European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00072.850.1121.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 3.254,22 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 295,84 S an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 9. 8. 1983 gegen 13 Uhr ereignete sich auf der Salzburger Schnellstraße (Berchtesgadener Bundesstraße) kurz nach der Autobahnüberführung in Fahrtrichtung Salzburg ein Verkehrsunfall, an dem Helga P*****, die Tochter der Klägerin, mit deren PKW Colt 1200 (S *****) und der Erstbeklagte mit dem bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW der Zweitbeklagten VW‑Variant (S *****) beteiligt waren. Dabei wurden beide Fahrzeuge beschädigt. Der Schaden am Fahrzeug der Klägerin betrug 36.317,10 S (darin 7.000 S an Wertminderung), jener am PKW der Zweitbeklagten 3.095,30 S.
Die Klägerin begehrte von den Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz ihres Schadens aus diesem Verkehrsunfall in der Höhe von 44.317,10 S samt Anhang (darin eine Wertminderung von 15.000 S). Ihre Tochter sei mit ihrem PKW bei der Abfahrt Salzburg‑Süd von der Autobahn in Richtung Salzburg abgefahren, als sie sich der Berchtesgadener Bundesstraße genähert habe, habe sie das Fahrzeug auslaufen lassen, um sich zu überzeugen, ob sie den Fahrstreifenwechsel durchführen könne. In diesem Augenblick sei der von links kommende Erstbeklagte, der auf den Nebenweg zur Pension C***** nach rechts habe abbiegen wollen, mit dem PKW der Zweitbeklagten links vorne gegen ihr Fahrzeug gestoßen. Die Kollision habe sich auf dem vom Fahrzeug ihrer Tochter benützten Fahrstreifen ereignet. Der Erstbeklagte habe sofort sein Verschulden zugegeben.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Erstbeklagte habe sich auf der Vorrangstraße befunden; er habe das beabsichtigte Abbiegemanöver nach rechts rechtzeitig angezeigt. Die im Nachrang befindliche Lenkerin des PKWs der Klägerin habe das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug überhaupt nicht beobachtet und daher das Blinkzeichen nicht gesehen. Lediglich im Hinblick darauf, daß der Erstbeklagte nach dem Unfall eingeräumt habe, den übrigen Verkehr nicht besonders aufmerksam beobachtet zu haben, werde dem Grunde nach ein Mitverschulden des Erstbeklagten in der Höhe eines Viertels anerkannt. Schließlich wendeten die Beklagten den am Fahrzeug der Zweitbeklagten entstandenen Schaden der Klagsforderung gegenüber aufrechnungsweise ein.
Das Erstgericht erkannte die Forderung der klagenden Partei mit 12.105,70 S als zu Recht bestehend und mit 32.211,40 S als nicht zu Recht bestehend, die Gegenforderung hingegen mit 2.063,50 S als zu Recht bestehend und mit 1.031,80 S als nicht zu Recht bestehend und sprach daher der Klägerin den Betrag von 10.042,20 S samt Anhang unter Abweisung eines Mehrbegehrens von 34.274,90 S samt Anhang zu.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Parteien nicht Folge, jener der Klägerin hingegen teilweise Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes durch den Ausspruch ab, daß die Forderung der Klägerin mit 36.317,10 S zu Recht und mit 8.000 S nicht zu Recht bestehe, die Gegenforderung der Beklagten nicht zu Recht bestehe und daher die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig seien, der Klägerin den Betrag von 36.317,10 S samt Anhang zu bezahlen; das Mehrbegehren von 8.000 S samt Anhang wies es ab. Schließlich sprach es aus, daß die Revision gemäß § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig sei.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Abs. 1 Z 4 ZPO gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß festgestellt werde, die Forderung der klagenden Partei bestehe mit 9.079,27 S zu Recht und die Gegenforderung mit 2.321,47 S und die Beklagten daher schuldig seien, der Klägerin den Betrag von 6.757,80 S zu bezahlen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Die von den Vorinstanzen über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus getroffenen Feststellungen lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:
