OGH 13Os109/85

OGH13Os109/8516.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schneider, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer (Berichterstatter) und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Huber als Schriftführers in der Strafsache gegen Herbert H*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts Steyr als Jugendschöffengerichts vom 11.Dezember 1984, GZ. 6 Vr 582/84-17, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwalts Dr. Hauptmann, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Linger zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 19.Jänner 1967 geborene Elektrikerlehrling Herbert H*** wurde des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er am 20.April 1984 in Ried im Traunkreis als Halter eines Pferds durch dessen mangelhafte Verwahrung, indem er das Pferd trotz Anwesenheit spielender Kinder in einem Obstgarten frei und unbeobachtet grasen ließ, wodurch der sechsjährige Ulrich R*** sich dem Pferd von hinten zu nähern vermochte und von einem Hufschlag getroffen wurde, fahrlässig den Tod des genannten Kindes herbeigeführt.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen betreibt der Angeklagte Herbert H*** seit etwa 5 Jahren den Reitsport und ist mit Pferden gut vertraut. Zur Tatzeit besaß er zwei Reitpferde, den dreijährigen Hengst "R***" und den fünfjährigen Fuchs "F***", die er im Nachbaranwesen des Landwirts Franz S*** in Ried im Traunkreis eingestellt hatte. Diese beiden Pferden führte er am Nachmittag des 20.April 1984 aus dem Stall und ritt auf dem gesattelten Pferd "R***" einige Male um das landwirtschaftliche Anwesen, das andere Pferd lief ungesattelt, aber mittels einer Leine mit "R***" verbunden, hinterher. Im Obstgarten vor dem Anwesen bei den Stallungen befanden sich die elfjährige Doris K*** sowie die Kinder eines Nachbarn, nämlich die achtjährige Silke R*** und deren am 4.Mai 1977 geborener Bruder Ulrich. Diesen forderte der Angeklagte schon beim Herausführen der Pferde aus den Stallungen auf, sich nicht in deren Nähe zu begeben, doch kümmerte er sich in der Folge nicht darum, ob seine Warnung auch befolgt wurde. Nach Beendigung seines Ritts stieg der Angeklagte im Obstgarten vom Pferd ab und band den Fuchs, bei welchem es sich um ein "spritzigeres" Pferd handelt, los, der hierauf frei im Garten graste. Obwohl dort zu dieser Zeit noch die Kinder Ulrich und Silke R*** in ca 5 m Entfernung von "F***" spielten, hatte der Angeklagte keine Bedenken, dieses Pferd nicht angehängt zu lassen. Während er selbst in etwa 15 m Entfernung von "F***" der elfjährigen Doris K*** in den Sattel des Pferds "R***" half, näherte sich Ulrich R*** von hinten dem Pferd "F***", um es an der Hinterhand zu tätscheln. Hiebei schlug "F***" aus und verletzte Ulrich R*** tödlich. Der Angeklagte hat den gesamten Vorgang nicht bemerkt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Gründe des § 281 Abs 1 Z. 4 und 9 lit. b - dem Inhalt nach jedoch Z. 4 und 9 lit. a - StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Der Verfahrensrüge, in welcher der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Verteidigungsrechte zufolge Abweisung seines Antrags auf Einvernahme der Zeugin Silke R*** geltendmacht (S. 77), fehlt ein entsprechend begründeter Antrag und damit eine wesentliche formelle Voraussetzung: Der Antrag des Privatbeteiligten, dem der Verteidiger sich angeschlossen hatte, hat sich nämlich nur auf die Einvernahme der unmündigen Zeugin "zum Geschehen zur Tatzeit" bezogen. Ein Hinweis darauf, welches für die Schuldfrage bedeutsame Ergebnis von dieser Beweisaufnahme zu erwarten sei und auf welchen Gründen eine solche Erwartung beruhte (Mayerhofer-Rieder 2 , § 281 Abs 1 Z. 4 StPO, E 16 bis 19), geht aus dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht hervor. Daß sich solche Umstände schon aus dem Sachzusammenhang ergeben und daher einer ausdrücklichen Anführung durch den Antragsteller nicht mehr bedurft hätten (Mayerhofer-Rieder 2 a.a.O., E 18), trifft nicht zu, zumal angesichts der in den wesentlichen Punkten bestehenden Übereinstimmung der Verantwortung des Angeklagten mit den Angaben der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen wie auch mit der Schilderung des Vorfalls durch Silke R*** in der Anzeige ein allenfalls für den Angeklagten günstigerer Inhalt einer gerichtlichen Zeugenaussage der Unmündigen durch die Aktenlage in keiner Weise indiziert war.

