OGH 2Ob57/85

OGH2Ob57/8510.12.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatpräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anita A, ohne Beruf, 3553 Schiltern, Obere Straße 39, vertreten durch Dr.Peter Karl Wolf, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Rudolf B, Pensionist, 3003 Gablitz, Linzerstraße 99, 2. KÖB ÖSTERR.C D mbH, 1010 Wien,

Elisabethstraße 9, beide vertreten durch Dr.Wilhelm Niebauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 667.000,-- s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12.September 1985, GZ 17 R 186/85-144, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 27.März 1985, GZ 5 Cg 11/82-139, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat den beklagten Parteien die mit S 20.324,94 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.629,54 USt. und S 2.400,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Vorprozeß 9 Cg 352/55 des Landesgerichtes für ZRS Wien wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 31.Oktober 1958, 2 Ob 355/58, festgestellt, daß die beklagten Parteien der Klägerin für alle Schäden aus dem Unfall vom 28.Jänner 1950 haften, soweit sie auf die unfallskausale Kopfverletzung (Epilepsie) zurückzuführen sind.

Die Klägerin begehrt nunmehr (Klage vom 3.Juni 1977) die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 100.000,-- s.A. und den Ersatz eines Verdienstentganges von S 252.000,-- s.A. sowie die Leistung einer wertgesicherten Rente von monatlich S 7.500,-- und weiterer je S 7.500,-- am 1.Juli und 1.Dezember jeden Jahres. Hiezu brachte sie vor: Sie habe trotz unfallbedingter Lernschwierigkeiten und dadurch erforderlicher Wiederholung zweier Schulklassen die Matura abgelegt und sodann im Rahmen eines Germanistikstudiums an der Universität Wien sämtliche Prüfungen mit Ausnahme einer Seminarprüfung und der Lehramtsprüfung absolviert. Seit der Unfallszeit habe sich an ihr jedoch eine Persönlichkeitsveränderung gezeigt, sie habe immer wieder an Anfällen gelitten und sei in Krankenhausbehandlung gewesen. Sie habe letztlich aus diesen Gründen das Studium nicht abschließen können, wie es ihr auch unmöglich gewesen sei, eine Berufsstelle länger zu behalten. Im Jahre 1975 habe sie fast täglich mehrere Anfälle gehabt; insbesondere seit der Klagseinbringung habe sich ihr Zustand verschlechtert. Alle psychischen und physischen Veränderungen gingen einzig und allein auf die beim Unfall erlittenen Verletzungen zurück. Das Schmerzengeld entspreche den mit den seither erlittenen Anfällen und Unlustgefühlen verbundenen Schmerzen. Als Angestellte mit Matura hätte sie jedenfalls monatlich S 6.000,-- netto vierzehnmal jährlich verdient und habe somit in den letzten drei Jahren einen Verdienstentgang von insgesamt S 252.000,-- erlitten. Derzeit betrage ihr Verdienstentgang monatlich S 7.500,-- netto.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung. Sie bestritten, daß es sich bei den von der Klägerin behaupteten Persönlichkeitsveränderungen, Anfällen usw., um Unfallsfolgen handelt, und verwiesen darauf, daß die Klägerin im Vorprozeß, also 7 Jahre nach dem Unfall, keine derartigen Behauptungen aufgestellt habe.

Das Erstgericht wies die Klage zunächst in zwei Rechtsgängen ab. Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil auch im zweiten Rechtsgang auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Der von den beklagten Parteien gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß gerichtete Rekurs hatte keinen Erfolg. Der Oberste Gerichtshof sprach zu 2 Ob 39/82 aus, der vom Berufungsgericht dem Erstgericht erteilte Auftrag zur Ergänzung seines Verfahrens sei aus zutreffenden Gründen ergangen, weil die Frage, ob die unfallsbedingte Kopfverletzung zumindest eine Mitursache für die Persönlichkeitsveränderung der Klägerin bilde, es also ohne diese Kopfverletzung zeitlich und umfänglich nicht zu dieser Veränderung mit all ihren Folgen gekommen wäre, im Hinblick auf widersprechende Ausführungen in einem der Sachverständigengutachten noch nicht abschließend beurteilt werden könne.