Der Unfall ereignete sich auf der Richtung Salzburg führenden Schnellstraße zwischen der Einmündung der Autobahnabfahrt und einem ‑ in Fahrtrichtung beider Fahrzeuge gesehen ‑ von rechts in die Schnellstraße einmündenden Zufahrtsweg zur Pension C*****. Während die Autobahnabfahrt nur in Richtung Salzburg befahrbar ist, darf der Zufahrtsweg in beiden Richtungen befahren werden. Die Autobahnabfahrt ist gegenüber der Schnellstraße durch das Vorrangzeichen „Vorrang geben“ (§ 52 lit. c Z 23 StVO) abgewertet; neben dem Zufahrtsweg befindet sich vor der Schnellstraße das Vorrangzeichen „Halt“ (§ 52 lit. c Z 24 StVO). Im Bereich der Einmündung der Autobahnabfahrt in die Schnellstraße sind die beiden Richtung Salzburg führenden, je 3 m breiten Fahrstreifen der Schnellstraße von jenem der Autobahnabfahrt (3,8 m breit) vorerst durch eine Sperrlinie getrennt, die nach etwa 28 m in eine Leitlinie übergeht. Etwa 12 m nach dem Ende der Sperrlinie ‑ ebenfalls in Fahrtrichtung der beiden Fahrzeuge gesehen ‑ beginnt der etwa 11,2 m breite Einmündungstrichter des Zufahrtsweges zur Pension C*****. Der Erstbeklagte kam auf der Schnellstraße aus Richtung Hallein und hatte die Absicht, nach rechts in den Zufahrtsweg zur Pension C***** abzubiegen. Die Tochter der Klägerin hingegen kam von der Autobahn und wollte in der Schnellstraße in Richtung Salzburg weiterfahren. Kurz vor Beginn des Einmündungstrichters des Zufahrtsweges, nämlich 9,4 m nach dem Ende der den Fahrstreifen der Autobahnabfahrt von den beiden anderen Fahrstreifen der Schnellstraße trennenden Sperrlinie kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge. Der Anstoß erfolgte ‑ ebenfalls in Fahrtrichtung der Fahrzeuge betrachtet ‑ etwa 1,2 m rechts von der Leitlinie im Bereich des Fahrstreifens der Autobahnabfahrt; der PKW der Klägerin fuhr dabei vollkommen parallel zur Straße, das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug befand sich in einer Schrägstellung von etwa 30 bis 40 Grad mit der rechten Vorderkante geringfügig vor der Frontpartie des PKWs der Klägerin. Die Anstoßgeschwindigkeit beider Fahrzeuge war etwa gleich hoch, sie lag bei etwa 10 bis 15 km/h. Die Ausgangsgeschwindigkeit des vom Erstbeklagten gelenkten Kraftfahrzeuges betrug rund 50 km/h, jene des PKWs der Klägerin etwa 40, maximal 50 km/h. Der Erstbeklagte hatte den rechten Blinker seines Fahrzeuges erst relativ spät, nämlich 2 m vor dem Ende der Sperrlinie, betätigt; er hatte nämlich auf der Wiese außerhalb des linken Straßenrandes Leute seines Bautrupps wahrgenommen, mit denen er sich im Bereich der Pension C***** treffen wollte. Er erwog daher vorerst kurz ein Zufahren zum linken Straßenrand, erkannte dann jedoch, daß dies wegen der doppelten Sperrlinie nicht möglich war; er entschloß sich daher doch zum Beibehalten der Absicht, nach rechts abzubiegen, die er nun 2 m vor dem Ende der bis dahin den rechten Rand seiner Fahrspur anzeigenden Sperrlinie durch Rechtsblinken anzeigte. Er überfuhr die anschließende Leitlinie ca. 5 m nach dem Ende der Sperrlinie und wurde auf das Fahrzeug der Klägerin überhaupt erst durch das Anstoßgeräusch aufmerksam. Die Tochter der Klägerin hingegen hatte sich lediglich durch Blicke