OGH 8Ob648/85

OGH8Ob648/8527.2.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Maria‑Christine S*, vertreten durch Dr. Werner Neuhauser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Martinez * N*, vertreten durch Dr. Walter Panzer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung der Vaterschaft und Leistung von Unterhalt, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 5. Juli 1985, GZ 47 R 2050/85‑41, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 20. März 1985, GZ 1 C 17/83‑31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1986:0080OB00648.85.0227.000

 

Spruch:

1) Der Antrag auf Anordnung einer mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht wird abgewiesen.

2) Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln.

 

Begründung:

Die am 1. 3. 1983 von Marianne S* unehelich geborene Klägerin begehrte die Feststellung der Vaterschaft des Beklagten und seine Verurteilung zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 2.000,‑ ab Klagstag im wesentlichen mit der Begründung, der Beklagte habe ihrer Mutter innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist (3. 5. bis 2. 9. 1982) beigewohnt und sei wirtschaftlich in der Lage, den verlangten angemessenen Unterhalt zu bezahlen.

Der Beklagte wendete im wesentlichen ein, er habe zwar im Mai 1982 mit der Mutter der Klägerin geschlechtlich verkehrt, sei aber nicht der Vater der Klägerin, weil es sich nicht um einen „normalen Verkehr“ gehandelt habe. Die Mutter habe innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist noch mit mindestens einem anderen Mann Geschlechtsverkehr gehabt, dessen Vaterschaft wahrscheinlicher sei als seine. Zur Leistung des von ihm verlangten Unterhaltes sei der Beklagte wirtschaftlich nicht in der Lage.

Das Erstgericht gab dem auf Feststellung der Vaterschaft des Beklagten gerichteten Klagebegehren statt und verurteilte den Beklagten zu einer monatlichen Unterhaltsleistung an die Klägerin von S 2.000,‑ für die Zeit vom 22. 3. 1983 bis 30. 4. 1984 und von S 1.700,‑ für die Zeit ab 1. 5. 1984. Das Mehrbegehren auf Leistung weiterer monatlicher Unterhaltsbeträge von S 300,‑ für die Zeit ab 1. 5. 1984 wies es ab.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Marianne S* lernte den Beklagten im April 1982 kennen. Im Mai 1982 hatte sie mit ihm mehrmals Geschlechtsverkehr. Ende Mai 1982 fuhr der Beklagte nach Spanien. Er ist der Vater der Klägerin; aus dem eingeholten serologischen Gutachten ergibt sich eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 99,9 %.

Die Wiedergabe der Feststellungen des Erstgerichtes zur Frage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Beklagten kann unterbleiben, weil die Höhe des ihm auferlegten Unterhaltes im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Vaterschaftsvermutung des § 163 Abs 1 ABGB für die Vaterschaft des Beklagten zur Klägerin spreche, weil er im Mai 1982 wiederholt mit der Mutter der Klägerin Geschlechtsverkehr gehabt habe. Den Beweis der Unwahrscheinlichkeit seiner Vaterschaft oder den Beweis, daß seine Vaterschaft unwahrscheinlicher sei als die eines anderen Mannes, habe der Beklagte nicht erbracht. Die der Klägerin zugesprochenen Unterhaltsbeträge seien angemessen.

Dieses Urteil wurde nur in seinem klagsstattgebenden Teil vom Beklagten mit Berufung bekämpft.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht diesem Rechtsmittel keine Folge.

Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, der Beklagte erblicke einen wesentlichen Verfahrensmangel darin, daß seine Parteienvernehmung ohne Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführt wurde. Der Beklagte habe aber im Verfahren erster Instanz niemals die Beiziehung eines Dolmetschers beantragt und auch die Erstrichterin habe keine Veranlassung gesehen, von Amts wegen einen Dolmetscher seiner Vernehmung beizuziehen. Die Parteienaussage des Beklagten weise auch keinerlei Besonderheiten auf, die auf allfällige Verständigungsschwierigkeiten hindeuten könnten. Auch der Vertreter des Beklagten habe keinen Antrag auf neuerliche Durchführung der Parteienvernehmung des Beklagten unter Beiziehung eines Dolmetschers gestellt.

Das Erstgericht habe mehrmaligen Geschlechtsverkehr zwischen der Mutter der Klägerin und dem Beklagten im Mai 1982 festgestellt. Eine Feststellung darüber, ob der Geschlechtsakt jeweils unterbrochen worden sei, sei entbehrlich, weil jedenfalls auch beim coitus interruptus eine Beiwohnung im Sinne des § 163 Abs. 1 ABGB vorliege.

