OGH 7Ob36/85

OGH7Ob36/857.11.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach dem am 1.Juni 1984 verstorbenen Karl A, Pensionist, Mühlheim 81, vertreten durch Dr.Rudolf Watschinger, Rechtsanwalt in Ried i.I., Nebenintervenient auf Seiten der klagenden Partei B Versicherungs-Schadens- und Inkassobüro GesmbH, Ried i.I., Bahnhofstraße 47, vertreten durch Dr.Alfred Windhager, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei C D Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Hoher Markt 10-11, vertreten durch Dr.Eduard Saxinger und Dr.Peter Baumann, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung, infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17.April 1985, GZ.2 R 4/85-14, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 30.Oktober 1984, GZ.7 Cg 191/84- 7, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, folgenden Beschluß gefaßt:

 

Spruch:

Den Rekursen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Karl A hatte bei der beklagten Partei eine Familien-Volksunfallversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Volksunfallversicherung (AVoB 1965) zugrundeliegen. Als Unfall gilt danach jedes vom Willen des Versicherten unabhängige Ereignis, das, plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkend, eine körperliche Schädigung oder den Tod des Versicherten nach sich zieht (Art.2 Z 1 AVoB 1965). Unfälle infolge von Schlaganfällen sind von der Versicherung ausgeschlossen (Art.3, III,Z 7). Im Falle von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber, in welchem Umfange der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallfolgen durch Krankheit oder Gebrechen entscheidet ein ärztlicher Begutachter. Die Feststellung, die dieser Begutachter im Rahmen seiner Zuständigkeit trifft, ist verbindlich, wenn nicht nachgewiesen wird, daß sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht. In den einem ärztlichen Begutachter vorbehaltenen Streitfällen hat der Versicherungsnehmer innerhalb von sechs Monaten, nachdem ihm die Erklärung des Versicherers darüber zugegangen ist, ob und inwieweit er eine Leistungspflicht anerkennt, unter Bekanntgabe seiner Forderung Widerspruch zu erheben und die Entscheidung durch einen ärztlichen Begutachter zu beantragen; andernfalls sind weitergehende Ansprüche, als sie vom Versicherer anerkannt sind, ausgeschlossen. Auf diese Rechtsfolgen hat der Versicherer in seiner Erklärung hinzuweisen.

Der ärztliche Begutachter, der in der Regel der leitende Arzt eines Krankenhauses oder ein entsprechender Facharzt sein soll, wird einvernehmlich von beiden Parteien bestimmt. Im Falle der Nichteinigung wird der ärztliche Begutachter durch die für den Wohnort des Versicherten zuständige Landesärztekammer bestimmt (Art.13 Z 1, 2 und 3). Wenn der Anspruch auf die Leistung nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht wird, nachdem der Versicherer ihn unter Angabe der mit dem Ablauf der Frist verbundenen Rechtsfolge dem Versicherungsnehmer oder Bezugsberechtigten gegenüber schriftlich abgelehnt hat, ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei. Falls eine Entscheidung des ärztlichen Begutachters beantragt wird, endet die Frist erst einen Monat nach dieser Entscheidung (Art.17). Am 30.4.1982 stürzte Karl A in seinem Hause über eine Stiege und erlitt eine Schädelfraktur. Er begehrt die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei auf Grund des Versicherungsvertrages und, als Eventualbegehren, die Zahlung von S 70.000 s.A.

Die beklagte Partei macht Leistungsfreiheit wegen Versäumung der Klagefrist nach Art.17 AVoB 1965 geltend und beruft sich auf den Ausschlußtatbestand des Art.3, III Z 7, weil der Unfall infolge eines Schlaganfalles eingetreten sei.