in den Innenspiegel und in den linken Außenspiegel überzeugen wollen, ob der Verkehr auf der Bundesstraße ein Einreihen zulasse. Als sich ihr PKW dabei etwa im Bereich zwischen dem Ende der Sperrlinie und dem Beginn des ersten Striches der Leitlinie befand, nahm sie links neben sich auf annähernd gleicher Höhe (vielleicht eine halbe Fahrzeuglänge zurückversetzt) das Fahrzeug des Erstbeklagten wahr, worauf sie aus fahrbahnparalleler Position eine Bremsung einleitete; ein Blinken am anderen Fahrzeug hatte sie nicht wahrgenommen. Ganz kurz nach dem Anstoß kamen beide Fahrzeuge ‑ wie bereits beschrieben ‑ zum Stillstand. Die Tochter der Klägerin und der Erstbeklagte hatten ab der Einmündung der Autobahnausfahrt, also 28 m vor dem Ende der Sperrlinie objektive Sichtmöglichkeit aufeinander; dieser Punkt wurde von beiden Fahrzeugen etwa gleichzeitig erreicht.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß beide Fahrzeuglenker ein Verschulden an dem Unfall treffe, das Verschulden der Lenkerin des Fahrzeuges der Klägerin aber überwiege. Die Tochter der Klägerin sei als wartepflichtig im Sinne des § 19 Abs. 4 StVO anzusehen; dem Erstbeklagten sei unabhängig davon, daß er den bevorrangten Straßenzug habe verlassen wollen, der Vorrang, der sich auf die gesamte Fahrbahnbreite erstrecke, zugekommen. Die Einmündung der Autobahnausfahrt sei zwar technisch so ausgebaut wie ein Beschleunigungsstreifen nach § 2 Abs. 1 Z 6c StVO idF der 10. StVO‑Novelle, die durch diese Novelle geschaffene Regel des beschleunigenden Einfahrens sei jedoch nach § 46 Abs. 2 StVO ausdrücklich nur für das Einfahren in eine Autobahn vorgesehen, wobei der Vorrang des Fließverkehrs auf der Hauptfahrbahn der Autobahn zwar unbeeinträchtigt bleibe, aber der Einfahrende nicht mit einem Rechtsausscheren eines Hauptfahrbahnbenützers rechnen müsse, sodaß er sich in Ruhe und mit angepaßter Geschwindigkeit in eine Lücke des Fließverkehrs einreihen könne. Hier handle es sich aber um eine nachrangige Einmündung in eine Bundesstraße, sodaß die Tochter der Klägerin wartepflichtig gewesen sei und in den Fahrkanal des Erstbeklagten, dessen rechte Begrenzung durch die gedachte Verbindungslinie zwischen dem Endpunkt der Sperrlinie und dem linken Bogen des Einmündungstrichters gebildet werde, nicht behindernd habe einfahren dürfen. Der Erstbeklagte habe den zum Rechtsabiegen unvermeidlichen Fahrstreifenwechsel bevorrangt gegenüber Fahrzeugen durchführen dürfen, die aus der Nachrangstraße einzufahren beabsichtigten. Wenn § 11 Abs. 1 StVO vorschreibe, daß der Fahrstreifen nur gewechselt werden dürfe, wenn dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich sei, so gelte diese Beschränkung nicht gegenüber solchen Straßenbenützern, die dem wechselnden gegenüber eine Wartepflicht treffe. Der Vorrang des Erstbeklagten werde offenkundig, wenn man die Parallelführung des letzten Teilstückes der Autobahnausfahrt zur Bundesstraße vernachlässige und ein Kreuzungsmodell fingiere, bei dem sich der nachrangige Kreuzungsast zwischen dem Endpunkt der Sperrlinie und dem vorgegebenen Trichterrand so ergebe, wie es der rechtlichen Situation im Sinne des § 19 StVO entspreche. Das Verschulden des Erstbeklagten liege darin, daß er die Beobachtung des Verkehrs gänzlich unterlassen habe. Da ein durch Vorrangverletzung begründetes Verschulden in der Regel als überwiegend anzusehen sei, der gänzlich unterlassenen Verkehrsbeobachtung des Erstbeklagten jedoch ein höherer Verschuldensgrad als von den Beklagten anerkannt beigelegt werden müsse, sei eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 2 zu Lasten der Klägerin angemessen.
