OGH 3Ob511/86

OGH3Ob511/862.4.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Roland S*** geboren 4. August 1933, Bankangestellter, 1020 Wien, Untere Augartenstraße 23/7, vertreten durch Dr. Karl Leutgeb, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Maria S***, geb. F***, geboren 6. Mai 1923, Gastwirtin, 1150 Wien, Tossgasse 8/1/1, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 7. Mai 1985, GZ 12 R 94/85-34, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Dezember 1984, GZ 29 Cg 67/82-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden im Verschuldensausspruch dahin abgeändert, daß der Ausspruch des Überwiegens der Schuld der Beklagten zu entfallen hat.

Die Kosten aller drei Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte mit einer am 2.3.1982 eingebrachten Klage die Scheidung seiner mit der Beklagten am 14.5.1959 geschlossenen Ehe wegen schwerer Eheverfehlungen nach § 49 EheG.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und stellte hilfsweise den Antrag, das überwiegende Verschulden des Klägers auszusprechen.

Das Erstgericht gab der Scheidungsklage statt und sprach aus, daß beide Teile ein Verschulden treffe, wobei das Verschulden der Beklagten überwiege.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.

Die Vorinstanzen gingen im wesentlichen von folgenden

Tatsachenfeststellungen aus:

Die Ehe der Streitteile ist seit 10 Jahren nicht mehr in Ordnung. Der Kläger trägt sich etwa seit dem Jahr 1976 mit Scheidungsgedanken, unterließ aber die Einbringung einer Klage wegen des 1962 geborenen Sohnes der Streitteile. Ursache dieser Scheidungsabsicht des Klägers war das Verhalten der Beklagten, die den Kläger immer wieder herabsetzte und beschimpfte und ihm Vorhaltungen machte, daß er nichts gehabt habe, als er geheiratet habe. Immer wieder hatte die Beklagte zum Kläger gesagt, wenn ihm etwas nicht passe, dann könne er genauso gehen, wie er gekommen sei. Der Kläger hatte früher im Gastbetrieb der Beklagten gearbeitet, dann aber im November 1979 einen Posten als Bankangestellter angenommen. Um den dauernden Streitigkeiten mit der Beklagten zu entgehen, ging er manchmal erst ein bis zwei Stunden nach Dienstschluß nach Hause. Als der Kläger im Jahr 1981 nach einer Weihnachtsfeier im Betrieb seines Dienstgebers heimkam, warf ihm die Beklagte vor, er arbeite zu wenig. Einmal beschuldigte die Beklagte den Kläger unbegründeter Weise, einen Brand verursacht zu haben. Der Kläger verhielt sich gegenüber den Beschimpfungen der Beklagten meistens zurückhaltend und ruhig. Manchmal belegte aber auch der Kläger die Beklagte mit Ausdrücken wie Gurke oder hysterisches Weib und sagte zu ihr, sie habe idiotische Einfälle. Im März 1982 verließ der Kläger die Ehewohnung und stellte auch seine Mithilfe im Gastbetrieb der Beklagten ein, die er bisher neben seiner Tätigkeit in der Bank geleistet hatte. Die Beklagte bat den Kläger vor seinem Auszug aus der Ehewohnung, er solle sich diesen Schritt noch überlegen.

Auf Grund einer von der Beklagten gegen den Kläger am 2.6.1982 angestrengten Unterhaltsklage wurde der Kläger zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 1.750,-- ab 2.6.1982 bzw. von S 2.000,-- ab 1.9.1982 verurteilt.

Am 1.8.1982 kam es zwischen den Streitteilen zu einem Streit, als der Kläger Papiere suchte, welcher in beiderseitige Tätlichkeiten ausartete, die zum Strafverfahren U 288/82 des Bezirksgerichtes Ottenschlag führten. Das Erstgericht verurteilte beide Streitteile wegen Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs.2 StGB, weil es einen Faustschlag des Klägers und einen Biß der Beklagten als erwiesen annahm, was bei beiden Eheleuten zu einer leichten Verletzung geführt habe. Das Berufungsgericht sprach jedoch beide Streitteile gemäß § 259 Z.4 StPO frei, weil es geringe Schuld und unbedeutende Folgen im Sinne des § 42 Abs.1 StGB annahm. Die Beklagte verdächtigte den Kläger während dieses Strafverfahrens, aber auch gegenüber mehreren Leuten der Dienststelle des Klägers, er habe eine Freundin. Ehewidrige Beziehungen des Klägers zu einer anderen Frau sind jedoch nicht erwiesen.