Das Erstgericht wies beide Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen bevollmächtigte Karl A die Nebenintervenientin zur Geltendmachung seiner Ansprüche. Diese übermittelte der beklagten Partei am 9.2.1983 unter Hinweis auf die Ablehnung der 'Schadenssache' das Gutachten des Sachverständigen Dr.Peter E mit dem Ersuchen um Bezahlung des Spitalgeldes und der Invaliditätsentschädigung auf der Basis einer 70 %igen Invalidität. Am 11.3.1983 richtete die beklagte Partei an Karl A folgendes Schreiben: '.....Ihr Vertrag enthält Bestimmungen, die Voraussetzung für unsere Leistung sind. Gemäß Art. 3, III Z 7 der AVoB sind Unfälle von der Versicherung ausgeschlossen, die der Versicherte infolge von Schlaganfällen, Geistes- oder Bewußtseinsstärungen erleidet. Wir verweisen ausdrücklich auf Art.13 und 17 der AVoB, wonach in den der Ärztekommission vorbehaltenen Streitfällen weitergehende Ansprüche ausgeschlossen sind, wenn nicht innerhalb von 6 Monaten nach Erhalt dieser Mitteilung Widerspruch erhoben und die Entscheidung der Ärztekommission beantragt wird und wir in den übrigen Fällen von der Verpflichtung zur Leistung frei sind, wenn nicht innerhalb von 6 Monaten der vermeintliche Anspruch auf die Leistung gerichtlich geltend gemacht wird.' Am 13.9.1983 antwortete die Nebenintervenientin: '....Nachdem der Schaden unberechtigt abgelehnt wurde, beantragen wir namens unseres Mandanten Einberufung der Ärztekommission und bestellen Univ.Prof.Dr.Werner F im Rahmen der Kommission als Gutachter. Beiliegend übermitteln wir das zwischenzeitig vom oben angeführten Mediziner eingeholte Sachverständigengutachten und erlauben uns höflich anzufragen, ob die Angelegenheit außerhalb der Ärztekommission erledigt werden kann....'. In ihrem Antwortschreiben vom 30.9.1983 vertrat die beklagte Partei den Standpunkt, daß der Antrag auf Einberufung der Ärztekommission verfehlt sei, weil diese Kommission lediglich im Falle von Meinungsverschiedenheiten über die Höhe der Leistungen zu entscheiden habe, und berief sich unter Hinweis auf den seit ihrer Ablehnung vom 11.3.1983 verstrichenen Zeitraum auf Leistungsfreiheit wegen Versäumung der Klagefrist.

Am 12.4.1984 erhielt die Nebenintervenientin das Gutachten des Dr.Eberhard G, der von der oberösterreichischen Landesärztekammer als Begutachter namhaft gemacht worden war. Dieser Sachverständige kam zu folgendem Ergebnis: 'Auf Grund der vorliegenden Überlegungen kann festgestellt werden, daß ein zufällig aufgetretener Unfall mit einem Sturz über die Stiege und einer nachfolgenden traumatischen Hirnschädigung mit oder ohne traumatischer intrazerebraler Blutung weitaus die wahrscheinlichste Erklärung für die ganze Ereignisfolge ist. Ein Sturz infolge einer inneren Ursache, insbesondere eines spontan aufgetretenen apoplektischen Insultes mit oder ohne nachfolgender traumatischer Hirnschädigung ist zwar grundsätzlich möglich, aber im Vergleich zum spontanen Sturz mit traumatischer Hirnschädigung wesentlich unwahrscheinlicher.' Nach der Auffassung des Erstgerichtes habe Karl A den ihm obliegenden Beweis des Eintrittes des Versicherungsfalles nicht erbracht. Eine völlige Gewißheit über den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Erfolg werde zwar nicht verlangt, zur Feststellung des Kausalablaufes genüge vielmehr der Nachweis hoher Wahrscheinlichkeit. Dieser Nachweis hätte im vorliegenden Fall nur durch Einholung eines Gutachtens eines gerichtlich beeideten Sachverständigen erbracht werden können. Ein solches Gutachten sei jedoch nicht beantragt worden. Aus dem Gutachten des Dr.Eberhard G, das nur als Privaturkunde zu werten sei, ergebe sich lediglich, daß der Gutachter eine bestimmte Meinung über den Kausalablauf habe.

