OGH 7Ob603/85

OGH7Ob603/853.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei REPUBLIK ÖSTERREICH, A B C, vertreten durch die Finanzprokuratur,

Wien 1., Singerstraße 17-19, wider die beklagte Partei Gernot D, Angestellter, Innsbruck, Dürerstraße 4, vertreten durch Dr. Hans Jörg Schiestl, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 12. März 1985, GZ 3 a R 90/85-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 5. Dezember 1984, GZ 11 C 184/84-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.472,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin kündigte dem Beklagten die im 1.Stock des Hauses Innsbruck, Dürerstraße 4, gelegene Wohnung Nr.3 mit Schriftsatz zum 20.1.1984 gemäß § 30 Abs 2 Z 10 MRG gerichtlich auf. Die aufgekündigte Wohnung sei mit Mietvertrag vom 14.10.1943 vom Deutschen Reich den Eltern des Beklagten vermietet worden. Im Mietvertrag sei festgehalten worden,daß die Wohnung eine 'Reichsmietwohnung' und daher 'Gefolgschaftsmitgliedern der Deutschen Reichspost' vorbehalten sei. Der Vater des Beklagten sei am 9.5.1977, seine Mutter am 8.10.1983 verstorben. Der Beklagte bewohne die aufgekündigte Wohnung und mache als Sohn Mietrechtsnachfolge geltend. Das Mietobjekt sei von Beginn an zur Unterbringung von Bediensteten der A B C

bestimmt gewesen und werde für diesen Zweck dringend benötigt. Der Beklagte sei nicht Dienstnehmer der Klägerin.

Der Beklagte beantragte die Aufhebung der Aufkündigung und wendete ein, er sei bereits 1977 anstelle seines Vaters in das Mietverhältnis eingetreten; der Kündigungsgrund sei deshalb nicht rechtzeitig geltend gemacht worden. Die aufgekündigte Wohnung werde nicht dringend für Zwecke der A B E

benötigt. Die Klägerin sei nicht aktiv legitimiert, weil sie nicht zumindest Hälfteeigentümerin des Hauses Dürerstraße 4 sei. Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung als wirksam und sprach aus, daß der Beklagte verpflichtet sei, die aufgekündigte Wohnung zu räumen und der Klägerin geräumt zu übergeben. Es traf folgende Feststellungen:

Mit Mietvertrag vom 14.10.1943 nahmen Albert und Aloisia D, die Eltern des Beklagten, vom Deutschen Reich, vertreten durch den Präsidenten der Reichspostdirektion, als Vermieter die aufgekündigte Wohnung in Bestand. Im Mietvertrag wird festgehalten, daß es sich bei der Wohnung um eine Reichsmietwohnung handle, die Gefolgschaftsmitgliedern der Deutschen Reichspost vorbehalten sei; Hauseigentümer sei die Deutsche Reichspost; bei einem Ausscheiden aus dem Dienst der Deutschen Reichspost werde die Wohnung aufgekündigt.

Das Haus Innsbruck, Dürerstraße 4, wurde im Jahr 1943 errichtet. Bereits bei Bezug der Wohnung durch die Eltern des Beklagten war der Vater des Beklagten bei der Post beschäftigt. Der Vater des Beklagten hat die Wohnung nur auf Grund dieses Beschäftigungsverhältnisses erhalten. Der Beklagte hat die Wohnung mit seinen Eltern bezogen. Albert D war bis zu seinem übertritt in den dauernden Ruhestand am 1.1.1965 Postbediensteter; er war ab dem Jahr 1950 Beamter.

Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der Deutschen Reichspost und hat von dieser 'grundsätzlich' die Häuser und den Grundbesitz übernommen. Die gegenständliche Liegenschaft wurde zwar von der Post erworben, grundbücherliche Eigentümerin ist jedoch die Stadt Innsbruck. Die Klägerin ist in die Vermieterrechte nach der Reichspost eingetreten und daher jedenfalls verfügungs- und vermietungsberechtigt.

Der Verwendungszweck des gegenständlichen Wohnhauses besteht und bestand auch zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in der Unterbringung von Postbediensteten. Es wird daher auch grundsätzlich nur an solche Personen vermietet. Die Wohnung wird den Bediensteten der Klägerin über ihre Pensionierung hinaus bis zu ihrem Tod belassen, aus sozialen Gründen auch der Witwe des Postbediensteten oder Pensionisten bis zu deren Tod.

Auf den angeführten Verwendungszweck der Wohnung wurde nie verzichtet, es wurde immer nur an Postbedienstete vermietet und dies den Mitbewohnern auch gesagt.

