OGH 2Ob24/85

OGH2Ob24/858.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kurt A, Pensionist, Vöcklabruck, Bahnhofstraße 8, vertreten durch Dr. Manfred Merlicek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Erich B, Hilfsarbeiter, Regau,

Bachgasse 19, 2.) C D E F

Aktiengesellschaft, Wien 1., Tegetthoffstraße 7, beide vertreten durch Dr. Gerhard Hoyer, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 479.320,-- s. A. und Zahlung einer Rente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 15. März 1985, GZ. 4 R 328/84-76, womit infolge Berufung beider Streitteile das Teilurteil des Kreisgerichtes Wels vom 1. Oktober 1984, GZ. 1 Cg 127/81-68, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das nur hinsichtlich der Abweisung eines Teilbegehrens von S 382.000,-- s.A. angefochtene Urteil wird im Umfange der Anfechtung und im Kostenzuspruch aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfange zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger wurde am 20. Juli 1978 auf dem Güterweg Illingbuch (Gemeinde Aurach am Hongar) bei einem vom Erstbeklagten als Lenker eines bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs verschuldeten Verkehrsunfall schwer verletzt. Er erhob ein mehrere Teilansprüche umfassendes Leistungsbegehren und das Begehren auf Feststellung der Solidarhaftung der beklagten Parteien für alle künftigen Schäden aus dem Unfall, hinsichtlich der zweitbeklagten Partei beschränkt auf den Haftpflichtversicherungsvertrag. über das Feststellungsbegehren erging bei der Tagsatzung am 6. April 1981 ein Teilanerkenntnisurteil.

Bei der Tagsatzung am 21. Februar 1983 dehnte der Kläger sein Leistungsbegehren unter anderem um S 250.000,-- an Verunstaltungsentschädigung und um S 140.000,-- für die Anschaffung eines Invalidenfahrzeuges aus.

Die beklagten Parteien bestreiten das Vorliegen der Voraussetzungen für diese Teilansprüche und wenden hinsichtlich der Verunstaltungsentschädigung überdies Verjährung ein. Nur diese beiden Teilansprüche sind Gegenstand des Revisionsverfahrens. Das Erstgericht sprach dem Kläger lediglich S 20.000,-- für ein automatisches Getriebe zu und wies das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht reduzierte diesen Zuspruch auf S 8.000,-- s. A.

Gegen die Abweisung eines Teilbetrages von S 382.000,-- s.A. richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne eines weiteren Zuspruches von S 382.000,-- s.A.

Die beklagten Parteien beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist berechtigt.

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes erlitt der im Unfallszeitpunkt fast 19-jährige Kläger bei dem Unfall eine Gehirnprellung oder Gehirnquetschung, Brüche des rechten Schlüsselbeines, der vierten rechten Rippe und des linken äußeren Knöchels, mehrfache Schnittwunden und Rißquetschwunden - teilweise mit Fremdkörpereinsprengungen -, eine Bauchprellung und einen Schock. Nach mehreren Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalten wurde der Kläger am 4. August 1979 aus dem Rehabilitationszentrum Meidling in häusliche Pflege entlassen. Zu diesem Zeitpunkt waren nachstehende Verletzungsfolgen vorhanden: Im Schläfenbereich Probebohrlöcher mit zarten Narben, eine Teillähmung der Gliedmaßen, Koordinationsstörungen an allen Gliedmaßen und am Rumpf, eine vorwiegend zerebelläre Sprachbeeinträchtigung und eine skandierende Sprache, ein mittelgradiges posttraumatisches Psychosyndrom, ein Doppelbildersehen, eine Operationsnarbe nach Probelaparotomie und eine Pseudoarthrose im Bereich des rechten Schlüsselbeines. Zu diesem Zeitpunkt war auch zu erkennen, daß der Kläger durch die Unfallsfolgen in seinem künftigen privaten und beruflichen Leben hochgradig beeinträchtigt sein werde. Unfallskausale Dauerschäden und Spätkomplikationen konnten noch nicht vorhergesehen werden. über die Funktionsstörungen war sich der Kläger aber zu diesem Zeitpunkt bereits im klaren. Trotz weiterer Aufenthalte im Rehabilitationszentrum Bad Häring und im Rehabilitationszentrum Meidling blieb der Befund am 28. Juli 1980 unverändert. Die nervenärztliche Begutachtung am 26. November 1981 ergab folgende Beeinträchtigungen: Subjektive Beschwerden, die sich vor allem aus den neurologischen und psychischen Ausfällen ergeben und einen beträchtlichen Leidensdruck darstellen; eine beträchtliche Sprachstörung infolge mangelhafter Koordination der Sprachwerkzeuge, ein Doppelsehen, eine hochgradige Koordinationsstörung der Arme und Beine, eine geringe Spastizität der Arme und Beine, die die Feinmotorik und Geschicklichkeit der Arme wesentlich beeinträchtigen; der Kläger konnte nicht mehr schreiben, auch das Gehen und die körperliche Ausdauer und Belastbarkeit sind hochgradig gestört. Es war ein geringgradiges organisches Psychosyndrom mit einer Verminderung der Konzentration, Aufmerksamkeit und psychischen Belastbarkeit sowie mit einer Verlangsamung des Denkvollzuges und eine Störung der Affektivität vorhanden. Die Begutachtung durch einen Unfallschirurgen am 26. November 1981 ergab eine Ungeschicklichkeit an Armen und Beinen, eine Bewegungsstörung der Arme und Beine und eine entstellende Gangstörung, eine geringe körperliche und geistige Ausdauer sowie ein wesentlich beeinträchtigtes Denkvermögen. Der Kläger hatte eine belanglose Narbe an der rechten und linken Schläfenregion, eine weitere Narbe am rechten Arm und an der Bauchdecke. Diese Narben sind dicht und es besteht kein Narbenbruch. Im August 1982 zog der Kläger aus dem Elternhaus aus und bezog zusammen mit einer Freundin eine Eigentumswohnung in Vöcklabruck. In dieser lebten beide bis Dezember 1983 in Lebensgemeinschaft. Am 9. Juli 1983 wurde der Kläger Vater einer Tochter.

