OGH 2Ob5/85

OGH2Ob5/8526.2.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erich A, Koch, 1110 Wien, Simmeringer Hauptstraße 204, vertreten durch Dr. Felix Weigert, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1) Dkfm.Gerhard B, Angestellter, 2380 Perchtoldsdorf, Tröschgasse 4/10/2, 2) C D E F, 1010 Wien, Schottenring 30, beide vertreten durch Dr. Christian Prem, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 22.205,-- s.A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 5. November 1984, GZ 42 R 767/84-54, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 29. Juni 1984, GZ 21 C 1833/80-49, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

In Abänderung des angefochtenen Urteiles wird das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt.

Der Kläger hat den beklagten Parteien die mit S 2.324,45 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 196,77 Umsatzsteuer und S 160,-

Barauslagen) und die mit S 3.080,05 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 236,37 Umsatzsteuer und S 480,- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 15. Juli 1980 fuhr der mit seinem Motorrad auf der linken Einbiegespur des, in dieser Fahrtrichtung einbahngeregelten, Opernringes in Wien eingeordnete Kläger nach Einsetzen der Grünphase nach links in die Operngasse ein. Der auf der dort vorhandenen, durch eine Grünanlage getrennten weiteren Fahrbahn des Opernringes mit seinem PKW aus der Richtung Babenbergerstraße, also der Gegenrichtung, gekommene Erstbeklagte hatte ebenfalls das Einsetzen der Grünphase abgewartet und war sodann nach rechts in die Operngasse eingebogen. Wegen dieses Einbiegemanövers nahm der unmittelbar nachfolgende Kläger eine Bremsung vor, wodurch er zu Sturz kam und sein Motorrad beschädigt wurde.

Mit der Behauptung des Alleinverschuldens des Erstbeklagten am Unfall und gestützt auch auf die Bestimmungen des EKHG und KFG 1967 begehrt der Kläger den Ersatz seines Sachschadens von S 22.205,-- samt Anhang.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung. Sie stehen auf dem Standpunkt, die vom Erstbeklagten benützte Verkehrsfläche sei keine Nebenfahrbahn sondern werde 'in der Gegenrichtung wie die Hauptfahrbahn des Opernringes benützt' und diene in erster Linie dem Durchzugsverkehr. Weiters brachten sie vor, der Sturz des Klägers beruhe auf einer Fehlreaktion.

Im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht die Klage ab, das Berufungsgericht gab ihr hingegen statt.

Der Oberste Gerichtshof hob mit seinem Beschluß vom 21. Dezember 1982, 2 Ob 237/82 (ON 33), die unterinstanzlichen Urteile auf und wies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht die Klage wiederum ab, das Berufungsgericht gab ihr hingegen neuerlich statt. Es sprach aus, daß die Revision gegen sein Urteil zulässig sei. Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wendet sich die auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision der beklagten Parteien mit dem Antrage auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles. Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gerechtfertigt.

Im ersten Rechtsgang vertrat das Erstgericht auf der Grundlage des von ihm festgestellten Sachverhaltes die Rechtsansicht, die vom Erstbeklagten benutzte Verkehrsfläche stelle keine Nebenfahrbahn dar. Im Sinne der Bestimmung des § 38 Abs 4, vierter Satz StVO 1960, nach welcher beim Linkseinbiegen dem entgegenkommenden, nach rechts abbiegenden Fahrzeug der Vorrang zu geben sei, habe sich der Erstbeklagte somit im Verhältnis zum Kläger im Vorrang befunden. Demgemäß treffe ihn aber kein Verschulden am Unfall. Das Berufungsgericht war hingegen der Ansicht, daß es sich bei der vom Erstbeklagten befahrenen Verkehrsfläche um eine Nebenfahrbahn zum Opernring handle, sodaß sich dieser gegenüber dem von der Hauptfahrbahn kommenden Kläger im Nachrange befunden und solcherart den Unfall verschuldet habe.

