OGH 3Ob553/85

OGH3Ob553/853.7.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag.Engelmaier als Richter in der Pflegschaftssache für den mj.Thomas A, geb.1.5.1969, wohnhaft bei der Mutter Annemarie A, Beamtin, 1100 Wien, Grenzackerstraße 7-11/14/1, infolge Revisionsrekurses des Vaters Josef A, Oberrechnungsrat, 1100 Wien, Favoritenstraße 180/5/25, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 30.Jänner 1985, GZ 44 R 3003/85-128, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 10. Dezember 1984, GZ 2 P 415/82-126, aufgehoben wurde, folgenden Beschluß gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der jetzt 16 Jahre alte mj. Thomas A befindet sich seit der Scheidung der Ehe der Eltern im Jahre 1975 in der Pflege und Erziehung der Mutter; er wuchs dort zusammen mit seiner nunmehr volljährigen Schwester auf.

Schon im Jahr 1980 stellte der Vater einen Antrag, die elterlichen Rechte ihm zu übertragen, weil sich der Bub bei der Mutter nicht mehr wohl fühle und vor allem nicht dem Wunsch der Mutter nach Unterbringung in einem Vollinternat entsprechen wolle. Es wurden mehrere Stellungnahmen und Gutachten von Sachverständigen eingeholt; Thomas selbst, der ursprünglich erklärt hatte, zum Vater zu wollen, äußerte sich - nachdem allerdings die Mutter veranlaßt hatte, daß er nicht mehr in ein Vollinternat, sondern in ein Halbinternat komme - schließlich, daß er doch bei der Mutter bleiben wolle (ON 95). Und der Vater zog letzten Endes seinen Antrag in der Tagsatzung vom 12.2.1982 zurück (ON 101).

Am 8.5.1984 stellte der Vater neuerlich den Antrag, ihm die elterlichen Rechte zu übertragen. Er berief sich auf den Wunsch seines Sohnes, der nicht mehr in das von der Mutter vorgesehene humanistische Gymnasium gehen wolle, der ihm von der Drohung der Mutter berichtet habe, ihn wieder in ein Internat zu geben, und der mit der Mutter keine Gesprächsbasis mehr habe, während er zu ihm (dem Vater) eine sehr gute Beziehung habe.

Das zuständige Jugendamt sprach sich für den Antrag des Vaters aus. Die Mutter sprach sich gegen den Antrag des Vaters aus, weil sie diesen nicht für eine geeignete Erziehungsperson halte.Sie befürchte, daß der Vater einen schlechten Einfluß auf den Buben ausüben würde. Weil Thomas im humanistischen Gymnasium versagt habe, werde sie ihn in einem Oberstufenrealgymnasium unterbringen. Die schlechten Schulleistungen führe sie auf die Beeinflussung des Vaters zurück. Sie glaube nicht, daß Thomas ernstlich für ganz zum Vater wolle, so wie in der Vergangenheit würden sich die derzeitigen Spannungen sicher wieder geben.

Thomas hatte sich gegen einen Weiterverbleib bei der Mutter ausgesprochen. Bei der Mutter herrsche eine sehr gespannte Atmosphäre. Die Mutter habe zu wenig Geduld, man könne mit ihr kaum reden. Sie interessiere sich zu wenig für ihn, es störe ihn, daß die Mutter den Vater schlecht mache, es bestehe keine Gesprächsbasis mit der Mutter mehr. Die schlechten Schulleistungen führe er darauf zurück, daß er ständig unter den Druck der zu ehrgeizigen Mutter stehe. Er habe zB gegen seinen Willen das Fach Griechisch wählen müssen, lieber wolle er in den biologischen Zweig des Oberstufengymnasiums. Mit dem Vater verstehe er sich besser, er zeige für ihn Verständnis, könne ihm auch in schulischen Belangen mehr helfen und kümmere sich sehr um ihn.

Gewisse von der Mutter erhobene Vorwürfe gegen den Vater konnten von der Mutter nicht näher konkretisiert werden und wurden daher von den Vorinstanzen nicht als erwiesen angenommen.

Die von der Mutter in Zweifel gezogenen Wohnverhältnisse beim Vater wurden von diesem dahin dargelegt, daß er eine Garconniere bewohne, in der ein Vorraum von etwa 10 m 2 mit eigener Tür und Fenster zum Schlafen für Thomas umgewandelt werden solle.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Vaters statt.

Es nahm als erwiesen an, daß die Wohnung des Vaters aus Küche, Vorzimmer, Bad, WC und einem Wohnraum bestehe und daher, wenn der Vorraum zum Schlafraum für Thomas werde, ausreichend Platz biete. Derzeit bestünden zwischen Thomas und der Mutter Spannungen, die Gesprächsbasis zwischen den beiden sei erheblich gestört. Wie dies schon in einem früheren Schverständigengutachten vorgeschlagen worden sei, müsse jetzt dem klaren Wunsch des Minderjährigen Rechnung getragen werden, bei welchem Elternteil er leben wolle. Die persönlichen Beziehungen zwischen Thomas und dem Vater seien besonders intensiv. Es entspreche daher dem Wohl des Minderjährigen, wenn er zum Vater komme.

Das Gericht zweiter Instanz hob diesen Beschluß auf und vertrat die Ansicht, es müsse untersucht werden, ob Thomas jetzt wirklich die nötige Reife besitze, sich zu entscheiden, bei welchem Elternteil er wohnen wolle, zumal er auch schon früher einmal seine ursprüngliche Ansicht wieder geändert habe. Und auch die Feststellungen des Erstgerichtes über die Wohnverhältnisse seien zu unpräzis, was aber nicht besonders ausschlaggebend sei.