Seit dem stationären Aufenthalt im Rehabilitationszentrum Bad Häring im Februar 1983 kann der Kläger in der Wohnung ohne Stock gehen und mit Begleitung auch öffentliche Verkehrsmittel benützen. Er war seither noch vom 18. Oktober bis 28. Oktober 1983 im Krankenhaus Vöcklabruck. Die Transportkosten, die zur medizinischen Versorgung notwendig wurden, bezahlte jeweils die Krankenkasse. Der Kläger geht regelmäßig am Samstag mit seinem Bruder in Diskotheken.

Am 24. Juni 1983 bestanden folgende Beeinträchtigungen: Eine zerebral bedingte Teillähmung aller Gliedmaßen mit einer Störung des Ganges, einer Störung der Grobmotorik und Feinmotorik an Armen und Beinen, ein organisches Psychosyndrom mit verminderter Merkfähigkeit und mit der Neigung zu Schwindelanfällen. Wegen der Störung der Bewegungskoordination der Beine ist für den Kläger die Benützung eines Invalidenfahrzeuges ratsam. Er beabsichtigt jedoch, sich einen normalen PKW mit einem automatischen Getriebe anzuschaffen. Bisher besaß der Kläger kein Kraftfahrzeug.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes gebühre dem Kläger keine Verunstaltungsentschädigung. Unter verringerter Heiratsaussicht im Sinne des § 1326 ABGB könne nur die verringerte Chance verstanden werden, mit einem andersgeschlechtlichen Partner eine auf Dauer eingerichtete Lebensgemeinschaft einzugehen. Dem Kläger sei es möglich gewesen, eine solche Gemeinschaft einzugehen. Der Grund für die Auflösung dieser Gemeinschaft sei nicht zu prüfen, weil nur die verringerte Aussicht auf eine solche Gemeinschaft ausgeglichen werden könne. Der Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung sei überdies verjährt. Der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginne, wenn der Schaden so weit bekannt sei, daß er mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könne, wenn die schädliche Wirkung des Unfallsereignisses zutage trete. Dies sei aber bereits auf Grund des Sachverständigengutachtens am 4. August 1979 der Fall gewesen, sodaß die Verjährungsfrist im Zeitpunkt der Ausdehnung des Klagebegehrens am 21. Februar 1983 bereits abgelaufen gewesen sei. Da der Kläger öffentliche Verkehrsmittel benützen und mit Hilfe eines Stockes auch auf der Straße gehen könne, sei die Anschaffung eines PKW zum Ausgleich der Bewegungseinschränkung nicht erforderlich. Der Kläger habe jedoch Anspruch auf die Sonderausstattung eines automatischen Getriebes. Der Aufwand hiefür wurde vom Erstgericht gemäß § 273 ZPO mit S 20.000 ermittelt.

Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß das Teilanerkenntnisurteil über das Feststellungsbegehren nur künftige Ansprüche des Klägers betreffe. Die Kosten eines automatischen Getriebes ermittelte das Berufungsgericht mit S 8.000,--. Gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen wendet sich der Kläger im wesentlichen mit der Begründung, daß zum Zeitpunkt der Begutachtung am 4. August 1979 eine allfällige Besserung der Verletzungsfolgen nicht absehbar gewesen und die Anschaffung eines PKW gerechtfertigt sei, weil nur so sein Manko an Bewegungsfreiheit ausgeglichen werden könne.