Es ist ferner nicht erwiesen, daß der Kläger die Beklagte - gemeint offenbar außer dem Vorfall vom 1.8.1982 - mißhandelt hätte. Auch für den Vorfall vom 1.8.1982 ist keine Verletzung der Beklagten durch den Kläger (gemeint offenbar eine nennenswerte Verletzung) erwiesen.

Als der Kläger im März 1982 die Beklagte verließ, war die Ehe durch die jahrelangen Beschimpfungen und Herabsetzung des Klägers durch die Beklagte schon unheilbar zerrüttet.

In rechtlicher Hinsicht wertete das Erstgericht das Verhalten der Beklagten als schwere Eheverfehlungen, die die Zerrüttung in erster Linie verursacht habe und denen nur fallweise Beschimpfungen durch den Kläger und die Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüberstünden. Diese Verfehlungen stellten zwar gerade noch ein Mitverschulden dar, das Verschulden der Beklagten überwiege jedoch. Auch das Berufungsgericht war der Auffassung, daß das Ausmaß des schuldhaften Verhaltens des Klägers gegenüber dem der Beklagten eindeutig zurücktrete. Die Verletzung der Beklagten beim Vorfall vom 1.8.1982 stelle einen einmaligen Vorfall dar, der sich überdies als unmittelbare Reaktion auf das Verhalten der Beklagten darstelle. Die Verletzung der Unterhaltspflicht sei nicht so schwerwiegend, weil die Beklagte über eigene Einkünfte aus dem Gastbetrieb verfügt habe. Der Kläger habe sich bei Streitigkeiten meistens ruhig verhalten und nur selten seinerseits die Beklagte beschimpft. Demgegenüber habe aber die Beklagte durch Jahre hindurch gegen die Pflicht zur anständigen Begegnung verstoßen und so überwiegend zum Scheitern der Ehe beigetragen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten wegen der Revisionsgründe der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern oder es aufzuheben. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt teilweise Berechtigung zu.

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Wie man die Folgen der Mißhandlung der Beklagten durch den Kläger beim Vorfall vom 1.8.1982 wertet, ob man davon ausgeht, es sei keine Verletzung erwiesen (Erstgericht) oder formuliert, es könne sich höchstens um eine geringfügige Verletzung handeln (Berufungsgericht) ist letztlich eine Rechtsfrage. Falls es auf den Grad der Verletzung der Beklagten ankäme, lägen unter Umständen Feststellungsmängel vor. Von einer Aktenwidrigkeit kann aber keine Rede sein, denn diese wäre nur gegeben, wenn das Berufungsgericht bestimmte Beweisergebnisse falsch wiedergegeben hätte und nur dadurch zu falschen Schlüssen gekommen wäre, was im vorliegenden Fall nicht geschehen ist. Die Rechtsrüge ist hingegen insofern berechtigt, als die Vorinstanzen die Verfehlungen der Beklagten im Ergebnis zu schwer und jene des Klägers zu gering bewertet haben.

Mit Recht führt die Revision der Beklagten ins Treffen, daß das überwiegende Verschulden eines der beiden Ehegatten nur ausgesprochen werden kann, wenn dessen Verschulden "erheblich schwerer als das des anderen" ist, wenn also der Unterschied der beiden Verschuldensanteile ganz augenscheinlich und offenkundig hervortritt (EFSlg. 43.691, 43.692 ua.).

Von einem derart erheblichen Unterschied kann hier jedoch (gerade noch) nicht gesprochen werden.