Das Berufungsgericht erachtete die von den Beklagten in ihrer Berufung erhobenen Rechtsrüge nicht als berechtigt, wohl aber teilweise jene der Klägerin. Nach den Bestimmungen der StVO in der hier bereits anzuwendenden Fassung der 10. StVO‑Novelle sei ein Beschleunigungsstreifen der Fahrstreifen, der bei Einfahrten zum Einordnen in den fließenden Verkehr diene (§ 2 Abs. 1 Z 6c StVO); das Vorbeibewegen an einem auf einem Verzögerungs- oder Beschleunigungsstreifen fahrenden Fahrzeug gelte nicht als Überholen (§ 2 Abs. 1 Z 29 StVO); beim Ausfahren aus einer Autobahn sei der Verzögerungsstreifen, beim Einfahren der Beschleunigungsstreifen zu benützen (§ 46 Abs. 2 3. Satz StVO). Obwohl diese Verzögerungs- und Beschleunigungsstreifen baulich auch bei anderen Straßen als Autobahnen errichtet würden, enthielte nur § 46 Abs 2 StVO eine konkrete Verhaltensvorschrift. Eine Straßenkreuzung sei eine Stelle, auf der eine Straße eine andere überschneide oder in sie einmünde (§ 2 Abs. 1 Z 17 StVO). Bei einer trichterförmigen Einmündung beginne und ende der Kreuzungsbereich in der Regel dort, wo die durch die Einmündung bedingte Verbreiterung der Fahrbahn deutlich sichtbar werde; die gesamte innerhalb eines Mündungstrichters liegende Fläche gehöre daher zum Kreuzungsbereich. Die Lenkerin des Klagsfahrzeuges wäre daher im gegenständlichen Fall nur dann ihrer Wartepflicht nicht nachgekommen, wenn der festgestellte Kollisionspunkt innerhalb des aufgezeigten Kreuzungsbereiches gelegen wäre (ZVR 1977/283). Dies sei aber hier nicht der Fall. Der Einmündungstrichter der Autobahnabfahrt sei ‑ wie der dem Ersturteil einverleibten maßstabgetreuen und als Urteilsfeststellungen geltenden Skizze zu entnehmen sei ‑ nur etwa die ersten 8 bis 10 m der insgesamt 28 m langen Sperrlinie deutlich als Verbreiterung der Fahrbahn der Bundesstraße sichtbar. Nach dieser Strecke von etwa 8 bis 10 m habe sich die Lenkerin des PKWs der Klägerin nicht mehr im Einmündungsbereich der Autobahnausfahrt der Bundesstraße, sondern am Beschleunigungsstreifen befunden, der als Fahrstreifen bereits zur Fahrbahn der Bundesstraße gehöre, bei Einfahrten zum Einordnen in den fließenden Verkehr diene und der insgesamt nach der Einmündung jedenfalls etwa 40 m lang sei (etwa 20 m bis zum Endpunkt der Sperrlinie, sodann 12 m bis zum Beginn des Einmündungstrichters der Zufahrt zur Pension C***** und noch etwa 10 m auf Höhe des Einmündungstrichters dieser Zufahrt). Die Beschleunigungsstreifen seien so ausgebaut, daß das Einordnen in den fließenden Verkehr bei richtiger Ausnützung des Beschleunigungsstreifens nichts anderes als ein Wechsel des Fahrstreifens nach links sei; auch das Einordnen in den fließenden Verkehr habe in diesem Fall nach Maßgabe des Verkehrsablaufes und unter Berücksichtigung der §§ 11 und 12 StVO zu erfolgen ( Hauptfleisch in ZVR 1983, 169). Nach § 19 Abs. 7 StVO dürfe der Wartepflichtige durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen; dabei komme es nicht darauf an, ob der Vorrangberechtigte bei Beginn des Einordnungsmanövers in der Lage gewesen sei, ohne unvermitteltes Bremsen oder Ablenken seines Fahrzeuges einen Zusammenstoß zu vermeiden, sondern darauf, ob dies bis zur Beendigung des Einordnungsmanövers der Fall gewesen sei. Das Einordnen könne in diesem Fall frühestens dann als beendet angesehen werden, wenn das aus der benachrangten Verkehrsfläche kommende Fahrzeug zur Gänze auf der für die angestrebte Bewegungsrichtung bestimmten Fahrbahnhälfte in dieser Fahrtrichtung fahre (ZVR 1982/241 samt weiterer Rechtsprechung). Im gegenständlichen Fall sei die Lenkerin des PKWs der Klägerin schon etwa 30 m (ca. 20 m auf Höhe der Sperrlinie und 9,4 m nach deren Ende) fahrbahnparallel zum Beschleunigungsstreifen gefahren, bevor es zum Zusammenstoß der Fahrzeuge gekommen sei. Die beiden Fahrzeuge seien im gesamten Bereich und beim Zusammenstoß etwa auf gleicher Höhe gewesen. Die Tochter der Klägerin habe das andere Fahrzeug erstmal links neben sich annähernd auf gleicher Höhe oder vielleicht um eine halbe Fahrzeuglänge zurückversetzt bemerkt, als sich ihr Fahrzeug selbst etwa im Bereich zwischen dem Ende der Sperrlinie und dem Beginn der ersten Teilinie der Leitlinie befunden habe. Sie habe bis dahin ihr Fahrzeug am Beschleunigungsstreifen überhaupt