Die nachträglichen (und insoweit verspäteten) Beschwerdeausführungen, denen zufolge Silke R*** wegen ihres Aufenthalts zur Unfallszeit in unmittelbarer Nähe ihres verunglückten Bruders zu detaillierten Angaben über die ursprüngliche Entfernung des Unfallsopfers vom Pferd "F***", über die Art seiner Bewegung zu diesem Tier hin und über die näheren Umstände seiner Berührung des Pferds in der Lage gewesen wäre, erschöpfen sich überdies in der Behauptung der bloß abstrakten Möglichkeit einer Förderung der Wahrheitsfindung durch die zusätzliche Beweisaufnahme, was zeigt, daß der gegenständliche Antrag - unzulässiger Weise - auf einen bloßen Erkundungsbeweis abzielte (Mayerhofer-Rieder 2 a.a.O., E 88 bis 90). Was aber die Rechtsrüge anlangt, so ist die objektive Sorgfaltswidrigkeit des Verhaltens des Angeklagten weder deshalb zu verneinen, weil er sich durch "Abhängen" (Losbinden) des Pferds "F***" nicht jeder Einwirkungsmöglichkeit auf dieses in fünfzehn Metern Entfernung von ihm grasende Tier begeben habe, noch ist sie im Hinblick auf die angebliche Übung im ländlichen Bereiche auszuschließen, die freie Bewegung von im landwirtschaftlichen Betrieb gehaltenen Tieren im Nahbereich des Anwesens unterschiedslos zuzulassen. Die allenfalls noch mögliche Einwirkung durch bloßen Zuruf oder durch Ergreifen des in einigem Abstand befindlichen Pferds war umso weniger geeignet, die Gefährdung der viel näher bei diesem Tier spielenden Kinder durch dessen Reflexe oder Reaktionen auf kindlich unbedachte Annäherungen hintanzuhalten, als das Pferd "F***" vom Angeklagten nicht ständig beobachtet wurde. Ob aber ein freies Grasenlassen von Pferden rund um das Gehöft im allgemeinen noch als Verhalten angesehen werden kann, welches der Sorgfalt eines umsichtigen und pflichtbewußten Tierhalters in vergleichbaren ländlichen Verhältnissen entspricht, kann dahingestellt bleiben; denn die konkrete Tatsituation, von welcher bei dem ex ante vorzunehmenden Vergleich des Tatverhaltens mit dem von der erwähnten Maßfigur aus dem Verkehrskreis des Täters vorauszusetzenden Verhalten auszugehen ist (Burgstaller in WrK, § 6 StGB, Rz 38, Rz 48 bis 51), bezog ihre besondere Gefährlichkeit daraus, daß das an sich zwar gutmütige, aber "spritzige" Pferd vom Angeklagten in nächster Umgebung mehrerer spielender Kinder im Alter von sechs bzw. acht Jahren losgebunden wurde und zeitweise unbeobachtet blieb. In dieser Situation würde ein mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener, besonnener und einsichtiger Tierhalter die Gefahr der Irritation auch eines nicht bösartigen, aber lebhaften jüngeren Pferds durch die Kinder (die zudem nur anläßlich des Herausführens der Pferde aus dem Stall - also noch vor dem zur Tatzeit bereits beendeten Ausritt des Angeklagten - vor der Annäherung an die Tiere gewarnt worden waren) erkannt und Vorkehrungen zur Vermeidung eines gefährlichen Nahkontakts getroffen haben. Besondere Umstände, auf Grund welcher darauf vertraut werden durfte, die Kinder würden sich dem Pferd nur mit gebotener Vorsicht, vor allem nicht unvermutet von hinten nähern, sind nicht festgestellt worden und nach der Aktenlage auch nicht indiziert gewesen, zumal diese keine Anhaltspunkte dafür bietet, daß Ulrich R*** trotz seines geringen Alters bereits über hinreichende Erfahrung im Umgang mit Pferden verfügte, um auch ohne Beaufsichtigung jeden das Pferd irritierenden Kontakt zu vermeiden, mag Ulrich R*** auch unter Aufsicht einmal auf dem Fuchs "F***" geritten sein und sich schon an dessen Fütterung beteiligt haben. Andererseits sind auch keine Gründe für die Annahme