Überdies sei Karl A inzwischen verstorben, sodaß keine Parteifähigkeit der klagenden Partei mehr gegeben sei. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es stellte infolge Ablebens des Karl A die Parteibezeichnung auf dessen Verlassenschaft richtig und vertrat in der Sache selbst die Auffassung, daß das Schreiben der beklagten Partei vom 11.3.1983 nicht die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 12 Abs.3 VersVG bzw. nach der dieser Bestimmung entsprechenden des Art.17 erster Fall AVoB 1965 herbeiführen könne, weil es nicht den an ein solches Schreiben zu stellenden strengen Anforderungen genüge. Die beklagte Partei habe mit diesem Schreiben aber ihrem Versicherungsnehmer die Möglichkeit der Anrufung eines ärztlichen Begutachters eröffnet. Insoweit aber nach Art.13 AVoB 1965 ein ärztlicher Begutachter zu entscheiden habe, sei die einmonatige Klagefrist des Art.17 AVoB gewahrt. Entgegen dem Wortlaut dieser Bestimmung beginne der Fristenlauf nicht mit der Entscheidung des ärztlichen Begutachters, sondern mit der erstmaligen Kenntnis des Versicherungsnehmers von dieser Entscheidung. Im vorliegenden Fall sei dem Versicherungsnehmer das Gutachten am 12.4.1984 zugestellt und die Klage noch am 11.5.1984 eingebracht worden. Das Erstgericht habe es aber unterlassen, die von der beklagten Partei bestrittenen Schlußfolgerungen aus dem Gutachten mit den Parteien zu erörtern, insbesondere ob es im Sinne des Art.13 Z 1 zweiter Satz AVoB 1965 offenbar erheelich von der wirklichen Sachlage abweiche. Hiezu bedürfe es einer Verfahrensergänzung in erster Instanz.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobenen Rekurse beider Parteien sind im Ergebnis berechtigt.

