OGH 6Ob656/85

OGH6Ob656/8530.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Schobel, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard A, §BB-Bediensteter, Gaishorn, Schänau Nr. 76, vertreten durch Dr. Sieglinde Lindmayr, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagte Partei Adolf B, Gastwirt, Wald am Schoberpaß 51, vertreten durch Dr. Roger Haarmann, Rechtsanwalt in Liezen, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 27. Juni 1985, GZ R 483/85-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom 22. April 1985, GZ 6 C 118/85-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.397,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 308,85 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem beim Erstgericht am 29. März 1985 eingelangten Schriftsatz kündigte der Kläger dem Beklagten das Unternehmenspachtverhältnis bezüglich des Gastgewerbeunternehmens in Wald am Schoberpaß Nr. 51 zum 30. Juni 1985 auf. Der Kläger behauptete, der Pachtvertrag sei mit 1. April 1975 auf unbestimmte Dauer abgeschlossen worden. Der vereinbarte zehnjährige Aufkündigungsverzicht des Verpächters laufe am 31. März 1985 ab. Die gerichtliche Aufkündigung wahre die Kündigungsfrist in der Dauer von drei Monaten zum Quartalsende 30. Juni 1985 und entspräche den vertraglichen Bestimmungen. Der Kläger habe bereits am 10. Dezember 1984 dem Kläger die Aufkündigung zum 31. März 1985 erklärt. Der Rechtsvertreter des Beklagten habe mit Schreiben vom 25. März 1985

dem Kläger mitgeteilt, eine Kündigung des Vertrages sei erst nach dem 31. März 1985 möglich. Der Kläger sei deshalb mit der gegenständlichen gerichtlichen Aufkündigung vorgegangen, um eine amtswegige Zurückweisung im Sinne des § 563 ZPO zu vermeiden. Der Beklagte erhob gegen die Aufkündigung fristgerecht Einwendungen. Er meinte, die Aufkündigung sei gegenstandslos, weil sie vor dem Zeitpunkt des vereinbarten Kündigungsverzichtes, dem 31. März 1985 eingebracht worden sei. Ferner sei die vereinbarte Kündigungsfrist von drei Monaten bis zum begehrten Räumungstermin 30. Juni 1985 nicht gewahrt, weil die gerichtliche Aufkündigung dem Beklagten erst am 2. April 1985 zugestellt worden sei.

Der Kläger brachte weiter vor, dem Beklagten fehle ein Rechtsschutzbedürfnis für seine Einwendungen, weil er durch die außergerichtliche Kündigung am 20. Dezember 1984 bereits davon informiert gewesen sei, daß der Kläger das Vertragsverhältnis zum ehestmöglichen Zeitpunkt aufzulösen beabsichtige. Daß der Beklagte erst mit Schreiben vom 25. März 1985 auf die Kündigung vom 20. Dezember 1984 reagiert habe, sei schikanäse Rechtsausübung, weil dadurch nur mehr eine gerichtliche Aufkündigung zeitgerecht möglich gewesen sei. Am 30. Juni 1985 habe der Beklagte ein ihm vom Kläger persönlich überbrachtes Kündigungsschreiben nicht entgegengenommen. Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteigt, und führte aus:

Gegenstand des Berufungsverfahrens sei allein die vorliegende gerichtliche Aufkündigung des Unternehmenspachtverhältnisses zum 30. Juni 1985. Die für den Rechtsstreit wesentlichen Bestimmungen des Pachtvertrages lauteten: '....

III.

