Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin sind S 257,25 an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt der beklagten Partei gegenüber die Feststellung des aufrechten Bestandes seines Arbeitsverhältnisses zur beklagten Partei über den 12.7.1983 hinaus. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus, die am 12.7.1983 von der beklagten Partei ausgesprochene Entlassung sei rechtsunwirksam, weil sie nicht mt einem Disziplinarerkenntnis erfolgt sei. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrag für Angestellte der Versicherungsunternehmungen im Innendienst (F) sei ein solches Erkenntnis die Voraussetzung für den Ausspruch einer rechtswirksamen Entlassung.
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Sie brachte im wesentlichen vor, die Entlassung sei aus den von ihr näher dargelegten Gründen gerechtfertigt; ein Disziplinarerkenntnis sei nur bei Verletzung geringerer Dienstpflichten erforderlich, nicht aber bei einem Eigentumsdelikt, wie es dem Kläger vorgeworfen werde. Im übrigen habe der Kläger bei einer anderen Versicherungsgesellschaft ein 'festes' Arbeitsverhältnis angetreten, sodaß die Möglichkeit einer Rückkehr zur beklagten Partei nicht bestehe. Der Kläger habe bei seinem neuen Arbeitgeber und auch gegenüber der beklagten Partei die öußerung abgegeben, er sei in Zukunft nicht mehr bereit, Dienstleistungen für die beklagte Partei zu erbringen.
Der Kläger bestritt dieses Vorbringen. Er habe ein neues Arbeitsverhältnis nur deswegen begründet, weil er den Ausgang dieses Verfahrens nicht ohne jedes Einkommen abwarten könne; er sei jederzeit bereit, über Aufforderung der beklagten Partei den Dienst wieder anzutreten.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der Kläger ist am 16.8.1974 in das Unternehmen der beklagten Partei eingetreten und befindet sich seither in einem definitiven Arbeitsverhältnis. Er wurde am 12.7.1983 von der beklagten Partei entlassen; in diesem Zeitpunkt lag ein Disziplinarerkenntnis über eine Entlassung nicht vor.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, die Entlassung definitiver Angestellter könne nach dem § 23 F nur auf Grund eines verurteilenden Disziplinarerkenntisses erfolgen. Da die beklagte Partei die Entlassung des Klägers ohne Vorliegen eines solchen Erkenntnisses ausgesprochen habe, sei die Entlassung, aus welchen Gründen immer sie vorgenommen worden sei, rechtsunwirksam. Der Bestand des vom Kläger nach seiner Entlassung eingegangenen Arbeitsverhältnisses sei auf den aufrechten Bestand des mit der beklagten Partei abgeschlossenen Arbeitsverhältnisses ohne Einfluß. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 30.000,-- übersteige. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes. Aus dem F ergebe sich kein Anhaltspunkt für die Richtigkeit der Meinung der beklagten Partei, daß zwischen einer ein Disziplinarerkenntnis voraussetzenden 'schlichten', nur für geringere Dienstvergehen vorgesehenen Entlassung und einer ein Disziplinarerkenntnis nicht voraussetzenden 'strafweisen' Entlassung unterschieden werden müsse. Ebensowenig sei die Annahme gerechtfertigt, die Bindung des Ausspruches einer Entlassung an ein Disziplinarerkenntnis sei sittenwidrig. Da der Kläger im Verfahren ausdrücklich seine Bereitschaft erklärt habe, jederzeit bei der beklagten Partei den Dienst wieder anzutreten, könne aus dem Abschluß eines anderen Arbeitsverhältnisses und einer allfälligen Erklärung gegenüber dem Personalleiter seines neuen Arbeitgebers, er würde für die beklagte Partei nicht mehr arbeiten, nicht der zwingende Schluß (§ 863 ABGB) auf einen vorzeitigen Austritt aus dem Unternehmen der beklagten Partei gezogen werden. Hiebei müsse bedacht werden, daß der Kläger, wenn er eine gegenteilige Erklärung abgegeben und zu erkennen gegeben hätte, er suche einen Arbeitsplatz nur als 'überbrückung' bis zur Beendigung dieses Verfahrens, befürchten hätte müssen, den angestrebten Arbeitsplatz nicht zu bekommen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO; siehe auch unten).
