OGH 8Ob37/85

OGH8Ob37/8523.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef M*, vertreten durch Dr. Walter Lanner, Rechtsanwalt in Steyr, wider die beklagten Parteien 1) Martin T*, und 2) W*‑AG., *, beide vertreten durch Dr. Josef Lechner, Rechtsanwalt in Steyr, wegen S 64.785,‑‑ s.A. (Revisionsstreitwert S 21.595,‑‑), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz vom 8. Oktober 1984, GZ. 1 R 228/84‑41, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 15. Mai 1984, GZ. 3 Cg 47/82‑33, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00037.85.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.708,22 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Barauslagen von S 100,‑‑ und Umsatzsteuer von S 328,02) und die mit S 3.080,05 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Barauslagen von S 480,‑‑ und Umsatzsteuer von S 236,37) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 5. 8. 1981 ereignete sich gegen 18,15 Uhr auf der M* Bezirksstraße bei Km 6317 (Freilandgebiet) ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen O * und der Erstbeklagte als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen O * beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeuges. Der Erstbeklagte versuchte mit seinem PKW von der Zufahrt zum Haus W*straße * in die Bezirksstraße einzufahren, während der auf der Bezirksstraße in Richtung S* fahrende Kläger dort einen anderen in gleicher Richtung fahrenden PKW überholte. Wegen des für ihn von links in die Bezirksstraße einfahrenden PKW des Erstbeklagten lenkte der Kläger sein Fahrzeug nach rechts aus; dabei geriet das Fahrzeug ins Schleudern und kam schließlich sich überschlagend von der Fahrbahn ab. Der PKW des Klägers wurde beschädigt. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde zu * des Bezirksgerichtes Steyr gegen den Kläger und den Erstbeklagten ein Strafverfahren eingeleitet; es wurde gegen beide gemäß § 90 StPO eingestellt.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 64.785,‑‑ s.A. (Fahrzeugschaden, An‑ und Abmeldekosten). Der Höhe nach ist der Klagsbetrag nicht strittig. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß den Erstbeklagten das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil er ohne ausreichende Sicht auf den Fließverkehr auf der Bezirksstraße aus einer Grundstücksausfahrt herausgefahren sei, ohne sich eines hiefür erforderlichen Einweisers zu bedienen.

Die Beklagten wendeten dem Grunde nach ein, das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe den Kläger. Er habe trotz einer unübersichtlichen Bergkuppe den in gleicher Richtung fahrenden PKW des Herbert O* überholt und dabei die für die Örtlichkeit zulässige Höchstgeschwindigkeit bei weitem überschritten; der Kläger sei mit einer Geschwindigkeit von über 100 km/h gefahren. Der Erstbeklagte sei mit seinem PKW von der Zufahrtsstraße zum Haus W*straße * gekommen und zur Einmündung in die Bezirksstraße herangerollt. Dort habe er sein Fahrzeug angehalten. Der Kläger habe, nachdem er den PKW des O* überholt hatte, so abrupt nach rechts gelenkt, daß er mit seinem Fahrzeug ins Schleudern geraten und schließlich von der Fahrbahn abgekommen sei. Der Erstbeklagte habe in keiner Weise schuldhaft zu diesem Unfall beigetragen. Der Unfall sei ausschließlich auf die überhöhte Fahrgeschwindigkeit des Klägers und den Umstand zurückzuführen, daß er im Bereich einer unübersichtlichen Fahrbahnkuppe ein anderes Fahrzeug, das selbst mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h gefahren sei, überholt habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Fahrbahn der M* Bezirksstraße ist im Unfallsbereich 6 m breit. Sie beschreibt in Fahrtrichtung des Klägers gesehen eine lange Gerade mit einem Gefälle von etwa 5 %. 90 m vor der Zufahrt zum Haus W*straße * (in Fahrtrichtung des Klägers gesehen) besteht Sicht auf mindestens 200 m.