Im fortgesetzten Verfahren nahm das Erstgericht Ergänzungen aller eingeholten Sachverständigengutachten sowie auf Grund neuen Parteivorbringens weitere Beweisaufnahmen vor und traf u.a. - siehe auch die Wiedergabe in dem zu 2 Ob 39/82 ergangenen Beschluß des Obersten Gerichtshofes - zusammenfassend folgende Feststellungen: Es kann nicht festgestellt werden, daß die bereits beschriebenen Anfälle der Klägerin in den letzten Jahren hirnorganisch bedingt und damit epileptisch waren. Diese Anfälle stehen vielmehr nicht in nachweisbarem kausalem Zusammenhang mit dem beim Unfall erlittenen Schädeltrauma und der festgestellten Epilepsie. Die Anfälle sind vielmehr psychogener Natur, sind auf eine prämorbide Fehlentwicklung der Persönlichkeit, eine neurotisch-psychogene Persönlichkeitsänderung bei der Klägerin zurückzuführen. Eine Kausalkette, die bei dem vom Erstbeklagten verschuldeten Unfall vom 28.1.1950 beginnt und über die im Vorprozeß (9 Cg 352/55 des Landesgerichtes für ZRS Wien) festgestellte Kopfverletzung und eine dadurch bewirkte Epilepsie zu den von der Klägerin in diesem Rechtsstreit behaupteten Beeinträchtigungen führt, ist nicht gegeben. Die behaupteten Beeinträchtigungen, soweit überhaupt objektiviert und vorhanden, haben vielmehr eine vom Unfall unabhängige Ursache: Die Persönlichkeit der Klägerin und deren bereits vor dem Unfall fixierte Fehlentwicklung. Der unfallsbedingten Kopfverletzung kommt auch keine teilkausale Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu. Der Entwicklung einer Entschädigungsneurose war sich die Klägerin zunächst durchaus bewußt, sie war auch imstande, dieser Entwicklung aktiv zu begegnen. Wegen der letztendlich eingetretenen Fixation der Begehrensneurose, die ihre Ursache nicht im Unfall vom 28.1.1950, sondern in der Persönlichkeit der Klägerin und deren Lebensschicksal hat, ist ihr dies nicht mehr möglich. Der Unfall und seine Folgen stellen auch keinen auslösenden Faktor für eine tiefenpsychologisch zu erklärende Entwicklung der bei der Klägerin entstehenden Neurose dar.

In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Erstgericht auf die Feststellung, daß die unfallsbedingte Kopfverletzung der Klägerin auch nicht eine Mitursache für ihre Persönlichkeitsveränderung darstelle und daß die krankhafte Anlage der Klägerin auch ohne die Kopfverletzung zum gleichen Gesundheitsschaden geführt hätte. Ebensowenig stelle die von den Sachverständigen diagnostizierte Entschädigungsneurose der Klägerin einen Haftungsgrund dar, weil sich die Klägerin ihrer Wunschtendenzen bewußt gewesen sei und diesen Wunschtendenzen hätte entgegenwirken können.

