Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef A des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und 2 StGB. schuldig gesprochen, weil er am 31.Juli 1983 in Amstetten Franz B dadurch, daß er ihn mit einem Revolver der Marke 'Smith & Wesson', Kaliber 38
spez. aus einer Entfernung von 2,6 m in den Hals schoß, eine schweren Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB.), nämlich einen Halssteckschuß mit Eröffnung der großen Halsschlagader im Bereiche der oberen rechten Brusthöhle absichtlich zugefügt hat, wobei die Tat den Tod des Franz B zur Folge hatte.
Das Erstgericht traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der Angeklagte wohnt mit seiner Familie im selben Haus wie sein Schwiegervater Franz B. Zwischen dem Angeklagten und Franz B, einem sehr unverträglichen, nörgelnden, rechthaberischen und streitsüchtigen Menschen - den das Erstgericht aber trotz zweier einschlägiger Vorverurteilungen keineswegs als gewalttätig oder gefährlich bezeichnet - kam es zu wiederholten Streitigkeiten. Bei einer solchen Auseinandersetzung am 31.Juli 1983 versetzte B dem Angeklagten einen leichten Stoß mit der Hand gegen die Brust, wodurch dieser etwa 1 m zurücktaumelte. Darauf gab der Angeklagte seinem Schwiegervater einen Stoß, der jedoch so heftig ausfiel, daß der Schwiegervater in sein Schlafzimmer hineintaumelte und sich dort auf einer Eckbank abstützen mußte. Dadurch geriet B in starke Erregung. Er begann sehr aufgebracht zu schreien und äußerte auch:
'Ich bringe dich um, du Krüppel'. Der Angeklagte, dem bekannt war, daß sein Schwiegervater Faustfeuerwaffen besaß, vermutete aufgrund der starken Erregung des Franz B, daß dieser seine Drohung wahrmachen werde. Er war bereit, sich dem Schwiegervater zu stellen und die Auseinandersetzung auch unter Verwendung von Waffen fortzusetzen. Er eilte in sein Schlafzimmer und nahm aus seinem Nachtkästchen den stets geladenen Revolver an sich und begab sich wieder in den Vorraum zum Treppenaufgang, um dort ohne Deckung auf das Erscheinen BS zu warten. Als dieser im Halbstock um die Ecke der Mauer kam und bereits die zweite oder dritte Stufe des Stiegenaufgangs betrat, schoß der Angeklagte aus etwa 2,6 m Entfernung gezielt in Richtung des Kopfes und Oberkörpers des Schwiegervaters, wobei es ihm geradezu darauf ankam, diesen zumindest schwer zu verletzen und zwar so schwer, daß dieser nicht mehr in der Lage war, selbst einen Schuß gegen ihn abzufeuern. Der Schuß traf Franz B an der rechten Halsvorderseite. Durch die ausgedehnten Verletzungen großer Schlagadern trat eine rasche innere Verblutung ein, die zu seinem Tod führte.
Das Erstgericht hatte gegen die Notwehrversion des Angeklagten Bedenken und erwog auch in seinen breit angelegten Ausführungen, ob der Angeklagte nicht nachträglich versucht hatte, eine Bewaffnung des Getöteten und die Verwendung einer Waffe nur vorzutäuschen, kam aber dann (im Zweifel zugunsten des Angeklagten) zu der Feststellung, daß Franz B, als er ins Obergeschoß ging, mit einer Pistole bewaffnet war. Es folgte aber nicht der Verantwortung des Angeklagten vor der Gendarmerie, er habe den Schwiegervater nur durch einen Schreckschuß aufhalten wollen und nahm auch nicht seine Darstellung in der Hauptverhandlung als der Wahrheit entsprechend an, daß er es (nur) in Kauf genommen habe, den Schwiegervater zu erwischen. Denn, so argumentierte das Erstgericht, die einzig sinnvolle Überlegung bei Gegenübertreten zweier bewaffneter Personen ohne jedwede Deckung bei einer Entfernung von bloß 1 bis 2 m könne nur sein, den Gegner, wenn schon nicht zu töten, so doch absichtlich schwer zu treffen und zwar so schwer, daß er sofort außer Gefecht gesetzt wird und so nicht selbst noch zurückschießen kann. Eine Notwehrsituation verneinte das Erstgericht aus der Erwägung, daß der Angeklagte die Möglichkeit gehabt hätte, die Lage ohne Heraufbeschwörung einer großen Gefahr zu bereinigen. So hätte er nach der Morddrohung das Haus verlassen und von einem Nachbarn über Telefon die Gendarmerie zu Hilfe rufen bzw. überhaupt die erwartete Bewaffnung des Franz B durch unmittelbar nachfolgende überwachung verhindern können. Denn B, von dem er allerdings nicht wußte, wo dieser die Waffe verwahrte, hatte keinesfalls gleich die Waffe bei der Hand, und auch der Körper- und Kräfteunterschied - der Angeklagte war seinem Schwiegervater körperlich weit überlegen - hätte dies durchaus zugelassen. In Anbetracht der zu erwartenden Schwere der nötigen Beeinträchtigung des Angreifers hätte der Angeklagte auch versuchen müssen, durch Absperren bzw. Verbarrikadieren seiner Wohnung eine weitere Hemmschwelle beim Vorgehen des Franz B einzubauen. Es vermeinte auch, daß nach kurzer Zeit die Erregtheit des Franz B wieder abgeflaut wäre, sich die Situation somit beruhigt hätte, und der Angeklagte daher bei der Gefahr einer schweren Beeinträchtigung des Gegners im Fall einer Konfrontation verpflichtet gewesen wäre, vorher alles zu tun, um eine unmittelbare Konfrontation zu vermeiden. Dadurch, daß er, obwohl er noch gar nicht unmittelbar und gefährlich bedroht wurde, sich entfernte und dadurch seinem Schwiegervater erst Gelegenheit gab, sich zu bewaffnen, sich dann selbst bewaffnete und in diesem Zustand B gegenüber trat, war nach Ansicht des Erstgerichtes das Vorliegen einer Notwehrsituation auszuschließen.