Die Zufahrt zum Haus W*straße * mündet rechtwinkelig in die Bezirksstraße ein. Sie ist durch das Vorschriftszeichen „Vorrang geben“ gegenüber der Bezirksstraße abgewertet. Die Breite des Einmündungstrichters der Zufahrtsstraße beträgt ca. 12 m. Der Kreuzungsbereich befindet sich im Freilandgebiet.

In Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen befindet sich rechts außerhalb der Fahrbahn eine sowohl entlang der Zufahrtsstraße als auch entlang der Bezirksstraße verlaufende Hecke, die zur Unfallszeit eine Höhe von 0,9 bis 1,3 m aufwies. Es wäre deshalb durch die eingeschränkten Sichtverhältnisse insbesondere auf die linke Fahrbahnhälfte der Bezirksstraße (in Fahrtrichtung des Klägers gesehen) ein Herantasten von der Zufahrtsstraße an die Fluchtlinie der Bezirksstraße mit Schritttempo erforderlich gewesen. Ein sich auf der Zufahrtsstraße der Bezirksstraße näherndes Fahrzeug war aus Fahrtrichtung des Klägers aus einer Distanz von 4 ‑ 5 m in die Deltatiefe hinein erkennbar.

Herbert O* fuhr mit seinem PKW mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h aus Richtung L* in Richtung S*. Etwa 90 m vor Beginn der Zufahrt zum Haus W*straße * begann der Kläger mit seinem PKW das Fahrzeug des O* zu überholen. Er hielt dabei eine Geschwindigkeit von ca. 100 km/h ein. O* hielt mit seinem PKW bei Annäherung an die Zufahrtsstraße zum Haus W*straße * einen Seitenabstand zu seinem rechten Fahrbahnrand von ca. 1 m ein. In der Überholposition befand sich der PKW des Klägers mit seiner linken Fahrbahnbegrenzung knapp am linken Fahrbahnrand.

Als der Erstbeklagte, der sich mit seinem PKW auf der Zufahrtsstraße zum Haus W*straße * der Kreuzung mit der Bezirksstraße näherte, den PKW des O* wahrnahm, bremste er seinen PKW ab, wobei es zur Abzeichnung einer Bremsspur in der Länge von 0,8 m kam. Der PKW des Erstbeklagten kam dann so zum Stillstand, daß das linke vordere Eck 0,3 m in die Fahrbahn der Bezirksstraße hineinragte. Die Bremsausgangsgeschwindigkeit des PKW des Erstbeklagten betrug ca. 15 km/h. Der Erstbeklagte leitete seine Bremsreaktion ca. 5 m bzw. 1,5 Sekunden vor Erreichen der Stillstandsposition ein. Im Zeitpunkt des Einfahrens in die Bezirksstraße betrug die Geschwindigkeit des PKW des Erstbeklagten noch zwischen 7 und 8 km/h.

O* befand sich mit dem von ihm gelenkten PKW etwa 61 m vor der Einmündung der Zufahrtsstraße, als er den PKW des Erstbeklagten wahrnahm. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der PKW des Klägers noch in Überholposition, hatte aber das Fahrzeug des O* bereits passiert und befand sich etwa 45 m vor der Einmündung. Mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h hätte der PKW des Klägers diese Strecke von 45 m in 1,62 Sekunden zurückgelegt. Als der Kläger den PKW des Erstbeklagten wahrnahm, verriß er sein Fahrzeug nach rechts. Im Zeitpunkt der Reaktionseinleitung des Klägers befand sich der PKW des Erstbeklagten bereits nächst dem linken Fahrbahnrand der Bezirksstraße, wobei er noch eine Geschwindigkeit von etwas unter 15 km/h innehatte. Hätte der Kläger mit seinem PKW seine Fahrlinie nächst dem linken Fahrbahnrand beibehalten, so wäre es zur Kollision mit dem PKW des Erstbeklagten gekommen. Hätte der Kläger nur ein geringfügiges und dosiertes Auslenken nach rechts eingeleitet, dann wäre ein kontaktfreies Vorbeifahren am PKW des Erstbeklagten nicht mehr sicher ermöglicht worden.

