Spruch:
Keiner der beiden Revisionen wird Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.180,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 1.920,-- Barauslagen und S 205,40 Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Beide Parteien waren als Arbeitnehmer bei der ÖBB beschäftigt, als der Kläger am 9.5.1983 bei einem Arbeitsunfall verletzt wurde. Der Beklagte wurde wegen dieses Unfalls strafgerichtlich rechtskräftig verurteilt. Der Kläger verlangte mit der vorliegenden Klage unter Einräumung eines Eigenverschuldens von 25 % die Zahlung eines Betrages von S 154.950,-- sA sowie die Feststellung, daß ihm der Beklagte für weitere Ansprüche aus diesem Unfall im Ausmaß von 75 % hafte. Dem Zahlungsbegehren liegt ein Schmerzengeld in der Gesamthöhe von S 200.000,--, der Ersatz der der Ehefrau des Klägers für Spitalsbesuche erwachsenen Fahrtkosten in der Höhe von S 6.000,-- sowie ein Kleiderschaden von S 600,-- zu Grunde. Zur Begründung bringt der Kläger im wesentlichen vor, der Beklagte habe in seiner Eigenschaft als Lenker eines Hubstaplers den auf der Gabel dieses Gerätes stehenden Kläger verbotenerweise befördert und durch unvorsichtige Fahrweise dessen Sturz und die dabei entstandenen Verletzungen verschuldet.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Da er Aufseher im Betrieb gewesen sei, komme ihm die Haftungsbefreiung nach dem § 333 Abs.4 ASVG zugute. Der Kläger habe gewußt, daß das Mitfahren auf dem Stapler verboten sei, und sich nicht entsprechend festgehalten. Es treffe ihn daher ein Eigenverschulden von 50 %. Das Erstgericht sprach dem Kläger auf der Grundlage einer Verschuldensteilung von 3 : 2 zu seinen Gunsten und eines angemessenen Schmerzengeldes von S 180.000,-- einen Teilbetrag von S 108.120,-- sA zu, sprach aus, daß der Beklagte dem Kläger für künftige Schäden im Ausmaß von 60 % hafte, und wies das Zahlungsmehrbegehren von S 46.830,-- sA sowie das Feststellungsmehrbegehren ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der Kläger und der Beklagte gehörten am 9.5.1983 einer aus insgesamt vier Arbeitnehmern bestehenden Arbeitspartie an, die auf dem Bahnhof Wels Verladearbeiten durchzuführen hatte und deren weisungsberechtigter Partieführer Adam D*** war. Für diese Arbeiten stand ein Hubstapler zur Verfügung, für dessen Bedienung die Ablegung einer Prüfung erforderlich ist. Der Partieführer und der Beklagte hatten eine solche Prüfung abgelegt. Der Beklagte holte vorbereitete Paletten mit dem Hubstapler ab und brachte sie zu ihrem Bestimmungsort. Wenn er bei diesen Arbeiten seine Arbeitskollegen aufforderte, Paletten zurechtzurücken oder an bestimmten Stellen Hand anzulegen, ergab sich dies aus der Notwendigkeit des arbeitsteiligen Vorganges und beruhte nicht auf einem - dem Beklagten nicht zustehenden - Weisungsrecht. Die gleichrangigen Arbeitskollegen leisteten diesen Aufforderungen nur aus kollegialen Gründen Folge. Weisungsberechtigt war innerhalb der Arbeitspartie nur der Partieführer Adam D***. Der Beklagte war nur für den von ihm gelenkten Stapler und das darauf beförderte Gut verantwortlich. Während der Fahrt mit dem Hubstapler hatte er die Dienstvorschrift der ÖBB A 40/5 einzuhalten. Nach dieser Vorschrift ist das Mitfahren auf einem Hubstapler grundsätzlich verboten. Der Beklagte war daher verpflichtet, den Kläger aufzufordern, das unbefugte Mitfahren auf dem Hubstapler zu unterlassen, und allenfalls den Stapler nicht in Betrieb zu nehmen, solange sich der Kläger darauf befand. Weitergehende Weisungsrechte standen ihm nicht zu.