Gegen den Aufhebungsbeschluß des Gerichtes zweiter Instanz wendet sich der Rekurs des Vaters mit dem Antrag, diesen Beschluß aufzuheben und die Entscheidung des Erstgerichtes zu bestätigen. Der Vater verwies darauf, daß die Wohnungsverhältnisse bei ihm ausreichend und passend seien. Was die zu prüfende Reife des Minderjährigen anlange, so sei es nicht ratsam, den Buben schon wieder einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen. Seine Willensäußerung sei vielmehr ernst und glaubhaft.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Ergebnis nicht begründet, denn die Sache erscheint in der Tat noch nicht spruchreif.

Eine überprüfung der Wohnungsverhältnisse beim Vater ist freilich entbehrlich, weil das Erstgericht dieselben nach Einsichtnahme in einen Wohnungsplan ausreichend geklärt hat. Wenn die Wohnung auch klein ist, so bietet sie doch für den Vater und seinen 16 Jahre alten Sohn ausreichend Platz.

Was aber derzeit in keiner Weise feststeht ist, ob das Wohl des Minderjährigen wirklich gefährdet wäre, wenn er weiterhin bei seiner Mutter wohnt. Sind nämlich die Elternrechte nach der Scheidung bereits einem Elternteil allein übertragen, so kann eine Änderung im Sinne einer gänzlichen (oder allenfalls nur teilweisen) Entziehung der diesem zustehenden Befugnisse nur erfolgen, wenn der bisher berechtigte Elternteil durch sein Verhalten das Kindeswohl gefährdet (EFSlg.43.321 u.a.). Dies ist im vorliegenden Fall nicht so zu verstehen, daß der Mutter ein schuldhaftes Verhalten zur Last liegen muß, sondern es würden objektive Umstände genügen, die eine Gefährdung des Kindeswohls bedeuten. Aber es muß sich eben doch um besonders wichtige Gründe handeln, die eine Änderung der bestehenden Regelung der Elternrechte gebieten (vgl. Entscheidungen wie EFSlg.40.865, 43.322, 43.323). Es genügt also mit anderen Worten nicht, daß sich der Bub derzeit beim Vater wohler fühlen würde oder daß er auch beim Vater ausreichend oder vielleicht sogar besser als bei der Mutter versorgt wäre, sondern es müßte erwiesen sein, daß ein Weiterverbleib bei der Mutter dem Wohl des Kindes widerspricht. Es bedarf daher sehr wohl einer Prüfung der Frage, ob es Thomas diesmal wirklich ernst mit seiner öußerung ist, er wolle unbedingt für ganz zum Vater. Da nun schon wieder beträchtliche Zeit verflossen ist, wird aber auch zu klären sein, was sich hinsichtlich der schulischen Leistungen im Schuljahr 1984/85 allenfalls neu ergeben hat. Möglicherweise läßt sich auch hinsichtlich der künftigen Ausbildung ein Weg finden, den sowohl die Mutter billigt und der andererseits auch die Zustimmung des an sich nicht unbegabten Buben findet. Denn es hat den Anschein, daß sich Thomas vor allem deshalb nicht mehr mit seiner Mutter versteht, weil diese hinsichtlich der Berufsausbildung andere Vorstellungen als er hat. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das schon mündige Kind gemäß § 147 ABGB in Fragen seiner Ausbildung das Gericht anrufen kann, welches dann diesbezüglich die zum Wohl des Kindes angemessenen Verfügungen zu treffen hat, und daß gemäß § 178 Abs 1 ABGB auch der Vater das Recht hat, sich zu wichtigen Maßnahmen betreffend die Erziehung des Kindes zu äußern, wozu auch Fragen der Schulausbildung gehören können (Pichler in Rummel RZl 3 zu § 178 ABGB), die das Gericht zu beachten hat, wenn der darin ausgedrückte Wunsch dem Wohl des Kindes besser entspricht. Erst wenn sich ergeben sollte, daß mit dem gelinderen Mittel der §§ 147, 178 ABGB nicht das Auslangen gefunden werden kann, weil sich die erforderliche Harmonie zwischen Kind und Mutter dadurch nicht mehr herstellen läßt, sondern die Spannungen zwischen Mutter und Sohn nach wie vor bestehen und daher die fehlende Gesprächsbasis eine Beeinträchtigung der weiteren Entwicklung für Thomas bedeuten würde, dann wären die Voraussetzungen für eine Entscheidung, die das Erstgericht im ersten Rechtsgang fällte, gegeben. Nur müßte, wie oben gesagt wurde, eine Gefährdung des Kindeswohles für den Fall feststehen, daß Thomas bei der Mutter bleiben muß, während die bisherigen Feststellungen des Erstgerichtes nur darauf abstellen, daß es dem Wohl des Kindes besser entspreche, ihn zum Vater zu geben, was nicht dasselbe ist und nicht genügt. Ob es erforderlich sein wird, den Minderjährigen neuerlich den beiden Sachverständigen vorzuführen oder ob es vielleicht je nach dem Stand der Dinge genügen wird, nur die beiden Sachverständigen, die den Buben schon gut kennen, ergänzend zu befragen, kann dabei derzeit offen bleiben.

Immerhin hat der Vater nicht unrecht, wenn er darauf hinweist, daß auf eine zu häufige Befragung eines Minderjährigen durch den Psychiater verzichtet werden sollte.

Dem Rekurs war aber im Ergebnis ein Erfolg zu versagen.

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