Der Erstbeklagte nahm den PKW des Klägers erst in dem Zeitpunkt wahr, als er an ihm vorbeifuhr.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Erstbeklagte gegen § 19 Abs. 7 StVO verstoßen habe. Er hätte den gegebenen schlechten Sichtverhältnissen nur dadurch Rechnung tragen können, daß er sich schrittweise an die Bezirksstraße herangetastet hätte; stattdessen habe er bei Annäherung an die Bezirksstraße eine Geschwindigkeit von 15 km/h eingehalten und schließlich eine Vollbremsung durchführen müssen, wobei er dennoch mit dem linken vorderen Eck seines Fahrzeuges 30 cm in die Bezirksstraße hineingeraten sei. Diese Annäherungsweise des Erstbeklagten sei für den Kläger schon deswegen alarmierend gewesen, weil der Kläger bei der vom Erstbeklagten eingehaltenen Geschwindigkeit damit rechnen habe müssen, daß dieser in die Bezirksstraße einfahren werde.

Dem Kläger könne weder eine verspätete noch eine vorschnelle Reaktion zur Last gelegt werden. Er habe auch nicht dadurch, daß er sein Fahrzeug abrupt nach rechts verriß, unrichtig reagiert, zumal mit einem nur dosierten Auslenken eine Kollision nicht mit Sicherheit zu vermeiden gewesen wäre. Überdies sei für den Kläger von vornherein nicht erkennbar gewesen, daß der PKW des Erstbeklagten nur 30 cm in die Fahrbahn der Bezirksstraße einfahren werde, sodaß aus der Sicht des Klägers auf jeden Fall ein stärkerer Seitenversatz nach rechts erforderlich gewesen sei. Auch die Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit könne dem Kläger nicht angelastet werden. Die Bestimmung des § 16 Abs. 2 lit b StVO beziehe sich nur auf den Verlauf der Straße, auf der überholt werde. Mit nicht erkennbaren Hindernissen, die sich von außerhalb der Fahrbahn näherten, müsse der Überholende nicht rechnen.

Daß den Erstbeklagten, der eine Vorrangverletzung zu vertreten habe, ein Verschulden treffe, stehe fest. Dagegen habe der Kläger auf das Fehlverhalten des Erstbeklagten keineswegs unrichtig reagiert. Eine überhöhte Geschwindigkeit sei ihm nicht nachweisbar. Den Kläger treffe daher keinerlei Mitverschulden am Zustandekommen dieses Verkehrsunfalles. Es gebühre ihm daher der Ersatz seines gesamten Schadens.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es dem Kläger einen Betrag von S 43.190,‑‑ s.A. zusprach, sein auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 21.595,‑‑ s.A. gerichtetes Mehrbegehren aber abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, daß hinsichtlich des abändernden Teiles seines Urteiles die Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO nicht zulässig ist.