Auszugehen ist davon, daß der Art.17 AVoB 1965 inhaltlich dem § 12 Abs.3 VersVG entspricht, der relativ zwingend ist, sodaß sich der Versicherer auf eine zum Nachteil des Versicherten davon abweichende Vereinbarung nicht berufen könnte (§ 15 a VersVG). Im übrigen ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes zutreffend, daß an das Schreiben des Versicherers, mit dem die Gewährung des Versicherungsschutzes nach § 12 Abs.3 VersVG abgelehnt wird, besonders strenge Anforderungen gestellt werden müssen. Die Ablehnung muß klar und unzweideutig sein, die Belehrung muß so klar und deutlich sein, daß ihr auch der einfache Mann aus dem Volke leicht den ihm drohenden Rechtsverlust entnehmen kann (SZ 54/72; SZ 52/3; SZ 49/100; ZVR 1973/224; Bruck-Mäller VVG 8 I,264 und 266). In der Regel muß auch die Belehrung mit der Ablehnungserklärung verbunden werden (Bruck-Mäller aaO 266). Diese strengen Anforderungen an das Ablehnungsschreiben des Versicherers beruhen auf den Erwägungen, daß das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße von Treu und Glauben beherrscht wird (vgl.Prälss-Martin, VVG 23,15) und dieser Grundsatz wegen der dem Versicherungsnehmer drohenden Gefahr des Verlustes erworbener Rechte aus dem Versicherungsvertrag eine klare Erklärung und Belehrung durch den Versicherer erfordert (vgl.ZVR 1973/224). Aus diesen Erwägungen müssen aber die oben dargelegten Grundätze sinngemäß auch für das Schreiben des Versicherers bei Meinungsverschiedenheiten über die Unfallsfolgen und den Kausalzusammenhang zwischen dem Versicherungsfall und dem eingetretenen Schaden im Sinne des Art.13 AVoB 1965 gelten, wenn an dieses Schreiben ein bestimmtes, befristetes Vorgehen des Versicherungsnehmers mit allenfalls drohendem Restverlust geknüpft ist, wie es hier nach Art.13 AVoB 1965 der Fall ist. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß das Schreiben der beklagten Partei vom 11.3.1983 den strengen Anforderungen nicht entspricht. Dieses Schreiben läßt nicht erkennen, ob die beklagte Partei Deckung schlechthin ablehnt und der Versicherungsnehmer daher zur Wahrung seiner Ansprüche innerhalb der Frist von 6 Monaten Klage erheben muß oder ob die beklagte Partei lediglich die Unfallsfolgen oder den Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Schaden und dem Versicherungsfall bestreitet und der Versicherungsnehmer demgemäß zur Wahrung seiner Ansprüche nach Art.13 AVoB vorzugehen hat. Mangels einer eindeutigen Stellungnahme des Versicherers und einer klaren Belehrung des Versicherungsnehmers konnte dieses Schreiben keine Rechtswirkungen nach sich ziehen. Die beklagte Partei kann sich weder auf Leistungsfreiheit wegen Versäumung der Klagefrist nach § 12 Abs.3 VersVG bzw. Art.17 erster Fall AVoB noch nach Art.13 und Art.17 zweiter Fall AVoB berufen. Es ist daher auch die Rechtzeitigkeit einer Klageerhebung nach ärztlicher Begutachtung nicht zu prüfen. Verfehlt ist der Ergänzungsauftrag des Berufungsgerichtes insofern, als eine Meinungsverschiedenheit im Sinne des Art.13 AVoB bisher zwischen den Vertragsparteien nicht aufgetreten ist und auch nicht behauptet wurde. Das Gutachten des Dr.G, dessen Schlußfolgerungen nach der Auffassung des Berufungsgerichtes mit den Parteien zu erörtern seien, betrifft auch keine Frage des Art.13 AVoB, sondern lediglich die Frage nach der Ursache des Sturzes des Versicherten. Die Frage der Beweislastverteilung wurde vom Erstgericht unrichtig geläst und vom Berufungsgericht nicht beachtet. Nur den Beweis des Versicherungsfalles hat der Versicherungsnehmer zu führen, für das Vorliegen eines Ausschlußtatbestandes ist der Versicherer beweispflichtig (SZ 38/71; Prälss-Martin aaO, 267 und 1251 mwN). Versicherungsfall ist nach den AVoB 1965 ein Unfall, den Art.2 als ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis definiert, das, plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf dessen Körper einwirkend, eine körperliche Schädigung oder den Tod des Versicherten nach sich zieht. Die beklagte Partei hat zugestanden, daß Karl A am 30.4.1982 in seinem Hause über eine Stiege stürzte und hiebei eine Schädelfraktur erlitt, ohne die Unfreiwilligkeit des Sturzes auch nur in Zweifel zu ziehen (AS 6).

Dieses Ereignis entspricht dem in Art.2 definierten Versicherungsfall, sodaß die klagende Partei demnach keinen weiteren Beweis zu erbringen hatte. Zu prüfen ist lediglich der von der beklagten Partei behauptete Ausschlußtatbestand, daß der Unfall infolge eines Schlaganfalles eingetreten sei. Darüber fehlen aber Feststellungen. Insoweit liegt ein auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhender Feststellungsmangel vor, den jedoch das Berufungsgericht nach § 496 Abs.3 ZPO selbst zu beheben hat (vgl.Fasching, LB, Rdz 1817; RZ 1985/60). Zutreffend hebt die klagende Partei hervor, daß im vorliegenden Fall nach den Beweisanboten der Parteien nur mehr der Urkundenbeweis in Betracht kommt und die angebotenen Urkunden, bei denen es sich durchwegs um reine Beweisurkunden handelt, vorliegen. Das Berufungsgericht kann daher ohne Verfahrensverzögerung und ohne erheblichen Mehraufwand die Verfahrensergänzung selbst durchführen und die fehlenden Feststellungen treffen.

Zur Frage der Verdeutlichung des Hauptbegehrens genügt ein Hinweis auf die ständige Rechtsprechung (MGA ZPO 13 § 405/2 f.). Demgemäß ist den Rekursen Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.1 ZPO.

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