restlichen Vertragsklausel geregelt ist. Im fortgesetzten Verfahren wird daher die Vertragsstrafe nach Punkt 7.3 der Überlassungsbedingungen auf ein nicht zu beanstandendes Maß zu reduzieren sein, das nach den bereits oben dargelegten Grundsätzen zu ermitteln ist (vgl. hiezu insbesondere SZ 56/62). Je nach dem Ergebnis dieser Ermittlung wird der klagenden Partei allenfalls noch ein Teilbetrag zuzusprechen oder das Mehrbegehren abzuweisen sein.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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