Das Berufungsgericht führte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichtes, rechtlich im wesentlichen aus, nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 3 StVO hätten Verkehrsteilnehmer, die aus einer Haus- oder Grundstückseinfahrt kommen, bei ungünstigen Sichtverhältnissen einen Einweiser beizuziehen. Diese Bestimmung sei aber nur für den Extremfall gedacht, in welchem nach den Umständen des Einzelfalles damit gerechnet werden müsse, daß ein anderer Verkehrsteilnehmer selbst bei vorschriftsmäßiger Fahrweise nur schwer oder überhaupt nicht einen Zusammenstoß mit dem für ihn plötzlich auftauchenden Fahrzeug verhindern könne. Erscheine es demnach schon fraglich, ob die Beiziehung eines Einweisers schlechthin für Einmündungen, die dem § 19 Abs. 6 StVO zu unterstellen seien, geboten sei, müsse im vorliegenden Fall zumindest bezweifelt werden, ob die Zufahrtsstraße zum Haus W*straße * überhaupt als eine Verkehrsfläche nach § 19 Abs. 6 StVO anzusehen sei. Das vor der Einmündung aufgestellte negative Vorrangzeichen lege eher die Annahme einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße und die Anwendung der Bestimmung des § 19 Abs. 4 StVO nahe. Im vorliegenden Fall gehe aus den im Strafakt und im schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Ing. B* erliegenden Lichtbildern hervor, daß sowohl die Bezirksstraße als auch die Zufahrtsstraße zum Haus W*straße * asphaltiert seien. Die Seitenstraße erscheine zwar trotz ihrer 16,2 m breiten Einmündung etwas schmäler als die Durchzugsstraße, doch müsse wohl auch die mit 6 m festgestellte Breite der Bezirksstraße als Durchschnittswert aufgefaßt werden. Dazu komme aber noch, daß, selbst wenn ansonsten die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 StVO und des § 19 Abs. 6 StVO vorlägen, ein Einweiser nur dann beizuziehen sei, wenn durch ein bloßes Vortasten der nötige Überblick über den bevorrangten Querverkehr nicht erlangt werden könne. Vortasten bedeute dabei allerdings in der Regel ein schrittweises oder zentimeterweises Vorrollen in mehreren Etappen bis zu einem Punkt, von dem aus die Sicht möglich sei. Hingegen werde durch langsames Einfahren in einem Zug bei schlechten Sichtverhältnissen schon der Vorrang verletzt. Dem Erstbeklagten sei es trotz der ursprünglichen Geschwindigkeit von 15 km/h immerhin gelungen, in einer Stellung anzuhalten, in der er mit der linken Vorderkante des PKW die Einmündungslinie, die allerdings in der Natur nicht deutlich deklariert sei, überschritten habe. Der überholende Kläger habe den PKW des Erstbeklagten erst bemerkt, als er sich im Randbereich der Einmündung befunden habe und seine Geschwindigkeit weniger als 15 km/h betragen habe. Es sei daher nicht zu übersehen, daß das Fehlverhalten des Erstbeklagten besonders deshalb zur kritischen Situation beigetragen habe, weil der Kläger während des Überholens an den linken Fahrbahnrand herangefahren sei. Vor allem beantworte sich die Frage, ob sich der Wartepflichtige verkehrswidrig verhalte, auch danach, ob allfällige noch nicht wahrnehmbare Verkehrsteilnehmer ein vorschriftsmäßiges Verhalten an den Tag legten. Dabei komme im konkreten Fall eben zum Tragen, daß unter den gegebenen Umständen, da der Kläger den linken Fahrbahnrand benützt habe, schon ein geringfügiges Überfahren der Einmündungskante durch den Erstbeklagten - vorbehaltlich der an sich überhöhten Annäherungsgeschwindigkeit, die auch im erkennbaren Bereich allenfalls noch über der Schrittgeschwindigkeit gelegen sei - genügt habe, um den Kläger zu einem abrupten Rechtslenken zu veranlassen. Der Vorrang beziehe sich zwar auf die gesamte Fahrbahnbreite und komme also auch dem Überholenden zugute. Daß aber etwa ein Überholen gleichsam in dritter Spur einen Verstoß gegen § 7 StVO darstelle, komme nicht nur im Fall einer Kollision mit dem Gegenverkehr zum Tragen, sondern auch dann, wenn der Überholende dabei mit einem am linken Fahrbahnrand abgestellten Fahrzeug kollidiere; § 7 StVO gelte auch für ein Überholmanöver. Bei einem Abstand des überholten Fahrzeuges von 1 m vom rechten Fahrbahnrand sei immerhin eine Fahrbahnbreite von 3,5 m zum Überholen zur Verfügung gestanden und der Kläger hätte auch durch eine Kontaktaufnahme mit dem Lenker des überholten Fahrzeuges die Möglichkeit gehabt, diesen zu veranlassen, seinen PKW im Sinne des § 7 Abs. 2 StVO mehr an den rechten Fahrbahnrand heranzulenken.

