Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Text
Begründung
Die Ehe der Eltern der beiden Minderjährigen wurde mit Beschluß vom 25. April 1983 gemäß § 55 a EheG einvernehmlich geschieden. Mit pflegschaftsbehördlich genehmigtem gerichtlichen Vergleich vom selben Tag vereinbarten die Eltern, daß die Rechte des § 144 ABGB der Mutter zustehen. Schon vor Abschluß dieses Vergleiches und auch danach befanden sich die beiden Kinder mit Zustimmung beider Eltern in Pflege und Erziehung der mütterlichen Großmutter. Nachdem die Mutter im August 1984 gegen den Rat der Direktorin die Kinder aus der Schule der Servitinnen in Mauer abgemeldet und in einer Schule ihrer Wohngegend in Wien 22. angemeldet hatte, wurde die mütterliche Großmutter zum einstweiligen Sachwalter der beiden Minderjährigen zur Vornahme der Wiederanmeldung und aller anderen schulischen Angelegenheiten bestellt.
Der Vater beantragte am 21.9.1984, ihm die elterlichen Rechte zu übertragen, wobei die Kinder wie bisher in Pflege und Erziehung der mütterlichen Großmutter bleiben sollten. Am 3.9.1985 änderte er den Antrag in dem Sinne ab, daß er die Kinder zu sich in seine Wohnung nehmen wolle. Der Vater brachte vor, es sei unzumutbar, die Kinder weiter der Erziehungsgewalt der in einem überaus labilen Zustand befindlichen Mutter zu überlassen. In seinem Antrag und in einer Reihe von "Sachverhaltsdarstellungen", die er im Laufe des Verfahrens einbrachte, führte er Vorfälle an, die dieses Vorbringen stützen sollen.
Das Erstgericht übertrug die elterlichen Rechte des § 144 ABGB dem Vater. Aus den getroffenen Feststellungen ist folgendes hervorzuheben:
Der Vater hat im Juli 1984 wieder geheiratet, er lebt mit seiner nunmehrigen Ehefrau in Wien 3. in einer Wohnung, die ausreichend groß ist, um beiden Kindern Unterkunft zu bieten. Die Mutter wohnt mit einem Lebensgefährten in der früheren Ehewohnung im 22. Bezirk. Der minderjährige Georg wohnt wie bisher bei der Großmutter im
23. Bezirk und besucht die Volksschule der Servitinnen in Mauer. Die minderjährige Petra befindet sich seit September 1985 bei der Mutter und besucht ein Gymnasium im 21. Bezirk. Die Trennung der Kinder ist "nicht erstrebenswert". Beiden Kindern bot die Schule der Servitinnen, die auch die mj. Petra bis zum Sommer 1985 besuchte, "Halt und Sicherheit". Von einem Wechsel des mj. Georg in eine andere Schule ist dringend abzuraten. Die Mutter befindet sich seit der Scheidung in finanziellen Schwierigkeiten und leitete Unterhaltszahlungen des Vaters nicht an die Großmutter, die die Kinder in ihrer Pflege und Erziehung hatte, weiter. Sie verwendete einen Teil der Unterhaltszahlungen für ihren Lebensaufwand. Die Mutter steht ihrer Lebenssituation psychisch weitgehend desorientiert und hilflos gegenüber. Sie wirkte bei der Exploration durch den Sachverständigen in ihren Ausführungen sprunghaft, voll von Widersprüchen und realitätsfremd. Der Sachverständige empfahl ihr daher dringend, ärztliche oder therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Mutter befolgte diesen Rat jedoch nicht. Zum Vater haben beide Kinder gute gefühlsmäßige Beziehungen. Petra möchte mit ihrem Bruder zusammen beim Vater wohnen. Beide Kinder haben gegen die Mutter Vorurteile und sprechen insgesamt negativ über sie. Sie sind nicht bereit, sich mit der Person der Mutter und ihres Lebensgefährten "auseinanderzusetzen". Die gesamte Situation bei der Mutter führt zu dem Ergebnis, daß eine gedeihliche Erziehung bei der Mutter ausgeschlossen werden muß.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß, da beide Kinder weder beim Vater noch bei der Mutter, sondern bei der Großmutter gewesen seien, sei über keine Änderung der Zuteilung der elterlichen Rechte zu entscheiden, sondern wie bei einer Erstzuteilung vorzugehen. Auf den Grundsatz der Erziehungskontinuität sei nicht Rücksicht zu nehmen, eine Zuteilung der Elternrechte an einen der Elternteile bringe einen Pflegeplatzwechsel der Minderjährigen mit sich. Die Verhältnisse bei beiden Elternteilen seien einander gegenüberzustellen. Oberster Grundsatz müsse das Kindeswohl bleiben. Die Voraussetzungen für eine gedeihliche Entwicklung der Kinder seien beim Vater besser. Die Mutter bekämpfte diesen Beschluß mit Rekurs, in welchem sie sich sowohl gegen die Feststellungen als auch gegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes wendete.