Der vorliegende Pachtvertrag wird beginnend mit 1. 4. 1975 auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Für den Fall der Aufkündigung gilt für beide Vertragspartner eine Kündigungsfrist in der Dauer von drei Monaten, wobei die Kündigung rechtswirksam jeweils nur zum Quartalsende angebracht werden kann. Der Verpächter verzichtet für die Dauer von 10 Jahren, das ist bis zum 31. 3. 1985, auf die Aufkündigung dieses Vertrages, es sei denn, ...' Eine Kündigung dieses Pachtverhältnisses habe daher gemäß § 560 Abs. 1 Z 1 ZPO nur unter Einhaltung der vereinbarten Termine und Fristen zu erfolgen. Damit eine gerichtliche Aufkündigung für den nächstfolgenden Termin wirksam sei, müsse sie vor Ablauf der im § 560 Abs. 1 Z 1 und 2 ZPO bestimmten Fristen bei Gericht angebracht und zugestellt sein. Die Rechtzeitigkeit der Kündigung sei also ein zwingendes Gültigkeitserfordernis. Rechtzeitig im Sinne des § 563 Abs. 1 ZPO sei die Aufkündigung dann, wenn sie vor Ablauf der Kündigungsfrist nicht nur bei Gericht eingebracht, sondern auch dem Gegner zugestellt worden sei. Da feststehe, daß die gegenständliche Aufkündigung am 29. März 1985 bei Gericht eingebrQahr und am 2. April 1985 dem Beklagten eigenhändig zugestellt worden sei, sei die Zustellung verspätet. Sei die Aufkündigung bei Gericht rechtzeitig eingebracht und die Zustellung an den Gegner trotzdem verspätet erfolgt, dann könne die Verspätung nur über ausdrückliche Einwendung des Gegners wahrgenommen werden.

Dies führe zur Aufhebung der Kündigung mit Urteil, und zwar auch dann, wenn die verspätete Zustellung auf ein Verhalten oder sogar ein Verschulden des Kündigungsgegners zurückzuführen sei, weil die rechtzeitige Zustellung der Aufkündigung eine objektive Voraussetzung der Wirksamkeit der Kündigung sei. Da diese Voraussetzungen erfüllt seien, sei in der urteilsmäßigen Aufhebung der Aufkündigung durch das Erstgericht kein Rechtsirrtum zu erblicken. Wenn auch § 33 Abs. 1 MRG auf die vorliegende Unternehmensverpachtung nicht anwendbar sei, sei für den Kläger nichts gewonnen, weil außergerichtlich erfolgte Aufkündigungen für das gegenständliche Verfahren rechtlich unerheblich seien. Selbst die Annahme einer wirksamen außergerichtlichen Aufkündigung würde für den Kläger zu keinem günstigeren Ergebnis führen können, weil eine solche außergerichtliche Aufkündigung zu einer Räumungsklage berechtigt hätte, eine Umdeutung der gegenständlichen gerichtlichen Aufkündigung in ein Räumungsbegehren aber nicht möglich sei. Es lägen daher keine Feststellungsmängel vor, wenn der Erstrichter den Sachverhalt in Richtung außergerichtlicher Aufkündigungen nicht weiter erforscht und festgestellt habe. In einer späten Reaktion des Kündigungsgegners auf ein Kündigungsschreiben sei keine schikanäse Rechtsausübung zu erblicken. Der Ansicht des Beklagten könne allerdings nicht zugestimmt werden, daß er im Hinblick auf den Kündigungsverzicht bis zum 31. März 1985 frühestens mit einer Räumung bis 1. September 1985 zu rechnen gehabt habe. Die zeitliche Begrenzung eines vom Bestandgeber zugunsten des Bestandnehmers