Grundsätzlich sei zwar dem Erstgericht auch insoweit zuzustimmen, als der Schadensausgleich nach § 11 EKHG in erster Linie auf das Verschulden abstelle und dem Erstbeklagten bis zu einem gewissen Grad doch eine Vorrangverletzung zur Last liege. Unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles erscheine aber dieser Vorrangverstoß des Erstbeklagten nicht sehr gravierend und er habe nur im Zusammenhang mit der Tatsache, daß der Kläger äußerst links überholt habe, die Unfallsituation herbeigeführt. Für die Annahme einer Verschuldenshaftung der Beklagten spreche weniger die Überschreitung der Einmündungskante um 30 cm, die auch noch mit dem gebotenen Vortasten, um Sicht auf den Querverkehr zu gewinnen, vereinbart werden könnte, sondern die ursprünglich eingehaltene Geschwindigkeit des Erstbeklagten von 15 km/h, wobei aber der Kläger nur die Endphase dieses Verhaltens des Erstbeklagten wahrgenommen habe, zumal sich der Erstbeklagte schon angesichts des überholten Fahrzeuges zur Reduktion seiner Geschwindigkeit entschlossen habe. Die Verschuldenshaftung betreffe daher einen kleineren Anteil des Gesamtschadens, was wiederum eine Handhabe dafür abgebe, auch den Kläger zum Ausgleich heranzuziehen. Dabei bleibe ohnehin auf sich beruhen, daß die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nur unter günstigsten Verhältnissen eingehalten werden dürfe und die Zulässigkeit des Überholens nicht allein von der Geschwindigkeitsrelation zwischen dem Überholenden und dem überholten Fahrzeug abhängig sei, sondern der Überholende auch damit zu rechnen habe, daß ihm ein anderes Fahrzeug mit gleich hoher Geschwindigkeit entgegenkomme. Immerhin habe in Fahrtrichtung des Klägers die Kuppe eventuell ein gewisses Hindernis für das Erkennen der durch die Einmündung der Zufahrtsstraße bedingten Unterbrechung des linken Fahrbahnrandes gebildet. Gehe man aber doch von der Vorrangverletzung des Erstbeklagten aus, dann erscheine im vorliegenden Fall eine Schadensteilung nach § 11 EKHG im Verhältnis von 2 : 1 zu Gunsten des Klägers angebracht.

Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision hinsichtlich des abändernden Teiles seiner Entscheidung begründete das Berufungsgericht damit, daß es seine Entscheidung auf Grund einer umfangreichen Rechtsprechung getroffen habe und im Übrigen die Besonderheiten des Einzelfalles maßgeblich gewesen seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers. Er bekämpft sie im Umfang der Abweisung seines Begehrens aus dem Revisionsgrund der „unrichtigen rechtlichen Beurteilung“ mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern.

Die Beklagten haben eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die außerordentliche Revision des Klägers nicht zuzulassen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel des Klägers ist zulässig. Die darin unter anderem geltend gemachte Rüge, das Berufungsgericht habe dem Kläger ohne entsprechendes Vorbringen der Beklagten im Verfahren erster Instanz eine Verletzung des Rechtsfahrgebotes als Mitverschulden angelastet, betrifft eine Rechtsfrage der im § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO bezeichneten Art.

Die Revision ist aber auch berechtigt, weil diese Rechtsfrage im vorliegenden Fall vom Erstgericht zum Nachteil des Klägers unrichtig gelöst wurde.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, von der abzugehen kein Anlaß besteht, hat sich die Prüfung eines behaupteten Mitverschuldens des Klägers auf jene tatsächlichen Umstände zu beschränken, die vom Beklagten eingewendet wurden (SZ 37/151; ZVR 1973/1; ZVR 1981/45; 8 Ob 104/83; 8 Ob 48/84 uva.). Dabei können sich allerdings die rechtserzeugend Tatsachen auch schlüssig aus dem übrigen Tatsachenvorbringen ergeben, sodaß dann das Fehlen einer ausdrücklichen Behauptung nicht schadet (8 Ob 150/77; 8 Ob 520/80; 6 Ob 547/81; 8 Ob 68/84 ua.).

