OGH 7Ob692/85

OGH7Ob692/8516.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Pflegschaftssache der am 1. November 1968 geborenen minderjährigen Claudia E***, infolge Revisionsrekurses des Josef Leopold W***, Lohnverrechner, Rannersdorf, Alois Kellner-Straße 30, und der Erstrichterin Dr. Ursula E*** gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 24. Oktober 1985, GZ. 47 R 442-444/85-43, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Schwechat vom 4. Juni 1985, GZ. P 186/84-30, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

  1. 1. Der Revisionsrekurs des Josef W*** wird zurückgewiesen.
  2. 2. Dem Amtsrekurs der Erstrichterin Dr. Ursula E*** wird nicht Folge gegeben.

    3. Die Rekursbeantwortung des Kurt Johann E*** wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die am 1. November 1968 geborene Claudia E*** entstammt der Ehe des Johann und der Helga E***. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 27. September 1984, 7 Cg 259/84-4, aus dem Verschulden des Mannes geschieden. Da Helga E*** jedoch vor Rechtskraft dieses Scheidungsurteiles am 24. November 1984 Selbstmord beging, ist die Ehescheidung nicht in Rechtskraft erwachsen.

Nach der Ehescheidung zog Helga E*** mit der Minderjährigen zu ihrem Bruder Josef Leopold W***, bei dem die Minderjährige seit dem Tod ihrer Mutter blieb. Sie hat zu ihrem Onkel gute Beziehungen. Es ist ihr ausdrücklicher Wunsch, bei diesem und dessen Familie zu bleiben. Die Beziehungen der Minderjährigen zum Vater, die schon zu Lebzeiten der Mutter auf Grund des Verhaltens des Vaters nie besonders gut und innig gewesen sein dürften, sind durch die Ereignisse in den der Scheidung vorangegangenen Jahren sehr beeinträchtigt worden. Die Minderjährige hat sich ausdrücklich für den Verbleib beim Onkel ausgesprochen und weigert sich, zum Vater zurückzukehren. Der Vater will jedoch auf seine elterlichen Rechte nicht verzichten, hat jedoch inzwischen erklärt, daß er mit einem Verbleib der Minderjährigen bei ihrem Onkel und dessen Familie einverstanden ist. Er hat allerdings längere Zeit hindurch keinen Unterhalt bezahlt und erst, offensichtlich auf Anraten seines Anwaltes, erstmalig im März 1985 eine Unterhaltszahlung geleistet. Es besteht demnach ein Unterhaltsrückstand.

Das Erstgericht hat dem Vater die elterlichen Rechte hinsichtlich der Minderjährigen entzogen und Josef Leopold W*** zum Vormund bestellt. Es hat hiebei ausgeführt, auch im Verlaufe des vorliegenden Verfahrens habe das Verhalten des Vaters gezeigt, daß er wenig an der Wiederherstellung der Beziehungen zur Minderjährigen interessiert ist. Vielmehr hat das Gericht den Eindruck gewonnen, daß seine Anträge auf finanziellen Überlegungen beruhen. Diesen Schluß hat das Gericht aus der Tatsache gezogen, daß der Vater erst auf Anraten seines Anwaltes erstmals einen Unterhalt für die Minderjährige geleistet hat.

Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, eine Rückführung des Mädchens könne gegen dessen Willen nur zwangsweise erfolgen, wodurch aber das Wohl des Kindes gefährdet würde, zumal es aus seiner gewohnten Umgebung, in die es sich nach dem Tod ihrer Mutter eingelebt hat, herausgerissen würde. Dies rechtfertige gemäß § 176 ABGB, dem Vater die elterlichen Rechte zu entziehen. Das Rekursgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß den antrag, dem Vater die elterlichen Rechte zu entziehen und Josef Leopold W*** zum Vormund zu bestellen, abgewiesen. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, bei Eingriffen in die elterlichen Rechte sei behutsam vorzugehen. Solche Maßnahmen seien stets nur insoweit zu verfügen, als dies unbedingt geboten erscheint, um das Kindeswohl zu wahren. Es dürfe nicht übersehen werden, daß es sich bei der Entziehung der elterlichen Rechte um eine äußerste Notmaßnahme handle, die nur dann zulässig sei, wenn ein Mißbrauch oder eine Vernachlässigung der elterlichen Rechte dem Gericht bekannt werde und eine konkrete ernste Gefahr für die Entwicklung des Kindes bestehe, der nur durch den Entzug der Elternrechte begegnet werden könne. Der bloße Wunsch einer Minderjährigen, eine andere Person als die Eltern zum Vormund zu bestellen, sei für sich allein nicht ausreichend, dem Vater die elterlichen Rechte zu entziehen. Im vorliegenden Fall fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, daß der Vater durch sein Verhalten die Entwicklung des Kindes gefährdet, zumal er nunmehr ausdrücklich damit einverstanden sei, daß die Minderjährige in ihrer bisherigen Umgebung verbleibe. Bloß Zweckmäßigkeitserwägungen, daß der Onkel deshalb zum Vormund zu bestellen sei, weil die Minderjährige schon längere Zeit bei ihm wohnt, rechtfertigten eine Entziehung der elterlichen Rechte nicht. Eine Gefährdung des Wohles der Minderjährigen durch den Vater sei nicht hervorgekommen.

Rechtliche Beurteilung

Der von Josef Leopold W*** gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist nicht zulässig, weil der Antrag, zum Kurator bestellt zu werden, dem Antragsteller keinen Rechtsanspruch verschafft. Demnach fehlt dem Antragsteller auch eine Rekurslegitimation in Ansehung eines seinen Antrag abweisenden Beschlusses (7 Ob 101/72, 1 Ob 130/68 ua).