Nach dem Tod des Albert D am 9.5.1977 wurde die Wohnung von seiner Witwe - diese ist am 8.10.1983 verstorben - und dem Beklagten, der nicht bei der Post beschäftigt ist, bewohnt. Nach dem Tod seiner Mutter wurde der Beklagte darauf hingewiesen, daß er eine für die Unterbringung von Postbediensteten gewidmete Wohnung benütze. Der Beklagte hat hierauf schriftlich ein Anrecht auf die Wohnung geltend gemacht.

Ein Bedarf der Klägerin an der gegenständlichen Wohnung für die Unterbringung von Beschäftigten ist seit jeher gegeben. In den letzten Jahren ist die Zahl der wohnungssuchenden Postbediensteten immer mehr gestiegen; sie beträgt derzeit im Raum Innsbruck etwa 100. In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, der geltend gemachte Kündigungsgrund sei nach dem festgestellten Sachverhalt gegeben.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 60.000, nicht jedoch S 300.000 übersteigt und daß die Revision zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte dessen rechtliche Beurteilung. Die Bestimmung des § 30 Abs 3, dritter Satz, MRG, wonach ein Miteigentümer die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 8 bis 11 MRG nur geltend machen kann, wenn er wenigstens Eigentümer zur Hälfte ist, habe keine Gültigkeit, wenn es gar nicht um die Frage eines teilweisen Eigentums gehe. Auch ein Vermieter könne die Aufkündigung einbringen, der zwar nicht grundbücherlicher Eigentümer, wohl aber hinsichtlich des Bestandobjektes vermietungs- und verfügungsberechtigt sei, wie dies im gegenständlichen Fall auf die Klägerin zutreffe.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß die Aufkündigung aufgehoben werde.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Beklagte macht geltend, die Klägerin habe dadurch, daß sie das Mietverhältnis nach dem Ausscheiden seines Vaters aus dem aktiven Dienstverhältnis nicht aufgekündigt habe, schlüssig auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes verzichtet. Die Aufkündigung einer Wohnung bei Ausscheiden aus dem Dienst des Dienstgebers habe nicht nach § 30 Abs 2 Z 10 MRG, sondern nach § 30 Abs 1 MRG zu erfolgen. Die Klägerin habe die Wohnung vor dem Vater und der Mutter des Beklagten noch nie an einen Betriebsfremden oder an einen anderen Postbediensteten vermietet gehabt, die Eltern des Beklagten seien Erstmieter gewesen. Der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 10 MRG werde auch aus diesem Grund nicht hergestellt. Schließlich hätten die Vorinstanzen nicht festgestellt, welches Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Stadtgemeinde Innsbruck bestehe, sodaß die Grundlage für die Feststellung fehle, die Klägerin sei vermietungsbefugt und verfügungsberechtigt.

Der Oberste Gerichtshof pflichtet den Revisionsausführungen nicht bei. Bemerkt sei zunächst, daß das Dienstverhältnis eines Beamten durch seine Versetzung in den zeitlichen oder dauernden Ruhestand nicht aufgelöst wird (vgl. MietSlg.XXI/38, S 589), sodaß keine Rede davon sein kann, die Klägerin hätte das Mietverhältnis bereits seit dem 1.1.1965 aufkündigen können. Eine Aufkündigung hätte aber auch nicht nach dem Tod des Vaters des Beklagten erfolgen können, da die Wohnung nach dem Inhalt des Mietvertrages vom 14.10.1943 nicht nur dem Vater des Beklagten (der allein Postbediensteter war) in Bestand gegeben wurde, sondern auch der Mutter des Beklagten. Wenn auch nicht ausdrücklich festgestellt wurde, weshalb seinerzeit bei der Vermietung von Reichsmietwohnungen an Hand aufliegender Vertragsformulare auch den Ehegatten der Bediensteten (Mit-)Mietrechte eingeräumt wurden, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, daß die Einräumung dieser Mitmietrechte nur geschehen ist, weil Alber D Postbediensteter war, und daß Aloisia D ohne diese Verwendung ihres Mannes im Jahr 1943 gewiß keine Wohnung in dem Haus erhalten hätte, das in diesem Jahr ausdrücklich zur Unterbringung von 'Gefolgschaftsmitgliedern der Deutschen Reichspost' errichtet worden war (vgl. 6 Ob 32/67). Die Mitrechtseinräumung erfolgte damit aus eben jenen sozialen Erwägungen, aus denen, wie festgestellt wurde, auch weiterhin und in anderen Fällen die Witwe eines Postbediensteten in der Wohnung belassen wird.