Im vorliegenden Fall haben die Beklagten im Verfahren erster Instanz ihren gegen den Kläger erhobenen Verschuldensvorwurf in tatsächlicher Hinsicht nur darauf gegründet, daß der Kläger im Bereich einer unübersichtlichen Fahrbahnkuppe ein Überholmanöver durchgeführt, dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten und schließlich sein Fahrzeug so abrupt nach rechts gelenkt habe, daß es dabei ins Schleudern geraten sei. Eine Tatsachenbehauptung in der Richtung, daß der Kläger entgegen den Bestimmungen des § 7 StVO zu weit links gefahren sei, läßt sich diesem Vorbringen nicht entnehmen; ein derartiger Schuldvorwurf gegenüber dem Kläger ergibt sich auch nicht schlüssig aus dem Vorbringen der Beklagten im Verfahren erster Instanz. Im Sinne der dargestellten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes durfte daher das Berufungsgericht dem Kläger eine Übertretung des im § 7 StVO normierten Rechtsfahrgebotes zur Begründung seines Mitverschuldens nicht anlasten.

Daß aber dem Kläger in anderer Richtung ein Mitverschulden an dem eingetretenen Unfall vorzuwerfen wäre, läßt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht ableiten. Daraus ergibt sich insbesondere kein Verstoß des Klägers gegen die im § 16 Abs. 1 lit a bis lit c StVO bzw. die im § 16 Abs. 2 lit b StVO normierten Überholverbote; die Frage nach dem Schutzzweck dieser Überholverbote kann daher unerörtert bleiben. Ebenso kann unerörtert bleiben, ob das Überholmanöver des Klägers allenfalls gegen § 16 Abs. 2 lit c StVO verstieß; denn nach ständiger Rechtsprechung dient dieses Überholverbot nur dem Zweck, an nicht besonders geregelten Kreuzungen den Vorrang eines von rechts kommenden Fahrzeuges wahren zu können, nicht aber der Sicherheit des Verkehrs im allgemeinen und insbesonders nicht dem Schutz des von links kommenden benachrangten Querverkehrs (ZVR 1980/39; ZVR 1980/214; ZVR 1981/28 uva.). Es ist daher auch die Frage, ob der Erstbeklagte dem Kläger gegenüber nach § 19 Abs. 4 StVO oder nach § 19 Abs. 6 StVO benachrangt war, nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung. Daß der Kläger die nach § 20 Abs. 2 StVO im Freilandgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h überschritten hätte, ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht. Diese Feststellungen bieten auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß irgendwelche Umstände vorgelegen wären, die es dem Kläger nicht gestattet hätten, diese zulässige Höchstgeschwindigkeit auszunützen. Letzlich begründet es auch kein meßbares Mitverschulden des Klägers, wenn er bei Ansichtigwerden des Fahrzeuges des Erstbeklagten seinen PKW nach rechts verriß, zumal er nach den Feststellungen der Vorinstanzen in dieser Situation durch ein dosiertes geringfügiges Auslenken seines Fahrzeuges nach rechts eine Kollision mit dem PKW des Erstbeklagten nicht mehr mit Sicherheit hätte vermeiden können.

Zusammenfassend ergibt sich somit, daß den Erstbeklagten, wie sich aus der in Rechtskraft erwachsenen teilweisen Stattgebung des Klagebegehrens ergibt, ein Verschulden (Vorrangverletzung) an dem eingetretenen Unfall trifft; hingegen kann dem Kläger ein Mitverschulden nicht angelastet werden. Im Sinne der Vorschrift des § 11 Abs. 1 EKHG besteht daher kein Anlaß für eine Kürzung der Schadenersatzforderungen des Klägers aus diesem Verkehrsunfall.

Es war daher in Stattgebung der außerordentlichen Revision des Klägers die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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