OGH 2Ob587/86

OGH2Ob587/866.5.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Entschädigungssache des Antragstellers STADT WIEN, Alleininhaberin der Firma WIENER S***-V***, vertreten durch den

M*** DER STADT WIEN, MA 69, 1082 Wien, Lerchenfelderstraße 4, wider den Antragsgegner Dr. Franz Rudolf M***, 1090 Wien, Porzellangasse 43/3/2/22, vertreten durch Dr. Josef Olischar, Rechtsanwalt in Wien, wegen Festsetzung einer Entschädigung gemäß § 22 EisbEntG, infolge Revisionsrekurses des Antragsgegners gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 22. Jänner 1986, GZ. 43 R 795/85-32, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 30. September 1985, GZ. 10 Nc 339/85-25, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit rechtskräftigem Bescheid der Antragstellerin vom 13.11.1984 wurden hinsichtlich der im Eigentum des Antragsgegners stehenden Liegenschaft EZ 907 KG Landstraße, Grundstück 609, gemäß § 2 EisbEntG dahingehend Dienstbarkeiten begründet, daß 1.) auf einer näher bezeichneten Fläche von 465 m 2 die Errichtung einer näher beschriebenen U-Bahn-Tunnelröhre und deren künftige Benützung für den Betrieb der U-Bahn sowie 2.) auf Baudauer, längstens bis 30.4.1987, auf einer im einzelnen festgelegten Fläche von 1073 m 2 alle zur Herstellung des U-Bahn-Bauwerkes erforderlichen Baumaßnahmen in der von der Eisenbahnbehörde genehmigten Form und Ausgestaltung zu dulden sind.

Mangels Einigung über die Höhe der zu leistenden Entschädigung stellte die Antragstellerin das Ansuchen um Festsetzung im Sinne des § 23 EisbEntG.

Das Erstgericht setzte auf der Grundlage des mit den Parteien in mündlicher Verhandlung erörterten Gutachtens eines Bausachverständigen die Entschädigung mit 1,624.119 S fest. Es führte aus, die Verwendungsmöglichkeit der genannten unbebauten Liegenschaft liege in der Errichtung eines Wohn- oder Geschäftsgebäudes mit Tiefgarage, wobei nach dem Bedarf und der lokalen Situation die Herstellung einer Tiefgarage mit zweihundert Abstellplätzen wirtschaftlich vertretbar und trotz des U-Bahn-Baues möglich sei. Die Behauptung des Antragsgegners über einen Bedarf nach 500 Abstellplätzen erscheine willkürlich und gehe offenbar auf sein mit dem neuen Flächenwidmungsplan (Bauklasse IV) in Widerspruch stehendes und daher nicht mehr realisierbares Projekt eines Hochbaues mit 17 Obergeschoßen zurück. Die dem Antragsgegner bei der Errichtung der Tiefgarage auf Grund der konkreten Bauführung aus dem U-Bahn-Bau entstehenden Mehrkosten seien noch nicht abschätzbar und daher gemäß § 9 EisbEntG nachträglich geltend zu machen. Die Durchführung einer Verhandlung an Ort und Stelle sei im Hinblick auf die Lage des Enteignungsgegenstandes unter der Erdoberfläche nicht erforderlich gewesen.

Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluß. Seine Entscheidung wird vom Antragsgegner

mit - außerordentlichem - Revisionsrekurs gemäß § 16 AußStrG aus den Beschwerdegründen der Nichtigkeit und der offenbaren Gesetzwidrigkeit angefochten.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel ist unzulässig.

Als Nichtigkeitsgrund macht der Antragsgegner geltend, die Ablehnung seines Antrages auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Betriebswirtschaftswissenschaft und die Nichtdurchführung des zwingend vorgeschriebenen Ortsaugenscheins hätten dazu geführt, daß bei der Entschädigungsfestsetzung die Verwertungsmöglichkeit seiner Liegenschaft - unabhängig von der zulässigen Gebäudehöhe - zur Errichtung von 500 Autoabstellplätzen nicht berücksichtigt worden sei. Dieser Verfahrensverstoß erreiche das Gewicht einer Rechtsverweigerung. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Beschlusses liege in der unterinstanzlichen Annahme, die bei einer konkreten Bauführung aufzuwendenden, durch den U-Bahn-Bau bedingten Mehrkosten seien derzeit nicht abschätzbar und daher gemäß § 9 EisbEntG nachträglich geltend zu machen. Bei vollständiger Grundlagensammlung hätte nämlich schon jetzt ein entsprechender Zuspruch erfolgen können. Die behaupteten Beschwerdegründe liegen nicht vor.