Adam D*** ordnete am 9.5.1983 die Verladung eines Gerätes an. Zu diesem Zweck mußte sich die Arbeitspartie dorthin begeben. Der Kläger, der Partieführer und ein weiterer Arbeiter der Partie stiegen aus Bequemlichkeit auf den Hubstapler, um sich das Zurücklegen des Weges zu Fuß zu ersparen. Ein Arbeiter setzte sich neben den Beklagten; der Partieführer stand dahinter und der Kläger stieg mit dem Rücken zur Fahrtrichtung vorne auf die Gabel, wobei er sich an einem Schutzgitter festhielt. Allen vier Arbeitern war bekannt, daß das Mitfahren auf einem Stapler grundsätzlich untersagt ist. Der Beklagte fuhr zunächst etwa 65 m mit einer Geschwindigkeit von 5 Stkm in gerader Richtung; dann führte er ohne Verminderung der Geschwindigkeit eine abrupte Lenkbewegung nach rechts durch. Infolge der dabei auftretenden Fliehkräfte stürzte der Kläger von der Gabel nach rechts in Richtung der Außenseite der Kurve ab und geriet mit dem linken Bein unter das linke Vorderrad des Staplers. Auf Grund des vom Beklagten durchgeführten Fahrmanövers hatte der Kläger zwangsläufig abstürzen müssen.
Der Kläger erlitt einen offenen Bruch des linken Schienbeins, einen Bruch beider Knöchel links, eine Hautquetschung mit Hautnekrose am linken Unterschenkel sowie mehrere Prellungen und Hautabschürfungen. Er befand sich vom 9.5. bis 20.7.1983 in stationärer Spitalsbehandlung sowie vom 29.11.1983 bis 24.1.1984 im Rehabilitationszentrum Tobelbad. Nach ambulanten Behandlungen, einer vorübergehenden Arbeitsaufnahme sowie einer weiteren stationären Behandlung in der Zeit vom 14. bis 21.1.1985 konnte er am 18.2.1985 seine Arbeit wieder aufnehmen. Derzeit befinden sich auf dem linken Bein ausgedehnte Narben. Infolge der Verletzungen ist eine Verschmächtigung des linken Vorfußes und der Sprunggelenkgegend sowie eine Muskelschwäche des ganzen linken Beines eingetreten. Auf Grund einer Bewegungseinschränkung der Zehen und des Sprunggelenks besteht eine leichte Gangstörung. Als Folge des Innen- und Außenknöchelbruchs kann das Auftreten einer posttraumatischen Arthrose des Sprunggelenks als Spätfolge nicht ausgeschlossen werden. Durch die verbleibenden Schraubenkanäle im Schienbein ist die Knochenbruchfestigkeit erheblich vermindert, sodaß eine erhöhte Gefahr eines neuerlichen Unterschenkelbruchs besteht. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist um 20 bis 25 % gemindert. Er bezieht derzeit eine Invaliditätspension von rund S 1.400,-- im Monat. Der Kläger hatte unfallsbedingt 14 bis 17 Tage starke, 5 bis 6 Wochen mittelstarke und 4 bis 4 1/2 Monate leichte Schmerzen. Beim Unfall wurden eine Schlosserhose und die Bluejeans des Klägers beschädigt. Er hatte diese zum ersten Mal getragen und um rund S 500,-- gekauft. Der Kläger wurde während seines elfwöchigen Krankenhausaufenthaltes etwa 2 bis 3 Mal wöchentlich von seiner Ehegattin besucht. Sie benützte für diese Fahrten ihren PKW. Die Wohnung liegt etwa 60 km von Wels entfernt.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, der Beklagte sei nicht Aufseher im Betrieb gewesen, sodaß ihm das Haftungsprivileg des § 333 Abs.4 ASVG nicht zugutekomme.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung infolge Berufung beider Parteien teilweise dahin ab, daß es dem Kläger einen Teilbetrag von S 99.780,-- sA zusprach und das Mehrbegehren von S 55.170,-- abwies. Im übrigen bestätigte es das erstgerichtliche Urteil. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts, ergänzte diese betreffend den Anspruch auf Fahrtkostenersatz und vertrat gleich dem Erstgericht die Rechtsauffassung, der Beklagte sei mangels jeglicher Weisungsbefugnis nicht Aufseher im Betrieb gewesen, sodaß ihm das Haftungsprivileg des § 333 Abs.4 ASVG nicht zustatten komme. Es bejahte abweichend vom Erstgericht den Anspruch des Klägers auf Ersatz der zu den Heilungskosten gehörenden, der Ehegattin des Beklagten für Spitalsbesuche entstandenen Fahrtkosten und billigte die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung. Hingegen hielt es aus den von ihm näher dargelegten Gründen ein Schmerzengeld von lediglich S 160.000,-- für angemessen.
