OGH 1Ob555/85

OGH1Ob555/8517.4.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria Theresia A, geb. B, Hauptschullehrerin, Gramastetten, Mitterweg 33, vertreten durch Dr. Alfred Haslinger, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Dipl.Ing. Josef A, Ziviltechniker, Eidenberg, Aschlberg 38, vertreten durch Dr. Ludwig Pramer, Rechtsanwalt in Linz, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 11. Dezember 1984, GZ. 4 R 242,243/84-117, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 15. Mai 1984, GZ. 4 Cg 434/81-107 (8 Cg 213/82), teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die Streitteile haben am 1. Februar 1975 vor dem Standesamt Eidenberg die Ehe geschlossen; der Ehe entstammen drei Kinder, der am 3. Jänner 1976

geborene Peter, die am 17. Jänner 1978 geborene Catharina Mirjam und die am 20. Februar 1982 geborene Julia.

Die Klägerin begehrte die Aufhebung (8 Cg 213/82) und die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten (4 Cg 434/81); Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr das Scheidungsbegehren. Die Klägerin brachte hiezu vor, der Beklagte sei seit ihrer dritten Schwangerschaft zunehmend unleidlich geworden, fordere von ihr unbedingten Gehorsam und beschimpfe sie aufs gröblichste. Seit September 1981 - vor allem am 1. November 1981 - habe er sich auch zu Mißhandlungen hinreißen lassen. Durch sein Verhalten sei die Ehe unheilbar zerrüttet.

Der Beklagte gestand zwar die tiefgreifende Zerrüttung der Ehe zu und erklärte auch, die Ehe mit der Klägerin nicht mehr fortsetzen zu wollen, bestritt jedoch die behaupteten Scheidungsgründe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, der 1971 zum Diplomingenieur der technischen Physik graduierte Beklagte habe zunächst in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz gearbeitet, dann aber eine Stellung bei der C AG in Linz angenommen, weil die Klägerin ihren Beruf als Lehrerin wieder aufnehmen habe wollen; dort sei er bis 1981 tätig gewesen. Nach Ablegung der Ziviltechnikerprüfung sei er am 8. Februar 1982 als Ziviltechniker (Zivilingenieur für technische Physik) zugelassen worden. Die Ehe sei bis zum Frühjahr 1981 im wesentlichen harmonisch verlaufen. Im Mai 1981 sei die Klägerin zum dritten Kind schwanger geworden. Seither habe sich das Verhältnis zwischen den Streitteilen zunehmend verschlechtert, weil der Kläger der Beklagten offen gezeigt habe, das Interesse an ihr verloren zu haben, und unbedingten Gehorsam verlangt habe. Im Zuge von Streitigkeiten habe er sie mit Ausdrücken wie Hure, Drecksau und Ratte beschimpft und seit September 1981 trotz ihrer Schwangerschaft auch zumindest zehnmal tätlich angegriffen und dabei verletzt; so habe er ihr am 1. November 1981 Blutunterlaufungen und einen Trommelfellriß, zwei Tage später erneut Blutunterlaufungen und am 8. Dezember 1981 großflächige Rötungen, Striemen, Blutunterlaufungen sowie Schwellungen im Bereich des Jochbeines und der Nase zugefügt. Die Kinder seien bei den Beschimpfungen und Mißhandlungen größtenteils zugegen gewesen. Seit November 1981 bis 1983 habe sich der Beklagte zumindest fünfmal in stationärer Pflege des Wagner-Jauregg-Krankenhauses in Linz befunden. Seit 1981 leide der Beklagte an geistigen Störungen, so daß er zeitweilig seine Dispositionsfähigkeit verliere und weitgehend enthemmt sei. Infolge dieser geistigen Störungen sei er zu echten zwischenmenschlichen Beziehungen im Sinne der ehelichen Gemeinschaft nicht mehr imstande. Bei den Eheverfehlungen sei er unzurechnungsfähig gewesen. Da die Klägerin das Scheidungsbegehren allein auf § 49 EheG stütze, sei es deshalb abzuweisen, weil das Verhalten des Beklagten angesichts seiner geistigen Störungen nicht als Eheverfehlung betrachtet werden könne.

Das Berufungsgericht gab dem Scheidungsbegehren statt. Es stellte ergänzend fest, daß der Beklagte mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Urfahr-Umgebung vom 25. Februar 1982 zu U 689/81 schuldig erkannt worden sei, die Klägerin am 1. November 1981 und am 8. Dezember 1981

