Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 3.180,15 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 720 S Barauslagen und 223,65 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen 1965 = ARB 1965 (in der Folge kurz ARB genannt) zugrundeliegen. Nach Art. 6 Abs. 1 dieser Bedingungen hat der Versicherte den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die Sachlage aufzuklären und ihm erforderliche Beweismittel anzugeben bzw. auf Verlangen vorzulegen. Der Versicherte hat nach Art. 6 Abs. 2 ARB das Recht, bei der Anzeige des Versicherungsfalles einen Rechtsanwalt vorzuschlagen, den der Versicherer mit der Wahrung der Interessen des Versicherten beauftragen soll. Nach Art. 6 Abs. 3 ARB hat der Versicherte dem Anwalt, den der Versicherer mit der Wahrnehmung der Interessen beauftragt hat, Vollmacht zu erteilen, ihn vollständig und wahrheitsgemäß über die Sachlage zu unterrichten und ihm die Beweismittel anzugeben und die notwendigen Unterlagen zu beschaffen. Nach Art. 3 Abs. 6 ARB ist der Versicherer nicht verpflichtet, solche Kosten und Auslagen zu tragen, die entstanden sind, bevor er sich in einem Versicherungsfall zur Gewährung von Versicherungsleistungen bereit erklärt hat; es sei denn, daß es sich um im Interesse des Versicherten vorzunehmende notwendige und unaufschiebbare Maßnahmen handelt. Nach Art. 10 ARB ist der Versicherer bei Verletzung einer Obliegenheit, die nach Eintritt des Versicherungsfalles dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, von seiner Verpflichtung zur Leistung frei, wenn die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob-fahrlässiger Verletzung bleibt der Versicherer zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistungen Einfluß gehabt hat. Wegen eines Vorfalles vom 9.Jänner 1980 wurde dem Kläger der Führerschein abgenommen und über ihn eine Verwaltungsstrafe wegen Alkoholisierung verhängt.
Infolge Berufung des Klägers wurde das Verwaltungsverfahren bezüglich der verhängten Strafe eingestellt. Im Verfahren betreffend die Entziehung des Führerscheines hat der Kläger nach Ablauf der Entziehungsfrist die Berufung zurückgezogen, um den Führerschein sofort ausgefolgt zu erhalten. In den Verwaltungsverfahren war der Kläger durch zwei Anwälte vertreten, die nicht seitens der Beklagten namhaft gemacht worden waren. In diesen Verfahren hat er die Kosten der Abwälte bezahlt. An notwendigen Kosten sind 40.807,27 S aufgelaufen.
Nach dem Vorfall vom 9.Jänner 1980 wandte sich der Kläger an den Außendienstmitarbeiter der Beklagten, Franz D, der den gegenständlichen Rechtsschutzversicherungsvertrag vermittelt hatte, und teilte ihm mit, der Führerschein sei ihm entzogen worden, er würde diese Entscheidung jedoch bekämpfen. Er fragte D, ob die Vertretungskosten im Rahmen des Rechtsschutzversicherungsvertrages gedeckt seien. D erkundigte sich beim Schadensreferenten der Beklagten E telefonisch. Dieser teilte ihm mit, daß die Beklagte, sollte der Kläger betrunken gewesen sein, seine Vertretungskosten nicht bezahlen würde. Wenn er nicht betrunken gewesen sei, solle er kommen. über die Frage einer Versicherungsmeldung und die Beauftragung eines Anwaltes wurde weder zwischen E und D noch zwischen D und dem Kläger gesprochen. D teilte dem Kläger mit, er solle sich an die Beklagte wenden, wenn er gewinne. Der Kläger erstattete daraufhin keine Versicherungsmeldung. Erst nach Abschluß des Verwaltungsverfahrens verlangte er von der Beklagten den Ersatz der Kosten, doch lehnte dies die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger habe nicht unverzüglich die Schadensmeldung erstattet und sich auch nicht eines von ihr namhaft gemachten Rechtsanwaltes bedient. Im übrigen hafte die Beklagte nicht für die Kosten die aufgelaufen seien, bevor sie sich bereit erklärt habe, Versicherungsleistungen zu erbringen. Das Erstgericht wies das auf Zahlung von 44.345,41 S s.A. gerichtete Begehren mit der Begründung ab, der Kläger habe die ihm angelasteten Obliegenheitsverletzungen begangen. Darüberhinaus bestehe Leistungsfreiheit nach Art. 3 Abs. 6 ARB, weil es sich ausschließlich um Leistungen handle, die erbracht worden seien, bevor sich die Beklagte bereit erklärt habe, Versicherungsleistungen zu übernehmen.