erklärten Kündigungsverzichtes könne zumindest im Zweifel nur auf den durch den Kündigungstermin fixierten Zeitpunkt der Aufläsung des Bestandverhältnisses bezogen werden. Ein befristeter Kündigungsverzicht dieser Art solle den Bestandnehmer nur dagegen schützen, daß er durch Kündigung des Bestandgebers vor dem vereinbarten Zeitpunkt sein Bestandrecht und damit den gepachteten Betrieb verliere. Durch eine für einen späteren Zeitpunkt ausgesprochene Kündigung sei er hingegen auch dann nicht beschwert, wenn die Kündigung bei Gericht noch während des Verzichtszeitraumes eingebracht werde, sofern ihm nur die Kündigungsfrist auch in diesem Fall voll zur Verfügung stehe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Kläger geht in seiner Revision selbst davon aus, daß die Zustellung der gerichtlichen Aufkündigung im Hinblick auf die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist verspätet erfolgte. Er meint aber, es wäre über die der gerichtlichen Aufkündigung vorangegangenen Ereignisse (außergerichtliche Aufkündigung des Unternehmenspachtvertrages mit Schreiben vom 10. Dezember 1984 zum 31. März 1985, die der Beklagte am 20. Dezember 1984 erhalten habe; Mitteilung des Beklagtenvertreters vom 25. März 1985, eine Aufkündigung des Vertrages könne erst nach dem 31. März 1985 erfolgen; Aufkündigungsschreiben der Klagevertreterin vom 28. März 1985 an den Kläger zum 30. Juni 1985; Versuch der Zustellung einer außergerichtlichen Aufkündigung zum 30. Juni 1985 am 30. März 1985, wobei die Entgegennahme dieses Schriftstückes durch den Beklagten verweigert worden sei) Feststellungen zu treffen gewesen, weil erst dadurch das 'Rechtsschutzbedürfnis, die Beschwer oder die materielle Berechtigung der erhobenen Einwendung wegen verspäteter Zustellung' ausreichend beurteilt werden könnte. Das Verhalten des Beklagten (späte Reaktion auf die außergerichtliche Aufkündigung vom Dezember 1984, Verweigerung der Entgegennahme der außergerichtlichen Aufkündigung am 30. März 1985 und die Einwendung der verspäteten Zustellung) stelle eine schikanäse Rechtsausübung dar. Der Kläger sei im Vertrauen auf die außergerichtliche Aufkündigung vom 20. Dezember 1984 verleitet worden, die gerichtliche Aufkündigung unter Zeitnot einzubringen und erst dadurch seien die Voraussetzungen für den Beklagten geschaffen worden, den Einwand der verspäteten Zustellung der gerichtlichen Aufkündigung überhaupt zu erheben. Der Kläger habe nach der Übung des redlichen Verkehrs und dem konkludenten Verhalten des Beklagten davon ausgehen können, daß der Beklagte der Aufforderung vom 20. Dezember 1984 Folge leisten werde, weshalb eine Kausalität zwischen dem Verhalten des Beklagten und dem Entstehen der Voraussetzungen zur Erhebung des Einwandes der verspäteten Zustellung bestünde. Aus der Verweigerung der Entgegennahme der außergerichtlichen Aufkündigung am 30. März 1985 gehe auch klar die Intention des Beklagten hervor, Kündigungsschutzvorschriften zu mißbrauchen. Bei Berücksichtigung dieser Umstände käme man zu dem Ergebnis, daß die gerichtliche Aufkündigung wirksam gewesen sei.

Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Da der Kläger nach wie vor die Wirksamerklärung der gerichtlichen Aufkündigung anstrebt und selbst nicht die Auffassung vertritt, er habe eine Klagsänderung dahin vorgenommen, daß er auf Grund der außergerichtlichen Aufkündigung(en) nun die Räumung verlange, braucht auf diesbezügliche Fragen nicht eingegangen werden.

Die Unwirksamkeit der gerichtlichen Aufkündigung haben die Vorinstanzen aber zu Recht erkannt. Entgegen der Meinung des Klägers gilt die Bestimmung des § 563 Abs. 1 ZPO, wonach eine gerichtliche Aufkündigung für den nachfolgenden Termin nur wirksam ist, wenn sie vor Ablauf der im § 560 Abs. 1 Z 1 und 2 ZPO bestimmten Fristen - hier kommt gemäß § 560 Abs. 1 Z 1 ZPO nur die vertraglich vereinbarte Frist in Betracht - bei Gericht eingebracht und zugestellt wird, unabhängig davon, ob der Aufgekündigte von der Kündigungsabsicht des anderen Teiles erstmalig durch die verspätete gerichtliche Aufkündigung Kenntnis erlangt oder hievon schon vorher Kenntnis hatte. Die rechtzeitige Zustellung ist nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes eine objektive Voraussetzung der Aufkündigung, und zwar auch in materiellrechtlicher Hinsicht (vgl. Fasching IV, 656 f.; derselbe, Zivilprozeßrecht, Rz 2143; MietSlg. 16.679, 19.552). Nach verspäteter Zustellung der Aufkündigung kann die Fristverletzung zwar nur mehr über Einwendung des Kündigungsgegners wahrgenommen werden, führt dann aber zur Aufhebung der Aufkündigung durch Urteil (vgl. Fasching IV, 657; MietSlg. 16.679). Der klare Wortlaut des Gesetzes läßt nicht die Deutung zu, daß die materiellrechtliche Wirksamkeit der Aufkündigung von der rechtzeitigen Zustellung derselben dann nicht abhänge, wenn der Gekündigte von der Kündigungsabsicht des Vertragspartners bereits Kenntnis gehabt habe. Mit den Begriffen 'Rechtsschutzbedürfnis', 'Beschwer' und 'schikanäse Rechtsausübung' wendet sich der Kläger gegen die Berücksichtigung des Einwandes des Beklagten, die Aufkündigung sei verspätet zugestellt worden. Auch damit ist für den Kläger nichts zu gewinnen. Daß grundsätzlich dieser Einwand vom Aufgekündigten erhoben werden kann und bei tatsächlicher Verspätung der Zustellung zur Aufhebung der Aufkündigung durch Urteil führt, wird in der Lehre und Rechtsprechung übereinstimmend vertreten (Fasching IV 657, MietSlg. 16.679) und folgt aus dem oben Gesagten, wonach die rechtzeitige Zustellung der Aufkündigung eine materiellrechtliche Voraussetzung der Wirkung derselben ist. Ob die Erhebung dieses Einwandes unter bestimmten Voraussetzungen rechtsmißbräuchlich sein kann und der Gekündigte mit diesem Einwand daher nicht gehört wird oder ob auf diesen Einwand verzichtet werden kann, braucht hier nicht geprüft werden. Denn die festgestellten und die vom Kläger gewünschten Feststellungen über die Ereignisse vor der hier zu beurteilenden gerichtlichen Aufkündigung lassen weder die Beurteilung zu, daß die Erhebung des Einwandes rechtsmißbräuchlich erfolgt sei, noch die Beurteilung, auf die Erhebung des Einwandes wäre verzichtet worden. Für die Annahme eines stillschweigenden Verzichtes auf den Verspätungseinwand - nur ein solcher käme nach den Behauptungen und Feststellungen in Betracht - fehlen die im § 863 ABGB normierten Voraussetzungen. Von einer rechtsmißbräuchlichen Erhebung des Verspätungseinwandes kann ebenfalls nicht gesprochen werden, wobei es auf sich beruhen kann, ob man den Rechtsmißbrauch als Schikane, also dahin versteht, daß der Beklagte mit dem Einwand kein eigenes Interesse, sondern nur den ausschließlichen Zweck verfolgte, den Kläger zu schädigen, oder dahin, der Hauptzweck des Einwandes sei offenbar die Schädigung des Klägers gewesen (vgl. dazu Krejci in Rummel, ABGB, Rz 138 zu § 879;

Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 58 f. zu § 1295;

Bydlinski, Methodenlehre, 497 FN 244; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht+2 II, 99 f.; Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts+7 I, 407). Inwiefern dem Beklagten auch bei Unterstellung der vom Kläger vermißten Feststellungen das Rechtsschutzbedürfnis oder die Beschwer fehlen sollten, ist nicht erfindlich.

Aus diesen Erwägungen war der Revision der Erfolg zu versagen, ohne daß auf ihre weiteren Ausführungen zur Frage der Dauer des Kündigungsverzichtes einzugehen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Als Bemessungsgrundlage hatte dabei der von den Parteien in erster Instanz einvernehmlich festgesetzte Streitwert von 66.000 S zu dienen, weil die Bewertung durch das Berufungsgericht für die Kostenberechnung ohne Einfluß ist (Fasching IV, 233; MietSlg. 6.819). Eingabengebühren waren dem Beklagten nicht zuzusprechen, weil solche vom Rechtsmittelgegner nicht zu entrichten sind (Anmerkung 3 und 4 zu TP I/3 GGG, BGBl. Nr. 501/1984).

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