Die beklagte Partei hält in den Ausführungen zur Rechtsrüge an ihrer Auffassung fest, dem Arbeitgeber könne weder durch Kollektivvertrag noch durch Einzelarbeitsvertrag das Recht genommen werden, zumindest bei 'schuldhaften Tatbeständen' eine Entlassung des betreffenden Arbeitnehmers vorzunehmen. Jeder Verzicht auf das Entlassungsrecht des Arbeitgebers sei wegen Sittenwidrigkeit rechtsunwirksam. Nach dem F müsse zwischen einer 'schlichten' und einer 'strafweisen' Entlassung unterschieden werden. Die letztgenannte Art der Entlassung dürfe vom Arbeitgeber ohne jede Beschränkung durch ein Disziplinarverfahren ausgesprochen werden. Die Vorinstanzen hätten zu Unrecht keine Beweisaufnahmen vorgenommen und keine Feststellungen über den von der beklagten Partei behaupteten Umstand getroffen, daß der Kläger erklärtermaßen nicht die Absicht habe, im Falle eines für ihn günstigen Prozeßausganges das Arbeitsverhältnis mit der beklagten Partei fortzusetzen, weil er bereits bei einem Konkurrenzunternehmen arbeite; die Einvernahme des von der beklagten Partei dazu beantragten Zeugen G hätte, wäre sie durchgeführt worden, ergeben, daß der Kläger glaubhaft eindeutig gegenüber der H I J
B erklärt habe, zur beklagten Partei nicht
zurückkehren zu wollen.
Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß der Oberste Gerichtshof in seiner grundlegenden Entscheidung 4 Ob 121/83 (RdW 1985,82) sowie in weiterer Folge in seiner Entscheidung 4 Ob 144/84, welche denselben Kollektivvertrag und die gleichen Rechtsfragen betroffen haben, die Auffassung vertreten hat, daß Kündigungen und Entlassungen zwar nicht Disziplinarstrafen einer Disziplinarordnung im Sinne des § 96 Abs 1 Z 1 ArbVG seien, daß sie aber als Regelung der gegenseitigen aus dem Arbeitsverhältnis entspringenden Rechte und Pflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach dem § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG wirksam sein können. Dies gelte auch für die im F vorgesehene Disziplinarstrafe einer 'strafweisen Entlassung'. Der Oberste Gerichtshof hat in den beiden vorgenannten Entscheidungen unter Berücksichtigung aller dagegen vorgebrachten Argumente ausführlich dargelegt, daß die Bestimmungen des F die Unterscheidung zwischen einer an ein Disziplinarerkenntnis gebundenen 'schlichten Entlassung' einerseits und einer an ein solches Erkenntnis nicht gebundenen 'strafweisen Entlassung' andererseits nicht rechtfertigen. Der Oberste Gerichtshof hält an dieser Auffassung weiterhin fest, zumal dagegen in den Revisionsausführungen keine neuen stichhältigen Argumente vorgetragen werden. Zur Vermeidung von Wiederholungen erübrigen sich daher weitere Ausführungen sowie die Wiedergabe der einzelnen Bestimmungen des F. Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassungen erweisen sich auch alle Revisionsausführungen zur Frage der meritorischen Berechtigung der Entlassung einschließlich der in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrens- und Aktenwidrigkeitsrügen als verfehlt. Ein Verfahrensmangel liegt auch nicht deshalb vor, weil die Vorinstanzen die Absicht der Kollektivvertragsparteien nicht durch Vernehmung der am Abschluß des F beteiligten Personen erforscht haben. Abgesehen davon, daß die beklagte Partei einen diesbezüglichen Beweisantrag nicht gestellt hat, sind Kollektivverträge wie Gesetze auszulegen, sodaß derartige Vernehmungen nicht in Betracht kommen (Kuderna, DRdA 1975,161 168 f).