Diese Entscheidung wird von beiden Parteien bekämpft. Die aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers richtet sich gegen die Abweisung eines Teilbegehrens von S 54.945,-- (das ist der noch begehrte Gesamtzuspruch von S 154.725,--, abzüglich der vom Berufungsgericht zugesprochenen S 99.780,--) sowie gegen die Abweisung des ein weiteres Mitverschulden von 15 % betreffenden Feststellungsmehrbegehrens. Beantragt wird, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Kläger ein Betrag von S 154.725,-- sA zugesprochen und dem Beklagten gegenüber festgestellt werde, daß dieser dem Kläger für alle künftigen Schäden aus dem Unfall im Ausmaß von 75 % hafte. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagte ficht das Berufungsurteil aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zur Gänze (gemeint: im Umfang der Klagsstattgebung) an. Er beantragt, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird auch von ihm ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Parteien beantragen, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Keine der beiden Revisionen ist berechtigt.
Zur Revision des Klägers:
Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, die Verschuldensteilung sei im Verhältnis von 3 : 1 zu seinen Gunsten vorzunehmen, weil dem Beklagten das Verschulden des Adam D***, dessen Haftung nach dem § 333 Abs.4 ASVG im Hinblick auf dessen Aufsehereigenschaft ausgeschlossen sei, zuzurechnen sei; zumindest müsse aber die unvorsichtige Fahrweise des Beklagten (relativ überhöhte Geschwindigkeit und abrupte Richtungsänderung) angesichts des bestenfalls gleichwertigen Verstoßes der Parteien gegen das Verbot, auf dem Hubstapler Personen zu befördern, als erheblich überwiegendes Mitverschulden des Beklagten berücksichtigt werden. Diesen Auffassungen kann nicht zugestimmt werden. Beiden Parteien war das Verbot der Personenbeförderung auf Hubstaplern bekannt und beide Parteien haben dieses Verbot übertreten. Bedenkt man, daß der Kläger ebenso wie der Partieführer und der dritte Arbeiter den Hubstapler für die Fahrt benützt haben, so daß der Beklagte, wenn er dies abgelehnt hätte, von seinen Arbeitskollegen als unkollegial angesehen worden wäre, dann trifft diesen insoweit kein größerer Verschuldensanteil als den Kläger, der die mit der Beförderung verbundene Gefahr auf sich genommen hat. Lediglich der in der Vornahme einer abrupten Richtungsänderung bei unverminderter Geschwindigkeit bestehende Fahrfehler des Beklagten rechtfertigt die Annahme eines höheren Verschuldens des Beklagten, das aber nicht erheblich überwiegt. Den Untergerichten ist darin beizustimmen, daß eine Teilung des Verschuldens im Verhältnis von 3 : 2 zu Lasten des Beklagten dem Gewicht der beiderseitigen Sorgfaltsverletzungen entspricht.
Entgegen der Meinung des Klägers ist der Umstand, daß auch den Partieführer Adam D***, der die unzulässige Beförderung von Personen auf dem Hubstapler nicht nur gebilligt hat, sondern sogar selbst mitgefahren ist, ein Mitverschulden trifft, bei der zwischen den Parteien vorzunehmenden Verschuldensteilung nicht zu berücksichtigen. Der Partieführer war zwar im Hinblick auf seine näher festgestellten Weisungsbefugnisse Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs.4 ASVG, so daß ihm, da Vorsatz hier nicht in Betracht kommt, das Haftungsprivileg der vorgenannten Gesetzesstelle zugute kommt. Das Mitverschulden eines Dritten, der nicht haftet, ist aber für die Verschuldensteilung im Verhältnis zwischen dem (mit)haftenden Schädiger und dem Geschädigten ohne Bedeutung (siehe dazu Koziol, Haftpflichtrecht 2 I 268 ff; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 6 zu § 1304 ABGB; SZ 44/48; SZ 56/34).
