OGH 2Ob681/85

OGH2Ob681/8521.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Werner A, geboren am 19.11.1974, infolge Revisionsrekurses der ehelichen Mutter Etelka A, Pensionistin,

Wienerbergstraße 16-20/13/19, 1120 Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 21. November 1985, GZ. 47 R 484/85-90, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 23.Juli 1985, GZ. 3 P 225/82-85, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Zugleich wird auch der Beschluß des Erstgerichtes, soweit damit - sinngemäß - ein Besuchsrechtsmehrbegehren abgewiesen wurde, aufgehoben und dem Erstgericht insoweit eine neuerliche nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde am 3.6.1977 geschieden. Mit pflegschaftsgerichtlich genehmigtem Vergleich vereinbarten die Eltern, daß der Minderjährige Werner in Pflege und Erziehung der Mutter bleibt und der Vater berechtigt ist, das Kind an jedem zweiten Wochenende im Monat am Samstag oder Sonntag in der Zeit von 8 bis 19 Uhr zu sich zu nehmen. Tatsächlich wurde das Besuchsrecht in dieser Form jedoch nie ausgeübt, die Mutter war wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes (mehrere schwere Operationen) damit einverstanden, daß der Vater den Minderjährigen, wann immer er wollte, abholen konnte, da dies für sie eine willkommene Erleichterung bedeutete. Seit mehr als einem Jahr hat sich der Gesundheitszustand der Mutter wesentlich gebessert. Sie ist mit dem unbeschränkten Besuchsrecht nicht mehr einverstanden. Dadurch entstanden Spannungen zwischen den Eltern, durch die der Minderjährige irritiert wurde.

Die Mutter beantragt, das Besuchsrecht dahin festzusetzen, daß es auf einen Samstag oder Sonntag im Monat in der Zeit von 8 bis 19 Uhr eingeschränkt werde.

Der Vater äußerte sich, es solle bei der einvernehmlich getroffenen Vereinbarung bleiben, daß er das Kind jederzeit abholen könne.

Das Erstgericht räumte dem Vater - abgesehen von einem nicht bekämpften Urlaubsbesuchsrecht - ein Besuchsrecht an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat von 9 bis 18 Uhr und in den Schulferien an jedem ersten und dritten Wochenende eines jeden Monates von Samstag 14 Uhr bis Sonntag 18 Uhr ein.

Das Rekursgericht änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß der Vater berechtigt ist, den Minderjährigen an jedem ersten und dritten Wochenende im Monat am Samstag um 14 Uhr abzuholen und verpflichtet ist, das Kind am darauffolgenden Sonntag um 19 Uhr der Mutter zurückzubringen. Das Gericht zweiter Instanz begründete die Erweiterung des Besuchsrechtes damit, daß der Vater infolge Erkrankung der Mutter über längere Zeit einen besonders intensiven Kontakt zum Minderjährigen habe pflegen können, weshalb keine Bedenken dagegen bestünden, dem Vater nunmehr ein bei elfjährigen Kindern durchaus übliches Besuchsrecht im Ausmaß von zwei Wochenenden im Monat einzuräumen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes gerichtete Revisionsrekurs der Mutter ist berechtigt.

Mit Recht rügt die Mutter, daß der Minderjährige vor der Entscheidung nicht gehört wurde. Gemäß § 148 Abs1 ABGB hat das Gericht das Besuchsrecht "tunlichst nach Anhörung des mindestens zehnjährigen Kindes" zu regeln. Die Anhörungspflicht ist zwar - wie sich aus dem Wort "tunlichst" ergibt - keine unbedingte. Von einer Anhörung des Kindes wird insbesondere dann Abstand zu nehmen sein, wenn sie dem Kindeswohl widersprechen würde, was insbesondere dann der Fall sein kann, wenn das Kind durch Beeinflussungsversuche der Eltern unter starkem psychischen Druck steht (vgl.AB 587 Blg NR

14. GP 9; Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 3 zu § 148). Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen keinerlei Gründe dafür angeführt, weshalb eine Anhörung des Minderjährigen untunlich wäre; das bisherige Verfahren hat auch keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß die Anhörung dem Kindeswohl widersprechen würde.

Da der bereits mehr als 10 Jahre alte Minderjährige bisher vom Gericht nicht gehört wurde, erweist sich das Verfahren als mangelhaft. Schon aus diesem Grund mußte die Entscheidung der Vorinstanzen aufgehoben werden. Bei der neuerlichen Entscheidung wird zu beachten sein, daß oberster Grundsatz jeder Besuchsrechtsregelung das Wohl und das Interesse des Kindes sind (EFSlg43.222 u.v.a.). Da das Kind zu beiden Elternteilen einen guten Kontakt hat und der Vater während der Erkrankung der Mutter sein Besuchsrecht in sehr weitgehendem Umfang ausübte, werden aus psychischen Gründen kaum Bedenken gegen den Umfang des vom Rekursgericht eingeräumten Besuchsrechtes bestehen. Es ist allerdings auch bedeutsam, ob der Minderjährige für seine Hausaufgaben genügend Zeit hat, wenn er sich praktisch jedes zweite Wochenende von Samstag mittags bis Sonntag abends nicht bei der Mutter, der die elterlichen Rechte des § 144 ABGB zustehen, befindet. Diese Frage wird im fortgesetzten Verfahren zu klären sein, wobei es abgesehen davon, daß der Minderjährige gehört werden muß, zweckmäßig sein wird, beide Elternteile zu vernehmen. Aus diesen Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

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