European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00009.850.0523.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
Am 24. 6. 1980 ereignete sich vor dem Schloß Kleßheim in Salzburg ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Lenker und Halter des Motorfahrrads mit dem polizeilichen Kennzeichen ***** sowie der Erstbeklagte als Lenker und Halter des bei der Zweitbeklagten Haftpflichtversicherten PKWs Ford Kombi mit dem polizeilichen Kennzeichen ***** beteiligt waren. Bei diesem Unfall wurde der Kläger schwer verletzt. Es ist unbestritten, daß er der Höhe nach ein Schmerzengeld von mindestens einem Schilling zu fordern hat.
Mit der Behauptung, der Erstbeklagte habe den Unfall durch eine Verletzung des Rechtsvorrangs zu zwei Dritteln verschuldet, wogegen der Kläger (wegen eines Verstoßes gegen § 13 Abs. 2 StVO) lediglich ein Drittel Mitverschulden zu verantworten habe, begehrte der Kläger von den Beklagten S 173.333,33 Schmerzengeld samt gesetzlichen Stufenzinsen nach Maßgabe einer während des Prozesses vorgenommenen Klagsausdehnung. Darüberhinaus begehrte er die Feststellung, daß ihm die Beklagten (die Zweitbeklagte im Rahmen der vereinbarten Versicherungssumme) zu zwei Dritteln für zukünftige Schäden zu haften hätten.
Die Beklagten beantragten die kostenpflichtige Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendeten ein, daß sich der Unfall auf einem „Platz“ ereignet habe, den der Erstbeklagte in der gedachten Verlängerung der von ihm benützten Gemeindestraße überqueren durfte. Der Kläger habe sich zwar grundsätzlich im Rechtsvorrang befunden, doch sei es durch die von ihm gewählte Fahrlinie zu keiner konkreten Vorrangsituation gekommen. Dadurch, daß der Kläger entgegen der Vorschrift des § 13 Abs. 2 StVO in sehr engem Bogen (quer über den Vorplatz) nach links in die Gemeindestraße eingefahren sei, habe ihn der Erstbeklagte erst sehr spät sehen können. Eine zusätzliche Sichtbehinderung für den Erstbeklagten habe sich durch den lebenden Zaun ergeben, der den Vorplatz des Schlosses Kleßheim einsäumt. Das Alleinverschulden am Unfall treffe daher den Kläger.
Das Erstgericht hat das Verfahren auf den Grund des eingeklagten Schmerzengeldanspruchs beschränkt und mit Teilzwischenurteil zu Recht erkannt, daß die Beklagten dem Kläger zur ungeteilten Hand für zwei Dritteln seines Schmerzengeldanspruchs aus dem Verkehrsunfall vom 24. 6. 1980 haften.
Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.
Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wenden sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf gänzliche Klagsabweisung mit Endurteil; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zurückzuweisen, allenfalls dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, wo bei einer platzartigen Erweiterung einer Straße, auf der keine Vorrangregelung durch Verkehrszeichen besteht, der im Nachrang befindliche Verkehrsteilnehmer den Vorrang eines Rechtskommenden wahrzunehmen hat, soweit ersichtlich keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt, sie ist jedoch nicht berechtigt.
Das Erstgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Unfall ereignete sich am 24. 6. 1980 gegen 10 Uhr im Bereich der Einmündung der Europastraße in die Gemeindestraße Siezenheim‑Rott im Gemeindegebiet von Wals‑Siezenheim. Die Einmündung liegt außerhalb des Ortsgebietes auf einer Freilandstraße ohne Geschwindigkeitsbeschränkung. Zur Unfallszeit war die Asphaltfahrbahn beider Straßen trocken. Es gab keine witterungsbedingten Sichtbehinderungen. Die Europastraße führt aus Salzburg‑Taxham kommend auf das Schloß Kleßheim zu, endet jedoch auf dem Vorplatz vor dem Tor des Schlosses. Quer zur Europastraße verläuft dort die Gemeindestraße Siezenheim‑Rott. An der Einmündung der Europastraße in die Gemeindestraße befinden sich weder Bodenmarkierungen noch eine Vorrangregelung durch Verkehrszeichen. Die Europastraße weist, bevor sie auf die Gemeindestraße trifft, die Breite von 7,4 m auf, die Gemeindestraße eine Breite von ca. 5,8 m. Ca. 33 m vor der gedachten Verlängerung des linken Randes der Europastraße erweitert sich die Gemeindestraße platzartig. Der rechte Straßenrand der Gemeindestraße (in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen) entfernt sich bogenförmig von der gedachten Verlängerung des ursprünglichen Straßenverlaufs, sodaß rechts der gedachten Verlängerung eine Verbreiterung der befahrbaren asphaltierten Fahrbahn um ca. 12,4 m entsteht. Der rechte Straßenrand der Gemeindestraße geht schließlich in einer abgeschrägten Rechtskurve in den linken Rand der Europastraße über. In analoger Weise setzt sich diese Fahrbahnverbreiterung auch nach der Einmündung der Europastraße im weiteren Verlauf der Gemeindestraße fort, bis sich die Gemeindestraße am Ende der platzartigen Erweiterung wieder auf die vorherige Breite von ca. 5,8 m verengt. Ebenfalls ca. 33 m vor der gedachten Verlängerung des linken Randes der Europastraße beginnt rechts der Gemeindestraße ungefähr dem Verlauf der geschwungenen Straßenerweiterung folgend eine Hecke, die für einen auf der Gemeindestraße kommenden PKW‑Fahrer die Sicht nach rechts auf die Europastraße stark behindert.