Das Rekursgericht gab diesem Rekurs Folge und änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß der Antrag des Vaters auf Übertragung der elterlichen Rechte abgewiesen wurde. Das Rekursgericht führte zwar an, auf welchen Seiten des Aktes die Feststellungen des Erstgerichtes enthalten sind, doch kann der Entscheidung nicht entnommen werden, ob das Rekursgericht die Feststellungen des Erstgerichtes übernahm. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vertrat das Rekursgericht die Ansicht, es fehle an einer gesetzlichen Grundlage, der Mutter die ihr mit pflegschaftsbehördlich genehmigtem Vergleich zugewiesenen elterlichen Rechte zu entziehen. Diese Möglichkeit bestünde nur unter der Voraussetzung des § 176 ABGB, nämlich dann, wenn die Mutter durch ihr Verhalten das Kindeswohl gefährden würde. Den Verfahrensergebnissen könne zweifelsfrei entnommen werden, daß die Erziehungssituation weder beim Vater noch bei der Mutter "optimal" sei, sie aber bei der Großmutter am ehesten dem Kindeswohl entspreche. Diese Tatsache rechtfertige jedoch nicht die Entziehung der elterlichen Rechte, zumal der angefochtene Beschluß davon ausgehe, daß trotz Übertragung der Elternrechte an den Vater keine Änderung in der Pflegesituation, nämlich dem Verbleib der Kinder bei der Großmutter, eintreten solle. Im Ergebnis stelle der angefochtene Beschluß lediglich eine Regelung dahin dar, daß die Minderjährigen nunmehr von der mütterlichen Großmutter nicht mehr in Vertretung der Mutter, sondern in Vertretung des Vaters betreut werden sollen. Der Umstand, daß das Erstgericht die Pflege- und Erziehungssituation beim Vater besser und günstiger qualifiziert habe als die bei der Mutter, wäre nur bei einer ersten Zuteilung der Elternrechte bedeutsam, reiche jedoch für eine Maßnahme nach § 176 ABGB nicht aus.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Vater gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.
Beizupflichten ist dem Rekursgericht lediglich, daß nicht von einer erstmaligen Zuteilung der Elternrechte im Sinne des § 177 ABGB ausgegangen werden kann. Die Eltern vereinbarten mit pflegschaftsbehördlich genehmigtem Vergleich, daß die Elternrechte der Mutter zustehen. Daß sich die Kinder auch nach dem Vergleichsabschluß so wie schon vorher mit Zustimmung beider Eltern in Pflege und Erziehung der mütterlichen Großmutter befanden, hat darauf keinen Einfluß, zumal der Elternteil, dem die Rechte übertragen wurden, Pflege und Erziehung nicht selbst besorgen muß, sondern sie einem anderen übertragen kann (EFSlg. 35.982, 43.389 u.a.). Trotz des Aufenthaltes der Kinder bei der Großmutter ist daher davon auszugehen, daß die Elternrechte der Mutter zugewiesen wurden. Im Sinne der ständigen Rechtsprechung ist eine Änderung zwar tunlichst zu vermeiden, hat aber dann zu erfolgen, wenn eine Gefährdung der Interessen der Kinder dies erfordert (EFSlg. 40.865, 40.874, 45.846 u.a.). Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht festgestellt, daß eine gedeihliche Erziehung bei der Mutter ausgeschlossen werden muß. Dafür, daß eine Erziehung beim Vater ungünstig wäre, bieten die Feststellungen hingegen keinerlei Anhaltspunkt. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes, die Erziehungssituation sei bei Vater und Mutter nicht als optimal zu bezeichnen, ein Belassen der Kinder bei der Großmutter würde am ehesten dem Kindeswohl entsprechen, sind durch die Feststellungen nicht gedeckt. Diese bieten weder einen Anhaltspunkt dafür, daß die Erziehungssituation beim Vater ungünstig ist, noch, daß eine Erziehung bei der Großmutter günstiger wäre. Ist aber eine gedeihliche Erziehung zwar beim Vater möglich, nicht aber bei der Mutter, dann würde es dem Kindeswohl widersprechen, der Mutter die Elternrechte zu belassen.
Da dem Beschluß des Berufungsgerichtes nicht entnommen werden kann, ob die Feststellungen des Erstgerichtes übernommen wurden, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Es sei noch darauf hingewiesen, daß die Ansicht des Rekursgerichtes, die Entscheidung des Erstgerichtes enthalte nur eine Regelung dahin, daß die mütterliche Großmutter die Kinder nicht mehr in Vertretung der Mutter, sondern in Vertretung des Vaters betreue, der Aktenlage nicht entspricht. Die mj. Petra befindet sich seit September 1985 nicht mehr bei der Großmutter, sondern bei der Mutter. Auch strebt jeder der Elternteile an, daß beide Kinder in seine Obhut kommen und die Mutter möchte den mj. Georg lediglich bis zur Beendigung der Volksschule in der Betreuung der Großmutter lassen.
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