nicht weiter nach links verlenkt; die Stelle des Zusammenstoßes befinde sich etwa 1,2 m rechts der Leitlinie, die den Beschleunigungsstreifen abgrenze. Bei dieser Situation könne der Tochter der Klägerin kein Vorrangverstoß im Sinne des § 19 Abs. 4 oder 6 StVO vorgeworfen werden. Der Lenker eines Fahrzeuges dürfe nach § 11 Abs. 1 StVO den Fahrstreifen nur wechseln, nachdem er sich überzeugt habe, daß dies ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer möglich sei; er habe dabei nach Abs. 2 der genannten Gesetzesstelle den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer auf diesen Vorgang einstellen könnten. Der Erstbeklagte habe den Fahrstreifen nach rechts zu einem Zeitpunkt wechseln wollen, als sich das Fahrzeug der Klägerin etwa auf seiner Höhe am rechts befindlichen Beschleunigungsstreifen befunden habe; er habe seine Aufmerksamkeit auf die Wiese links von der Bundesstraße gerichtet gehabt und das Fahrzeug der Klägerin überhaupt erst durch das Anstoßgeräusch bemerkt. Dem Erstbeklagten sei daher ein grober Beobachtungsfehler und Aufmerksamkeitsmangel vorwerfen, ebenso ein Verstoß gegen die Bestimmungen des § 11 Abs. 1 und 2 StVO. Die Beklagten hätten auch ein Mitverschulden von 1/4 anerkannt; das Verschulden des Erstbeklagten sei daher gar nicht mehr strittig. Dagegen könne der Lenkerin des Fahrzeuges der Klägerin kein Verschulden an diesem Unfall angelastet werden; sie habe weder eine Vorrangverletzung begangen noch einen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 und 2 StVO, da sie beim Zusammenstoß noch fahrbahnparallel und etwa 1,2 m von der Leitlinie entfernt am Beschleunigungsstreifen gefahren sei. Bei dem schwerwiegenden Verschulden des Erstbeklagten bestehe auch kein Anlaß, die Klägerin zu einem Schadensausgleich im Sinne des § 11 Abs. 1 EKHG heranzuziehen. Es sei daher der Berufung der Beklagten ein Erfolg zu versagen; der Berufung der Klägerin jedoch im Sinne der spruchgemäßen Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles Folge zu geben gewesen.
Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision gründete das Berufungsgericht damit, daß zur relevanten Rechtsfrage, ob der Benützer eines Beschleunigungsstreifens (§ 2 Abs 1 Z 6c und 29 StVO) gegenüber einem weiteren Benützer der Fahrbahn wartepflichtig sei oder nicht ‑ soweit dies vom Berufungsgericht überblickt werden könne ‑ noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bestehe, die Entscheidung damit von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechtes abhinge, der zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukomme.
Demgegenüber halten die Beklagten in ihrer Revision an der Rechtsansicht fest, dem Erstbeklagten sei als auf der bevorrangten Straße fahrender und nach rechts einbiegender Verkehrsteilnehmer der Vorrang gegenüber der Lenkerin des PKWs der Klägerin zugekommen. Der Kreuzungsbereich werde hier aus den Bereichen der Autobahnausfahrt und der Zufahrt zu der genannten Pension und jener Straßenfläche gebildet, die sich rechtsseitig davon in Richtung Anif befinde. Ab dem Ende der Sperrlinie bestehe für auf der Schnellstraße herankommende Fahrzeuge die Möglichkeit, „in natürlichem Bogen“ in den Zufahrtsweg einzubiegen. Der Teil der Fahrbahn zwischen dem Ende der Sperrlinie und der „Einfahrt der Straße zur Pension“ gehöre nicht zur Schnellstraße, sondern stelle den „unmittelbaren“ Kreuzungsbereich dar. Der Erstbeklagte habe keinen Fahrstreifenwechsel vorgenommen, er sei vielmehr nach dem Ende der Sperrlinie dem vom Erstgericht zutreffend beschriebenen „Fahrkanal“ entsprechend nach rechts in den Zufahrtsweg zur Pension eingebogen. Die Tochter der Klägerin hätte ihm dabei bis zum vollständigen Verlassen der bevorrangten Straße den Vorrang einräumen müssen, sie hätte somit erst einfahren dürfen, soweit sie sich Gewißheit verschafft hätte, daß dies ohne Gefährdung oder auch nur Behinderung eines bevorrangten Verkehrsteilnehmers möglich sei. Da sie dies unterlassen habe, hätte das Berufungsgericht (der von den Beklagten anerkannten Verschuldensteilung entsprechend) die Forderung der Klägerin mit 9.079,27 S und die Gegenforderung mit 2.321,47 S als zu Recht bestehend erkennen müssen und der Klägerin nur den Betrag von 6.757,80 S zusprechen dürfen. Dem ist nicht beizupflichten.