Rechtliche Beurteilung
Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 4, 5 und 9 lit. b StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Schon die Rechtsrüge ist berechtigt.
Der Schuldspruch erfolgte aus der Erwägung, daß dem Angeklagten Notwehr nicht zugute komme, weil er es unterlassen hat, durch Flucht (aus dem Haus) oder andere zumutbare Handlungen (wie etwa Absperren oder Verbarrikadieren seiner Wohnung) einer bewaffneten Auseinandersetzung auszuweichen.
Eine derartige allgemeine Einschränkung des Notwehrrechts kann indes - wie die Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend geltend macht - dem Gesetz nicht entnommen werden. Abgesehen von der Frage, ob dem Angeklagten in der konkreten Situation ein Ausweichen vor der Auseinandersetzung möglich und zumutbar war, besteht darnach (§ 3 Abs. 1 erster Satz StGB.) grundsätzlich das Recht, einen unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf notwehrfähige Güter, insbesonders auf Leben und Gesundheit, durch notwendige Verteidigung abzuwehren. Die Ausübung dieses Rechtes auf Selbstverteidigung setzt aber nicht voraus, daß der Angegriffene stets zunächst alles unternehmen müßte, um dem drohenden Angriff auszuweichen; denn Verteidigung ist Gegenwehr, nicht Verzicht auf Gegenwehr (vgl. Steininger, Die Notwehr in der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, ÖJZ. 1980, S. 225 ff., Leukauf-Steininger, Komm. 2 § 3, RN. 87, Nowakowski im Wiener Kommentar, § 3 Rz. 10; Liebscher, JBl. 1973, 276, Fuchs, Probleme der Notwehr in Strafrechtliche Probleme der Gegenwart, 8-1980, S. 1 ff., insbes. S. 29, 30; 12 Os 106/81, teilweise veröffentlicht in ÖJZ-LSK. 1982/20). Zwar können bei bestimmten Fallkonstellationen Einschränkungen bei der Ausübung des Notwehrrechtes sachgerecht sein. Die sogenannte Unfugabwehr (§ 3 Abs. 1 zweiter Satz StGB.) kann im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des Schöffengerichtes außer Betracht bleiben. Auch die Voraussetzungen einer Absichtsprovokation (vgl. Steininger a. a.O. S. 231 f., Nowakowski a.a.O., § 3 Rz. 27, 28) sind nach den Urteilskonstatierungen - die der bewaffneten Konfrontation vorausgegangene tätliche Auseinandersetzung wurde nicht vom Angeklagten sondern von B provoziert - nicht gegeben. Ebensowenig hat es sich bei B um einen Strafunmündigen, Unreifen oder Geisteskranken gehandelt, der dem besonderen Schutz des Gesetzes (§ 21 Abs. 1 StGB.) unterläge.
Mithin kann vorliegend der Beurteilung des Erstgerichtes, daß schon deswegen eine Notwehrsituation auszuschließen sei, weil der Angeklagte nicht geflohen oder sonst einem Angriff ausgewichen ist - falls dies überhaupt möglich und zumutbar gewesen sein sollte -, nicht gefolgt werden. Infolge seiner unrichtigen Rechtsansicht hat das Schöffengericht aber jene Feststellungen nicht getroffen, die erforderlich sind, um beurteilen zu können, ob überhaupt ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff drohte, ob also eine Notwehrsituation vorlag. Es hat sich ferner überhaupt nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte irrtümlich einen solchen rechtfertigenden Sachverhalt annahm, ob somit die Voraussetzungen der Putativnotwehr (§ 8 StGB., vgl. Leukauf-Steininger a.a.O. § 8, RN. 5) gegeben waren. Mangels der erforderlichen Feststellungen tatsächlicher Art, die eine sofortige Entscheidung in der Sache selbst durch den Obersten Gerichtshof zetassen, war daher der Rechtsrüge des Angeklagten bereits in einer nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285 e StPO. sofort Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuweisen, ohne daß auf die weiteren geltend gemachten Nichtigkeitsgründe eingegangen werden muß.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)