Richtig ist, daß nach § 24 Abs.1 EisbEntG zur Erhebung der Verhältnisse vom Gericht zwingend (6 Ob 724/83) eine Verhandlung an Ort und Stelle unter Zuziehung eines oder, wenn es die besonderen Verhältnisse erfordern, zweier Sachverständiger, durchzuführen ist. In der Verletzung dieser Bestimmung liegt vorliegendenfalls somit ein Verfahrensverstoß.

Da Verfahrensmängel keinen Beschwerdegrund nach § 16 AußStrG bilden, können Verstöße gegen Verfahrensvorschriften grundsätzlich nicht und nach ständiger Rechtsprechung ausnahmsweise nur dann aus dem Beschwerdegrund der Nichtigkeit angefochten werden, wenn ihnen das Gewicht eines Nichtigkeitsgrundes zukommt. Dies wäre z.B. nach der zutreffenden Ansicht des Rechtsmittelwerbers dann der Fall, wenn der Verfahrensverstoß geradezu eine Rechtsverweigerung zur Folge gehabt hätte. Von einem solchen schweren Verfahrensverstoß kann vorliegendenfalls aber nicht die Rede sein. Einerseits hatte der Rechtsmittelwerber vor dem Erstgericht in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit, vorzubringen, welche Umstände durch den Ortsaugenschein zu klären seien, andererseits erschien hier als entscheidungswesentlich von vornherein ausschließlich die Frage der Anzahl von Abstellplätzen auf Grund des örtlichen Bedarfes. Zur Klärung dieses Bedarfes hätte aber im Hinblick auf die Zufälligkeiten der Parkplatzverhältnisse bei einem nur einmal durchgeführten Ortsaugenschein ein solcher kaum wesentlich beitragen können. Die Unterlassung der Verhandlung an Ort und Stelle bildet somit keinesfalls einen für die Annahme eines Nichtigkeitsgrundes geforderten schwerwiegenden Mangel in der Stoffsammlung im Sinne des § 2 Abs.2 Z 5 AußStrG. Nach ständiger Rechtsprechung liegt aber auch in der Unterlassung der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens grundsätzlich kein derartiger, nämlich gravierender, Mangel der Stoffsammlung (8 Ob 501/80, 1 Ob 733/81, 2 Ob 527/82 ua.).

Da bloße Verfahrensverstöße auch nicht den Beschwerdegrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit bilden, weil hierunter nur Verletzungen materiellrechtlicher Vorschriften zu verstehen sind (7 Ob 212, 213/70, 6 Ob 199/73 uva., zuletzt 2 Ob 565/85, 1 Ob 642/85), ist auf die vom Rechtsmittelwerber behaupteten Verfahrensmängel nicht weiter einzugehen.

Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt schließlich entgegen der Ansicht des Rechtsmittelwerbers auch nicht darin, daß die Unterinstanzen die Mehrkosten durch Bauerschwernisse, welche sich bei einem Bau der Tiefgarage wegen der vorhandenen U-Bahn-Röhre ergeben, noch nicht für abschätzbar hielten und den Rechtsmittelwerber auf deren künftige Geltendmachung nach § 9 EisbEntG verwiesen. Die Frage, ob die Grundlagen für einen derartigen Zuspruch bereits vor Durchführung des Projektes vollständig ermittelt werden können, fällt in den Tatsachenbereich. Die Beurteilung, daß die diesbezüglichen Kosten noch nicht mit Sicherheit abschätzbar seien, bildet im übrigen eine Ermessensfrage, sodaß die diesbezügliche Entscheidung keinesfalls offenbar gesetzwidrig sein kann.

Mangels Vorliegens der im § 16 AußStrG vorausgesetzten Beschwerdegründe war der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.

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