Das Berufungsgericht hielt weder die Verfahrens- und Beweisrüge noch die Rechtsrüge der Klägerin für gerechtfertigt. Die vom Erstgericht vernommenen Sachverständigen seien für das zu begutachtende Gebiet fachlich zuständig und hätten ihre Fachgebiete nicht überschritten. Die im zweiten Rechtsgang zur Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils führenden Widersprüchlichkeiten seien aufgeklärt worden. Somit habe für das Erstgericht kein Anlaß bestanden, das von der Klägerin begehrte weitere Sachverständigengutachten einzuholen. Nach den Feststellungen komme dem Unfall für die nun eingetretene Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin keine bestimmende Bedeutung zu. Im Sinne der Anforderungen der Adäquanztheorie an die Relevanz des Zusammentreffens des schädigenden Ereignisses mit einer zum Schaden neigenden Konstitution des Geschädigten sei entscheidend, ob der Geschädigte trotz zumutbarer Willensakte zur Überwindung der Neurose zu seiner unangemessenen Erlebnisverarbeitung und Entschädigungsneurose gekommen sei. Nach den Feststellungen hätten hier aber andere Umständen als der Unfall zur Fehlentwicklung beigetragen. Die Persönlichkeitsveränderung wäre auch ohne die unfallsbedingte Kopfverletzung zufolge der prämorbiden Entwicklung zur gleichen Zeit und in gleicher Weise sowie in gleichem Umfang eingetreten, ohne daß der Unfall auch nur Mitursache gewesen sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhebt die Klägerin eine auf den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Revisionsverfahrens gestützte Revision mit dem Antrage, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht, allenfalls auch an das Erstgericht, zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Die Revisionswerberin bringt vor, das Berufungsverfahren sei mangelhaft geblieben, weil es einen in der Nichteinholung des beantragten Gutachtens eines Sachverständigen der Tiefenpsychologie gelegenen erstgerichtlichen Verfahrensmangel nicht behoben habe. Das Erstgericht habe im fortgesetzten Verfahren nur die Ergänzung der ihm bereits vorliegenden Vorgutachten der drei Sachverständigen aus dem Fache der Psychiatrie und Neurologie vorgenommen. Dabei habe zwar auch der Sachverständigen Univ.Prof.Dr.E erklärt, für die Annahme eines Zusammenhanges zwischen der Kopfverletzung der Klägerin und ihren Persönlichkeitsveränderungen seien keine ausreichenden und wissenschaftlich begründeten Hinweise gegeben, doch habe Dr.E immerhin zugegeben, daß ein "absoluter Ausschluß" eines solchen Zusammenhanges nach naturwissenschaftlichen Erfahrungen in der Medizin und insbesondere in der bewußte und unbewußte Faktoren berücksichtigenden Nervenheilkunde unmöglich und unstatthaft sei. Wenn das Berufungsgericht ausführe, die vom Erstgericht vernommenen drei Sachverständigen seien für das zu begutachtende Gebiet "fachlich in ihrem Wirkungskreis nicht eingeschränkt" bzw. es bestehe auf Grund der Gutachten kein begründeter Anlaß zur Annahme eines Überschreitens ihrer Fachgebiete, so müsse die Revisionswerberin dem entgegnen, daß sie eine solche Behauptung niemals aufgestellt habe. Sie sage lediglich, daß der von ihr als Sachverständiger für Tiefenpsychologie geführte Univ.Prof.Dr.F als hervorragender Spezialist "Zusätzliches sagen und womöglich bestätigen hätte können, daß Kausalität vorliegt". Auch die berufungsgerichtliche Ausführung, die bisher erstatteten Gutachten enthielten keine Unschlüssigkeiten, übersehe, daß die Klägerin solches nie behauptet, sondern nur darauf hingewiesen habe, Univ.Prof.Dr.F könne die Unfallskausalität feststellen. Es bleibe unverständlich, warum das Erstgericht diesen Beweisantrag abgewiesen habe. Man hätte auch diesen Sachverständigen hören, sodann die Gutachten aller Sachverständigen vergleichen müssen und erst dann hätte das Urteil gefällt werden können. Mit diesen Ausführungen macht die Klägerin ausdrücklich und ausschließlich einen angeblichen erstinstanzlichen, bei der Stoffsammlung unterlaufenen Verfahrensmangel geltend und beschwert sich darüber, daß das Berufungsgericht das Vorliegen dieses Verfahrensmangels verneint habe.

Nach ständiger Judikatur (SZ 22/106; JBl 1972,569; 2 Ob 514/84

ua) ist die neuerliche Geltendmachung eines schon vom Berufunggericht verneinten erstgerichtlichen Verfahrensmangels - von bestimmten, vom Offizialgrundsatz beherrschten Verfahrensarten abgesehen - im Revisionsverfahren nicht zulässig. Im übrigen gehört die Frage, ob die eingeholten Gutachten die von den Unterinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigen, in das Gebiet der vor dem Revisionsgericht unanfechtbaren Beweiswürdigung, soferne die Gutachten schlüssig sind (1 Ob 144/72). Ob ein weiteres Gutachten eingeholt werden soll, ist ebenfalls eine Frage der Beweiswürdigung und daher nicht revisibel (EvBl 1962/133; 7 Ob 682/83 uva.). Da somit eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und damit der Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO nicht vorliegt, mußte der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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