Zwar hat die Beklagte in den Jahren vor der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft durch den Kläger sicher mehr zur Zerrüttung der Ehe beigetragen als der Kläger, indem sie diesen unter Verletzung der Pflicht zur anständigen Begegnung immer wieder beschimpfte und herabsetzte, wobei besonders die Anspielung auf die Vermögenslosigkeit des Mannes eine schwere Beleidigung darstellt. Die Vorinstanzen haben aber in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt, daß sich beide Streitteile immer in eher angespannten finanziellen Verhältnissen befanden. Die Beklagte, welche 10 Jahre älter als der Kläger ist, mußte im Gastbetrieb arbeiten, wo sie nur ganz bescheidene Einnahmen erzielte (im Unterhaltsprozeß wurden sie mit 4.300,- S monatlich ermittelt) und auch der Kläger verdiente eher wenig. Da der Kläger, wie er in seiner Parteienaussage selbst zugestand, öfters um Geld Karten spielte und dies für die Beklagte zum Anlaß wurde, Streitereien anzufangen, kann nicht gesagt werden, daß sich die Beklagte sozusagen immer nur ohne Grund oder aus reiner Streitlust oder Gehässigkeit zu ihren Beschimpfungen hinreißen ließ. Und seitens des Klägers ist nicht erwiesen, daß er auf das sicher nicht zu billigende Verhalten der Beklagten besonders liebevoll reagiert hätte. Einerseits schimpfte manchmal, wenn auch seltener, auch er. Und andererseits zog er sich immer mehr von der Beklagten zurück. Als der Kläger dann im März 1982 den endgültigen Entschluß zur Trennung faßte und die Beklagte ohne besonderen konkreten Anlaß verließ, versuchte diese ihn zurückzuhalten, was dafür spricht, daß sie zu diesem Zeitpunkt durchaus noch an der Ehe festhalten wollte. Es ist daher hier nicht der Fall gegeben, daß nur die Beklagte den Anfang mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe machte und daß praktisch fast nur ihr Verhalten zur Zerrüttung beitrug, was bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens im Zweifel von ausschlaggebender Bedeutung wäre (vgl. Entscheidungen wie EFSlg. 43.676 bis 43.682), sondern auch schon in der Zeit, als die Ehe noch einigermaßen funktionierte, setzten beide Teile (wenn auch im unterschiedlichen Ausmaß) Ursachen zum späteren Scheitern der Ehe. Daß dann der Kläger in der Folge der Beklagten keinen Unterhalt mehr gewährte, während er vorher seiner eigenen Darstellung gemäß immer auch mit seinem eigenen Verdienst zur Bestreitung der ehelichen Auslagen beigetragen hatte, war bei dieser Gesamtsituation ein durchaus ernst zu nehmender zusätzlicher Beitrag des Klägers zur weiteren und endgültigen Zerrüttung der Ehe. Nicht mehr von besonderer Bedeutung war dann freilich der Vorfall vom 1.8.1982 (nach Einbringung der Scheidungsklage und der Unterhaltsklage!), sodaß es auf den wirklichen Grad der Verletzung der Beklagten nicht mehr ankommen kann, zumal offenbar die Beklagte zuerst gebissen hatte, ehe auch der Kläger sie mißhandelte.

Werden alle diese Umstände berücksichtigt und in ihrer Gesamtheit einander gegenüber gestellt (EFSlg. 43.684, 43.685) zeigt sich kein so erhebliches Überwiegen im Verschulden der Beklagten, daß der genannte Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Beklagten gerechtfertigt wäre.

Angesichts der jahrelangen schweren Verfehlungen der Beklagten, die in der Revision ganz zu Unrecht als bloße "Verbalinjurien" bagatellisiert werden, ist aber die Scheidungsklage des Klägers jedenfalls berechtigt, denn es trifft eben auch die Beklagte ein - sogar sehr gewichtiges - Verschulden, wobei bei keinem Ehegatten ein erheblich überwiegendes Verschulden zu Tage tritt. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher hinsichtlich des Verschuldensausspruches dahin abzuändern, daß der Ausspruch des Überwiegens der Schuld der Beklagten zu entfallen hat. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 43 Abs.1 ZPO.

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