hervorgekommen, daß der zur Unfallszeit siebzehnjährige, mit Pferden seit Jahren vertraute Angeklagte, nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen nicht in der Lage gewesen wäre, die Gefahr zu erkennen und ihr zu begegnen. Das Ansinnen der elfjährigen Doris K***, sie auf dem Pferd "R***" reiten zu lassen und ihr in den Sattel zu helfen, überforderte ihn auch keineswegs, zumal ihn nichts daran hinderte, zuvor für die sichere Verwahrung des anderen Pferds im Stall zu sorgen oder es wenigstens (angeleint) in einigermaßen sicherem Abstand von den jüngeren Kindern und unter seiner Beobachtung grasen zu lassen. Sohin ist vom Erstgericht zu Recht nicht nur die objektive und subjektive Sorgfaltswidrigkeit des Tatverhaltens, sondern auch die Zumutbarkeit der Einhaltung pflichtgemäßer Sorgfalt für den Angeklagten bejaht worden (§ 6 StGB). Mit dem Vorbringen, selbst bei Einhaltung solcher Sorgfalt wäre der Unfall möglich gewesen, weil der sechsjährige Ulrich R*** auch ein in größerer Entfernung angeleintes oder im Stall eingestelltes Pferd durch eine Annäherung der festgestellten Art hätte irritieren können, bestreitet der Beschwerdeführer der Sache nach die für die Zurechnung des Erfolgs vorauszusetzende Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten. Dies durchaus zu Unrecht: Abgesehen davon, daß eine abgesonderte Verwahrung des einen Pferds im Stall, während der Angeklagte am zweiten Pferd ein Kind Reitversuche unternehmen ließ, die konkrete Unfallsgefahr praktisch ausgeschlossen hätte, wäre der (tatsächlich eingetretene) Erfolg dadurch zu verhindern gewesen, daß H*** die Entfernung zwischen den spielenden Kindern und dem frei grasenden Pferd so groß gehalten und selbst eine Position eingenommen hätte, die es ihm erlaubte, die Vorgänge zu beobachten und erforderlichenfalls durch Zuruf oder Herbeieilen persönlich unfallsverhindernd einzugreifen. Bei rechtmäßigem Verhalten wäre somit der Erfolg (mit größter Wahrscheinlichkeit) nicht eingetreten. Keiner besonderen Prüfung bedurfte die vom Beschwerdeführer abschließend bestrittene Garantenstellung (§ 2 StGB): Nach dem Sinnzusammenhang von Urteilsspruch und Urteilsgründen beschränkte sich das inkriminierte Verhalten keineswegs ausschließlich auf eine Unterlassung, sondern bestand auch darin, daß der Angeklagte das Pferd "F***" in den Obstgarten zu in unmittelbarer Nähe spielenden Kindern führte und es losband. Daß das Erstgericht in der Unterlassung weiterer Beaufsichtigung des Pferds und in der Abstandnahme von ausreichenden Vorkehrungen gegen eine gefährliche Annäherung der Kinder eine zusätzliche passive Fahrlässigkeitskomponente erblickt hat, ändert nichts daran, daß vorrangig von der aktiven Herbeiführung des Erfolgs auszugehen ist, weil wenigstens ein mehrdeutiges (durch Mischung aktiver und passiver Verhaltenselemente gekennzeichnetes) Tatverhalten vorliegt (zum "Primat des Tuns": Kienapfel, AT, Z 28 RN 25). Nur dort, wo mangels jeglichen, zur Anknüpfung geeigneten, aktiven Verhaltens die strafrechtliche Haftung ausschließlich und unmittelbar auf die Unterlassung einer Erfolgsabwendung im Sinn des § 2 StGB gestützt wird, bedarf es der Bindung der objektiven Sorgfaltspflicht an eine Garantenstellung (Burgstaller in WrK, § 6 StGB, Rz 58). Zudem verkennt der Angeklagte, daß er zwar nicht zufolge Übernahme einer Aufsichtspflicht über die Kinder, wohl aber im Hinblick auf seine räumliche Nähe zum Geschehen zufolge der ihn gemäß § 1320 abGB treffenden Verwahrungspflicht als Halter des Pferds ohnehin auch eine Garantenstellung hat.

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