Der Erstbeklagte näherte sich der Einmündung der Europastraße mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h. Er kannte die örtlichen Verhältnisse und wußte, daß von rechts die bevorrangte Europastraße einmündet. Er fuhr ursprünglich in der Mitte seiner rechten Straßenhälfte und wollte seine Fahrt in gerader Linie fortsetzen, da er auf der Gemeindestraße in Richtung Rott weiterfahren wollte. Als sich der Erstbeklagte ca. 3 m vor dem Beginn der sichtverhindernden Hecke befand, nahm er den mit seinem Moped von der Europastraße kommend in die Gemeindestraße einbiegenden Kläger wahr. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich der Hecke so weit genähert, daß er einige Meter weit in die Europastraße hineinsehen konnte. Ca. eine halbe Sekunde vorher war seine Sicht noch wesentlich stärker behindert, da er aus einer Position von 8 Meter vor dem Reaktionsbeginn nicht einmal die gesamte Verbreiterung der Gemeindestraße überblicken konnte und daher den rechten Straßenrand der von ihm benützten Straße ab dem Beginn der Hecke nicht mehr im Blickfeld hatte. Der Erstbeklagte reagierte auf das Erscheinen des Klägers mit einer Bremsung, konnte jedoch den Zusammenstoß mit dem einbiegenden Mopedfahrer nicht verhindern. Die Kollision ereignete sich ca. 13,6 m vor der gedachten Verlängerung des linken Straßenrandes der Europastraße. Nach der Kollision legte der Beklagte bis zum Stillstand seines Fahrzeuges noch eine Strecke von ca. 11,6 m zurück, sodaß die Front seines Fahrzeuges sich ca. 2 m vor Erreichen der gedachten Verlängerung des linken Randes der Europastraße befand. Im Kollisionszeitpunkt hatte der PKW des Erstbeklagten vom rechten Rand der Straßenerweiterung einen Abstand von ca. 12 m. Am Beginn der vom Fahrzeug des Beklagten abgezeichneten Bremsspuren hatten die rechten Räder einen seitlichen Abstand von ca. 1,6 m von der gedachten Verlängerung der ursprünglichen rechten Begrenzung der Gemeindestraße. Nach dem Zusammenstoß, der an der rechten vorderen Ecke des PKWs stattfand, geriet das Fahrzeug des Erstbeklagten bis zur Endlage noch etwas weiter nach links und dadurch auch über die Straßenachse der Gemeindestraße. Ein Reaktionsverzug des Erstbeklagten ist nicht nachzuweisen. Um den Vorrang von Fahrzeugen des Querverkehrs auf der gesamten Verbreiterungsfläche wahren zu können, hätte der Erstbeklagte eine Ausgangsgeschwindigkeit von unter 30 km/h einhalten müssen. Die Fahrgeschwindigkeit des Klägers kann nicht genau geklärt werden. Möglich sind Geschwindigkeiten zwischen 20 und 40 km/h. Der Kläger fuhr mit seinem Moped aus der Europastraße kommend und wollte nach links in die Gemeindestraße nach Siezenheim einbiegen. Er wußte, daß die von rechts auf der Gemeindestraße aus Rott kommenden Fahrzeuge den Vorrang hätten. Er überzeugte sich daher, daß von rechts keine Fahrzeuge kamen und fuhr anschließend nach links in die Gemeindestraße ein, ohne vor dem Zusammenstoß den PKW des Erstbeklagten wahrzunehmen. Seine Fahrlinie verlief kurvenschneidend links vom Schnittpunkt der gedachten Verlängerung der Fahrbahnmitten der Europastraße und der Gemeindestraße, sodaß sie zum Kollisionszeitpunkt noch (in seiner Fahrtrichtung gesehen) links der gedachten Verlängerung der Fahrbahnachse der Gemeindestraße war. Die Kollision ereignete sich, ohne daß der Kläger irgendeine Reaktion auf das Auftauchen des Fahrzeuges des Beklagten setzte. Durch den Zusammenstoß wurde der Kläger schwer verletzt. Er erlitt einen Schock, eine Gehirnerschütterung, Rißquetschwunden und Abschürfungen am Kopf, eine Prellung der rechten Schulter, einen offenen Oberschenkelbruch rechts und einen Bruch des rechten Unterschenkels sowie zahlreiche Hautabschürfungen.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, daß die auffällige Verbreiterung der Gemeindestraße vor dem Schloß Kleßheim bereits zum Kreuzungsbereich mit der Europastraße gehöre und der Erstbeklagte daher bereits beim Einfahren in diesen Bereich den Rechtsvorrang des Klägers hätte wahren müssen. Ihm liege daher eine Vorrangverletzung zur Last, die gewichtiger sei als der Verstoß des Klägers gegen § 13 Abs. 1 (und 2) StVO. Mit der Verschuldensteilung von 2 : 1 zum Nachteil der Beklagten habe der Kläger die beiderseitigen Mitverschuldensanteile bereits richtig in Rechnung gestellt.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz.