Der von der Erstrichterin gegen die angefochtene Entscheidung erhobene Amtsrekurs ist nicht gerechtfertigt.

Eine Entziehung der elterlichen Rechte ist gemäß § 176 Abs 1 ABGB nur dann zulässig, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes gefährden. Eine Gefährdung des Kindeswohles setzt nicht geradezu einen Mißbrauch der elterlichen Befugnisse voraus. Es genügt, daß die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (SZ 53/142, SZ 51/112 ua.). Maßnahmen nach § 176 ABGB sind aber nicht schon dann gerechtfertigt, wenn die Erziehung bei einer dritten Person besser wäre, als die an sich ordnungsgemäße Erziehung bei den Eltern (EFSlg 33605 ua.). Das Rekursgericht hat richtig erkannt, daß es sich bei den sogenannten Elternrechten um echte Rechte der Eltern handelt, die höchste Werte darstellen. Sie sind auch als solche auch neben den Kindesrechten bedeutsam (EvBl 1983/125 ua.). Demnach dürfen Eingriffe in diese Rechte nicht leichtfertig vorgenommen werden. Nur wenn ihre Ausübung tatsächlich eine Gefährdung des Kindeswohles mit sich bringt, ist ein solcher Eingriff zulässig.

Im vorliegenden Fall hat sich das Verhalten des Vaters, das ihm nunmehr zum Vorwurf gemacht wird, ausschließlich gegen die Mutter gerichtet. Gewalttätigkeiten gegenüber der Minderjährigen sind nicht aktenkundig. Es ist überhaupt nichts hervorgekommen, was den Schluß rechtfertigen könnte, der Vater werde irgendwelche gegen die Interessen des Kindes gerichtete Handlungen vornehmen. Vielmehr spricht es für das Verantwortungsbewußtsein des Vaters, daß er, nachdem ihm bewußt geworden ist, daß die Minderjährige in der ihr nunmehr vertrauten Umgebung verbleiben will, einem solchen Wunsch zugestimmt hat. Es kann also keine Rede davon sein, daß der Vater das Wohl der Minderjährigen gefährdet, weil er versucht, sie aus ihrer bisherigen Umgebung herauszureißen. Im Hinblick auf die Weigerung der Minderjährigen, Kontakt zum Vater aufzunehmen, ist auch nicht ersichtlich, inwieweit dem Vater eine mangelnde Kontaktaufnahme zum Vorwurf gemacht werden kann. Es kann ihm auch nicht angelastet werden, daß er sich bei der ablehnenden Haltung der Minderjährigen mit dem Fehlen eines persönlichen Kontaktes abgefunden hat. Hiemit trägt er nur dem Willen der Minderjährigen Rechnung, weshalb dieses Verhalten keine Gefährdung des Wohles der Minderjährigen bewirken kann.

Was die Bedenken gegen die Vermögensverwaltung durch den Vater anlangt, so entbehren die Befürchtungen, der Vater werde dieses Recht zum Nachteil der Minderjährigen mißbrauchen, jeglicher aktenmäßiger Grundlage. Der Vater hat zwar anfangs keinen Unterhalt für die Minderjährige gezahlt, sich jedoch, offenbar nachdem ihm von seinem Anwalt die Rechtslage dargelegt worden ist, in die gegebene Situation gefügt. Ob der Umstand, daß er seinerzeit keinen Unterhalt gezahlt hat, auf der häufig anzutreffenden irrigen Meinung beruhte, durch eine solche Maßnahme könne er seinen Willen bezüglich Rückführung des eigenen Kindes zum Durchbruch verhelfen, ist unerheblich. Daß derartiges weder möglich noch rechtmäßig ist, dürfte der Vater inzwischen eingesehen haben. Ein Streit über die Höhe des zu leistenden Unterhaltes kommt häufig vor und besagt an sich noch nichts über die Eignung zur Ausübung der elterlichen Rechte. Vor allem läßt ein Streit über die Unterhaltshöhe und ein Verzug in der Unterhaltszahlung noch nicht den Schluß zu, der Unterhaltspflichtige werde seine Stellung als Vermögensverwalter mißbrauchen. Sollten aber, etwa im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens nach der Mutter der Minderjährigen, Interessenkollisionen zwischen dem Vater und der Minderjährigen auftreten, so wird diesbezüglich für die Minderjährige ein Kurator zu bestellen sein, ohne daß dies mit der Frage der elterlichen Rechte im Sinne des § 176 ABGB etwas zu tun hätte.

Daß im Idealfall die Pflege und Erziehung einerseits und die gesetzliche Vertretung sowie die Vermögensverwaltung andererseits in einer Hand sein sollen, ist sicher richtig, doch rechtfertigt der bloße Umstand, daß ausnahmsweise vorliegende konkrete Tatsachen die tatsächliche Ausübung der Pflege und Erziehung durch eine dritte Person zweckmäßig erscheinen lassen, für sich allein noch nicht eine Entziehung der elterlichen Rechte nach § 176 ABGB. Eine solche Entziehung würde, wie bereits ausgeführt wurde, eine Gefährdung der Interessen der Minderjährigen voraussetzen, die im vorliegenden Fall nicht gegeben ist.

Die vom Vater erstattete Rekursbeantwortung war zurückzuweisen, weil eine Rechtsmittelgegenschrift im Außerstreitverfahren von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen nicht vorgesehen ist.

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