In seinem Aufhebungsbeschluß ON 33 erklärte der erkennende Senat, für die Lösung der Frage, ob die vom Erstbeklagten befahrene Verkehrsfläche eine Nebenfahrbahn im Sinne des § 2 Abs 1 Z 4 StVO darstelle, sei entscheidend, ob diese Verkehrsflä he auch dem Durchzugsverkehr diene oder nicht. Müsse diese Verkehrsfläche auf Grund der gegebenen örtlichen Verhältnisse auch von - zB. aus der Eschenbachgasse oder dem Robert-Stolz-Platz kommenden (siehe Stadtplan) - Fahrzeuglenkern benutzt werden, die nicht die Absicht eines Zufahrens im Sinne des § 8 Abs 1 StVO 1960 hätten, dann diene sie insoweit dem Durchzugsverkehr, in welchem Falle eine Qualifikation als Nebenfahrbahn ausscheide. Zur Beurteilung dieser Frage fehle es jedoch an den erforderlichen Feststellungen. Im zweiten Rechtsgang stellte das Erstgericht fest, daß die vom Erstbeklagten benutzte Verkehrsfläche auch dem Durchzugsverkehr dient. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung verwies das Erstgericht darauf, daß sich seine Feststellungen hinsichtlich der vom Erstbeklagten benutzten Verkehrsfläche auf das Sachverständigengutachten stützten, daß im Planquadrat Babenbergerstraße-Getreidemarkt-Operngasse-Opernring ein 'labyrinthförmiger Einbahnzirkus' vorliege und daß die Benützung der vom Erstbeklagten befahrenen Fahrbahn zwingend notwendig 'wohl nur dann sei, wenn sein Zielpunkt innerhalb der gegenständlichen Verkehrsfläche liege'.

Aus der Feststellung des Vorliegens von Durchzugsverkehr folgerte das Erstgericht rechtlich, daß es sich bei der vom Erstbeklagten befahrenen Verkehrsfläche um keine Nebenfahrbahn handle und ihm daher gegenüber dem Kläger der Vorrang zugekommen sei. Es treffe ihn demnach kein Verschulden am Unfall.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit der Begründung, dieses 'habe im Zusammenhang mit dem Sachverständigengutachten ausführlich dargelegt, welche Möglichkeiten für einen Verkehrsteilnehmer bestünden, etwa von der Babenbergerstraße oder auch vom Robert-Stolz-Platz kommend zur Operngasse zu gelangen'. In seiner rechtlichen Beurteilung erklärte es, der Oberste Gerichtshof habe in mehreren divergierenden Entscheidungen zur Frage, ob eine Verkehrsfläche als Nebenfahrbahn anzusehen sei, Stellung genommen. In der im vorliegenden Verfahren ergangenen Entscheidung 2 Ob 237/82 sei darauf abgestellt worden, ob eine Verkehrsfläche von Fahrzeuglenkern benützt werden müsse, ohne daß diese die Absicht eines Zufahrens im Sinne des § 8 Abs 1 StVO hätten. In der Entscheidung 8 Ob 111/81 habe der Oberste Gerichtshof dagegen ausgesprochen, bei der Qualifizierung einer Nebenfahrbahn sei zu beachten, ob diese Verkehrsfläche durch ihre besondere Ausführung nach objektiven, von jedem Verkehrsteilnehmer wahrnehmbaren Kriterien als solche erkennbar sei. Aus den im Akt erliegenden, vom Sachverständigen angefertigten Lichtbildern sei 'durch die' bauliche Anlage der vom Erstbeklagten befahrenen Verkehrsfläche für einen entgegenkommenden, aus der 'Ringstraße' in die Operngasse einbiegenden Fahrzeuglenker nicht sofort zu erkennen, ob der vom Erstbeklagten befahrene Teil der Fahrbahn der Ringstraße eine Nebenfahrbahn sei oder nicht, zumal er nicht sofort beurteilen könne, ob es sich um Durchzugsverkehr handle oder ob die dort befindlichen Lenker die Straße nur zum Zu- und Abfahren im Sinne des § 8 Abs 1 StVO 1960 benützten. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes liege daher eine Nebenfahrbahn vor, welche der Erstbeklagte befahren und sich somit gegenüber dem Kläger im Nachrang befunden habe.

In der Revision wird geltend gemacht, vorliegendenfalls sei sowohl wegen des festgestellten Durchzugsverkehrs auf der vom Erstbeklagten befahrenen Verkehrsfläche als auch im Hinblick auf die objektive, für jedermann erkennbare Gestaltung derselben rechtlich davon auszugehen, daß keine Nebenfahrbahn vorliege.

Diesen Ausführungen ist Berechtigung zuzuerkennen.

Gemäß § 511 Abs 1 ZPO sind die Unterinstanzen bei der weiteren Behandlung und Entscheidung einer Rechtssache an die rechtliche Beurteilung gebunden, welche das Revisionsgericht seinem Aufhebungsbeschluß zugrundegelegt hat. Auch der Oberste Gerichtshof kann von einer in der Rechtssache bereits ausgedrückten Rechtsansicht nur im Falle einer in der Zwischenzeit ergangenen abweichenden Entscheidung eines verstärkten Senates von seiner Rechtsansicht abgehen (SZ 24/139; JBl. 1972, 327; 1975, 379; RZ 1982/56 u.a.).