Bei Beurteilung der im weiteren Unfallsbereich bestehenden Verkehrssituation ist vorerst davon auszugehen, daß die beiden Fahrstreifen der Schnellstraße von jenem der Autobahnabfahrt vorerst durch eine Sperrlinie getrennt sind, die nach etwa 28 m in eine Leitlinie übergeht. Aus der Anbringung dieser beiden Bodenmarkierungen (§§ 5 und 6 Bodenmarkierungsverordnung) ergibt sich, daß auch der parallel zu den Fahrstreifen der Schnellstraße verlaufende Fahrstreifen der Autobahnabfahrt zur Fahrbahn und nicht zu anderen Verkehrsflächen wie etwa Einmündungen oder dergleichen (§ 55 Abs. 3 und 6 StVO) gehört. Wird eine Straße, die in eine andere (von rechts) einmündet ‑ so wie im vorliegenden Fall ‑ auf eine längere Strecke in einem eigenen Fahrstreifen weitergeführt, der parallel zu den (für dieselbe Fahrtrichtung vorgesehenen) Fahrstreifen der anderen Straße verläuft, so besteht kein Zweifel, daß dieser zusätzliche Fahrstreifen Teil der Fahrbahn der anderen Straße wird. Sind aber auf einer Straße mehrere Fahrstreifen vorhanden, so hat der Lenker eines Fahrzeuges, der nach rechts einzubiegen beabsichtigt, sein Fahrzeug auf den rechten Fahrstreifen seiner Fahrtrichtung zu lenken (§ 12 Abs. 2 StVO), um sodann nach rechts in kurzem Bogen einbiegen zu können (§ 13 Abs. 1 StVO). Nach der für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachverhaltsgrundlage hat der Erstbeklagte sein Einbiegemanöver vom mittleren Fahrstreifen aus eingeleitet und damit gegen die Bestimmung des § 12 Abs. 2 StVO verstoßen. Er wäre vielmehr verpflichtet gewesen, nach dem Ende der Sperrlinie vorerst einen Fahrstreifenwechsel nach rechts vorzunehmen, was er allerdings ‑ wie das Berufungsgericht auch zutreffend erkannte ‑ nur unter Wahrung der in § 11 Abs. 1 und 2 StVO geforderten Vorsichtsmaßnahmen hätte tun dürfen. Da der Erstbeklagte ‑ offensichtlich von seinen links der Straße befindlichen Arbeitskollegen abgelenkt ‑ auf den Verkehr im rechten Fahrstreifen überhaupt nicht geachtet hat und auf das mit annähernd gleicher Geschwindigkeit neben ihm fahrende Fahrzeug der Klägerin erst durch das Kollisionsgeräusch aufmerksam wurde, hat das Berufungsgericht mit Recht dem Erstbeklagten ein Verschulden an dem Unfall und damit den Beklagten eine Haftung für die Unfallsfolgen der Klägerin angelastet.
Was nun das von den Beklagten eingewendete Mitverschulden der Tochter der Klägerin anlangt, so ist nach der besonderen Lage des Falles davon auszugehen, daß diese nur in dem für den von der Autobahn kommenden Verkehr bestimmten Fahrstreifen der Schnellstraße weitergefahren ist und bis zum Unfall gar nicht versucht hat, diesen Fahrstreifen zu verlassen. Das war ihr durch das Vorrangzeichen nach § 52 lit. c) Z 23 StVO jedenfalls nicht untersagt. Unter den gegebenen Umständen hat es das Berufungsgericht auch ohne Rechtsirrtum abgelehnt, der Lenkerin des Fahrzeuges der Klägerin eine Vorrangverletzung im Sinne des § 19 Abs. 4 oder 6 StVO anzulasten und die Klägerin zum Schadensausgleich iS des § 11 Abs. 1 EKHG heranzuziehen.
Die Annahme der alleinigen Haftung der Beklagten für den der Klägerin bei dem gegenständlichen Unfall entstandenen Schaden durch das Berufungsgericht entspricht somit der Sach- und Rechtslage.
Es mußte daher der Revision der Erfolg versagt werden.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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