Entgegen der Meinung des Klägers begegnet auch die vom Berufungsgericht als angemessen erachtete Höhe des Schmerzengeldes keine Bedenken. Der mit S 160.000,-- angenommene Betrag nimmt auf die Art und die Schwere der Verletzungen des Klägers sowie auf die Dauer und Intensität der festgestellten Schmerzen und die mit den Verletzungen verbundenen Unlustgefühle sowie auf die Dauerfolgen angemessen Bedacht, sodaß der Revision auch in diesem Punkt kein Erfolg beschieden sein kann.
Zur Revision des Beklagten:
Der Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, er sei im Zeitpunkt des Unfalles Aufseher im Betrieb im Sinne des § 333 Abs.4 ASVG gewesen und daher von der Haftung befreit. Aber selbst wenn ihm dieses Haftungsprivileg nicht zugute käme, wäre eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 anzunehmen und das Schmerzengeld in der Höhe von S 150.000,-- angemessen. Zur Frage der Verschuldensteilung und der Höhe des Schmerzengeldes ist auf die Ausführungen zur Revision des Klägers zu verweisen.
Bei der Beurteilung der Aufsehereigenschaft kommt es nach ständiger Rechtsprechung (Arb.10.271 ua) vor allem darauf an, ob der betreffende Arbeitnehmer zur Zeit des Unfalles eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war. Bei der Beförderung von Personen ist zu unterscheiden, ob der Lenker für ihre Sicherheit nur nach den Vorschriften über den Straßenverkehr verantwortlich war oder ob er ihnen gegenüber darüber hinaus reichende Befugnisse und Pflichten hatte (ZVR 1974/59, SZ 51/128 ua). Ein Arbeitnehmer, der einen im selben Betrieb arbeitenden Kollegen im eigenen Kraftwagen in den Betrieb oder zu einer anderen Arbeitsstätte mitnimmt, ohne daß ihm diese Beförderung vom gemeinsamen Arbeitgeber aufgetragen worden wäre, führt diese Fahrt nicht im Rahmen des Betriebes und nicht in Erfüllung einer Dienstpflicht aus. Er ist nur ein "gewöhnlicher" Kraftwagenlenker und als solcher nicht Aufseher im Betrieb. Maßgebend für die Aufsehereigenschaft ist, daß der beförderte Arbeitskollege nicht aus persönlicher Gefälligkeit, sondern im Interesse des Betriebes und im Rahmen der Abwicklung übertragener Aufgaben mitgenommen wird (Arb.8660; 4 Ob 51/84 ua). Im vorliegenden Fall war der Beklagte zur Beförderung der Arbeitskollegen im Interesse des Betriebes nicht nur nicht berechtigt; eine solche Beförderung war vielmehr nach den Dienstvorschriften, wie ihm und den anderen Arbeitskollegen bekannt war, verboten. Der Beklagte war mangels jeglicher Weisungsbefugnis gegenüber seinen Arbeitskollegen - diese Weisungsbefugnis stand ausschließlich dem Partieführer Adam D*** zu - für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte nicht verantwortlich, weil sich seine Aufgabe auf die Verladung und Beförderung des Ladegutes beschränkte. Er war daher während der Fahrt mit dem Hubstapler nicht Aufseher im Betrieb. In dem für das Vorliegen des Haftungsprivilegs des § 333 Abs.4 ASVG entscheidenden Zeitpunkt des Unfalles war er für die beförderten Personen über den Rahmen der für das Lenken des Hubstaplers erforderlichen Sorgfaltspflicht hinaus nicht verantwortlich, zumal ihm eine solche Beförderung verboten war. Die Vorinstanzen haben daher die Aufsehereigenschaft des Beklagten mit Recht verneint. Den Ausführungen des Beklagten über die Bejahung der Aufsehereigenschaft eines Traktorfahrers in den in der Revision zitierten Fällen ist entgegenzuhalten, daß der Oberste Gerichtshof in anderen Fällen (Arb.8028, 4 Ob 68/74) eine solche Eigenschaft verneint hat. Es kommt hiebei immer auf die Umstände des einzelnen Falles an. Während die Beförderung von Personen bei einem Traktor nicht grundsätzlich verboten ist, so daß die oben angeführten, eine Aufsehereigenschaft begründenden Umstände im Einzelfall vorliegen können, ist eine solche Beförderung nach den für die Parteien geltenden Dienstvorschriften der ÖBB ausdrücklich verboten, so daß die eine Aufsehereigenschaft eines Traktorfahrers allenfalls begründenden Umstände hier nicht eintreten können.
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.
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