Auf der Grundlage der ergänzenden erstgerichtlichen Feststellung und der im Aufhebungsbeschluß ON 33 ausgesprochenen Rechtsansicht des erkennenden Senates ist die vom Erstbeklagten befahrene Verkehrsfläche nicht als Nebenfahrbahn im Sinne der Bestimmungen der §§ 2 Abs 2 Z 4 und 8 Abs 1 StVO zu qualifizieren: Das Erstgericht hat die vom Berufungsgericht übernommene, auf den Inhalt des Sachverständigengutachtens gegründete Feststellung getroffen, daß diese Verkehrsfläche auch dem Durchzugsverkehr dient. In dem diesbezüglichen, vom Erstgericht nicht im einzelnen wiedergegebenen Sachverständigengutachten ist auf AS 147 ausgeführt, daß ein Teil des 'Robert-Stolz-Platzes' eine Einbahn stadteinwärts ist und dieser Teil von Fahrzeuglenkern zwingend benutzt werden muß, wenn ihr Ausgangs- oder Zielpunkt die Häuser Robert-Stolz-Platz 1 und 2 sind (AS. 149). Dieser Umstand ist auch aus dem dem Sachverständigengutachten angeschlossenen Verkehrsplan eindeutig ersichtlich, nach welchem der zu den Häusern Robert-Stolz-Platz 1 und 2 führende Teil dieses Platzes eine Einbahnstraße stadteinwärts darstellt und an seinem Ende der Verkehr durch ein Rechtsfahrgebot (§ 52 Z 15 StVO) in die vom Erstbeklagten befahrene Verkehrsfläche geleitet wird. Entgegen den, seiner Feststellung widersprechenden, zweifelnden Schlußfolgerungen des Erstgerichtes in seiner Beweiswürdigung steht somit fest, daß die vom Erstbeklagten befahrene Verkehrsfläche nicht nur im Sinne des § 8 Abs 1 StVO von den zum Opernring zu- oder abfahrenden Verkehrsteilnehmern, sondern auch von den zu den Häusern Robert-Stolz-Platz 1

und 2 zufahrenden Verkehrsteilnehmern auf ihrer Abfahrt benützt werden muß, weil für diese keine andere, rechtlich zulässige Möglichkeit des Weiterfahrens besteht. Aber nicht nur insoweit dient diese Verkehrsfläche demnach dem vorschriftsmäßigen - eine Benützung contra legem aus Zweckmäßigkeitsgründen usw. wäre für die Beurteilung unerheblich - Durchzugsverkehr, sondern überhaupt in jedem Falle, in dem ein Verkehrsteilnehmer in den stadteinwärts führenden Teil des Robert-Stolz-Platzes eingefahren ist. Da dieser Teil keine Nebenfahrbahn darstellt erscheint ein solches, aus welchem Grunde immer erfolgendes Einfahren - ausgenommen hinsichtlich etwaiger Beschränkungen für Lastkraftfahrzeuge usw - jedenfalls zulässig. Damit ist aber schließlich zwingend die Durchfahrtszwecken dienende Benützung der vom Erstbeklagten befahrenen Verkehrsfläche verbunden.

Davon ausgehend stellt die vom Erstbeklagten benützte Verkehrsfläche nach der in ON 33 bindend ausgesprochenen, vom Berufungsgericht jedoch rechtsirrtümlich unbeachtet belassenen Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes somit keine Nebenfahrbahn dar. Im übrigen unterliegt das Berufungsgericht bei seiner allein auf das Kriterium der objektiven Erkennbarkeit abstellenden, rechtlichen Beurteilung auch einem Fehlschluß, zumal es auf Grund der festgestellten äußeren Anlage der Verkehsfläche eine solche objektive Erkennbarkeit als Nebenfahrbahn selbst verneinte und daher folgerichtig zur Verneinung dieser Eigenschaft hätte kommen müssen.

Der Oberste Gerichtshof hat in seinem Aufhebungsbeschluß bereits ausgesprochen, daß dem Erstbeklagten im Falle seines Vorranges gemäß § 38 Abs 4 vorletzter Satz StVO kein Verschulden am Unfall anzulasten sei.

Auch an diese Ansicht ist das Revisionsgericht gebunden. Der Revision war demgemäß Folge zu geben und das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsund des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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