Das Berufungsgericht hat unter Abweisung des Mehrbegehrens dem Kläger 40.807,27 S s.A. zugesprochen. Es übernahm die erstrichterlichen Feststellungen und vertrat rechtlich den Standpunkt, der Kläger habe zwar eine Obliegenheitsverletzung begangen, doch habe er den Beweis erbracht, daß diese nicht auf Vorsatz beruhte. Im Vertrauen auf die Erklärungen des Versicherungsvertreters der Beklagten habe er nämlich annehmen können, daß die Beklagte sich mit dem Fall erst beschäftigen wolle, wenn feststehe, daß er nicht alkoholisiert gewesen sei. Zu diesem Zweck sei eine vorherige Beendigung der Verwaltungsverfahren erforderlich gewesen. Eine Leistungsfreiheit nach Art. 3 Abs. 6 ARB sei deshalb nicht gegeben, weil sich diese Bestimmung nur auf Fälle beziehe, in denen der Versicherer seinen Eintritt in den Versicherungsfall erklärt habe.
Das Berufungsgericht hat die Revision für zulässig erklärt.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.
Nach Art. 10 ARB tritt absolute Leistungsfreiheit des Versicherers nur bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung ein. Bei grob fahrlässiger Verletzung einer Obliegenheit bleibt der Versicherer zur Leistung insoweit verpflichtet, als die Verletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung Einfluß gehabt hat.
Im vorliegenden Fall werden die Feststellungen der Vorinstanzen bezüglich der Notwendigkeit und der Angemessenheit der vom Kläger honorierten Anwaltsleistungen in der Höhe des vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrages nicht mehr bekämpft. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß diese Kosten auch bei Einhaltung der den Kläger treffenden Obliegenheit aufgelaufen wären.
Demnach müßte die Beklagte Versicherungsschutz auch dann leisten, wenn der Kläger eine Obliegenheit nur grob fahrlässig verletzt haben sollte. Es ist daher ausschließlich zu prüfen, ob dem Kläger der Beweis für das Fehlen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung gelungen ist oder nicht.
Die Ausführungen der Revision dahin, daß grundsätzlich der Versicherer nur den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung beweisen muß und es im Falle eines solchen Beweises Sache des Versicherten ist, zu beweisen, daß die Obliegenheitsverletzung nicht auf Vorsatz beruht, sind richtig, doch gehen auch die Vorinstanzen von dieser Rechtsansicht aus. Die von der Beklagten zitierten Belegstellen und Entscheidungen können die Frage, ob im konkreten Fall das Fehlen des Vorsatzes bewiesen worden ist, nicht verantworten.
Die Ausführungen der Revision dahin, daß ein Versicherungsvertreter grundsätzlich nicht berechtigt sei, verbindliche Erklärungen abzugeben, gehen an der Sache vorbei. Es handelt sich hier nicht um die Frage, ob der Vertreter D grundsätzlich berechtigt war, rechtsverbindliche Erklärungen für die Beklagte abzugeben, sondern darum, ob seine Erklärungen unter den gegebenen Umständen den Kläger zu der ernsten Annahme veranlassen konnten. Im vorliegenden Fall wünsche der Versicherer vor Klärung der Frage der Alkoholisierung keine weitere Aufklärung und er werde auch keinesfalls irgendwelche Versicherungsleistungen erbringen, bevor eine solche Aufklärung im Sinne der fehlenden Alkoholisierung des Klägers erfolgt ist. Hat der Kläger aufgrund der erwähnten Umstände tatsächlich ernsthaft eine überzeugung in diese Richtung gewonnen, so fehlt sein Vorsatz an der begangenen Obliegenheitsverletzung. Entgegen den Ausführungen der Revision hat das Erstgericht nichts gegenteiliges festgestellt. Es hat lediglich ausgeführt, daß der Kläger die Erklärungen DS nicht in dem von ihm angegebenen Sinn verstehen hätte dürfen. Damit wird aber keine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung festgestellt. Vielmehr enthält diese Feststellung lediglich den Vorwurf der grob fahrlässigen Verletzung einer Obliegenheit.