Darüber hinaus sei die Darstellung des Beklagten unglaubwürdig. Er habe in seiner Parteienaussage angegeben, die Mutter der Klägerin habe ihm mitgeteilt, sie könne keine Kinder bekommen; er glaube allerdings nicht, daß diese Mitteilung vor dem ersten Geschlechtsverkehr erfolgt sei. Warum er dann allerdings auch nach Erhalt dieser Mitteilung angeblich weiterhin „aufgepaßt“ habe, habe der Beklagte nicht erklärt.

Die Darstellung in der Berufung, der Beklagte lehne es als Spanier ab, mit einer kurzfristigen Damenbekanntschaft in „zeugungsfähiger Weise“ intim zu werden, sei unverständlich. Moralische Bedenken gegen den geschlechtlichen Umgang mit Zufallsbekanntschaften würden wohl auch den Vollzug des unterbrochenen Geschlechtsverkehrs ausschließen.

Die Feststellung des Erstgerichtes, daß der Beklagte mit der Mutter der Klägerin im Mai 1982 mehrmals Geschlechtsverkehr hatte, sei ausreichend.

Da der Beklagte für seine Behauptung des Mehrverkehrs bzw. der höheren Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft eines anderen Mannes einen Beweis nicht angeboten habe (als Partei habe er selbst angegeben, er wisse nicht, ob und mit wem die Mutter der Klägerin in der kritischen Zeit noch verkehrt habe; die Mutter der Klägerin habe als Zeugin unwiderlegt ausgesagt, dass sie innerhalb der gesetzlichen Vermutungsfrist mit keinem anderen Mann Geschlechtsbeziehungen hatte), sei das Urteil des Erstgerichtes zu bestätigen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten. Er bekämpft es aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision nicht Folge zu geben.

Der in der Revision des Beklagten gestellte Antrag auf Anordnung einer mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht ist abzuweisen, weil dies zur Entscheidung über die vorliegende Revision nicht erforderlich erscheint (§ 509 Abs. 2 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Bestimmung des Art. 8 B‑VG bedeutet, daß die deutsche Sprache ‑ abgesehen von bestehenden Rechten von Minderheiten ‑ die offizielle Sprache ist, in der alle Anordnungen der Staatsorgane zu ergehen haben und mittels derer die Staatsorgane mit den Parteien und untereinander zu verkehren haben (8 Ob 70/84). In diesem Sinne ist auch die Vorschrift des § 53 Abs. 1 Geo. zu verstehen, nach der die Gerichtssprache (abgesehen von besonderen Bestimmungen über die Zulassung einer anderen Sprache als zusätzlicher Amtssprache) deutsch ist.

Ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verfahrensbeteiligter im zivilgerichtlichen Verfahren Anspruch auf Beiziehung eines Dolmetschers hat, wird in den Zivilprozeßgesetzen nicht geregelt. Mit der Gewährung des rechtlichen Gehörs (§ 477 Abs. 1 Z 4 ZPO) hat dies unmittelbar nichts zu tun, weil dieses nur voraussetzt, daß der Partei ein Weg eröffnet wird, sich in der ihr zustehenden Weise am Verfahren zu beteiligen (siehe dazu Fasching, Zivilprozeßrecht, Rdz. 697 ff; RZ 1983/62 ua.).

§ 82 Abs. 1 Geo. ordnet an, daß dann, wenn eine Person zu vernehmen ist, die der deutschen Sprache unkundig ist und sich auch nicht in einer Sprache ausdrücken kann, deren der Richter und, wenn der Vernehmung ein Schriftführer beizuziehen ist, auch dieser mächtig ist, ein vertrauenswürdiger Dolmetscher beizuziehen ist. Aus dieser auch im Lichte der Bestimmungen des Art. 6 MRK zu sehenden Vorschrift folgt jedenfalls der allgemeine verfahrensrechtliche Grundsatz, daß der Richter im Zivilprozeß dann von Amts wegen zur Beiziehung eines Dolmetschers verpflichtet ist, wenn er erkennt, daß er infolge sprachlicher Schwierigkeiten nicht in der Lage ist, sich mit der zu vernehmenden Person zweifelsfrei verständigen zu können. Erkennt der Richter dies nicht, ist es Sache der zu vernehmenden Person, die Beiziehung eines Dolmetschers zu beantragen, wenn sie selbst sich aus sprachlichen Gründen nicht imstande fühlt, ihrer Aussagepflicht korrekt und in zweifelsfreier Weise nachzukommen. Die Ablehnung eines derartigen Antrages wird ‑ Relevanz der Aussage vorausgesetzt ‑ in der Regel einen Verfahrensmangel begründen, weil allein die betreffende Person beurteilen kann, ob ihre Kenntnisse der deutschen Sprache für eine einwandfreie und unmißverständliche Kommunikation mit dem Gericht ausreicht oder nicht.