Den Vorinstanzen ist aber auch in ihrer Auffassung zuzustimmen, daß Feststellungen über den Inhalt der behaupteten Erklärungen des Klägers über seine Absicht, das Arbeitsverhältnis mit der beklagten Partei nicht mehr fortzusetzen, entbehrlich sind. Da die Entlassung eines definitiven Angestellten der beklagten Partei - diese Voraussetzung trifft auf den Kläger unbestrittenermaßen zu - ohne Vorliegen eines entsprechenden Disziplinarerkenntnisses rechtsunwirksam ist, besteht das Arbeitsverhältnis der Parteien nach wie vor aufrecht. Eine Auflösung könnte nach dem Vorbringen der beklagten Partei nur dadurch zustandegekommen sein, daß der Kläger seinen vorzeitigen Austritt erklärt hätte. Eine solche Erklärung hätte aber, um wirksam zu sein, gegenüber der beklagten Partei abgegeben werden müssen. Die beklagte Partei hat dazu vor dem Erstgericht vorgebracht, der Kläger habe gegenüber der H I J B und gegenüber der
beklagten Partei die öußerung abgegeben, er sei nicht mehr bereit, den Dienst bei der beklagten Partei wieder anzutreten. Die beklagte Partei hat dazu aber nur die Vernehmung des Zeugen G, eines Abteilungsleiters der vorgenannten Versicherungsanstalt, und Parteienvernehmung beantragt. Die Einvernahme des genannten Zeugen hätte - nach den Revisionsausführungen - ergeben, daß der Kläger gegenüber der genannten Versicherungsanstalt die behauptete Erklärung abgegeben habe. Eine solche Erklärung hätte sein Arbeitsverhältnis zur beklagten Partei nicht aufgelöst, weil die Erklärung nicht dieser Partei gegenüber abgegeben worden wäre. Daß der Kläger eine Austrittserklärung gegenüber der beklagten Partei abgegeben habe, und daß eine solche Erklärung im Falle der Parteienvernehmung hervorgekommen wäre, wird in der Revision nicht behauptet.
Zu prüfen bleibt lediglich, ob aus dem Verhalten des Klägers - einschließlich der von der beklagten Partei behaupteten vorerwähnten Erklärungen - nach den Regeln des § 863 ABGB auf eine durch vorzeitigen Austritt des Klägers von diesem herbeigeführte Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen werden kann. Hiebei ist davon auszugehen, daß der Kläger nicht nur den gegenständlichen, auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Feststellungsprozeß führt und daß er vor dem Erstgericht die Erklärung abgegeben hat, er sei über Aufforderung der beklagten Partei jederzeit bereit, den Dienst wieder anzutreten, sondern daß er ein neues Arbeitsverhältnis anzutreten gezwungen war, um wieder zu verdienen und sich nicht dem Einrechnungseinwand der beklagten Partei nach dem § 1155 ABGB (Unterlassung eines zumutbaren Erwerbs) auszusetzen. Selbst wenn er die behaupteten öußerungen gegenüber seinem neuen Arbeitgeber und der beklagten Partei gegenüber (zu welcher Person der Kläger in diesem Zusammenhang sich geäußert haben soll, wurde von der beklagten Partei weder behauptet noch unter Beweis gestellt) gemacht haben sollte, kann angesichts der vorerwähnten Tatsachen nicht mit überlegung aller Umstände (§ 863 ABGB) angenommen werden, der Kläger habe damit das Arbeitsverhältnis zur beklagten Partei vorzeitig auflösen wollen. Die Vorinstanzen haben daher mit Recht von der Vernehmung des Heribert G und von der Parteienvernehmung abgesehen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien besteht somit über den Zeitpunkt der (rechtsunwirksamen) Entlassung vom 12.7.1983 hinaus aufrecht, sodaß dem auf Feststellung dieses Umstandes gerichteten Klagebegehren von den Vorinstanzen mit Recht stattgegeben wurde. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.
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