Unter diesen Umständen kann keinesfalls gesagt werden, die Klägerin - die das Bestandverhältnis des Beklagten nach dem Tod seiner Mutter umgehend aufgekündigt hat - habe auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 10 MRG schlüssig verzichtet. Bei der Prüfung der Frage, ob ein schlüssiger Verzicht, etwa auf die Geltendmachung eines Kündigungsgrundes, anzunehmen ist, ist ein strenger Maßstab anzuwenden (Rummel in Rummel, ABGB, Rdz 14 zu § 863; MietSlg.XXIX/7 ua). Die Tatsache, daß nach Beendigung des Dienstverhältnisses die Witwe odxer sonstige Familienmitglieder des früheren Betriebsangehörigen aus sozialen Erwägungen in der Wohnung belassen wurden, kann dem Vermieter nicht zum Nachteil gereichen (6 Ob 32/67, insoweit veröffentlicht in MietSlg.19.324 ua.).

Der Umstand, daß der Beklagte gemäß § 14 MRG in die Mietrechte seiner Eltern eingetreten ist, steht der Aufkündigung nicht entgegen. Der Eintritt ist vielmehr geradezu Voraussetzung für die Aufkündigung. Wäre nämlich der Beklagte nicht in den Mietvertrag eingetreten, käme eine Kündigung gegen ihn gar nicht in Frage (MietSlg.XXIX/7).

Nicht der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 10 MRG, sondern jener nach § 30 Abs 1 MRG ist nach der vom Beklagten zitierten Entscheidung MietSlg.29.307 dann gegeben, wenn der Sachverhalt bis auf die mangelnde Identität zwischen Vermieter und Dienstgeber jenem des Tatbestandes nach § 30 Abs 2 Z 10 MRG gleichkommt. Im vorliegenden Fall ist Identität zwischen Vermieter und Dienstgeber durchaus gegeben. Es ist deshalb nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin - wie in der Revision ausgeführt wird - den Kündigungstatbestand des § 30 Abs 1 MRG geltend zu machen gehabt hätte.

Verfehlt ist auch die in der Revision vertretene Meinung, der geltend gemachte Kündigungstatbestand werde deswegen nicht hergestellt, weil die Klägerin die Wohnung vor dem Vater und der Mutter des Beklagten nie an einen Betriebsfremden oder an einen anderen Postbediensteten vermietet gehabt habe. Zwar muß nach der ständigen Rechtsprechung der Mietgegenstand schon früher als Dienst- oder Werkswohnung tatsächlich verwendet worden sein. Doch sind die gesetzlichen Voraussetzungen auch dann erfüllt, wenn der später Gekündigte selbst derjenige war, an den die Wohnung erstmals als Dienst- oder Werkswohnung vergeben wurde (MietSlg.9.669, 8.947, 8.190).

Nicht berechtigt sind schließlich auch die Ausführungen des Beklagten, in denen die Kündigungsbefugnis der Klägerin in Frage gestellt wird, weil nach § 30 Abs 3, letzter Satz, MRG ein Miteigentümer die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 8 bis 11 MRG nur geltend machen könne, wenn er wenigstens Eigentümer zur Hälfte sei, im vorliegenden Fall aber Liegenschaftseigentümerin die Stadtgemeinde Innsbruck sei.

Auf Grund der Bestätigung des Stadtmagistrates Innsbruck, Beilage ./C, steht fest, 'daß die A B C

über die Häuser Dürerstraße 2 und 4 in Innsbruck, die auf städtischem Grund stehen, vermietungsbefugt und verfügungsberechtigt ist'. Es ist für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung, auf welcher vertraglichen Grundlage der Klägerin diese Befugnis und Berechtigung eingeräumt worden ist. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, macht die Klägerin den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 10 MRG nicht als Miteigentümerin geltend, sondern auf Grund des Umstandes, daß sie (allein) 'vermietungsbefugt und verfügungsberechtigt' und also nutzungsberechtigt ist (5 Ob 549/80; vgl. auch EvBl 1966/405), wobei bemerkt sei, daß sich insoweit an den Verhältnissen seit der Zeit des Abschlusses des Mietvertrages vom 14.10.1943 nichts geändert hat, da die Stadt Innsbruck bereits damals Alleineigentümerin der Liegenschaft war (vgl. den Grundbuchsauszug, Beilage ./1). Der Sinn des § 30 Abs 3, letzter Satz, MRG geht dahin, einem Minderheitseigentümer die materielle Berechtigung einer Kündigung wegen Eigenbedarfs zu verwehren (Sternberg, Das Mietengesetz, 456 f.). Die vorliegende Aufkündigung verstößt nicht gegen den Sinn der genannten Bestimmung. Da sohin die Voraussetzungen für eine Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 10 MRG gegeben sind - der dringende Bedarf der Klägerin an der gegenständlichen Wohnung zur Unterbringung ihrer Bediensteten wird vom Beklagten in der Revision nicht mehr bestritten - haben die Vorinstanzen die Aufkündigung in zutreffender Weise als wirksam erkannt. Der Reviion mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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