Im vorliegenden Fall ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, daß die Erstrichterin erkannt hätte, daß sie aus sprachlichen Gründen nicht in der Lage sei, sich mit dem Beklagten anläßlich seiner Vernehmung als Partei zweifelsfrei zu verständigen. Einen Antrag auf Beiziehung eines Dolmetschers hat der Beklagte im Verfahren erster Instanz, in dem er zunächst ohne Vertreter auftrat, später aber durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde, nicht gestellt. Mit Recht hat unter diesen Umständen das Berufungsgericht einen in der Vernehmung des Beklagten als Partei ohne Beiziehung eines Dolmetschers gelegenen Mangel des Verfahrens in erster Instanz verneint.

Wenn aber der Beklagte in seiner Berufung die Richtigkeit der (unter anderem auf Grund seiner Aussage als Partei) vom Erstgericht getroffenen Feststellungen bekämpfte und hier sinngemäß ausführte, daß er infolge sprachlicher Schwierigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, ohne Beiziehung eines Dolmetschers vor dem Erstgericht eine der Wahrheit entsprechende Darstellung der Art seiner Beziehungen zur Mutter der Klägerin zu geben, so liegt zumindest darin ein klar erkennbarer Antrag des Beklagten auf Beiziehung eines Dolmetschers. Ohne diese Maßnahme konnte das Berufungsgericht nicht in mangelfreier Weise seiner Verpflichtung nachkommen, als letzte Tatsacheninstanz die Richtigkeit der vom Beklagten bekämpften Feststellungen des Erstgerichtes zu überprüfen. Auf Grund der Aktenlage allein war ihm dies nicht möglich, weil ja nach der unwiderlegten Behauptung des Beklagten seine protokollierte Aussage als Partei im Verfahren erster Instanz auf sprachlichen Mißverständnissen beruhte. Unter diesen Umständen konnte aber das Berufungsgericht seiner prozessualen Verpflichtung zur Prüfung der Richtigkeit der vom Beklagten bekämpften Feststellungen des Erstgerichtes nur dann nachkommen, wenn es den Beklagten unter Beiziehung eines Dolmetschers selbst vernahm und sich so ein zweifelsfreies Bild davon verschaffte, was der Beklagte nun tatsächlich als Partei aussagte.

Mit diesen Ausführungen wird keinesfalls in die ausschließlich den Tatsacheninstanzen obliegende und im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbare Beweiswürdigung eingegriffen. Es ergibt sich daraus nur in verfahrensrechtlicher Hinsicht, daß das Berufungsgericht seiner auf Grund der in der Berufung erhobenen Tatsachenrüge des Beklagten bestehenden Verpflichtung zur Prüfung der Richtigkeit der bekämpften Feststellungen des Erstgerichtes nicht nachkommen konnte, ohne sich darüber Gewißheit zu verschaffen, was der Beklagte ‑ unter Ausschaltung aller sprachlichen Schwierigkeiten durch Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers ‑ tatsächlich als Partei aussagte.

Diesen dem Berufungsgericht unterlaufenen Verfahrensmangel macht der Beklagte in seiner Revision zutreffend geltend. Es war daher in Stattgebung dieses Rechtsmittels das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, ohne daß auf die weiteren Revisionsausführungen einzugehen wäre.

Das Berufungsgericht wird sich durch Vernehmung des Beklagten als Partei unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers (und, sollte es das dann für erforderlich halten, allenfalls auch durch neuerliche Vernehmung der Mutter der Klägerin) die erforderlichen Grundlagen zu verschaffen haben, um über die in der Berufung erhobene Tatsachenrüge des Beklagten absprechen zu können. Erst wenn dies geschehen ist, wird eine erschöpfende rechtliche Beurteilung des sodann feststehenden Sachverhaltes möglich sein.

Es war daher in Stattgebung der Revision des Beklagten wie im Spruch zu entscheiden.

Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

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