Die mit zahlreichen Zitaten untermauerten Ausführungen des Berufungsgerichtes über den Beginn des Laufes der Verjährungsfrist von Schadenersatzansprüchen entsprechen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, sodaß insoweit auf diese Ausführungen verwiesen werden kann. Nicht gefolgt werden kann jedoch dem Berufungsgericht in der Beurteilung der Auswirkungen des Teilanerkenntnisurteils über das Feststellungsbegehren auf den durch Klagsausdehnung erhobenen Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, bewirkt die Einbringung einer mit einer Leistungsklage verbundenen, in der Folge erfolgreichen Feststellungsklage, daß einzelne Schadenersatzansprüche, selbst wenn sie bereits zum selben Zeitpunkt mit Leistungsklage hätten begehrt werden können, auch nach Ablauf der dreijährigen Verjährungszeit im anhängigen Prozeß durch Ausdehnung geltend gemacht werden können (ZVR 1979/133, 1977/217; EvBl 1974/110; ZVR 1966/57, 1962/196; 1 Ob 586/80). Die innerhalb der Verjährungsfrist begehrte Feststellung, der Schädiger habe dem Geschädigten die in Hinkunft noch erwachsenden Schäden zu ersetzen, umfaßt auch den Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung. Die Ausdehnung des Begehrens auf Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung nach Ablauf der Verjährungsfrist ist daher zulässig (ZVR 1962/196). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß der Anspruch des Klägers auf Verunstaltungsentschädigung verjährt sei, ist daher unzutreffend.

Daß eine verminderte Heiratsaussicht auch bei Männern zu berücksichtigen ist, entspricht der neueren Rechtsprechung (ZVR 1983/38 ua; Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 6 zu § 1326). Die Auffassung des Erstgerichtes, daß die Möglichkeit des Eingehens einer Lebensgemeinschaft den Anspruch nach § 1326 ABGB ausschließe, ist verfehlt, weil eine Lebensgemeinschaft nicht mit den Rechtswirkungen einer Ehe ausgestattet und mit ihr daher auch nicht die mit der Ehe regelmäßig einhergehende Verbesserung der Lebenslage verbunden ist. Gerade auf die Gewinnung einer günstigeren Lebenslage kommt es aber bei dem Anspruch nach § 1326 ABGB an (Reischauer aaO). Eine abschließende Beurteilung des Anspruches des Klägers auf Verunstaltungsentschädigung ist jedoch auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht möglich, weil das Ausmaß der Verunstaltung des Klägers nicht hinreichend klargestellt wurde. Es bedarf ergänzender Feststellungen darüber, wie sich die Bewegungseinschränkung des Klägers auf seine äußere Erscheinung auswirkt und ob und in welchem Ausmaß noch eine Sprachstörung vorhanden ist (vgl. AS 259 und 267).

Daß zu den Kosten aus vermehrten Bedürfnissen auch die Aufwendungen für die Anschaffung eines Kraftwagens oder für eine Sonderausstattung gehören können, wurde vom Berufungsgericht gleichfalls unter Anführung ausreichender Belegstellen eingehend dargelegt, sodaß auch insoweit auf die Ausführungen im Berufungsurteil verwiesen werden kann. Hervorzuheben ist lediglich, daß die Kosten eines Kraftfahrzeuges dann zugesprochen wurden, wenn dies erforderlich war, den Geschädigten in die Lage zu versetzen, sich frei bewegen und seiner beruflichen Tätigkeit oder seiner Berufsausbildung nachgehen zu können (ZVR 1978/178, 1974/164, 1969/322; 8 Ob 17/84). Ob der Kläger nach diesen Grundsätzen Anspruch auf die Kosten für die Anschaffung eines PKW hat, läßt sich auf Grund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Das Erstgericht ging zwar davon aus, daß der Kläger öffentliche Verkehrsmittel benützen könne, doch steht dies in Widerspruch zu den Feststellungen, daß der Kläger öffentliche Verkehrsmittel nur mit Begleitung benützen könne und die Benützung eines Invalidenfahrzeuges 'ratsam' sei. Dieser Widerspruch wird im fortgesetzten Verfahren aufzuklären sein und es werden, allenfalls nach Präzisierung der Behauptungen des Klägers, der für die Anspruchsvoraussetzungen behauptungs- und beweispflichtig ist, eingehende Feststellungen darüber zu treffen sein, in welchem Ausmaß der Kläger öffentliche Verkehrsmittel benützen kann. Sollte danach dem Kläger die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sein, könnte er nur die Mehrkosten einer Sonderausstattung eines PKW verlangen, weil nur insoweit eine unfallsbedingte Vermehrung seiner Bedürfnisse eingetreten wäre.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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