In ihrer Revision führen die Beklagten aus, bei der Verkehrsfläche, auf der sich der Unfall ereignet habe, handle es sich um einen Platz im Sinn des § 8 Abs. 3 StVO. Durch einen Platz werde aber der Verlauf einer Straße unterbrochen. Befinde sich im Bereich eines Platzes eine Kreuzung, werde diese durch die gedachten Verlängerungen der in den Platz mündenden Straßen gebildet und umfasse daher nicht die gesamte Fläche des Platzes. Nur in diesem engeren Kreuzungsbereich kämen die Vorrangregeln zur Anwendung. Da sich der Unfall außerhalb der gedachten Verlängerung des linken Randes der Europastraße ereignet habe, könne dem Erstbeklagten weder eine Vorrangverletzung noch ein sonstiger Verstoß gegen Verfahrensvorschriften angelastet werden, vielmehr treffe den Kläger das Alleinverschulden.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Die Beklagten verweisen in der Revision zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach der Wartepflichtige seine Fahrweise so einzurichten hat, daß er den Vorrang dort wahren kann, wo er nach den örtlichen Verhältnissen im Einzelfall mit bevorrangten Fahrzeugen rechnen muß (vgl. ZVR 1982/90, ZVR 1982/164 uva.). Sie erachten auch die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung, daß bei einer Kreuzung die gesamte, innerhalb eines Mündungstrichters liegende Fläche zum Kreuzungsbereich zu rechnen ist (vgl. ZVR 1974/123, ZVR 1982/164 uva.). Ihre Argumentation, aus § 8 Abs. 3 StVO sei abzuleiten, daß auf einem Platz der Kreuzungsbereich ausschließlich durch die gedachten Verlängerungen der Ränder der einmündenden Straßen gebildet werde, kann aber nicht überzeugen. Vielmehr hat das Berufungsgericht richtig erkannt, daß § 8 Abs. 3 StVO, wonach die Fahrt in der gedachten Verlängerung der Straße fortgesetzt werden darf, wenn im Zuge einer Straße ein Platz liegt, nur eine Ausnahme von dem in § 7 StVO festgelegten Rechtsfahrgebots statuiert. Bezüglich des Kreuzungsbereiches kann aus dieser Bestimmung entgegen der Auffassung der Revision nichts abgeleitet werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist vielmehr der Beginn des Kreuzungsbereiches dort anzunehmen, wo die durch die Einmündung bedingten Verbreiterungen der Fahrbahnen deutlich sichtbar werden (vgl. ZVR 1982/164, ZVR 1974/123 uva.). Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß der wartepflichtige Erstbeklagte ab dem Beginn des Kreuzungsbereiches mit von rechts kommenden gemäß § 19 Abs. 1 StVO im Vorrang befindlichen Fahrzeugen rechnen mußte und seine Fahrweise darauf einzurichten hatte, die Lenker dieser Fahrzeuge weder zum unvermittelten Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge zu nötigen (§ 19 Abs. 7 StVO). Dieser Verpflichtung ist er aber nach den Feststellungen nicht nachgekommen, sondern näherte sich ungeachtet der schlechten Sichtmöglichkeiten nach rechts in die Europastraße mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h dem Einmündungstrichter. Als er den aus der Europastraße von rechts in die Gemeindestraße einbiegenden Kläger wahrnahm, konnte er trotz einer Bremsung den Zusammenstoß nicht mehr verhindern. Der Zusammenstoß ereignete sich ca. 13,6 m vor der gedachten Verlängerung des linken Straßenrandes der Europastraße innerhalb des Einmündungstrichters und somit auch im Kreuzungsbereich. Ohne Rechtsirrtum hat daher das Berufungsgericht dem Erstbeklagten eine Verletzung des dem Kläger nach § 19 Abs. 1 StVO zukommenden Vorranges angelastet. Trotz des in der Fahrweise des Klägers begründeten Verstoßes gegen § 13 Abs. 1 und 2 ging er seines Vorranges nicht verlustig (vgl. ZVR 1982/164 ua.). Unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles ist das dem Kläger zur Last fallende Mitverschulden allerdings nicht als so erheblich zu beurteilen, daß es, wie in dem der Entscheidung ZVR 1982/164 zugrundeliegenden Fall, eine gleichteilige Schadensteilung rechtfertigen könnte. Vielmehr ist bei Gegenüberstellung des dem Kläger zur Last fallenden schwerwiegenden Verstoßes gegen die Vorrangbestimmung und der vom Erstbeklagten zu vertretenden Verletzung der Bestimmungen des § 13 StVO das den Erstbeklagten treffende Verschulden als überwiegend zu werten. In der vom Kläger angestrebten und vom Berufungsgericht auch vorgenommenen Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Beklagten ist daher ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 392 Abs. 2, 393 Abs. 4 ZPO.
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