Hätte nämlich der Kläger die Erklärungen DS nicht in dem von ihm gewünschten Sinn verstehen dürfen, sie aber trotzdem so verstanden, wäre ihm nämlich nur grobe Fahrlässigkeit, nicht aber Vorsatz vorzuwerfen. Auch bedingter Vorsatz würde voraussetzen, daß der Kläger die Unrichtigkeit seines Verständnisses der Erklärung DS ins Kalkül gezogen und sie in Kauf genommen hätte. Derartiges hat aber das Erstgericht nicht festgestellt. Dies hat das Berufungsgericht richtig erkannt. Es geht zutreffend davon aus, daß auch Erklärungen eines an sich nicht vertretungsbefugten Versicherungsvertreters unter Umständen die Vorsätzlichkeit einer Obliegenheitsverletzung ausschließen können. Solche Umstände sind aber hier gegeben. Der Versicherungsvertreter D hat nämlich nicht nur von sich aus erklärt, was der Kläger zu tun hätte, sondern er hat Rücksprache mit dem Sachbearbeiter der Beklagten genommen. Der Kläger mußte daher den Eindruck gewinnen, daß die Mitteilungen DS den Erklärungen des Sachbearbeiters der Beklagten entsprechen. Nun hat D dem Kläger mitgeteilt, er solle sich an die Beklagte wenden, wenn er gewinne. Eine solche Mitteilung konnte der Kläger dahin verstehen, daß er vorerst die Verfahren bezüglich der Verwaltungsstrafe und der Entziehung des Führerscheines zu Ende führen solle, daß also die Beklagte erst nach Abschluß dieser Verfahren die Frage prüfen wolle, ob und inwieweit sie ihm Versicherungsschutz zu gewähren habe. Wenn der Kläger bei dieser Sachlage die Auffassung gewann, der Versicherer lege trotz der gegenteiligen Bestimmungen der Versicherungsbedingungen derzeit keinen Wert auf eine weitere Versicherungsmeldung, so mag dies ein voreiliger Schluß gewesen sein, doch schließt dieser, seine Ernsthaftigkeit vorausgesetzt, eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung aus. Versteht man aber die Erklärungen DS in diesem Sinne, so ist es durchaus vertretbar, daß der Kläger der Auffassung war, er habe derzeit mit einem eigenen Anwalt die Verwaltungsverfahren zu Ende zu führen, weil der Versicherer sich mit der Frage einer Versicherungsleistung noch nicht auseinandersetzen wolle, sodaß auch die diesbezüglichen Bestimmungen der Versicherungsbedingungen vorläufig nicht zum Tragen kommen. Es war nicht zu prüfen, inwieweit ein besonders gewissenhafter und vorsichtiger Partner eine solche Auslegung der Erklärung DS ohne weiters vorgenommen hätte, weil der Vorwurf mangelnder Vorsicht und Gewissenhaftigkeit nur den Vorwurf einer Fahrlässigkeit, nicht aber den Vorwurf der Vorsätzlichkeit begründen würde.
Was die Berufung der Beklagten auf Art. 3 Abs. 6 ARB anlangt, geht die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, derzufolge diese Bestimmung nur anzuwenden sei, wenn der Versicherer eine Eintrittserklärung gemäß Art. 7
Abs. 3 ARB abgegeben hat, zu weit. Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, daß der Versicherungsnehmer den Versicherer vor vollendete Tatsachen stellt und der Versicherer demzufolge für Leistungen aufkommen muß, bezüglich derer ihm jegliche Kontrollmöglichkeit fehlt. Der erwähnte Ausschlußgrund wird daher auch dann vorliegen, wenn der Versicherer zwar später seinen Eintritt in den Versicherungsfall erklärt oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung hiezu verhalten wird, jedoch Versicherungsschutz auch für Leistungen begehrt wird, die vor jenem Zeitpunkt erbracht wurden, ab dem der Versicherer einzutreten hätte. Lehnt jedoch der Versicherer einen Eintritt in den Versicherungsfall grundsätzlich ab, so kann dem Versicherungsnehmer nicht verwehrt werden, die notwendigen Schritte zur Abwehr eines gegen ihn gerichteten Anspruches eines Dritten selbst zu unternehmen. In einem solchen Fall trifft die Ausnahme des letzten Halbsatzes des Art. 3 Abs. 6 ARB zu, nämlich daß der Versicherte in seinem Interesse vorzunehmende notwendige und unaufschiebbare Maßnahmen gesetzt hat. Mit Art. 3 Abs. 6 ARB hat jedoch der Fall überhaupt nichts zu tun, in dem der Versicherer und der Versicherungsnehmer vereinbaren, daß der Versicherungsnehmer vorerst die Abwehr gegnerischer Ansprüche selbst vornehmen und erst nach Beendigung seiner Abwehrmaßnahmen an den Versicherer zwecks Refundierung der aufgelaufenen Kosten herantreten soll. In einem solchen Fall handelt es sich eben um eine von Art. 3 Abs. 6 ARB abweichende zulässige Sondervereinbarung. Im vorliegenden Fall steht fest, daß dem Kläger gegenüber die Erklärung abgegeben worden ist, er solle vorerst die Verwaltungsverfahren zu Ende führen und sich anschließend an die Beklagte wenden. Der Kläger hat dies dahin verstanden, daß die Beklagte über die Frage ihres Eintritts in den Versicherungsfall erst nach Beendigung der Verwaltungsverfahren entscheiden wolle und daß er bis dahin selbständig vorzugehen habe. Sicherlich handelt es sich hiebei um einen übermittlungsfehler der wahren Erklärung der Beklagten, weshalb eine Vereinbarung im oben aufgezeigten Sinn nicht vorliegt. Die Erklärung des Vertreters muß jedoch zu Lasten der Beklagten gehen, weil sich diese ihres Vertreters zur übermittlung ihrer Erklärung bedient hat. Die mißverständliche Erklärung des Vertreters der Beklagten hat der Kläger dahin aufgefaßt, daß die Beklagte mit dem Fall erst nach Beendigung der Verwaltungsverfahren beschäftigt werden wolle, weshalb er der von der Beklagten veranlaßten irrtümlichen Meinung war, es sei eine Vereinbarung der geschilderten Art zustandegekommen. Demnach liegt auch hier ein Fall vor, der nicht unter Art. 3 Abs. 6 ARB fällt.
Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes erweist sich also auch in diesem Punkte mit der oben aufgezeigten Einschränkung als zutreffend.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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