in Eidenberg vorsätzlich durch Schläge am Körper verletzt zu haben, wodurch sie Blutunterlaufungen im Bereich der Augen, eine Beule am Hinterhaupt, eine Blutunterlaufung am rechten Oberarm, eine Verletzung des Gehörgangs mit Schädigung des Trommelfells, eine großflächige Rötung und Striemen am Gesäß, eine Schwellung am linken Jochbein, eine Schwellung der Nase sowie eine Rötung der linken Ohrseite erlitten habe; es übernahm im übrigen die erstinstanzlichen Feststellungen mit Ausnahme jener, daß der Beklagte bei seinen Eheverfehlungen unzurechnungsfähig gewesen sei. In rechtlicher Hinsicht führte das Gericht zweiter Instanz aus, der Scheidungsgrund des § 49 EheG werde nur durch schwere Eheverfehlungen verwirklicht; das treffe auf die wiederholten Mißhandlungen und Beschimpfungen der Klägerin durch den Beklagten zu. Es bestehe auch kein Zweifel, daß die Ehe hiedurch tiefgreifend und unheilbar zerrüttet sei. Die Verantwortlichkeit für Eheverfehlungen sei nicht allein nach Deliktsrecht zu beurteilen. Hänge die Entscheidung von dem Beweis und der Zurechnung einer strafbaren Handlung ab, sei der Richter gemäß § 268 ZPO an den Inhalt eines hierüber ergangenen rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses eines Strafgerichtes gebunden. Der Beklagte habe zumindest in zwei Fällen der körperlichen Mißhandlung seiner Ehegattin schuldhaft gehandelt. Die Zurechenbarkeit dieser Eheverfehlungen sei im Scheidungsstreit nicht mehr zu erörtern. Nach der Rechtsprechung könne allerdings der Einfluß einer Geistesstörung die Verantwortlichkeit für Eheverfehlungen trotz der Zurechnungsfähigkeit des Täters soweit herabmindern, daß nur mehr auf einen Scheidungsgrund nach § 50 EheG, nicht aber einen solchen nach § 49 EheG erkannt werden könne. Die strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten lasse deshalb noch immer die Frage offen, ob das festgestellte Verschulden schwer genug wiege, um den Scheidungsgrund des § 49 EheG annehmen zu können. Die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Beklagten sei infolge seiner schweren psychotischen Störung gewiß beeinträchtigt. Das mindere jedoch sein Verschulden nicht derart, daß die Anwendung des § 49 EheG ausgeschlossen wäre. Die Tatwiederholung und die Schwere der Verletzungen ließen nur den Schluß zu, daß sich der Beklagte der Schwere seiner Eheverfehlungen bewußt gewesen sein müsse und nicht etwa in einer schwer steuerbaren momentanen Aufregeung, sondern gezielt und längere Zeit auf seine Gattin eingeschlagen habe. Deshalb könne sein Verschulden nicht so bagatellisiert werden, daß er für die Eheverfehlungen nicht mehr im Sinn des § 49 EheG einstehen müsse. Das Scheidungsbegehren der Klägerin sei daher berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Beklagten erhobene Revision ist gerechtfertigt. Der Beklagte führt richtig ins Treffen, daß das Berufungsgericht die Feststellung des Erstgerichtes, daß er bei den Eheverfehlungen - und somit auch bei den Mißhandlungen der Klägerin - unzurechnungsfähig gewesen sei, allein wegen der angenommenen Bindung an strafgerichtliche Erkenntnise zu Unrecht als unbeachtlich angesehen hat. Das Gericht zweiter Instanz verweist selbst zutreffend auf die mit der herrschenden Lehre Schwind in Ehrenzweig, Familienrecht 3 , 63; Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 50 EheG) übereinstimmende Rechtsprechung (EFSlg. 41.218 f, 36.348 uva), wonach die subjektive Komponente des § 50 EheG bloß in einer erheblichen Beeinträchtigung der Willensbildung und -kontrolle besteht, die keineswegs den Grad der Unzurechnungsfähigkeit erreichen muß. Deshalb kann trotz der strafgerichtlichen Verurteilung des Beklagten wegen des Vergehens nach § 83 StGB und der daran geknüpften Bindung des Zivilrichters gemäß § 268 ZPO ein auf geistiger Störung beruhendes Verhalten im Sinne des § 50 EheG nicht ausgeschlossen werden. Während zufolge § 11 StGB nur eine schwere, einer Geisteskrankheit, dem Schwachsinn oder einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung gleichwertige seelische Störung die Zurechnungsfähigkeit überhaupt ausschließt, ist nach § 34 Z. 1 StGB der Einfluß eines abnormen Geisteszustandes - demnach auch ein einer geistigen Störung gleichzuhaltender Geisteszustand im Sinne des § 50 EheG - bloß ein besonderer Milderungsgrund. Eine strafgerichtliche Verurteilung schließt damit ein Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 EheG nicht aus. Da das Erstgericht nicht die Zurechnungsfähigkeit im Sinne des § 11 StGB, sondern die Verantwortlichkeit des Beklagten für die behaupteten und - dem objektivem Tatbestand nach auch - festgestellten schweren Eheverfehlungen nach § 49 EheG zu beurteilen hatte, kann auch seine - vom Berufungsgericht bloß unter Hinweis auf die Bindung gemäß § 268 ZPO - nicht übernommene Feststellung, der Beklagte sei bei seinen Eheverfehlungen unzurechnungsfähig gewesen, nur in diesem Sinne verstanden werden.

Auf Grund der Feststellungen des Erstrichters wäre demnach das Urteil des Erstgerichtes zu bestätigen. Der Oberste Gerichtshof kann jedoch nicht selbst in der Sache erkennen, weil sich das Berufungsgericht - ausgehend von seiner unrichtigen Ansicht über den Umfang der Bindung an das strafgerichtliche Erkenntnis - mit der Beweisrüge der Berufung der Klägerin, die festgestellt haben will, daß der Beklagte nicht geisteskrank sei (AS 374), nicht ausreichend befaßt, aber auch die für seine Entscheidung maßgebliche Feststellung des Erstgerichtes nicht übernommen hat. Deshalb ist dem Gericht zweiter Instanz die neuerliche Entscheidung aufzutragen. Ob es sich zu einer Beweiswiederholung veranlaßt sieht, bleibt seiner Beurteilung vorbehalten.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.

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